Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

Mag. Klaudia Achleitner (Oberndorf bei Salzburg)

 

 

 

Sonntag, 9. November 03

Abbild Gottes – unser täglicher Blick in den Spiegel

Manchmal fällt es mir richtig schwer mein Spiegelbild in der Früh auszuhalten. Wie ich heute wieder aussehe – die Augen verquollen, den Abdruck des Kopfpolsters noch im Gesicht, die Haare stehen zu Berge, der ganze Körper schlaff. Ich kann es oft gar nicht glauben, dass das wirklich ich bin. Neidisch könnte ich werden, wenn meine Kinder zum Spiegel stürzen und davor posieren, sich drehen und wenden, lachen und grinsen – einfach ganz begeistert sind von sich selber und gar nicht genug kriegen können. Recht haben sie!

 

Denn was sie da anschaut, ist etwas ganz Besonderes, nichts Manipuliertes, kein Abziehbild. Da schimmert etwas durch, da leuchtet etwas. Ihre Freude ist richtig spürbar. Sie freuen sich darüber, dass es sie gibt. Wie wenn sie es wüssten, dass auch sie, so wie wir alle, Abbilder Gottes sind. Wir wissen nicht, wie Gott aussieht. Wir wissen nur, wie wir aussehen. Die Bibel beschreibt das so: „Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.“

 

Was heißt das nun für mich? Ich kann mich getrost vor den Spiegel stellen und die, die mich da anschaut, erzählt mir meine Geschichte, wie ich geworden bin und was noch alles in mir steckt. Ich kann verschiedene Haltungen einnehmen. Je nachdem, ob ich heute ganz stark oder ganz schwach, niedergeschlagen oder frohen Mutes bin. Ich kann Verschiedenstes ausprobieren ohne beobachtet zu werden.

 

Ich schaue noch einmal in den Spiegel – Abbild Gottes sein – das hat irgendwie etwas Erhebendes. Meine Augen werden freundlicher, ein Lächeln drängt sich in meine Gesichtszüge und mein Körper strafft sich. Jetzt gehe ich frühstücken.

 

 

Montag, 10. November 03

Ein Platz für große Gedanken

Neulich war es fast wie im Märchen: Wir sind über Wiesen und Felder gewandert, vorbei an einem einzelnen Bauernhaus und entlang eines Baches marschiert - auf und ab. Hin und wieder blökten ein paar Schafe. Auf einem Feld arbeiteten ca. 15 Personen, um die Kartoffelernte einzubringen. Irgendwann erreichten wir eine kleine Anhöhe mit zwei Birken und einer wilden Kirsche. Hier machten wir Rast. Wir packten die Jause aus. Die Kinder turnten auf den Bäumen herum. Ich saß an einen Baum gelehnt da, schaute mir die Landschaft an – Hügel und Wälder und Himmel. Plötzlich sprangen von links nach rechts drei Rehe über den Hang. Nach einer Weile kam noch ein Hirsch mit Familie von rechts nach links.

 

Diese Idylle erschien mir fast schon kitschig und doch wirkte sich dieses Geschehen unheimlich beruhigend auf mich aus. Da hatte ich so das Gefühl, dass alles Belastende von mir abfallen konnte. Alles Beengende und Beklemmende war wie weggeblasen. Störende Kleinigkeiten waren auf einmal nicht mehr wichtig. Die Ruhe der Landschaft übertrug sich auf mich und ließ alle Hektik von mir abfallen. Alles fügte sich zusammen. Die Antwort auf alle Fragen begann auf einmal mit „Nichts leichter als das...“.

 

Hier können einem die großen Gedanken in den Sinn kommen und werden nicht gleich wieder von allen möglichen „wenn und abers“ abgewürgt. Es müssen dort nicht alle wichtigen Lebensentscheidungen getroffen werden. Es reicht schon einen Ort zu haben, wo man sich einfach anlehnen kann, um die Seele baumeln zu lassen und dabei zu zulassen, was kommt.

 

 

Dienstag, 11. November 03

Was teilen wir miteinander?

Vor vier Wochen war es wieder soweit – ich stand mit meinen Kindern vor dem Käseregal und ließ sie schöne runde Schachteln, egal ob Streichkäse oder Camembert, aussuchen.

Unsere Laternengalerie soll erweitert werden. Das Fest des Hl. Martin wird vorbereitet. Mein Sohn erinnert sich noch an die Feier letztes Jahr im Kindergarten: an die szenische Darstellung wie der Hl. Martin seinen Mantel teilte, an den Laternenumzug und das Brotteilen – die Kinder haben mit ihren Eltern das Brot geteilt. Für ihn war es ganz wichtig, dass wir unser Brot bekamen.

 

So wird das Teilen zu etwas Verbindendem, es bringt die Menschen zusammen. Durch das Miteinanderteilen wird es oft mehr als es vorher war – mehrere Familien setzen sich am Ziel ihrer Wanderung zur Jause zusammen. Sie legen in der Mitte alles zusammen, setzen sich drum herum und teilen ihr Essen miteinander.

 

Diese Situation mit dem Teilen des Mantels vom Hl. Martin zu vergleichen, hinkt natürlich gewaltig. Doch in der Grundhaltung treffen sie sich. Für mich liegt darin die Unterscheidung zwischen Almosen geben und teilen. Almosen geben oder empfangen hat viel mit oben und unten zu tun. Wenn ich ein Almosen gebe, will ich oft nur mein Gewissen beruhigen, etwas gegen das Elend in der Welt getan zu haben, aber eigentlich will ich ja mit dem Elend nichts zu tun haben. Wenn ich mit jemandem teile, gebe ich nicht nur etwas her, sondern ich nehme auch Anteil an seinem Leben. Ich interessiere mich dafür, wie es dem anderen geht.

 

Der Hl. Martin hat geteilt. Er ist von seinem hohen Ross heruntergekommen und hat sich auf eine Ebene mit dem Bettler gestellt.

 

 

Mittwoch, 12. November 03

Neblige Zeiten

Zur Zeit beginnt ein arbeitsreicher Tag im Dunkeln. Nach dem Frühstück wird es heller, dafür ist es neblig. Sobald man das Haus verlässt, ist es nur noch feucht und kalt. In den öffentlichen Verkehrsmitteln sind alle Fensterscheiben angelaufen und es scheint alles zu dampfen. So soll man gut gelaunt und voll motiviert arbeiten. Vor allem wenn man weiß, dass der arbeitsreiche Tag auch wieder im Dunkeln endet.

 

Mir sind so neblige Zeiten mittlerweile gar nicht mehr so unrecht. Da nehme ich mir mehr Zeit für mich . Besuche an Seen oder in Gastgärten fallen jahreszeitbedingt aus. Auf der Straße laufen auch nicht mehr so viele Bekannte herum.

 

Ich kann mich zu Hause zurück ziehen, mit den Kindern die ersten Lebkuchen backen, hin und wieder eine Kleinigkeit basteln und viele Bücher vorlesen. Abends sitze ich eingewickelt in eine Decke auf der Couch umgeben von Stößen von Zeitungen und Büchern oder genieße mit meinem Mann das eine oder andere Häferl Glühwein und ein paar selbst gebratene Maroni dazu.

 

In so nebligen Zeiten habe ich das Gefühl, dass der Blick nach außen unscharf wird, die Konturen verschwimmen und es wird alles grau. Da wird es Zeit, den Blick nach innen zu richten und von den Farben und Erlebnissen des Sommers zu zehren. Es ist auch die Zeit, sich zu orientieren, ob ich noch auf dem Weg unterwegs bin, den ich mir vorgenommen habe; ob ich sozusagen im Lot bin. Dieser klärende Blick nach innen gibt mir Energie und die Kraft meinen Weg trotz der nebligen Zeiten zu finden.

 

 

Donnerstag, 13. November 03

Was täten wir ohne Großeltern

„Noch dreimal schlafen und wir dürfen bei Opa und Oma schlafen!“ Meine Kinder können es immer kaum erwarten bis es endlich wieder soweit ist. Es ist etwas ganz Besonderes beim Opa im Bett oder im Zimmer von der Oma schlafen zu dürfen. Die Vorbereitungen für dieses Ereignis beginnen bei meinen Kindern mindestens einen Tag vorher. Es müssen ja die richtigen Spielsachen und Bücher ausgewählt werden. Das alles verpacken sie dann in ihre Rucksäcke und was nicht Platz hat, muss die Mama in die Reisetasche tun.

 

Ich bin sehr froh darüber, dass meine Kinder Großeltern haben, bei denen sie sich wohlfühlen, wo sie nicht fremd sind, wenn sie deren Häuser betreten. Meine Kinder erleben es sicher als Bereicherung die Lebensart und auch die Lebensweisheit ihrer Opas und Omas kennen zu lernen. Die Großeltern waren nur anfänglich etwas unsicher im Umgang mit ihren Enkelkindern – es war ja schon so lange her kleine Kinder um sich zu haben. Mittlerweile haben sie sich schon gut miteinander vertraut gemacht, sodass bereits nach wenigen Tagen Entzugserscheinungen auftreten, wenn sie sich nicht sehen. Für Kinder und Großeltern ist das Zusammensein bestimmt auch von einer gewissen Stressfreiheit geprägt. Es ist ja nur ein Zusammensein auf Zeit und da können sich alle Beteiligten leicht von der Schokoladenseite zeigen. So gesehen fällt es den Opas und Omas sicher leichter, den Enkelkindern ihre Wünsche zu erfüllen.

 

Zu guter Letzt ist die Freude auch aufseiten der Eltern. Einmal ein paar Stunden nicht ständig gebraucht zu werden, ist durchaus entlastend. Es macht mir dann richtig Spaß, in Ruhe den Haushalt zu versorgen oder einkaufen zu gehen ohne ein schlechtes Gewissen zu haben, denn ich weiß, dass dann auch die Kinder und Großeltern ihren Spaß haben.

 

 

Freitag, 14. November 03

Ene mene muh und drauß bist du

„Ene mene muh und drauß bist du...“ solche Auszählreime finden Kinder in einem gewissen Alter spannend. Da ist es wichtig ausfindig zu machen, wer dazu gehört und wer nicht. Kinder sind in solchen Situationen oft brutal. Ganz schnell wird eine Bande gegründet mit mindestens so vielen Chefs wie die Bande Mitglieder hat. Meist gibt es ein gemeinsames Merkmal, das einen als Mitglied kennzeichnet. Bei Kindern, die da nicht mitmachen dürfen, bricht oft das heulende Elend aus.

 

Auch später auf dem Weg zum Erwachsenwerden wird noch ausgezählt: „Ene mene muh und drauß bist du...“ Wer hat die richtige Haarfarbe, Kleidung oder die richtigen Schuhe. Wer hört welche Musik oder geht in welches Lokal. Der Möglichkeiten gibt es viele, Gruppen zu bilden und dann zu sagen, dass die, die da nicht mittun, draußen sind. Im schlimmsten Fall werden die anderen angefeindet und im zartesten Fall ist es allen wurscht, wie wer rumläuft oder was er macht. Doch da dazwischen gibt es das, was mit dem Begriff der Toleranz umschrieben wird. Der Mensch ist für mich wichtig, was er sagt und was er denkt. Erst dann kann ich entscheiden, ob ich etwas mit ihm zu tun haben will oder nicht.

 

Manchmal spielen die ganz Großen immer noch „Ene mene muh und drauß bist du...“. So nach dem Motto – wenn wir unter uns bleiben, bleibt uns auch der Wohlstand und er kann nur mehr werden, wenn niemand mehr dazu kommt. Da wird uns Angst gemacht, dass unser Wohl flöten geht und es wird uns Angst gemacht vor denen, die draußen sind, die wir nicht kennen, die uns fremd sind, deren Schicksal von den ganz Großen als dubios eingeschätzt wird. „Ene mene muh und drauß bist du...“

 

 

Samstag, 15. November 03

Tohuwabohu im Haushalt und drei Kinder im Vorschulalter

Bei uns zu Hause ist zur Zeit was los. Mit drei Kindern im Vorschulalter geht die Post ab. Wenn nicht gerade Baustelle oder Bauernhof gespielt wird oder die Autos vom Parkhaus durch die Waschanlage gefahren werden, bekommt bestimmt die Puppe etwas zu essen oder wird spazieren gefahren oder umgezogen und gewickelt. Zwischendurch malen die Kinder schnell einmal ein Bild mit Wasserfarben, bevor sie anfangen, den Küchentisch mit Knetmasse voll zu räumen. Etwas später sind dann Puzzles, Würfel- und Ratespiele dran. So jetzt geht es an die Legokisten. Häuser, Störche, Traktoren, Zahnradkonstruktionen – das alles muss gebaut werden. Dazwischen immer wieder der Wunsch: „Mama, liest du mir ein Buch vor?“ Ich muss nicht überall mitspielen, nur dabei helfen, das eine oder andere herzurichten oder wegzuräumen. Trotzdem habe ich genug zu tun mit meinem noch zu stillenden Baby und dem Haushalt für fünf. Meine Arbeit geht mir nie aus – Wäsche waschen und bügeln, putzen, aufräumen und kochen sind Tätigkeiten, die nie aufhören und ist man mit dem einem fertig, fängt man mit dem anderen wieder von vorne an. Spätestens jetzt weiß ich, wie wichtig es ist, Prioritäten zu setzen und einen gewissen Mut zur Lücke zu entwickeln. Ich denke mir oft, das alles dauert im Verhältnis zum ganzen Leben nur so kurz. Es macht mir soviel Spaß zu sehen, wie die Kinder groß werden und sich entwickeln. Über ihre Ideen beim Spielen könnte ich mich oft zerkugeln. Fensterputzen und Parkettböden bohnern kann ich später noch jahrelang.

Oft werde ich gefragt: „Geht’s euch gut?“ Ich antworte dann immer mit „Ja!“