Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Prof. OstR DDr. Martin Bolz (Wien)

 

Sonntag, 30.11.2003

Erster Advent, das erste Stopplicht auf dem Adventkranz wird angezündet. Ich sage ganz bewusst Stopplicht, denn die Kerzen auf dem Adventkranz erzählen etwas vom Stoppen, Anhalten, Einbremsen inmitten einer ungebremsten Zeit. So kann es mit uns nämlich nicht weitergehen, heißt der allgemein gültige Satz, es braucht Zeiten, heilige Zeiten des Innehaltens, Atemschöpfens und der Ruhe, denn den Dauerlauf des täglichen Lebens kann man ja nur aushalten, wenn man irgend wann einmal neue Kräfte schöpfen kann.

 

Der Adventkranz hatte schon immer eine pädagogische Bedeutung, hat er doch auf die Geburt Jesu hingewiesen, auf die ewige Zusage Gottes in Form des runden, immer grünen Kranzes, im Gottesdienst auf die vier besonderen Sonntag bis Weihnachten. Und diese pädagogische Bedeutung hat es noch heute, sowohl in der Kirche wie in jeder einzelnen Wohnung. So kann es nicht weitergehen, sagt das erste Stopplicht, die erste Kerze auf dem Adventkranz, denn nur ein Leben mit dem Zeit-Verbringen zwischen Aufstehen und wieder Schlafen gehen ist zu wenig, da braucht es schon mehr. Und wenn jetzt in den Kirchen das neue Kirchenjahr beginnt, dann soll es wohl mit ein wenig mehr Inhalt gefüllt werden können als das Vergangene, denn der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes kommt. Diese Stimme Gottes ist leise, deswegen braucht es das Stopplicht, damit man zum Hören kommt  und man auch verstehen kann. Und erst wenn alle vier Stopplichter auf dem Adventkranz heruntergebrannt sein werden, dann heißt es Achtung, weil es dann grün wird für die neue Fahrt in das weitere Leben.

 

 

Montag, 1.12.2003

Der „Jahrhundertbus“ fährt unermüdlich. Ich habe das Auto öffentlich so getauft, bei einem Heurigen, dem Geburtstagsfest der Fahrerin. Das Auto ist ein kompaktes Fahrzeug, natürlich mit Automatik, wendig und bequem. Die Fahrerin ist nämlich 80 Jahre alt geworden und sie ist von den Vieren im Auto die Jüngste. Der Älteste ist ihr Mann und die beiden Damen auf den Rücksitzen sind in ihrem Alter zwischen den beiden. Wenn man also die Lebensjahre der Insassen dieses Autos zusammen zählt, dann kommen einem die Jahrhunderte entgegen, deswegen die liebevolle Bezeichnung: „Jahrhundertbus“. Und so wird mit dem Auto eben unermüdlich gefahren, zum Einkaufen dorthin, wo es günstig ist, im Frühjahr ins Marchfeld zum Spargel Kaufen, an den Neusiedlersee  zum Wein Einkaufen, auf den Bogusch zum Mittagessen, nicht zu vergessen die Ausflugs- und Urlaubsfahrten.

 

Ich wünsche diesem Auto und den Vieren darin noch manches Jahr des Fahrens, man fährt in der Stadt nicht über 50 und auch nicht bei Rot über die Kreuzung, über Land fährt man zügig, aber rast nicht, aber alles in allem, Leben ist Bewegung, mögen auch einige allzeit Eilige unbedacht ihren Finger auf der Hupe haben. Ich denke mir, für diese Senioren ist wie für alle anderen älteren Menschen in unserem Land der Advent das unausgesprochene Gebet um weitere geschenkte Zeit, weil jeder neue Tag ein Geschenk Gottes ist.

 

 

Dienstag, 2.12.2003

Advent riecht und schmeckt man. Wenn die Weihnachtsbäckereien noch zu Hause gemacht werden, dann kann man es überall riechen und natürlich auch hin und wieder ein wenig vom übrig gebliebenen Teig kosten. So kann man es in den Kinderbüchern nachlesen und so mag es auch noch in manchen Familien gehalten werden. Nachdem es jedoch all diese Köstlichkeiten mehr und mehr zu kaufen gibt, wird die Bäckerei im Advent halt weniger. Dafür gibt es dann andere Gerüche, neue Formen des adventlichen Beisammenseins entstehen. Jahr für Jahr werden die Punschstände in der Stadt mehr und mehr, Punsch wird im Freien getrunken, zugunsten wohltätiger Zwecke. Da steht man also beieinander, trifft alte und neue Bekannte, plaudert und trinkt einen Becher Punsch, mitten in der ganz alltäglichen beruflichen Hetzerei und trotzdem ist es irgend etwas Besonderes.

 

Duft und Geschmack von Punsch sind zu einem neuen Markenzeichen des Advent geworden, es ist, als müsse man dabei gewesen sein, in dieser großen Familie.  Und von den Punschständen sind es auch nicht viele Schritte zu den Advent- und Weihnachtsmärkten, bei denen die Zuckerwatte zu finden ist.  Punsch und Zuckerwatte sind die neuen Zeichen des Advent, ein bisserl was Süßes, es zergeht alles auf der Zunge und bleibt als Erinnerung zurück. Es heißt ja nicht umsonst in der Liturgie: „Schmecket und sehet, wie freundlich der Herr ist.“ Die Liebe Gottes erfährt man eben auch über den guten Geschmack. In all dem ist auch ein wenig Wehmut der erwachsenen Kinder drin, etwas verloren zu haben und doch zu wollen: eine neue Zeit vielleicht mit mehr Verständnis füreinander. 

 

Mittwoch, 3.12.2003

„Wie heißt eigentlich die Frau von Noah?“ Sechs Jahre alt ist sie, die fragt, denn sie hat gerade eine Arche Noah zum Spielen geschenkt bekommen. Die dazu gehörige Geschichte kennt sie schon ziemlich genau. Also wie hieß Noahs Frau? Stirnrunzeln, Nachdenken, dann Nachschlagen in den schlauen Büchern mit dem Ergebnis, dass man es immer noch nicht weiß. Immerhin, die drei Söhne hießen Sem, Ham und Japhet, Namen, die für damals bekannte Menschengruppen, also die Semiten, die Afrikaner und die Mongolen gestanden haben, das weiß man ja, aber wie hieß bloß seine Frau?

 

Sechs Jahre alt muss man sein, um die Antwort zu wissen: „Noahs Frau heißt Schatzi!“ Na klar, wenn man nicht so verbohrt erwachsen denkt und sich fragt, wie sie wohl geheißen haben könnte, damals, in der Vergangenheit, sondern wenn man in der Gegenwart lebt und den Noah als Zeitgenossen begreift, dann muss seine Frau einfach „Schatzi“ heißen. Der Papa nennt die Mama ja auch so und das hat etwas mit Liebhaben und Achtung zu tun und so gehört sich das ja auch. Noahs Frau heißt Schatzi wie die Mama auch und jetzt kann ich in Ruhe mit der Arche Noah spielen, weil alles klar ist, sie bietet Sicherheit gegen alle Gefahren von draußen, weil drinnen die Menschen sich gegenseitig mögen. Manchmal wird man das Gefühl nicht los, als ob gerade die Wochen vor Weihnachten von der Sehnsucht beherrscht sind, man könne jetzt endlich eine Arche bauen, die den Stürmen der Zeit trotzt, die Familie bewahrt und die am Ende wieder verlassen werden kann, um ein absolut neues Leben anzufangen. Der biblische Noah und sein „Schatzi“ sind dann das tröstende Beispiel, das so etwas auch funktioniert.

 

Donnerstag, 4.12.2003

Vor der Einführung des Euro habe ich nicht selten auf der Straße ein Zehngroschenstück gefunden. Diese im Wert fast geringste Münze der Vergangenheit ist wohl bei nicht Wenigen immer wieder irgendwie durchgerutscht und hinterher wohl auch kaum abgegangen, denn sonst hätte ich nicht so manches Zehngroschenstück finden und in den Klingelbeutel legen können. Mit der Einführung des Euro lag dann kein Geld mehr auf der Straße, erst vergangene Woche habe ich zum ersten Mal eine 1 Cent Münze gefunden. Warum das so ist weiß ich nicht wirklich, aber ich vermute halt einfach einmal, dass die Leute mehr auf ihre Sachen schauen. Ich verstehe das auch, denn gerade die Vorweihnachtszeit hat es so an sich, dass man sein Geld zusammen halten muss, damit man Geschenke kaufen kann, weil die Wertschätzung eines Menschen offenbar nicht selten über die Schätzung des Wertes eines Geschenkes geht. Da darf man keinen Cent verlieren. Man darf auch dann nichts verlieren, wenn man nichts mehr zum Verlieren hat.

 

Wenn kein Geld mehr auf der Straße liegt, heißt das dann, dass die Leute zunehmend mehr auf die geringen Dinge schauen? Wenn das so ist, dann ist der heurige Advent wirklich der Auftakt zu einer neuen Zeit.  Das lateinische Wort „Advent“ heißt auf deutsch Ankunft und damit ist die Sehnsucht nach einer menschenwürdigen Zeit gemeint, wie sie an Weihnachten nun einmal verkündet wird. Ob aber die göttliche Verheißung einer neuen Zeit auch bei den Menschen ankommt, das entscheidet immer noch Gott alleine.

 

 

Freitag, 5.12.2003

Warum gehört eigentlich bei uns der Schnee zu Weihnachten? Hat das etwas mit unserem Klima zu tun, wo um diese Zeit normaler Weise Schnee liegt? Oder hängt das doch eher mit all den Geschichten zusammen, die früher wie heute in dieser Jahreszeit Kindern vorgelesen werden, in denen von Weihnachten und Schnee die Rede ist? Sind es die Bilder, bei denen die Verbindung von Landschaft und Schnee sofort die gedankliche Verbindung zu Weihnachten hergestellt wird? Sind es die Advent- und Weihnachtslieder, die man gelernt hat und in der Schule lernt? Möglicherweise hängt das alles miteinander zusammen, denn ich bin überzeugt davon, dass Menschen anders als Maschinen Zeiten von Ruhe, Zurückziehen und Besinnung brauchen. Der Schnee ist das Zeichen dafür, dass andere Werte eine Bedeutung gewinnen, wenn auch die Natur sich unter eine Schneehaube zurückzieht. Und die Wiederentdeckung dieser anderen Werte, die während des ganzen Jahres unter der Eisdecke des täglichen funktionieren Müssens eingefroren liegen, ist so zutiefst menschlich, weil der menschenfreundliche Gott die Schöpfung eben so eingerichtet hat, dass die Menschen auch zur Besinnung kommen können.

 

Deswegen halte ich viel von dem Kitsch und der Folklore des Schnees vor und zu Weihnachten, von dem knirschenden Stapfen im Schnee und den dicht fallenden Schneeflocken, weil auf einmal mit allen Sinnen begreifbar wird, dass auch ganz andere Erfahrungen zum täglichen Leben dazu gehören. Und irgendwie möchten ja alle wenigstens irgendwann einmal im Jahr wieder wie die Kinder sein, sich freuen, kleine Geheimnisse haben und an das Advent- und Weihnachtsgeschehen glauben können.

 

 

Samstag, 6.12.2003

Der Bart ist ab, spätestens heute Abend, wenn die vielen Nikolause und Weihnachtsmänner ihren Dienst getan haben. Dann wird der Bart abgenommen und mit dem Gewand aufgehoben, bis zum nächsten Jahr. Eltern, Kinder und die Nikolause rufen sich dann noch die eine oder andere Begebenheit des heutigen Tages in Erinnerung und schmunzeln dabei. Der Bischof auf Abruf hatte seinen Auftritt.

 

Dabei hat es diesen Nikolaus ja wirklich einmal gegeben, der als Bischof dafür gesorgt hat, dass seine hungernde Gemeinde etwas zum Essen bekommen hat. Dieses Beispiel ist so nachdrücklich in Erinnerung geblieben, dass der 6. Dezember als Tag des Nikolaus im Kalender festgehalten und bis heute auch begangen wird. Nur die Gestalt des Nikolaus hat sich im Laufe der Jahrhunderte verändert: statt der Lebensmittelversorgung für alle ist er zum Kindernikolaus geworden. Er hat noch den Sack, in dem sich kleine Geschenke für die Kinder befinden. Und weil Geschenke ja auch verdient werden müssen, hat er die Rute dabei, deren Anwendung vor allem die Kinder daran erinnern soll, dass sie sich schon anstrengen müssen, damit sie etwas Besonderes bekommen können. Nikolaus, der Helfer seiner Gemeinde hat sich ein wenig in den Rohrstaberloberlehrer verwandelt, den man durch Bravsein und Hersagen von Gedichten zufrieden stellen muss. In diese Szene passt dann auch der Krampus ganz gut dazu, der kann das Strafen und Schrecken mit Ketten und Geschrei noch besser als der Nikolaus.

 

Ich persönlich mag den Nikolaus, ohne Rute, ohne Sack, als Erinnerung daran, dass man als Christ soziale Aufgaben wahrzunehmen hat.