Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Oberkirchenrätin
Dr. Hannelore Reiner, Wien
Sonntag,
28.12.2003
Tag
der unschuldigen Kinder
Der
heutige Tag hat einen besonderen Namen: „Tag der unschuldigen
Kinder“. Er erinnert an eine grausame, dunkle Geschichte mitten in
der hellen Weihnachtszeit. König Herodes der Große lässt alle
zweijährigen Buben töten, um damit seinen Thron vor einem
prophezeiten neuen König aus Davids Dynastie abzusichern. Es
gelingt ihm nicht. Jesus wird gerettet. Das Leid um die Söhne der
Stadt Bethlehem bleibt dennoch ungetröstet. Bis zum heutigen Tag.
In
den letzten zehn Jahren starben weltweit ca. 2 Millionen Kinder in
Folge von Krieg, 6 Millionen wurden schwer verletzt.
Die
Geschichte von dem Kindermord in Bethlehem stört die
Weihnachtsidylle. Sie fordert aber in aller Härte heraus, im Namen
des einen geretteten Kindes: Tretet ein für das Lebensrecht aller
Kinder, für ein Aufwachsen in Frieden und Geborgenheit.
Montag,
29.12.2003
Frühaufsteher
Unsere
Kinder waren, solange sie noch unter zehn Jahre alt waren, immer Frühaufsteher.
Nicht immer zur Freude von uns Eltern. In anderen Familien scheint
es nicht viel anders zu sein. Warum drängt es unsre Kinder so früh
aus den Betten? Wie kommt es, dass sie voller Tatendrang und
Abenteuerlust, sogar in den Ferien an den Betten von Mutter oder
Vater stehen und nichts lieber tun, als diese endlich zum Aufstehen
und zum Frühstückrichten zu bewegen?
Kinderpsychologen
sagen uns: Das macht das Urvertrauen. Ein Kind, das mit diesem
Grundvertrauen beschenkt aufwachsen kann, möchte die Stunden, erst
recht die Morgenstunden, mit Eltern und Geschwistern oder vielleicht
auch ins eigene Spiel vertieft, auskosten. Es geht mit Begeisterung
und Mut in den neuen Tag hinein und freut sich seines Lebens.
Manchmal scheinen mir die Kinder unsere Lehrmeister zu sein.
Dienstag,
30.12.2003
Ohne
Gewalt aufwachsen
Die
ersten zehn Jahre dieses dritten Jahrtausends nach Christus wurden
durch die Vereinten Nationen zur „Dekade für eine Kultur des
Friedens und der Gewaltlosigkeit für die Kinder der Welt“ erklärt.
Der Ökumenische Rat der Kirchen schloss sich dem an. Es sollten
zehn Jahre des Einübens in Frieden und Versöhnung und zur Überwindung
von Gewalt werden.
Drei
Jahre dieser Dekade sind bald vergangen. Haben die Kinder dieser
Welt, ja haben die Kinder bei uns in Österreich gemerkt, dass sich
die Erwachsenen darin üben, ohne Gewalt auszukommen? Schockierende
Zeitungsmeldungen scheinen das Gegenteil festzuschreiben. Nicht als
ein Vorsatz fürs Neue Jahr, sondern als konkrete Übung am heutigen
Tag möchte ich versuchen – und vielleicht auch Sie - ohne Gewalt
und Druck auszukommen. Diese Übung wird uns allen gut tun, Kleinen
und Großen.
Mittwoch,
31.12.2003
Vertrauen
wie ein Kind
Als
unsere inzwischen längst groß gewordenen Töchter ca. drei Jahre
alt waren, lebten wir in einer typischen Altbauwohnung. Die Flügeltüren
waren eindrucksvoll hoch und lockten die beiden immer wieder zu
folgendem Spiel. Die Mädchen schleppten einen großen Sessel
herbei, kletterten auf diesen und streckten ihre beiden Hände bis
hinauf zur oberen Türkante. Das war der Augenblick, wo der darunter
stehende Sessel von uns Eltern weggenommen werden musste. Mit aller
Kraft klammerten sich die kleinen Hände an den Türrahmen. Das
eigentlich Spannende aber kam danach. Im völligen Vertrauen, dass
Vater oder Mutter mit ausgebreiteten Armen aufs Auffangen warteten,
ließen sie sich fallen, eine nach der anderen, manchmal auch
gleichzeitig.
Es
gibt einige Hinweise in den Geschichten der Bibel, wo Jesus das
Vertrauen der Kinder zum Vorbild für den Glauben der Erwachsenen
nimmt.
Am
letzten Tag im Jahr könnten uns die Kinder lehren im Vertrauen zurück,
aber auch voll Vertrauen nach vorne zu schauen, denn Gottes Hand
wird unter uns und über uns sein.
Donnerstag,
01.01.2004
Ein
Freund der Kinder
Am
ersten Morgen des neuen Jahres 2004 möchte ich an einen großen Pädagogen
und Kinderarzt des vergangenen Jahrhunderts erinnern: Janusz Korczak.
Für ihn waren Kinder nicht die Leute von morgen, sondern heute
Menschen. Sie haben seiner Meinung nach das Recht, von Erwachsenen
mit Zärtlichkeit und Respekt behandelt zu werden als Gleiche.
Janusz Korczak hat diese pädagogische Einsicht nicht bloß in Büchern
beschrieben, er hat sie selbst gelebt. Als Henryk Goldszmit in
Warschau geboren, begann er schon während seines Medizinstudiums in
den Armenvierteln seiner Heimatstadt Kinder zu sammeln und zu
unterrichten. Unter dem Pseudonym Janusz Korczak schrieb er Bücher
über Kinder. Als längst berühmter Pädagogikprofessor arbeitete
er zweimal die Woche in einem Waisenhaus im Warschauer Ghetto.
Zusammen mit zweihundert Kindern und den Betreuern dieses Hauses zog
er 1942 durch das menschenleere Warschau zum Bahnhof. Der Zug ins
Vernichtungslager Treblinka wartete bereits.
Sein
Prinzip der Achtung vor den Kindern möge uns begleiten, auch im
neuen Jahr.
Freitag,
02.11.2004
Kinder
der einen Welt
Wir
erinnern uns noch öfters an die beiden, obwohl ihr Besuch schon
Jahre zurückliegt. Eine kleine Kinderrhythmus- und Tanzgruppe aus
Mocambique war in Österreich unterwegs und machte auch in der
Schule unserer Kinder Station. Zwei Mädchen dieser Gruppe wohnten
einige Tage bei uns. Das gegenseitige Verstehen war schwierig. Sie
sprachen nur Portugiesisch und wir Deutsch und Englisch. Und dennoch
haben sich die beiden mit unseren Kindern gut verstanden.
Alami,
eine der beiden, lernte bei uns das Radfahren und unsere Kinder hörten
mit Verwunderung ihren stolzen Bericht, nun bereits das dritte Jahr
zur Schule gehen zu dürfen. Allerdings, das wurde uns auch klar, es
war ihr letztes Schuljahr...
Ihre
Freundin war noch in keinem Unterricht, obgleich bereits über zehn
Jahre alt. Dass zur Schule gehen ein Vorrecht ist, das nicht alle
Kinder dieser Welt selbstverständlich genießen, wissen wir
Erwachsenen zwar im Kopf. Als Menschen in einem Land, wo
Schulbildung als Voraussetzung zur Entfaltung der vollen Persönlichkeit
gesehen wird, muss es uns mehr und mehr ein Herzensanliegen werden,
dass dies auch den Kindern in den anderen Teilen der einen Welt möglich
wird.
Samstag,
03.01.2004
Kinderfreundliches
Österreich
Im
niederösterreichischen Hirtenberg gibt es ein Haus, in dem
unbegleitete Jugendliche bis zum 18. Lebensjahr, die irgendwie in Österreich
gelandet sind, ein Zuhause, Schule und eine mögliche Lehrstelle
finden. Das Gebäude, indem sie untergebracht sind, war ein
Geschenk. Die anfallenden Betriebskosten werden von Spendern und
Spenderinnen getragen.
Hirtenberg
ist für mich ein Zeichen für ein kinderfreundliches Österreich.
Ich weiß, die Statistik spricht dagegen. Die teuren Wohnungen
sprechen dagegen. Die Abtreibungsziffer spricht dagegen. Die
mangelnden Tageseinrichtungen für Kinder, deren Mütter und Väter
im Beruf stehen und zum Teil stehen müssen, sprechen dagegen. Auch
die nur zögerlich angewendete Familienzusammenführung bei
Asylanten spricht dagegen.
Aber
Hirtenberg zeigt: Das muss nicht so bleiben. Wir können damit
beginnen, ein kinder- und jugendfreundliches Klima in unseren
Familien und Dörfern und Städten und christlichen Gemeinden
aufzubauen, sodass Kinder und deren Eltern spüren: Wir sind
willkommen.
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