Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Kaplan August Paterno, Wien
Sonntag 14. Dezember 2003
Der
christliche Advent ist geprägt von großen Themen, aber auch von
kleinen, die aber alle mit Menschen zu tun haben, mit Menschen die
in diesen Themen groß geworden sind. Es sind Frauen und Männer,
die sich auf den Weg gemacht haben, auf ihren Weg von dem sie eines
Tages sagen konnten, was wir aus einem Text zu einer noch
bekannteren Melodie kennen: It’s my way. So sang wahrscheinlich
schon der Urvater des jüdischen und christlichen Glaubens Abraham,
so sang der Prophet Jesajas, so sang der Vorläufer des Jesus von
Nazaret, Johannes der Täufer und so sang Maria, die junge Frau aus
Nazaret, die der Allmächtige auserwählt hatte, dass aus ihr das
Wort der Liebe Mensch werde, und dadurch der Welt eine heilvolle
Zukunft eröffnet werde. Eines dieser großen Themen ist der Gang
durch die Wüste. Durch die Wüste, von der Antoine de Saint Exupery
sagt: Ich brauche dir nur eine einzige Durchquerung der Wüste
aufzuerlegen, damit der Mensch in dir zum Vorschein kommt – wie en
Samenkorn, das aus seiner Hülse bricht – damit sich der Geist und
das Herz entfalten.
Montag,
15. Dezember 2003
Zu
den Gestalten die den christlichen Advent bestimmen zählen die
Engel, die schützenden Begleiter durch den Advent des Lebens aber
auch die Engel der Verkündigung, der Frohen Botschaft, die von Gott
kommt. Es ist auch der Engel des Trostes dabei, der der Mut macht
und der uns die Augen öffnet für die Wege, die zum Ziel führen.
In einem Text aus dem reichen Schatz chinesischer Weisheit steht:
Ich sagte zu dem Engel, der an der Tür des neuen Jahres stand:
„Gibt mir ein Licht, dass ich sicher in das Unbekannte schreiten
kann“. Der Engel gab mir zur Antwort: „Geh hinaus in die
Dunkelheit und lege deine Hand in die Hand Gottes. Das ist besser
als jedes Licht und sicherer als alle bekannten Wege.“
Dienstag,
16. Dezember 2003
Unterwegssein,
lange Unterwegs-sein-müssen, verlangt Ausdauer und dann, wenn die
Straßen schlecht oder gefährlich sind, auch Mut. Bisweilen sogar,
wenn die Wege lang sind, ausdauernd
Mut, einen Mut wie jene Bärenraupe in den Gedanken des
Rudolf Otto Wiemer:
Chance
der Bärenraupe,
über
die Straße zu kommen
Keine
Chance. Sechs Meter Asphalt.
Zwanzig
Autos in einer Minute.
Fünf
Laster. Ein Schlepper. Ein Pferdefuhrwerk.
Die
Bärenraupe weiß nichts von Autos.
Sie
weiß nicht wie breit der Asphalt ist.
Weiß
nichts von Fußgängern, Radfahrern, Mopeds.
Die
Bärenraupe weiß nur, dass jenseits
Grün
wächst. Herrliches Grün, vermutlich fressbar.
Sie
hat Lust auf Grün. Man müsste hinüber.
Keine
Chance. Sechs Meter Asphalt.
Sie
geht los. Geht los auf Stummelfüßen.
Zwanzig
Autos in einer Minute.
Geht
los ohne Hast: Ohne Furcht. Ohne Taktik.
Fünf
Laster. Ein Schlepper. Ein Pferdefuhrwerk.
Geht
los und geht und geht und geht und kommt an.
Mittwoch, 17.
Dezember 2003
Die
Wüste ist eines der großen Themen des Advents, aber sicher auch
der Art Advent, die unser Leben ausmacht, und deshalb vergleichen
gute Kenner der menschlichen Seele gerne Teile unserer Existenz mit
Erfahrungen in der Wüste.
Bischof Helder
Camara, einer von diesen Seelenkennern hat darüber so gesagt:
„Der Beduine, der sich in der Wüste auskennt, tauchte mich in
tiefe Nachdenklichkeit mit seiner geheimnisvollen Bemerkung: Es genügt
das Fehlen eines einzigen Sterns, dass die Karawane die Richtung
verliert.“ Wie ich Bischof Helders Feststellung gelesen habe,
kamen mir die drei Weisen in den Sinn, die sich aufgemacht hatten,
um jenen Menschen zu suchen, von dem sie erhofften, dass sie mit ihm
über alles reden könnten, und der ihnen helfen könnte, die vielen
Probleme und Rätsel des Lebens zu lösen. Als aber ihr Stern nur
kurzfristig verschwand, da gingen sie in die Irre und mussten
erkennen, dass menschliche, ja allzumenschliche Information Wege
weisen kann, die nicht nur in die Irre, sondern ins Verderben führen.
Donnerstag,
18. Dezember 2003
Die
dunklen, kalten Nächte des Winters wecken die Sehnsucht nach der
Sonne, nach ihren Strahlen, die auf den Weg durchs Leben scheinen
und die Straßen gehbar machen und verlocken, der Sonne nachzugehen,
bis dorthin wo sie immer leuchtet, wie es in einem alten irischen
Pilgerlied heißt:
Westwärts,
der Sonne nach,
hinter
dem Ziel her, greifen nach Licht,
unfassbar.
Westwärts,
der Sonne nach,
ein
Leben lang bleibt sie am Horizont.
Und
kommt man ans Meer,
versinkt
sie im Wasser.
Aber
dahinter, hinter dem Meer,
hinter
dem Wasser,
hinter
der Sonne,
da
ist doch etwas.
Dort
will ich wohnen.
Freitag,
19. Dezember 2003
Die
Fülle der Bilder um das Leben als Wanderschaft darzustellen ist überdimensional.
Einige zwingen zum Nachdenken, so wie für mich das Bild des jüdischen
Schriftstellers Abram Terz: „Das Leben der Menschen ähnelt einer
Dienstreise – es ist kurz und verantwortungsvoll. Man kann nicht
darauf rechnen, wie auf einen ständigen Wohnsitz und sich Möbel
anschaffen. Aber es ist einem auch nicht gestattet, vor sich
hinzuleben, die Zeit zu verbringen wie im Urlaub. Es sind einem
Fristen gesetzt und Summen angewiesen. Und nicht nur einem allein.
Wir alle auf der Erde sind weder Gäste noch Gastgeber, weder
Touristen noch Einheimische. Wir alle befinden uns auf einer
Dienstreise.
Samstag,
20. Dezember 2003
Die
Hirten, die Weisen alle die sich aufgemacht haben, alle die gerade
aufgebrochen sind, und alle die aufbrechen werden, nach Bethlehem
gelangen wollen, werden das Kind finden und damit den Retter der
Welt. Und wenn es nur sein sollte, dass wir ähnlich wie in einer
Legende, die von einem vierten König berichtet, erst zur Kreuzigung
nach Jerusalem kämen, wir kämen dort an, wo uns die Liebe
erwartet. Auf der anderen Seite sollen wir aber Menschen sein, die
es nicht versäumen sollten, ihn abzuholen, wenn er zu uns kommt.
Denn er kommt nur einmal, wie es in einer Meditation zur Heiligen
Nacht heißt:
Holt
den Sohn vom Bahnhof ab
er
kommt
man
weiß nicht genau mit welchem Zug
aber
die Ankunft ist gemeldet
es
wäre gut
wenn
jemand dort auf und ab ginge
sonst
verpassen wir ihn
denn
er kommt nur einmal
es
ist schön
wenn
man auf dem Bahnhof abgeholt wird
es
ist schön
wenn
man mit Blumen erwartet und empfangen wird
es
ist schön
wenn
man ganz herzlich gesagt bekommt: wann kommen sie wieder
oder:
kommen sie bald
es
ist schön
wenn
man hinuntergeleitet wird zur Haustür
zum
Wagen, zur Straßenbahn
es
ist schön
wenn
man uns nachwinkt – lange
bis
man sich nicht mehr sieht
es
ist schön
wenn
man uns etwas zu viel Liebe entgegenbringt
denn
da
fängt
das Leben erst an –
Liebe
etwas
mehr als üblich
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