Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Dipl.
Ing. Dr. Michael Schaller (Graz)
Sonntag,
7. Dezember 2003
Viele
Menschen zünden heute an ihrem Adventkranz die zweite Kerze an,
machen eine kleine Adventfeier oder genießen die vorweihnachtliche
Stimmung.
Bei
solch einer Feier werden Erinnerungen wach. Erinnerungen an die
eigene Kindheit und an die Spannung, dass endlich das Christkind
kommt. Advent hat mit Erwartung, hat mit Ankunft zu tun. Der Begriff
Advent ist aber auch mit dem englischen Wort "adventure"
verwandt, zu deutsch Abenteuer. Wir Christen bereiten uns auf die
Ankunft des Herrn vor und es ist jedes Jahr aufs Neue ein Abenteuer,
dessen Ausgang ungewiss ist. Schaffen wir es diesmal, uns nicht der
Hektik unterwerfen zu lassen? Gelingt es uns, die Botschaft von
Weihnachten zu begreifen?
Vor
vielen Jahren war ich in der Woche nach Weihnachten in Barcelona.
Anders als bei uns war dort das Weihnachtsgeschäft noch im Gange.
Am heiligen Abend feiert man mit der Familie zu Hause und man geht
in der Nacht gemeinsam in die Christmette. Die Geschenke werden aber
erst zu Dreikönig übergeben. Der Grund dafür ist die biblische
Erzählung, dass die drei Weisen an die Krippe gekommen sind und
Christus Geschenke dargebracht haben. Mir gefällt diese Art zu
feiern, da sie das Weihnachtsgeschehen stärker in den Mittelpunkt
stellt.
Ich
wünsche Ihnen, dass Sie sich ganz auf das Abenteuer Advent
einlassen können.
Montag,
8. Dezember 2003
Heute
wird in der katholischen Kirche Maria Empfängnis begangen. An
diesem Tag wird daran gedacht, dass Maria ohne Erbsünde empfangen
wurde. Früher war dieser Tag ein besonderer Frauenfeiertag, an dem
die Frauen nicht arbeiten durften.
In
dieser Woche wird der internationale Tag der Menschenrechte
begangen. Wenn ich heute an den Artikel 2 der Menschenrechtserklärung
denke, so steht darin, dass niemand aufgrund seiner Rasse, seiner
Hautfarbe, seines Geschlechtes oder sonstiger Umstände
diskriminiert werden darf.
In
Lateinamerika habe ich immer wieder erlebt, dass Frauen vom Zugang
zu Bildung ausgeschlossen werden. Während die Eltern arbeiten
gehen, müssen Mädchen mit sechs oder sieben Jahren bereits auf
ihre noch kleineren Geschwister aufpassen. Trotz Schulpflicht werden
oft nur die Buben in die Schule geschickt, weil die Eltern glauben,
dass sich die Erziehung bei den Mädchen nicht auszahlt. Es ist nur
logisch, dass wesentlich weniger Frauen schreiben und lesen können
als Männer.
Trotz
dieser Tatsachen erlebe ich immer wieder, dass die Frauen die
starken Persönlichkeiten der lateinamerikanischen Gesellschaft
sind: Sie halten die Familien zusammen und sie tragen wesentlich zur
Verbesserung der Lebenssituation in ihrem Umfeld bei.
Dienstag,
9. Dezember 2003
Im
Artikel 5 der Menschenrechtserklärung steht, dass niemand der
Folter oder grausamer und unmenschlicher Strafe unterworfen werden
darf. Bei meinem diesjährigen Besuch in Guatemala berichteten meine
Gesprächspartner immer wieder von Folter. Folter, der tausende
Menschen vor zwei Jahrzehnten in der Zeit der Militärdiktatur
ausgesetzt waren. Es wurde uns aber auch erzählt, dass im Vorfeld
der Wahlen vom 9. November mehrere Dutzend Kandidaten für
politische Ämter entführt, gefoltert und verschleppt worden sind,
manche wurden sogar umgebracht. Der Menschenrechtsombudsmann erzählte
uns von einem Kandidaten für die Gemeindevertretung, der entführt
und grausam gefoltert wurde. Er wurde bewusstlos aufgefunden, seine
Hände waren ihm auf den Rücken gebunden.
Wenn
bei uns über unser politisches System geschimpft wird, denk ich
immer wieder an Lateinamerika und die Bedingungen, unter denen
Menschen dort politisch tätig sind. Politisch sein heißt dort
immer auch ein großes persönliches Risiko einzugehen, oft wird der
Einsatz für mehr Gerechtigkeit dann auch mit dem Leben bezahlt.
Mittwoch,
10. Dezember 2003
Heute
vor 55 Jahren haben die Vereinten Nationen in Paris die allgemeine
Erklärung der Menschenrechte beschlossen. Die damals 56
Mitgliedstaaten standen noch unter dem Schock vom Zweiten Weltkrieg.
Damit Ereignisse wie der Holocaust und der nationalsozialistische
Rassenwahn nie wieder passieren, wurde diese Menschenrechtserklärung
verabschiedet. Sie umfasst 30 kurze Artikel, in denen die Rechte
aller Menschen skizziert werden. Im Artikel 1 wird festgehalten,
dass alle Menschen frei und gleich an Würde und Rechten geboren
sind.
Bis
heute gibt es Staaten, die die Menschenrechtserklärung noch nicht
unterzeichnet haben. Es gibt aber noch mehr Staaten, die sie
unterzeichnet haben und trotzdem gegen die Menschenrechte verstoßen.
Die Menschenrechtsorganisation amnesty international listet in ihrem
letzten Jahresbericht 151 Staaten auf, die im Jahr 2002 schwere
Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Auch Österreich gehört
dazu. In unserer Heimat werden vor allem der Umgang mit Asylanten
und die Abschiebepraxis kritisiert. Denken wir daran, wenn wir das nächste
Mal etwas über Menschenrechtsverletzungen in anderen Teilen der
Welt hören. Auch Österreich hat noch ein großes Stück des Weges
vor sich.
Donnerstag,
11. Dezember 2003
Der
Artikel 10 der Menschenrechtserklärung hält fest, dass jeder
Mensch den Anspruch auf ein unabhängiges Gerichtsverfahren hat. Das
bedeutet, dass die Gerichte unabhängig und unparteiisch auf der
Basis der Verfassung zu entscheiden haben.
Ich
habe bei meiner Reise durch Guatemala vor wenigen Wochen den jungen
Rechtsanwalt Fernando Lopez kennen gelernt. Er bereitet mit Kollegen
die Anklage gegen den ehemaligen Putschistengeneral Efrain Rios
Montt vor, dem sie den Völkermord an tausenden Indios Anfang der
80er Jahre vorwerfen. Er erzählte mir, dass die Gerichte sich in
diesem Fall nicht zuständig fühlen und das Verfahren von einem
Gericht zum nächsten geschoben wird. Er erhält Morddrohungen, weil
er sich in diesem Fall engagiert. Seit kurzer Zeit wird er rund um
die Uhr von internationalen Menschenrechtsbeobachtern begleitet und
amnesty international hat sich seines Falles angenommen. Amnesty
sammelt weltweit Unterstützungserklärungen, die Fernando Lopez
schützen sollen.
Ich
werde bescheiden, wenn ich das Engagement für Menschenrechte in
Lateinamerika sehe und dann mit der Situation bei uns vergleiche.
Dort werden Menschen für ihr Engagement für andere verfolgt, bei
uns fällt es oft schon schwer, ein wenig mehr Zivilcourage zu
zeigen!
Freitag,
12. Dezember 2003
Auf
vielen Reisen nach Zentralamerika musste ich erleben, dass der
soziale Zusammenhalt, den wir von Österreich kennen, nicht
selbstverständlich ist. Im Artikel 21 der Menschenrechtserklärung
wird festgehalten, dass jeder Mensch das Recht auf Arbeit hat und
das Recht, zum Schutz seiner Interessen Berufsvereinigungen und
Gewerkschaften zu bilden und ihnen beizutreten.
In
Lateinamerika erlebe ich immer wieder, dass dieses Recht nicht
beachtet wird. Gewerkschaftskollegen in Guatemala erzählten mir vor
kurzem, dass es für sie immer schwieriger wird, sich
gewerkschaftlich zu organisieren. In vielen Privatunternehmen und in
den Betrieben, die in der Zollfreizone produzieren, ist es fast unmöglich,
Betriebsräte zu bilden. Sobald sich ein paar Arbeiter
gewerkschaftlich zusammenschließen, werden sie ohne Angabe von
weiteren Gründen entlassen. Wenn sie gegen diese Entscheidung beim
Arbeitsgericht ankämpfen, ziehen sie oft den Kürzeren: zu oft
werden die Richter und die Arbeitsinspektoren bestochen.
Wenn
ich die Erzählungen dieser Kollegen höre, bin ich dankbar, dass
wir in einem Rechtsstaat leben. Auch wenn es bei uns immer wieder
Probleme gibt, auf die grundlegenden Mechanismen können wir uns
doch verlassen.
Samstag,
13. Dezember 2003
Morgen
feiern wir den dritten Adventsonntag. In vielen Pfarren wird an
diesem Sonntag für die Aktion "Bruder und Schwester in Not -
Sei so frei" gesammelt. Mit dem Geld werden
Entwicklungshilfeprojekte in der ganzen Welt unterstützt, die vor
allem die Lebenssituation der Menschen verbessern.
Bei
meinen Reisen durch Lateinamerika besuche ich immer wieder Projekte,
die mit Geldern aus der kirchlichen und staatlichen
Entwicklungszusammenarbeit aus Österreich finanziert werden. Sie
sind in der Regel eine Hilfe zur Selbsthilfe. Viele Projekte
verbessern die Wasserversorgung. Damit erhalten die Menschen plötzlich
sauberes Wasser und sie können gesünder leben. Erwachsene Menschen
lernen Lesen und Schreiben und sie werden in Kursen über ihre
Rechte aufgeklärt. Es wird ihnen aber auch Rechtsbeistand gewährt,
wenn sie sich für ihre Rechte einsetzen und um das kämpfen, was
ihnen von Gesetz und aufgrund der allgemeinen Erklärung der
Menschenrechte zusteht.
Die
Spende, die wir bei uns für Entwicklungszusammenarbeit geben, trägt
somit zu mehr Gerechtigkeit in anderen Teilen der Welt bei.
Ich
wünsche ihnen noch eine schöne, vorweihnachtliche Zeit, in der
auch die Solidarität mit Menschen in anderen Teilen der Welt nicht
zu kurz kommt!
|