Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Dompfarrer
Josef-Klaus
Donko
Sonntag, 18.
Jänner 2004
Ans Herz nehmen
Der jüdische
Religionsphilosoph Martin Buber berichtet in seinen „Erzählungen
der Chassidim“ folgende Begebenheit: Ein Vater brachte einst
seinen Sohn zu Rabbi Ahron und klagte, dass er keinen Mut, keine
Zuversicht und keine Ausdauer beim Lernen habe. „Lasst ihn mir
eine Weile hier“, antwortete der Rabbi. Als er mit dem Knaben
allein war, legte er sich hin und bettete das Kind an sein Herz.
Schweigend hielt er es am Herzen, bis der Vater wieder kam. „Ich
habe ihm ins Gewissen geredet“, sagte er zum Vater, „in Zukunft
wird es dem Knaben nicht an Mut, Zuversicht und Ausdauer fehlen“.
Als der Knabe diese Begebenheit in späteren Jahren von sich erzählte,
fügte er hinzu: „Damals habe ich gelernt, wie ein Mensch
verwandelt wird“.
Der Rabbi redet dem Knaben ins
Gewissen, indem er ihn an sein Herz drückt. Er war für den Knaben
so etwas wie ein menschlicher Herzschrittmacher. Das ist dem Knaben
zu Herzen gegangen. Was einem zu Herzen geht, das berührt, das
ermutigt, das verwandelt. Wenn Menschen keinen Mut, keine Zuversicht
und keine Ausdauer im Leben haben, dann brauchen sie keine
Belehrung, sondern jemanden, der sie ans Herz nimmt. Vielleicht tun
wir das zu wenig oft.
Montag,
19. Jänner 2004
Miteinander gehen
Die gespaltene Christenheit
ist und bleibt ein Skandal. Was durch widrige Umstände, tragische
Entscheidungen und menschliche Schuld zerbrochen ist, lässt sich nicht von heute auf morgen wieder herstellen.
Aber man kann auf verschiedenen Ebenen Schritte tun und Zeichen
setzen: mit Achtung aufeinander zugehen, sich für den anderen öffnen,
ihn in seiner Art kennen und verstehen lernen, miteinander reden,
miteinander beten.
Die Weltgebetswoche für die
Einheit der Christen, die gestern begonnen hat, möchte dieses
Anliegen fördern. Im Rahmen dieser Woche findet heute Abend bei uns
in Klagenfurt ein sogenannter ökumenischer Kirchenspaziergang
statt. Unser Weg beginnt im slowenischen Pastoralzentrum, in dem
serbisch-orthdoxe Christen beheimatet sind, führt dann zur
altkatholischen Markuskirche. Von dort geht es weiter zur
evangelischen Johanneskirche. Den Abschluss bildet dann die
katholische Marienkirche. Über einhundert Menschen haben im Vorjahr
daran teilgenommen. Das Leitmotiv ist ein Wort Jesu aus dem
Johannesevangelium: „Meinen Frieden gebe ich euch“.
Wenn wir im Reden aufeinander
zugehen und im Beten gemeinsam auf Christus zugehen, dann kommen wir
der Einheit einen Schritt näher. Was wir tun, ist nur ein ganz
kleiner Schritt auf dem Weg zur Einheit. Aber auch ein Weg von
Tausend Meilen beginnt mit einem Schritt.
Dienstag,
20. Jänner 2004
Unliebsame Störung
Es war in Wien. Erfüllt vom
Opernabend ging ich zu meinem Auto in einer Parkgarage. Die Ernüchterung
war groß und überraschend. Die Scheibe meines Autos war
eingeschlagen, für mich wichtige Dinge waren gestohlen. Es war
mitten in der Nacht und mein Ärger war groß. Ich dachte mir:
„Die Menschen sind schlecht“. Ich fuhr zu einer Tankstelle. Der
Tankstellenpächter war sehr freundlich und hilfsbereit. Er rief die
Polizei an. Nach zehn Minuten kam ein Streifenwagen mit zwei
Polizeibeamten. Auch diese waren sehr freundlich und hilfsbereit. Während
der Fahrt nach Hause überlegte ich, was am nächsten Tag alles zu
tun sein wird. Die Versicherung anrufen, das Auto in die Werkstätte
bringen. Mein gewohnter, gut eingeteilter Zeitplan kam ziemlich
durcheinander.
Diese unliebsame nächtliche
Überraschung hat in mir einige Fragen geweckt: Wie gehe ich um mit
Ereignissen, die ungeplant, ungefragt und störend daherkommen,
meinen Lebensrhythmus, meine Tagesordnung einfach
durcheinander bringen? Wie komme ich damit zurecht, wenn mir
Dinge gegen meinen Willen weggenommen werden? Bin ich so reif und
beweglich, um gelassen und realistisch darauf zu reagieren? Das ist
ein mühsamer, aber wichtiger Lernprozess, der mir ziemlich oft
abverlangt wird.
Mittwoch,
21. Jänner 2004
Nicht beschämen
Von den Wüstenvätern wird
folgende Geschichte erzählt: „Als Abt Johannes einst mit den
anderen Brüdern von der Wüste kam, verirrte sich ihr Führer, denn
es war Nacht. Da sagten die Brüder zum Abt: ‚Was sollen wir tun?
Der Bruder hat den Weg verloren...’. Der Abt antwortete ihnen:
‚Wenn wir es ihm sagen, wird er traurig und schämt sich. Aber
seht: Ich stelle mich erschöpft und sage, dass ich nicht mehr
weitergehen kann, sondern hier bleiben will bis zum Morgen.’ Und so machte er es. Die anderen sagten: ‚Wir gehen auch
nicht mehr weiter, sondern wollen mit dir hier sitzen’. Und sie saßen
bis zur Morgenfrühe. So gaben sie dem Bruder keinen Grund zum Ärgernis
und zur Beschämung.
Was mir an dieser Erzählung
so gefällt, sind die liebevolle Behutsamkeit und verständnisvolle
Rücksichtnahme im Umgang mit der Schwäche eines Menschen.
Der Führer, der den Weg durch
die Wüste kennen müsste, hat sich verirrt. Er hat einen Fehler
gemacht, Schwäche gezeigt, sich eine Blöße gegeben. Die anderen nützen
das nicht aus, zeigen keine Schadenfreude. Sie machen ihn nicht
klein, kränken ihn nicht, machen ihn nicht lächerlich. Gemeinsam
machen sie den Fehler des einen wieder gut.
Die Art und Weise, wie wir mit
Schwächen und Fehlern, mit Grenzen und Irrtümern der anderen
umgehen, ist wohl ein Gradmesser der Liebeskraft unseres Herzens.
Donnerstag,
22. Jänner 2004
Vergeben und Vergessen
Ich war bei einer Bekannten zu
Besuch. Sie saß vor
dem Fernseher, in dem ein Film lief, der von einer Beziehungskrise
zwischen einem Mann und einer Frau handelte, die vor der Scheidung
standen. Bevor meine Bekannte den Fernseher abschaltete, konnte ich
gerade noch aufschnappen, wie der Mann zu seiner Frau sagte: „Wenn
Liebende zusammen bleiben, dann nicht, weil sie vergessen, was
zwischen ihnen vorgefallen ist, sondern weil sie vergeben“.
Dieser Satz ist bei mir hängen
geblieben. Er wirft eine wichtige Frage auf: Wie gehen wir damit um,
wenn wir voreinander einiges schuldig geblieben sind, wenn wir
aneinander schuldig werden, wenn wir im Miteinander etwas zerbrochen
haben. Normalerweise sagen wir dann: „Ich vergebe dir, aber
vergessen kann ich es nicht“ und meinen damit nur einen unterdrückten
Groll im Herzen, der es dem anderen bei passender Gelegenheit wieder
heimzahlt. Oder wir sagen: „Schwamm drüber“ und tun so, als ob
nichts geschehen wäre. Aber auch diese Haltung rächt sich meistens
bei der nächsten sich bietenden Möglichkeit.
Man kann im Gespräch vieles
klären und aufarbeiten, aber das letzte Wort muss wohl die
Vergebung haben. Eine Vergebung, die das Geschehene nicht unter den
Teppich kehrt, sondern die sagt: Trotz allem, was du mir angetan
hast, nehme ich dich neu an, sage wieder ja zu dir. Wer so vergibt,
kann auch vergessen. Mann man nicht menschenwürdig miteinander
leben, ohne um solche Vergebung zu bitten und sie zu schenken.
Freitag,
23. Jänner 2004
Nicht urteilen
Zu einem Wüstenvater kam ein
junger Bruder und fragte: „Warum urteile ich so häufig über die
anderen?“ Er antwortete: „Weil du dich noch nicht selbst kennst.
Denn wer sich selbst kennt, der sieht die Fehler der anderen
nicht“. Ein anderer Bruder kam und fragte: „Was soll ich tun,
Vater, ich werde von Traurigkeit niedergeschlagen?“ Er antwortete:
„Schaue niemand für gering an, verurteile niemand, verleumde
niemand, und der Herr wird dir Ruhe geben.“ Wenn Vater Agathon nun
etwas sah und sein Herz über die Sache urteilen wollte, sagte er zu
sich: „Agathon, tu das nicht.“ Und so kamen sein Denken und sein
Herz zur Ruhe.
Das Urteilen über die anderen
gehört zu den menschlichen ieblingsbeschäftigungen. Es ist ein
Zeichen dafür, dass man noch nicht zu sich selbst gefunden hat,
dass man nicht in Einklang mit sich selbst lebt, denn was wir bei
den anderen richten und verurteilen, ist ein Spiegel dessen, was wir
selber in uns haben. Wenn die andern wüssten, was wir in ihrer
Abwesenheit über sie denken und reden, wir könnten ihnen wohl
nicht mehr aufrichtig in die Augen schauen. Der Verzicht auf das
Richten und Urteilen ist ein Weg zum inneren Frieden mit sich selbst
und zum äußeren Frieden mit den anderen.
Samstag,
24. Jänner 2004
Beten ist menschlich
Ich telefonierte mit einer
Bekannten. Sie steht der Kirche sehr fern, ist ihr gegenüber aber
nicht gleichgültig. Sie hat viele Fragen, die sie in diesem
Zusammenhang beschäftigen. Brieflich und im persönlichen Gespräch
reden wir von Zeit zu Zeit darüber. Sie hat als junger Mensch ihren
Glauben verloren und ihn bis heute nicht wiedergefunden. Diese
Bekannte nun bat mich am Telefon, für sie zu beten. Ich war überrascht
und erfreut zugleich. Ich sagte ihr, dass ich dies schon seit
geraumer Zeit tue. Worauf sie antwortete: „Das dachte ich mir.“
Sie wollte mich aber noch ausdrücklich selbst darum bitten, weil es
für sie wichtig sei.
Für jemanden zu beten ist
mehr, als nur an ihn zu denken. Manchmal fragen mich Bekannte und
Freunde: „Denkst du noch an mich?“ Damit wollen sie offenbar
sagen: Hast du mich wohl nicht vergessen? Bin ich dir noch wichtig?
Das zu wissen, tut einem gut. Es gibt einem das Gefühl, nicht
allein gelassen zu sein. Wenn ich für jemanden bete, dann denke ich
nicht nur an ihn, sondern hebe ihn sozusagen in die Nähe Gottes,
damit die Sonnenstrahlen seiner Liebe diesen Menschen berühren und
er erfahren kann: Gott denkt an mich, für ihn bin ich wichtig, er
ist bei mir, er ist mit mir, er ist für mich. In der Bibel heißt
es: Der Mensch ist ein ewiger Liebesgedanke Gottes.
Vielleicht ist das meiner
Bekannten schon irgendwie aufgegangen, als sie ihre Bitte an mich
richtete.
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