Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Pfarrer Ernst Steindl (Wilfersdorf, NÖ)

Sonntag, 16.11.2003

In aller Frühe geschehen ganz besondere Dinge, so heißt es zumindest in der Bibel, im Neuen Testament. Jesus betet gerne in der Früh, ganz allein, der wunderbare Fischfang ereignet sich frühmorgens, ja die Auferstehung selbst ist ein Geheimnis, das die Frauen in aller Frühe entdecken. Aus dem Dunkel der Nacht steigt der Tag, das Licht lässt uns langsam die Konturen der vertrauten Dinge wiedererkennen, der Tag gewinnt nach und nach seine Gestalt. Ein befreundeter Priester hat einmal zu mir gesagt, dass auf dem Morgen ein besonderer Segen liegt. Er hat gemeint, dass es gut ist, sich am Morgen ein wenig Zeit zu nehmen und dass sich Gott in der Stille des Morgens gut finden lässt. Ich bin nicht gerade das, was man einen „Morgenmenschen“ nennt, und trotzdem merke und erlebe ich, dass da etwas dran ist. Den Tag mit Gott zu beginnen, sich in aller Frühe Zeit für sich selbst und ihn zu nehmen, das gibt dem Tag einen anderen Anfang, eine Richtung, ein Ziel, erst recht am Sonntag, dem Tag des Herrn.

 

 

Montag, 17.11.2003

Der Herbst färbt die Blätter der Bäume und Sträucher zu einem bunten Meer. Es ist schön, in dieser Zeit z. B. durch das Weinviertel zu fahren und die wechselnden Grün-, Gelb-, Braun- und Rottöne zu beobachten, wie sie in der hügeligen Landschaft auf- und abtauchen. Mich regt dieses Wechselspiel an, über das Leben nachzudenken, wie es sich in der Natur widerspiegelt. Da sind manche Bäume schon ganz kahl, andere sind noch grün wie im Frühsommer, die meisten aber haben sich zu bunt leuchtenden Farbtupfen verwandelt.

 

Im Tschechischen – in der Sprache unserer Nachbarn – heißt der November Listopad – der Monat der fallenden Blätter. Vor ihrem Herabschaukeln von den Bäumen und Sträuchern zeigen sie noch einmal, was alles in ihnen steckt, bekennen sie noch einmal Farbe, machen sie die Welt noch einmal bunt. Ob mir das auch gelingt?

 

Lass mich meine Abschiede bunt gestalten, Gott, die kleinen und die großen.

 

 

Dienstag, 18.11.2003

Viele Menschen erfahren den Nebel als etwas Bedrohliches. Er schränkt die Sicht ein, verändert die Wahrnehmung und lässt alles in einem anderen Licht erscheinen. Gerade diesen Eigenschaften des Nebels kann ich aber auch etwas Positives abgewinnen. Die eingeschränkte Sicht hilft mir, mich auf das Naheliegende zu konzentrieren, was weiter weg ist, darf auch einmal ausgeblendet sein und im Nebel bleiben. Nur der nächste Schritt ist sichtbar, und der ist es auch, auf den es jetzt ankommt. Der Nebel erfordert eine erhöhte Aufmerksamkeit, und auch das tut mir gut: Die Dinge, die ich sehe, nehme ich sehr bewusst wahr, und ich bemerke, wie vieles einfach vom Nebel verschluckt wird, wie viel aus meiner Sicht entschwindet. Gleichzeitig kommt Neues in den Blick, Dinge, die gerade erst noch nicht zu sehen waren. Das Schlagwort der „Entschleunigung“, der verlangsamten Zeit, die an die Stelle der Hektik tritt, kommt mir in den Sinn. Diese Tage helfen mir dabei, Geduld und Aufmerksamkeit zu üben, ein wenig innezuhalten, nicht zuviel auf einmal zu wollen

 

Mittwoch, 19.11.2003

Im Garten ist es an der Zeit, umzugraben: Die Schichten wieder durchzumischen, dem Boden Ruhe und Erholung zu gönnen, ihn zu lockern, damit er den Regen und die Feuchte aufnehmen kann und manches zu entfernen, was diesem Prozess schaden könnte. Gibt es in meinem Leben auch Zeiten, wo ich bei mir selbst umgrabe? Wo ich tiefe Schichten heraufhole, mir Zeit und Ruhe gönne, wo ich wieder Kraft tanke und erstarke? Was muss ich entfernen, weil es mir nur schadet? Wie kann ich neu aufnahmebereit werden für alles, was da kommt?

Jesus erzählt einmal ein Gleichnis von verschiedenen Bodenarten, auf die ein Sämann seine Samenkörner streut. Je nach Beschaffenheit des Erdreiches bringen die Körner Frucht, manche wenig, manche gar nichts, aber einige sehr viel, ja ein vielfaches ihrer selbst. Welchen Boden findet das Wort Gottes bei mir vor? Gott, hilf mir, bei mir umzugraben, damit deine Frohe Botschaft auf guten Boden fällt.

 

 

Donnerstag, 20.11.2003

Der neue Wein wird im November aus der Taufe gehoben. Die Weinbauern, Hobbywinzer und Weinliebhaber prüfen mit Zunge und Gaumen, was aus den Trauben geworden ist. Und bei den Eigenschaften, welche die Kenner herauszuschmecken meinen, muss ich oft schmunzeln. Vom Melonenduft bis zur Pfirsichnase findet sich da manch verstiegenes Attribut.

 

Eine metaphernreiche Darstellung zeigt Jesus Christus in der Kelter. Er selbst wurde wie die Trauben niedergedrückt, zerquetscht, in den Tod gepresst, dass neues Leben werde. Der Wein – sein Blut – hingegeben für die vielen. In jeder Messe, in jeder Eucharistie begehen wir Tod und Auferstehung Jesu mit den Gaben von Brot und Wein. Oft, sehr oft habe ich Messe gefeiert, als Teilnehmer und auch als Priester, doch ich sehe mich noch lange nicht als Kenner. Und was ich darüber zu sagen weiß, ist noch weniger als das Urteil der Weinprüfer über den neuen Tropfen.

 

Darum bitte ich: ein Kenner des Geheimnisses der Eucharistie zu werden, Messe nicht nur zu feiern, sondern von diesem Geschehen ergriffen und durchdrungen zu werden.

 

 

Freitag, 21.11.2003

Der Kachelofen feiert seine Renaissance, auch in sehr neuen Häusern finden wir ihn wieder, den großen, oft einfallsreich und künstlerisch gestalteten Wärmespender früherer Zeiten. Ein Kachelofen – so habe ich mir sagen lassen – verbreitet eine andere Art von Wärme als Heizkörper oder herkömmliche Radiatoren. Es hängt mit der Strahlung zusammen, die diese Öfen abgeben. Die ist einfach anders und sie wird als angenehmer empfunden als bei anderen Heizungssystemen. Wäre es nicht schön, wenn wir Menschen wie Kachelöfen eine wohlige Atmosphäre für einander ausstrahlten? Wärme, angenehme Stimmung und das gute Gefühl, daheim zu sein? Ich weiß, das ist nicht einfach. Ich fühle mich selber manchmal leer und – ja, „ausgebrannt“! Aber es gibt dann, Gott sei Dank, Menschen, die mir wieder Kraft geben und Mut machen, und ich merke, ich bin nicht allein in dem Versuch, das Feuer in uns nicht erlöschen zu lassen und gegen die Kälte unserer Zeit Liebe auszustrahlen.

 

 

Samstag, 22.11.2003

In diesen Tagen bringt die kalte Witterung manchmal Raureif. Alles ist mit einer dünnen weißen Schicht überzogen. Wie verzaubert wirken Garten und Landschaft. Empfindliche Pflanzen halten dem nicht stand. Sie gehen ein, der Reif hat sie gebrannt, wie wir sagen. Ist das nicht eigenartig? Frost, der brennt?

 

Manchmal gibt es diesen Frost auch zwischen Menschen, eine Kälte, die verletzt, die uns das Herz versengt. Situationen, die einen erstarren lassen, Worte, die wie Feuer auf der Seele brennen, eisiges Schweigen, dem wir nicht standhalten. Sobald aber die Sonne hervorkommt, fällt der Reif klirrend ab oder taut zu Wassertropfen, die wie Tränen an den Pflanzen hängen.

 

Dass es nicht erst Tränen braucht, um die Erstarrung zwischen den Menschen zu lösen, darum bete ich, dass wir einander einladen und Platz bieten in unseren Häusern und Wohnungen. Bei den empfindlichen Pflanzen wissen wir, dass wir sie noch vor dem Winter hereinholen müssen, aber bei den Menschen und ihren sensiblen Seiten, da brauchen wir noch etwas Nachhilfe, wie wir richtig mit ihnen umgehen können.