Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Pfarrer Roland Trentinaglia (Hörbranz, Vorarlberg)

 

 

Sonntag, 23.11.2003

Wir Christen berufen uns gerne auf Jesus Christus. Was wir von ihm wissen, stammt in erster Linie von seinen Freunden, die sein Leben und seine Botschaft aufgeschrieben haben.

 

Jesus muss schwer einzuordnen gewesen sein. Er war hart und schroff, mit beißendem Spott, wenn er den Frommen seiner Zeit vorwarf: „Ihr seid eine Schlangenbrut und übertünchte Gräber!“ Jesus war wütend und zornig, wenn er in der Vorhalle des Tempels die Tische der Geldwechsler umwarf und sie aus dem Tempel hinaus trieb. Er war klug und geschickt, wie aus der Szene mit den Steuermünzen hervorgeht, wo er sich nicht festlegen ließ und sagte: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott aber, was Gottes ist!“ Er nahm Ärger und Verachtung in Kauf, wenn er sich auf die Seite der Sünder und der Ausgestoßenen stellte und ihnen vom Reich Gottes erzählte und ihnen Vergebung und Versöhnung mit sich selber, mit den Menschen und vor allem mit Gott zusprach. Man fand ihn auf Feiern und Festivitäten. Sonst hätten sie ihn damals sicherlich nicht „Weinsäufer und Fresser“ genannt.

 

Jesus ist eine faszinierende Persönlichkeit. Mehr darüber aber Morgen.

 

 

Montag, 24.11.2003

Wenn wir uns mit dem Menschen Jesus Christus beschäftigen, können wir auch feststellen, dass er ein unheimlich guter Beobachter und faszinierender Erzähler war. Weiters musste Jesus niemals den Helden spielen und mit versteinertem Gesicht durch die Gegend spazieren, wie wir das vielleicht aus den verschiedensten Wildwestfilmen kennen, wo eben das Heldenhafte durch hervorstehende Backenknochen, verkniffene Lippen und starren, eisigen Blick hervorgezaubert wird.

 

Jesus konnte zeigen, wenn er traurig und erschüttert war. Er weinte am Grab seines Freundes Lazarus und  - so wird berichtet – am Ölberg kämpfte er mit seinen inneren Lebensängsten. Ihm waren Gefühle nicht fremd und er getraute sich, aus sich herauszugehen und  er konnte es auch seinen Freunden zeigen, was sie für ihn bedeuteten: die Fußwaschung ist ein solches Zeichen dafür. Er wurde enttäuscht und missverstanden. Bei seiner Verurteilung liefen seine Freunde davon und ließen ihn allein und mit seinem Tod am Kreuz war – nach menschlichem Ermessen – alles aus und vorbei.

 

Da er aber Gottes Sohn ist, wird seine Auferstehung zum größten Triumph. Sie ist im Grunde genommen das Ziel seines ganzen Handelns hier auf Erden.

 

 

Dienstag, 25.11.2003

Wenn sich jemand mit der Person Jesus Christus beschäftigt und in der Bibel nachliest, wie Jesus denn überhaupt ist, was er denkt, was er sagt, und wie sein Handeln ist, dann kommt man sehr schnell zur Erkenntnis: Jesus ist immer ganz anders. Ich will einige Beispiele anführen:

 

Er stellte sich zur Ehebrecherin, als sich alle von ihr distanzierten. Jesus rief die Kinder zu sich, als alle sie wegjagen wollten, weil sie ein sogenannter Störfaktor waren. Jesus vergab dem Petrus, als dieser ihn verleugnet hatte und sich selbst verdammte. Die kleine Geldspende der armen Witwe lobte er, als diese von allen übersehen wurde. Dem Verbrecher am Kreuz versprach er das Himmelreich, als ihm alle anderen die Hölle wünschten. Die armen und kleinen Leute liebte er, als nur die Reichen und angesehenen etwas galten. Den Kranken sprach er Heilung und Leben zu, als sie von allen anderen aufgegeben waren. Als ihn alle verklagten und verspotteten, ihn ans Kreuz schlugen, bat er für alle um Vergebung. Er nahm die ganze Schuld auf sich, als alle anderen ihre Hände in Unschuld wuschen. Er erstand vom Tod, als alle meinten, nun sei es endgültig mit ihm zu Ende.

 

Ich denke, allein aus diesen kleinen Beispielen können wir erkennen, mit welch großer Liebe und Freiheit Jesus den Menschen begegnet.

 

 

Mittwoch, 26.11.2003

Wenn ich als Pfarrer so gelegentlich im Internet, in so genannten „Chaträumen“ unterwegs bin (in einem Chatraum kann man sich mit vielen Menschen unterhalten), wenn ich also in einem solchen Raum unterwegs bin und ich sage, dass ich Pfarrer bin, kommen sofort die verschiedensten Fragen auf mich zu. Fragen, die Menschen bewegen und aus denen ich spüre, wie groß eigentlich die Orientierungslosigkeit so vieler – vor allem junger Menschen – geworden ist. Und dann denke ich mir, dass wir in unserer Zeit mehr denn je jemanden brauchen: Wir brauchen jemanden, der den weltweiten Problemen nicht aus dem  Wege geht, der die reichen und armen Völker miteinander versöhnt. Wir brauchen jemanden, der nicht nach Hautfarbe, Herkunft und Rasse, nach Religion und Konfession und Sprache einteilt, der sich nicht bloß für die Mächtigen und Tüchtigen und Schönen interessiert. Wir benötigen jemanden, der allen Menschen Orientierung bietet, Wege zum Frieden und zur Versöhnung aufzeigt, der mir persönlich hilft, dass ich mich selber verstehen und annehmen kann, der mich liebesfähig macht und mich befreit von Lebensängsten und Aggressionen.

Als Mensch brauche ich jemanden, der mich braucht, ohne mich zu missbrauchen, der mir verzeiht und nichts nachträgt, der meinem Leben einen Sinn gibt und auf den ich mich voll verlassen kann. Eigentlich brauchen wir Jesus!

 

 

Donnerstag, 27.11.2003

Vor kurzem habe ich beim Surfen im Internet folgende Sätze gefunden:

Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte.

Achte auf deine Worte, denn sie werden deine Taten.

Achte auf deine Taten, denn sie werden deine Gewohnheiten.

Achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter.

Achte auf deinen Charakter, denn er wird dein Schicksal.

 

Wenn ich auf diesem Hintergrund die Worte der zentralen Botschaft Jesu ansehe, kann ich daraus gut erkennen, welches Charakterbild Jesus von sich selber eigentlich zeichnet:

Sein Umgang mit den Menschen: wenn er sagt: „Ich soll nicht diejenigen in Gottes neue Welt einladen, bei denen alles in Ordnung ist, sondern die ausgestoßenen Sünder“. Weiters lese ich im Neuen Testament von ihm, wenn er sagt: „Ich bin nicht gekommen, um mich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und mein Leben als Lösegeld für alle Menschen hinzugeben!“

 

Auch ein Selbstbildnis zeichnet er von sich, wenn er sagt: „Ich bin der Weg, und das Ziel bin ich auch. Denn in mir und durch mich habt ihr die Wahrheit und das Leben. Nur durch mich könnt ihr zu Gott kommen!“

 

Allein diese Aussagen, die Jesus Christus von sich selber macht,  zeigen auf, welches Ziel seine Gedanken, seine Worte, seine Taten und sein ganzer Charakter überhaupt haben, nämlich dich und mich, uns Menschen! Und nichts anderes! Wir Menschen, als von Gott geschaffene Partner,  - zugegebenermaßen  unvollkommen und irrend, erlösungsbedürftig aus Sünde und Tod, voller Sehnsucht nach einem erfüllten und geglückten Leben -  wir Menschen also sind im Visier Jesu.

 

 

Freitag, 28.11.2003

Ein bekannter Priester aus Frankreich sagte mir einmal in einem Gespräch: „Weißt du, wenn ich meiner Gemeinde die Botschaft Jesu wirklich so nahe bringe, wie er es gemeint hat, würden sie mich auch steinigen!“

 

Oha, hab ich mir gedacht! Also haben wir in vielen Fällen diese Botschaft Jesu für uns zurechtgebogen und verwässert? Angepasst an unsere Bedürfnisse und an unsere ganz persönlichen Maßstäbe?

 

Nun ja, wenn ich so in die Bibel hinein schaue, gibt es schon Aussagen des Mannes aus Nazareth, die weh tun. Zum Beispiel: „Wenn dich einer auf die rechte Backe schlägt, dann halt ihm auch die linke hin. Wenn jemand mit dir um dein Hemd prozessieren will, dann gib ihm noch die Jacke dazu!“  Oder noch so ein Wort Jesu, das manchem christlichen Zeitgenossen durchaus Kopfzerbrechen machen kann: „Ihr könnt nicht Gott und dem Geld dienen!“ Oder: „Zieh zuerst den Balken aus deinem Auge, dann wirst du klar sehen und erst dann kannst du dich auch um den Splitter im Auge deines Mitmenschen kümmern!“

 

Es würde mich sehr interessieren, ob es auch bei Ihnen einen Ärger über ganz bestimmte Aussagen Jesu gibt. Aussagen, über die Sie selber sagen: „So kann er es doch nicht gemeint haben!“

 

 

Samstag, 29.11.2003

Welche Bedeutung hat eigentlich Jesus Christus für uns? Ich lese dazu im 2. Korinterbrief des Apostel Paulus:

 

Wer zu Jesus Christus gehört, ist ein neuer Mensch geworden. Das hat nämlich Gott getan. Und so hat er mir den Auftrag gegeben, diese gute Nachricht überall bekannt zu machen. Er hat nämlich durch seinen Sohn Jesus mit uns Menschen Frieden geschlossen. In Christus hat er selbst gehandelt und seine Feinde zu seinen Freunden gemacht. Ihre Schuld soll für immer ausgelöscht sein.

 

Christus war ohne Schuld. Ihm hat Gott unsere ganze Schuld aufgeladen, damit wir durch ihn so werden, wie es Gott gefällt. Als ein Mitarbeiter Gottes bitte ich euch: Ihr habt die Gnade Gottes empfangen, verspielt sie nicht! Denn er selber sagt: „Zur Zeit der Gnade habe ich dein Gebet erhört. Am Tag der Rettung habe ich dir geholfen. Achtet darauf: Jetzt kommt die Zeit der Gnade. Heute ist der Tag der Rettung!“

 

Überall dort, wo sich der Mensch in Freundschaft mit Gott durch Jesus Christus verbunden weiß, kann das Leben heller werden. Im Glauben an seine Nähe in unserem Leben kann dieser Glaube für uns alle zur unheimlichen Quelle der Freude, der Kraft und des Lebensmutes werden. Denn wir alle haben – trotz unserer Sterblichkeit – Zukunft in diesem einen liebenden Gott durch seinen Sohn Jesus Christus.