Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Pater
Berthold Mayr (Wels, OÖ)
Sonntag, 21.Dezember 03
Das Bild von einem erschöpften
Mann und einer ebenso erschöpften hochschwangeren Frau samt dem
Esel auf der Suche nach einem Platz, auf dem sie die Kälte der
Nacht überleben können. Ich weiß, uralte Motive sind das. Dieses
Bild von der Herbergssuche ist nicht nur ein Mythos. Niemand weiß
genau, wie viel Frauen und Männer und vor allem wie viele Kinder
heute Nacht erfroren sind. Weit fort, in Afghanistan, oder in
Tschetschenien oder irgendwo in einer europäischen Großstadt.
Das Bild von der Herbergssuche
sagt mir: Gott ist nahe bei den Armen, den Heimatlosen, bei den
Asylsuchenden, bei den Ausgesetzten. Er wohnt bei denen, die nicht
etabliert sind, die nicht fest sind, die nicht die Welt vorweg erklärt
haben - diese Sicheren – sondern bei denen, die hungrig geblieben
sind.
Ist es ein Wunder, wenn dann später
dieser Jesus von Nazareth sich mit denen da unten solidarisiert, mit
all denen, die am Boden gedrückt sind, die nicht weiterwissen. Wie
in deren Leben Licht, Aussicht und Aufbruch zu bringen wäre, ist
das ganze Bemühen der Person und der Botschaft Jesu.
Montag,
22.Dezember 03
Was bedeutet es eigentlich, wenn
wir in diesen Tagen eifrig Glück- und Segenswünsche austeilen?
Frohe, gesegnete Weihnacht, was soll das für diesen Menschen
bedeuten? Eine allgemeine Formelfrohe Weihnacht. So eine allgemeine
Formel hilft nicht viel weiter. Bertolt Brecht schreibt in einem
Gedicht: „Schreib mir was du anhast. Ist es warm? Schreib mir, wie
du liegst. Liegst du auch weich? Schreib mir, wie du aussiehst. Ist´s
noch gleich?“ Schreib mir, was dir fehlt. Ist es mein Arm?“ Sehr
konkret will´s Brecht. Frohe, gnadenreiche, gesegnete Weihnachten.
Sehr konkret ist´s ja gerade nicht. Oder meinen wir etwas Konkretes
damit? Etwas Bestimmtes, das wir dem anderen wünschen? Dass er sich
ausruht, dass er´s in diesen Tagen schön hat, gemütlich,
friedvoll. Ist es das?
Oder wünschen wir ihm die
Erfahrung, dass mit diesem Kind damals in Bethlehem eine neue Welt
geboren wurde?
Dienstag,
23.12.2003
Mauern mag ich nicht.
Herrschaftliche Besitzungen werden abgemauert. Damit man unter sich
ist. Klöster haben hohe Mauern. Damit die böse Welt nicht
eindringt. Mauern sind gnadenlos: sie isolieren und trennen.
Weihnachten: das hat nichts mit Mauern zu tun. Da werden Mauern
niedergerissen. Da kommt einer zu den Armen, zu den Niedrigen, zu
den Ausgestoßenen. Da kommt einer und reißt die religiösen Mauern
ein.
Weihnacht heißt: Gott reißt
alle Mauern ein. Weihnachten, das war wie ein Blitz, ein kurzer
Augenblick. Und die Menschen sagten: Ja, so sollte es sein, so müsste
es sein. Ja – und dann? Langsam begann man dann wieder die Mauern
aufzubauen. Mauern des Gesetzes, des Rechtes, der Vorschriften. Und
so werden sie wieder isoliert – die Menschen. Ausgeschlossen. Und
können nicht mehr glauben, dass es Gnade gibt. Wo Mauern sind,
werden Menschen höchstens fair behandelt, aber nicht gnädig. Ich
mag Mauern nicht. Denn sie vermauern die Gnade.
Mittwoch,
24.12.2003
Am 24. Dezember 1940 wurde in
einem Gefangenenlager bei Trier Jean Paul Sartre’s Stück „Bariona
oder der Donnersohn“ uraufgeführt. Darin stellt Sartre die
atemberaubende Frage: Wie, wenn Gott Mensch würde? Seine Antwort:
Dann wäre menschliche Liebe Gottesliebe. Die Pflicht des Menschen wäre
dann Hoffnung. Selbst unser Tod wäre von der Freude überstrahlt.
Sartre schreibt: „Wenn ein Gott für mich Mensch würde, für
mich, liebte ich ihn, ihn ganz allein. Es wären Bande des Blutes
zwischen ihm und mir, und für das Danken reichten alle Wege meines
Lebens nicht. Aber welcher Gott wäre dumm genug dafür.“
Und Sartre blieb Atheist. Er war
ein ehrlicher und demütiger Denker, denn er hat sich immer wieder
in Frage gestellt, auch seinen Unglauben.
Was wäre, wenn Gott Mensch würde?
Was wäre, wenn Gott in diesem Jesus von Bethlehem Mensch geworden
ist?
Donnerstag,
25.12.2003
Rainer Maria Rilke schreibt in
seinem Stundenbuch: „Die Nacht ist wie ein großes Haus. Und mit
der Angst der wunden Hände, reißen sie Türen in die Wände, dann
kommen Gänge ohne Ende, und nirgends ist ein Tor hinaus.
Und so, mein Gott, ist jede
Nacht; Immer sind welche aufgewacht, die
gehn und gehn und dicht nicht finden.“
Und so mein Gott ist jede Nacht.
Jede Nacht? Vielleicht doch nicht. Von einer Nacht heißt es anders:
„Sie gingen eilends und fanden Maria und Josef und das Kind, das
in der Krippe lag“. Das ist das Lied einer anderen Stunde, das
Lied der Weihnacht. Auch in dieser Nacht sind Menschen aufgewacht.
Sie gehn und gehen und finden ein neugeborenes Kind in der Krippe.
So haben sie in dieser Nacht ein Tor hinaus gefunden. Das Tor einer
großen Hoffnung.
Freitag,
26.12.2003
Manchmal möchte ich aufschreien:
Gott im Himmel, wie lange wirst du noch zuschauen. Bring doch
endlich deine Welt in Ordnung. Und zwar sofort, ich möchte
zuschauen können. Gott bring deine Welt in Ordnung. Diesen Schrei
stoßen Millionen von Menschen täglich aus. Es mag sein, dass viele
Menschen nicht frei beten können, aber frei fluchen können sie.
Gott bring deine Welt in Ordnung.
Und wenn es sein muss „schlag drein“. Und – er hat
dreingeschlagen. Aber das sah so aus, dass im Stall von Bethlehem
ein Kind geboren wurde. Das war sein Dreinschlagen. Und denen, die
ihm gesagt haben, bringe die Feinde um, zeige ihnen wer der Herr des
Himmels und der Erde ist, von denen ließ er sich ans Kreuz
schlagen. Und er bietet denen, die mit ihm gehen wollen, diesen
eigenartigen Weg an und sagt: liebe deine Feinde, segne die, die
dich verfluchen. Denn so kommt die Welt in Ordnung. Und so wird
deutlich, dass du ein Geschöpf deines Vaters im Himmel bist. Gott
bring deine Welt in Ordnung. Eigentlich kann er mehr nicht tun. An
wem liegt’s dann?
Samstag,
27.12.2003
Morgen ist der „Unschuldige
Kinder Tag“. Ein seltsames Fest. Es geht dabei um die Kinder, die
im Auftrag des Königs Herodes in Bethlehem umgebracht worden sind.
Ganz junge Menschen waren es, kaum geboren. Sie hatten ihr Leben
noch nicht gelebt. Sie hatten noch nicht geliebt. Die Freude war
ihnen noch nicht aufgeleuchtet. Sie hatten ihr Stück Erde noch
nicht erobert, ihr Werk noch nicht vollbracht.
Ein seltsames Fest. Menschen, die
nichts geleistet haben, werden gefeiert. Aber, sie sind doch für
diesen Jesus gestorben. Das ist wahr- aber wussten sie davon? Sie
hatten ja noch kein eigenes Wollen, keinen eigenen Glauben. Nein, in
unserer Welt muss man sich das Ansehen mühsam und hart erringen.
Geschenkt wird einem nichts, aber schon gar nichts.
Ich hab es gern dieses Fest der
unschuldigen Kinder. Das erste Bild des Menschen ist nicht der Kämpfer.
Das erste Bild des Menschen ist auch nicht der Arbeiter. Das erste
Bild des Menschen ist der Beschenkte, der begnadete Mensch.
Es ist für uns ein seltsames
Fest, das die Kirche diesen Kindern widmet. Seltsam, weil wir
vergessen haben, dass wir alle die Beschenkten sind.
Buchtipp:
Von
Pater Berthold Mayr ist soeben im Rieder Moserbauerverlag ein Buch
mit ORF-Morgengedanken unter dem Titel "Vor dem Regenbogen eine
Hand" erschienen.
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