Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Mag.
Zeynep Elibol, Direktorin
der Islamischen Fachschule für Soziale Bildung in Wien
Montag,
27.10.2003
Jedes
Elementarteilchen im Mikrokosmos und auch der Makrokosmos sind ein
Spiegel für die Namen Gottes.
Wenn wir eine Blume betrachten, können wir die Eigenschaften
Gottes wie z.B. der Versorger, der Lebendige, der Schöne, der
Heilende, der Einzige, der Barmherzige erkennen. Unter Seiner Schöpfung
hat Er dem Menschen eine besondere Ehre zukommen lassen. Gott hat
den Menschen zum Ansprechpartner gemacht und ihm Mündigkeit und
Verantwortung gegeben. Der Mensch darf zwar Nutzen von den Gaben
Gottes ziehen, aber er darf nicht
verantwortungslos damit umgehen.
Auch
der Mond ist im Dienste der Menschen. Im Quran heisst es: „Und für
den Mond haben wir Stationen bestimmt, bis er wie der
Dattelrispenstiel wiederkehrt. Weder hat die Sonne den Mond
einzuholen, noch eilt die Nacht dem Tage voraus; und alle schweben
auf einer Umlaufbahn“. Die Phasen des Mondes bestimmen den
Mondkalender. Jedes Mal wenn erstmals die feine Mondsichel am
Abendhimmel sichtbar wird, beginnt am nächsten Tag ein neuer
Mondmonat.
Der
Ramadan, der Fastenmonat der Muslime wird so festgestellt. Er ist
der neunte Mondmonat im Mondkalender und verschiebt sich jedes Jahr
und kommt somit in jeden Monat des Sonnenkalenders hinein. In diesem
Jahr beginnt Ramadan schon im Oktober und in einigen Jahren wird er
wieder im Sommer sein. Ich habe in meinem Leben schon einige Male im
Sommer gefastet. Der Ramadan ist eine Schule mit vielen sozialen
Aspekten.
Dienstag,
28.10.2003
Nachzudenken
und sich seinem Verstand zu bedienen ist ein Grundaspekt des Islam.
Der Muslim soll für sich und für seine Mitwelt Verantwortung
tragen. In den Jahren meiner Tätigkeit als Lehrerin und jetzt als
Direktorin habe ich gesehen wie es mit der Mündigkeit bei jungen
Menschen aber vor allem jungen muslimischen Frauen steht. Sie stehen
oft im Schatten ihrer Brüder oder Väter. Am Anfang des Schuljahres
trauten vor allem einige Mädchen sich nicht ihre Meinung
zu sagen. Jeden Gedankenschritt mussten sie ihre Väter
fragen.
Dass
im Islam jeder Mensch eine Meinung haben darf ist offenkundig.
Leider kennen auch viele Muslime den Islam nicht wirklich und
handeln nach dem was sie von ihren Vorfahren unkritisch übernommen
haben. Unmündigkeit ist sicher ein bequemer Weg, aber ein Hindernis
im Prozess des sich Kennens. Eine wichtige Aussage im Islam ist,
dass die Gotteserkenntnis über die Selbsterkenntnis geht. Wie soll
man jedoch fähig sein sich zu kennen, wenn man nicht einmal weiß,
dass man ja ein Ich hat.
Das
Fasten im Monat Ramadan ist ein wesentlicher Aspekt auf dem Weg der
Selbsterkenntnis. Im Mittelpunkt steht das Ich des Menschen: das
Erkennen und das Erziehen. Das Fasten bezieht sich nicht allein auf
das Hungern und Dursten. Der Mensch soll in diesem Rahmen versuchen,
sich spirituell und sozial zu entwickeln. Negative Eigenschaften wie
Neid, Hass, Habgier und Konsumrausch sollen erkannt und abgebaut und
das Soziale soll in den Vordergrund rücken.
Mittwoch,
29.10.2003
Der
Islam fordert nach Unterstützung von sozial benachteiligten
Menschen. Die Nächstenliebe steht auch hier im Mittelpunkt. Der
Muslim wird aufgefordert, für den Nächsten das zu wünschen was er
für sich wünscht.
Wie
kann jemand, der Hunger und Durst nie erfahren hat, Mitgefühl für
den Bedürftigen entwickeln? Im Fastenmonat Ramadan werden die
Unterschiede zwischen den sozialen Schichten vermindert. Auch die
Wohlhabenden haben sich an die Vorschrift der Nahrungsverweigerung für
eine kurze Zeitspanne, nämlich täglich von der Morgendämmerung
bis zum Sonnenuntergang zu halten. Somit haben auch sie die Möglichkeit,
ihre soziale Seite zu entwickeln. Bei der sozialen Unterstützung
wird kein Unterschied zwischen Muslimen und Nichtmuslimen gemacht. Während
des Ramadan macht jeder seine persönliche Erfahrung. Vom Asketen
bis hin zu dem, der vielleicht nur aus Gewohnheit fastet; keiner
geht mit leeren Händen davon. Die Wirkung des Fastens ist relativ
zu sehen.
Manche
hören mit dem Rauchen gänzlich auf, andere werden mit dem
Konsumieren bewusster und andere wiederum widmen sich mehr dem
Sozialen und überwinden ihren Egoismus. Zu dieser Überwindung gehört
auch das Verzeihen und die Versöhnung.
Das
Fasten hilft dem Menschen, seine Liebe zu seinem Schöpfer zu
entwickeln und diese Liebe ist
Heilung.
Donnerstag,
30.10.2003
Jeder
Tag im Ramadan ist zugleich auch ein Fest. Die Freude am Abend
gemeinsam das Brot zu teilen ist groß. Seit einigen Jahren sind die
Fastentage recht kurz, da im Winter früh Sonnenuntergang ist. Das
Fasten bezieht sich auf die Zeitspanne von der Morgendämmerung bis
zum Untergang der Sonne. In dieser Zeitspanne ist das Essen, Trinken
und Rauchen nicht erlaubt. Aber es ist auch nicht erlaubt, jemanden
zu beleidigen, anzuschreien oder seinen Zorn zum Ausdruck zu
bringen. Es ist Selbstbeherrschung angesagt. Diese Übung soll
helfen, sich moralisch und spirituell zu entwickeln. Dafür hat man
einen Monat Zeit. Das Hungern und das Dursten sind eine Unterstützung
für diese Entwicklung.
In
der Schule holt jeder Schüler beim Fastenbrechen seine bescheidene
Jause aus der Tasche und in einer besinnlichen Atmosphäre und dem
Gedenken an Gott wird das Fasten mit einer Dattel gebrochen. Auch
hier sieht der Mensch, wie gierig er eigentlich ist. Den ganzen Tag
hat man großen Appetit gehabt und man kann dann gar nicht so viel
essen. Oft ist man schon mit
einer Suppe, Butterbrot, Milch und Datteln satt.
Zum
Fastenbrechen werden oft Gäste eingeladen. Unter ihnen sind
Studenten, arme Menschen, Nachbarn oder Familienangehörige. Das
gemeinsame Fastenbrechen ist ein Fest für sich. Diese Freude
empfindet man sonst in unserer Konsumgesellschaft kaum. Sie ist auch
ein Ausdruck und eine Bestätigung für den Dank an Gott und für
Seine Gaben.
Freitag,
31.10.2003
Der
Mensch als einziger mit dem freien Willen betraut, hat die Möglichkeit
sein Lebensbuch zu gestalten. Freundschaft heißt in diesem
Zusammenhang auch, anderen den Zugang zu unseren Seiten zu ermöglichen.
Uns zu öffnen heißt auch teilen. So wie man Brot teilen kann, kann man auch die Freude
oder das Leid teilen. Sozial sein heißt eben auch das Leid teilen.
Einige unserer Schüler und Schülerinnen möchten einmal einen
sozialen Beruf erlernen. Sie möchten das Leid und die Freuden
teilen. Sie möchten Menschen mit besonderen Bedürfnissen helfen
aber auch von ihnen lernen. Wir vergessen oft, dass wir wenn wir Menschen mit
besonderen Bedürfnissen, wie gehbehinderten oder gehörlosen
Menschen helfen, eigentlich sehr viel lernen.
Im
Islam ist es bei Gott ein großer Verdienst, Menschen mit besonderen
Bedürfnissen oder Kranken zu dienen. Krankheit, Leid, besondere Bedürfnisse
oder das Sterben sind keine Tabuthemen, die verdrängt werden. Sie
sind unser Leben in der Tat. Da das Fasten für Kranke nicht
verpflichtend ist, wird die Frage aufgeworfen, ob auch sie etwas vom
Ramadan haben. Da es im Ramadan um Selbstbeherrschung jeder Art
geht, sind natürlich auch Menschen mit besonderen Bedürfnissen,
die aus gesundheitlichen Gründen nicht fasten können, am Ramadan
beteiligt und nicht ausgeschlossen. Eigentlich hat jeder Mensch
besondere Bedürfnisse, sei es auf körperlicher oder auf
spiritueller Ebene.
|