Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Dr. Gerald Faschingeder,
Wien
"Mit
Kinder die Welt auf den Kopf stellen, damit sie wieder auf die Füße
kommt."
Sonntag,
4. Jänner 2004
Von
Kindern provoziert
Kinder
wollen die Welt mitgestalten. Jetzt zum Beispiel sind in ganz Österreich
tausende Kinder als Sternsinger unterwegs. Natürlich haben sie
dabei viel Spaß, aber sie tun es auch für andere. Sie wollen nämlich
nicht, dass die Welt so schlecht bleibt, wie sie ist. Sie wissen,
dass anderswo Menschen hungern oder verfolgt werden. Oder, wie ein
Bub bei dem Treffen mit Politikern einmal als politische Forderung
formuliert hat: "Es sollen auch die Kinder in den armen Ländern
der Welt Tischtennis spielen dürfen." Lassen wir uns von
Kindern provozieren und von ihren oft so ungewöhnlichen Gedanken!
Dieser Bub weiß, dass es zum Leben mehr braucht als nur Essen und
Trinken, Menschen wollen auch Zeit miteinander verbringen,
miteinander spielen, miteinander das Leben teilen.
Kinder
werden selten ernst genommen, und kaum jemand kommt auf die Idee,
dass sie nicht nur für sich selbst etwas fordern könnte, sondern für
die Allgemeinheit. Natürlich sind nicht alle Kinder so, aber viele
haben den Erwachsenen hier etwas voraus. Wenn es einen echten Dialog
zwischen Kindern und Erwachsenen gibt, können beide Seiten
voneinander lernen.
Ein
neues Jahr ist eine Chance auf einen Neubeginn.
Montag,
5. Jänner 2004
Vom
Reichtum
Im
Sommer war ich in Brasilien, ein schönes Land! Ein brasilianischer
Freund sagte einmal zu mir, wie wir so mit dem Auto über das weite
Land gefahren sind: "Siehst du das Eigenartige hier?" Ich
war verwirrt. Und er sagte: "Ich sehe Ungerechtigkeit: Land,
Land, nichts als Land. Und anderswo haben die Menschen kein Land,
keinen Platz zum Leben".
Da
hat er recht. In Brasilien ist Land extrem ungerecht verteilt. Wir
hatten Gelegenheit, Bauernfamilien zu besuchen, die kaum etwas
hatten. Sie sind am Land aufgewachsen, in ärmlichen Bedingungen.
Weil es einfach nicht reichte, sind sie in die Stadt gezogen. Dort
ging es aber nicht besser, und so hat Joao, einer der Bauern,
gemeinsam mit seiner Frau entschieden, dass sie wieder zurückziehen.
Sie haben bei einer Landbesetzung mitgemacht. Bei Nacht wurden sie
auf ein riesiges Grundstück gebracht, das einem reichen Bauern gehört.
Der verwendet es aber gar nicht. Die Verfassung sagt, so ein Land
darf man besetzen. Die Landbesetzer sind zwar vom Besitzer
vertrieben worden, aber immer wieder zurückgekehrt. Heute hat ihnen
der Staat das Land zugesprochen, der Großgrundbesitzer wurde
enteignet.
Oft
sieht man nur die Armen als Arme. Dann vergisst man, dass sie nicht
einfach so arm geworden sind, sondern arm sind, weil andere reich
sind.
Dienstag,
6. Jänner 2004
Hoffnung
bringen
Es
hat ganz klein begonnen, und es wurde ganz groß gefeiert. Am 6. Jänner
sind die Sterndeuter aus dem Osten zu Jesus gekommen. So erzählt es
die Bibel. Eigentlich ist das eine eigenartige Situation – ich
glaube, hier wurde die Welt auf den Kopf gestellt. Eine
herumziehende Familie findet kein Quartier, bringt neben dem Vieh
ein Kind zu Welt. Und dann kommen Sterndeuter, weise Männer, um dem
Kind zu huldigen. In der Tradition sind diese Sterndeuter ja dann Könige
geworden, noch wichtiger geworden: Die Mächtigen sind es, die zu
den Ohnmächtigen kommen. Das ist, wie wenn der Präsident der
Vereinigten Staaten ins Flüchtlingslager Traiskirchen kommt, um
dort ein Baby zu grüßen und persönlich die Babyausstattung zu überbringen,
die man so braucht.
Da
wird eine herrschende Ordnung auf den Kopf gestellt. Ich denke, hier
liegt ganz was Wesentliches von dem, was Jesus gesagt hat. Einer,
der so unscheinbar begonnen hat, ist eigentlich ganz wichtig. Mit
Blick auf dieses Kind könnten wir die Welt neu verstehen. Könnten
wir so einen Blick auch erlernen? Auch zu so einem Kind werden, das
die Welt ganz anders sieht, als wir es gewohnt sind? Das würde sich
echt auszahlen, denke ich. Denn da wird die Welt auf den Kopf
gestellt, damit sie wieder auf die Füße kommt!
Mittwoch,
7. Jänner 2004
Von
der Armut
Auf
meinen Reisen habe ich viel Armut gesehen. Als ich zu Gast in einem
einfachen Dorf im Norden Ghanas, in Westafrika, war, hat mir mein
Gastgeber von seinen Kindern erzählt: zwei waren bereits
verstorben, eines lebte noch. Wenn die Ernte schlecht ist, dann
hungern die Kinder. Weil sie schwächer sind, sterben sie schneller.
Das war immer so. Aber muss das immer so sein?
Natürlich
muss es nicht sein. Vor etwa 20 Jahren gab es eine große Kampagne,
wenige werden sich noch erinnern: Hunger ist kein Schicksal! Damals
sollte gezeigt werden, dass Hunger Ursachen hat, und dass man was
dagegen tun kann.
Doch
die Leute, bei denen ich in Ghana war, wissen das alles nicht. Die
wenigsten können lesen und schreiben, nur ein paar sprechen
Englisch. Sie lesen keine Zeitung. Wenige haben Fernseher, vor
allem, seit es Strom gibt. Doch das Fernsehen bringt keine Erklärungen
über Zusammenhänge.
Es
gibt nicht nur einen Hunger nach Casawa und Maniok, nach Brot und
Reis, sondern auch nach Wissen. Und woher kommt dieser Hunger?
Kinder, denen es gut geht, sind neugierig, sehr neugierig sogar, so
sehr, dass sie Erwachsene mit ihren Warum-Fragen manchmal ziemlich
ratlos machen können. Diese Neugier müssen wir uns erhalten –
sonst fragt eines Tages niemand mehr danach, weshalb Menschen an
Hunger sterben – obwohl Hunger kein Schicksal ist, sondern gemacht
wird.
Donnerstag,
8. Jänner
Der
Recht auf Cheeseburger
Als
ich letzten Sommer in Brasilien war, habe ich eines des Slums, eine
Favela besucht. Ihr Name ist Morro do Borei und sie liegt auf einem
der vielen Hügeln, die sich inmitten des Stadtgebietes von Rio
erheben.
Wir
treffen dort etwa zehn Frauen und drei Männer, die in einer
Stadtviertelvereinigung mitarbeiten, die von der Dreikönigsaktion
finanziert wird. Sie sprudeln vor Lebensfreude und Kampfesgeist. Es
ist ihr Stadtviertel und sie lieben es.
Sechs
Monate lang hat das Team an einem Projekt zu Kinder- und
Jugendrechten gearbeitet. Die Kinder hier wissen nichts von ihren
Rechten. Sie haben den Kindern die einzelnen Rechte vorgestellt und
Szenen aus ihrem Leben mit der Kinderrechtskonvention in Bezug
gebracht. Gemeinsam mit den Kindern wurde überlegt, welche Rechte
ihnen wichtig sind, was sie für sich fordern. Da kamen ganz neue
Sache zusammen, z.B. das Recht auf Cheeseburger. Also haben sie dann
eine eigene Charta der Kinderrechte verfasst, mit Rechten und
Pflichten. Die Menschen wollen eben nicht nur essen und trinken, sie
wollen auch bestimmen, was sie essen und trinken. Ist das zuviel
verlangt?
Freitag,
9. Jänner
Lebensfreude
Österreich
raunzt gerne. Viel häufiger als Lob höre ich Kritik, Nörgelei,
Unzufriedenheit. Immer, wenn ich Besuch aus Ländern des Südens
bekomme, fällt mir das besonders auf. Sind die Österreicherinnen
unzufriedener als andere Menschen?
Kinder
raunzen weniger, das ist sicher einer der Gründe, weshalb ich gerne
mit Kindern zusammen bin. Natürlich raunzen auch Kinder, aber das
ist meist nicht so grundsätzlich. Ihnen geht es mehr um konkrete
Situationen, dass sie Lust hätten, etwas Bestimmtes zu machen und
das aber nicht geht oder Ähnliches.
Bei
meinen Reisen habe ich viele Menschen getroffen, die nicht raunzen.
Sie sind aber nicht unkritisch geworden. Belindo von den Philippinen
engagiert sich für eine gute öffentliche Wasserversorgung in
seiner Stadt. Private dürfen nicht den Gewinn einstecken, es soll
eine Wasserversorgung für alle sein. Und Vincent aus Uganda
versucht überhaupt, die Menschen in seiner Region zu ermutigen,
ihre Rechte einzufordern. Er strebt die Beteiligung möglichst
vieler an wichtigen Entscheidungen an. Diese Leute arbeiten unter
ausgesprochen schwierigen Verhältnissen. Und trotzdem: Belindo wie
auch Vincent strahlen eine Zuversicht aus, die bei uns in Österreich
ihresgleichen sucht. Mit einem tiefen Gottvertrauen gehen sie die
Sache an und reißen mit ihrer Begeisterung aber viele andere mit.
Lebensfreude kann Berge versetzen.
Samstag,
10. Jänner
Kinder
Kinder
sind anders als die anderen, älteren Menschen: Sie denken konkret
und nicht abstrakt. Deshalb lassen sie faule Ausflüchte, auch wenn
sie kompliziert formuliert werden, nicht durchgehen. Sie wollen ihre
Bedürfnisse nicht lange aufschieben, oft können sie das auch gar
nicht. Das macht Kinder manchmal ungeduldig. Kinder haben auch gute
Ideen, die uns helfen könnten, unsere Gesellschaft besser zu
gestalten.
Was
ich damit meine? Beim Spielen zum Beispiel sind Kinder so richtig
subversiv: Sie entscheiden sich für bestimmte Regeln und setzen
andere außer Kraft. Jedes Spiel ist ein Experiment. Wie wäre die
Welt, wenn es ein Leo gäbe, diesen Ort, wo man vor dem Fänger
geschützt ist? Wie wäre die Welt, wenn es Erlösung gäbe? Beim
Versteinern-Spiel kann man erlösen, in dem man durch die Beine
kriecht. Hier geht es eigentlich um alte Weisheiten: Um Schutz, um
Erlösung. Wenn Erwachsene zu Gnadenbildern der Gottesmutter
pilgern, erhoffen sie nichts anderes. Und wenn andere Erwachsene
nach mehr Polizei verlangen, weil sie nicht genug vertrauen können,
oder um Vertagung ihrer Schuld bei der Bank ansuchen, weil sie die
Privatschuld nicht zahlen können, dann wollen sie nichts anderes.
Ich
glaube, es gibt allen Grund, Kinder ernst zu nehmen. Stellen wir
doch mit Kindern die Welt auf den Kopf, damit sie wieder auf die Füße
kommt!
|