Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

 

Pfarrer Dr. Christoph Weist (Wien)

 

 

Sonntag, 8.2. 04

Nicht aus Holz und Stein - Luther und die Kirche

 

Ein europaweites Erdbeben hat er ausgelöst mit seinen Vorstellungen von dem, was Kirche sein soll. Für Martin Luther, auf den sich die Evangelische Kirche beruft, für diesen Theologieprofessor aus Wittenberg im heutigen Sachsen Anhalt war die christliche Kirche nichts weiter als der Zusammenschluss all jener Menschen, die erkannt haben: Gott ist unser Vater. Und zwar ein guter, liebender Vater. Und wie ein Kind - zumindest normalerweise – keinen Vermittler zwischen sich und seinem Vater braucht, so braucht auch die Christin, der Christ keinen Vermittler zu Gott, keine Priester, keine Pfarrerinnen und Pfarrer. Die haben lediglich den besonderen Auftrag, die Botschaft Gottes öffentlich und professionell weiterzugeben.

Wieso dann überhaupt Kirche?

Der Zusammenschluss, die Gemeinschaft muss sein. “Die Kirche ist nicht Holz und Stein”, so hat Luther einmal in seiner etwas drastischen Art geschrieben, “sondern der Haufen an Christus glaubender Leute. Hier muss man sich dazuhalten und sehen, wie die glauben, leben und lehren. Die haben Christus sicher bei sich.”

Kirche ist kein Selbstzweck – das war damals neu und ist es für manche immer noch. Ob es etwas schadet, wenn Kirchenleute, gleich welcher Art, wieder einmal darüber nachdenken? Sonst werden sie tatsächlich zu Holz und Stein.

 

 

Montag, 9.2.04

Unpassendes Lachen - Luther und die Angst

 

War Martin Luther ein Held? Zumindest persönlich war er nicht der Heros, als der er später aus ganz verschiedenen Gründen gehandelt worden ist. Der Professor aus Wittenberg, über den in dieser Woche ein Film in die Kinos kommt, kannte die Angst wie jeder andere Mensch auch.

Im Jahr 1521, am Tag vor seinem entscheidenden Verhör vor dem Reichstag, entstieg er in Worms inmitten einer jubelnden Menge dem Reisefuhrwerk, kaum von einer Krankheit erholt und auch sonst innerlich zerrissen und unsicher. Und Augenzeugen berichten: Als er anderntags im Bischofspalast in den Verhandlungssaal geführt wurde, soll er - wohl aus Nervosität - den Kopf hin- und her bewegt und unpassend, weil höchst verlegen, gelacht haben. Gesprochen soll er so leise haben, dass er kaum zu verstehen war.

Martin Luther kannte die Angst. Die Angst davor, dass nicht nur er selbst, nicht nur die christliche Kirche, sondern die ganze Welt in Kürze jenen bösen Mächten zum Opfer fallen könnte, die er den Teufel nannte. Er ist diese Angst nie ganz los geworden, ja er ist mit ihr gestorben. Gestorben ist er aber auch in der tiefen Gewissheit, dass es einen gibt, der die Angst auffängt und buchstäblich auf jeden Fall ein Menschenleben hält und trägt. Und das macht Luther zum Helden. Wie jeden anderen Menschen auch.

 

 

Dienstag, 10.2.04

Die Blume in der Hand - Luther und die Heiterkeit

 

Leipzig im Sommer des Jahres 1519. Im Schloss läuft das entscheidende Rededuell zwischen dem Mönch Martin Luther und seinem schärfsten Gegner, dem Professorenkollegen Johannes Eck. Luther habe, so berichten Augenzeugen, eine Blume in der Hand gehalten und hin und wieder sogar an ihr gerochen. Und Kritiker wussten hinzuzufügen, dass während der akademischen Redeschlacht - in der übrigens Luther gegenüber seinem versierteren Widersacher etwas ins Gedränge geriet - der Klosterbruder einen schicken silbernen Ring getragen habe. Nicht gerade passend.

Es stimmt, Luther war ein heiterer Mensch. Trotz aller Sorgen über seine schwer wiegenden Ziele und ihre Folgen. Auch trotz der gesundheitlichen Probleme, die ihn lebenslang zunehmend plagten. Affektgeladen, sogar vulkanisch hat man sein Temperament genannt. Es sei in allen Lebenslagen durchgebrochen, nicht nur im Stress, sondern auch in Situationen ausgelassener Lebensfreude.

Und Luther liebte die Natur. Er hat sie mit scharfen Augen beobachtet und bewundert. Immer wieder und mit großem Vergnügen hat er sich in seinem Garten entspannt. Mit Hingabe hat er sich dort an den Blumen, vor allem den Rosen, erfreut. Er hat das alles als Geschenk gesehen, als Geschenk von Gott.  Als Chance, ein Stück jener Freude zu genießen, zu der der Schöpfer seine Menschen eigentlich bestimmt hat.

 

 

Mittwoch, 11.2.04

Die taube Nuss - Luther und der Krieg

 

Ein Pazifist nach heutigem  Muster war er nicht, Martin Luther, der Theologieprofessor aus Wittenberg. Und doch war er ein leidenschaftlicher Freund des Friedens. Er hielt ihn, wie er einmal schrieb, für “eine der größten Gaben Gottes”. Ja, er forderte, dass täglich unter Glockengeläut für den Frieden gebetet werden solle. Überhaupt müsse im Zweifelsfall, so der ansonsten ziemlich streitbare Theologe, das Recht dem Frieden und nicht der Friede dem Recht weichen. Friede, wenn er irgendwo zustande käme,  sei ein “Wunder Gottes”, ja ein “Meisterstück Christi”.

Auf die Anfrage eines Ritters aus Braunschweig namens Assa von Kram, wie sich denn das Kriegshandwerk mit dem christlichen Glauben vertrage, antwortet Luther: Denkbar und erlaubt ist nur ein Krieg aus Notwehr. Er muss geführt werden von einer rechtmäßigen Obrigkeit zum Schutz der ihr anvertrauten Menschen. Und es hört sich an, als mische sich der eigentlich recht unpolitische Universitätslehrer vor fast 500 Jahren in aktuelle Debatten ein, wenn er klar macht: Ein “Narr” ist der Landesherr, der “um einer tauben Nuss willen” eine Kriegslawine auslöst. Er hat sich peinlichst vor Gott zu prüfen, ehe er anfängt.

Ich weiß nicht, wie der Oberst von Kram mit dieser Antwort umgegangen ist. Aber ein Glockengeläut für den Frieden und ein tägliches Gebet, - lohnen würde sich das allemal.

 

 

Donnerstag, 12.2.04

“Nun bin ich unsres Gottes Gast” - Luther und das Leid

 

Zu wissen, dass man von Gott auf jeden Fall angenommen und getragen ist, kann einen fröhlich und mutig machen. Aber es erspart nicht das Leid. Auch Martin Luther, über den heute in österreichischen Kinos ein viel beachteter Film anläuft, wusste, was Leid bedeutet. Gerade in der Familie. Von insgesamt sechs Kindern des Professors sind zwei Mädchen jung gestorben. Das erste, Elisabeth, wurde nur acht Monate alt.

Aber besonders der Tod der dreizehnjährigen Magdalena hat die Eltern Martin und Katharina  schwer getroffen. Mit einer erschütternden Grabinschrift hat Luther seine Frau und sich selbst zu trösten  versucht:

 

“Ich, Lena, Luthers liebes Kind,

schlaf hier mit allen Heilgen glind

und lieg in meiner Ruh und Rast.

Nun bin ich unsres Gottes Gast.

Ein Kind des Todes war ich zwar,

aus sterblichem Samen mich mein Mutter gebar,

jetzt leb ich und bin reich in Gott.

Das dank ich Christi Blut und Tod.”

 

Der Glaube, dass man von Gott auf jeden Fall angenommen und getragen ist, kann hart auf die Probe gestellt werden. Zu wissen, welchem Ziel man entgegen geht, kann die Probe bestehen lassen.

 

 

Freitag, 13.2.04

Doch kein Monster - Luther und die Familie

 

“Ich hab eheliche Kinder. Die drei Kinder sind drei Königreiche, die hab ich ehrlicher erhalten als Erzherzog Ferdinand Ungarn, Böhmen und das römische Königreich.” Als Martin Luther dies begeistert schreibt, ist er sieben Jahre verheiratet. Insgesamt sollten dem Ehepaar Käthe und Martin sechs Kinder geboren werden, drei Söhne und drei Töchter. Zwei Mädchen sind jung gestorben. Mit Spannung hatten die Eltern die Geburt ihres ersten Kindes erwartet. Sollte doch, so sagte man, einer solchen “sakrilegischen” Verbindung zwischen einem ehemaligen Mönch und einer gewesenen Nonne ein zweiköpfiges Monster entspringen. Aber der kleine Hans kam gesund auf die Welt, “ein großer Esser und Trinker, Gott sei Dank”, wie sein Vater stolz verkündete.

 

Geheiratet hatte Luther in der blutigsten Zeit des Bauernkrieges. Es war ein Protest gegen die lebensfeindliche teuflische Macht, die er in den Unruhen am Werk sah. Ihr zum Trotz wollte er seine Käthe “zur Ehe nehmen”. Ich lasse mir, so schrieb er einem Freund, doch nicht  “meinen Mut und meine Freude nehmen”.

Ehe und Familie als Kontra gegen das Böse, als Grund für Mut und Freude. Ein alter Tipp für eine neue Familienpolitik?

 

 

Samstag, 14.2.04

Himmel und Hölle - Luther und die guten Werke

 

Auch für ausgesprochene Lutherfans ist sie immer wieder ein Problem, die Sache mit den ”guten Werken”. “Ich kann es einfach nicht glauben, dass meine guten Taten von Gott nicht belohnt werden”, sagte mir einmal ein gestandener Protestant. Aber gerade dies war einer der Hauptpunkte deretwegen man sich im Zeitalter der Glaubenskämpfe – und gelegentlich auch nachher – die Schädel eingeschlagen hat.

Martin Luther jedenfalls war der festen Überzeugung: Es kann nicht darum gehen, dass Menschen Gutes tun und zugleich Belohnung erwarten. Er hat es einmal klipp und klar und ziemlich radikal so ausgedrückt: “Die Kinder Gottes tun aus Lust und umsonst das Gute, suchen keinen Lohn, sondern allein den Ruhm und den Willen Gottes, bereit, das Gute zu tun, auch wenn es – was unmöglich ist – weder einen Himmel noch eine Hölle gäbe.”

Bereit, das Gute zu tun, auch wenn es weder einen Himmel noch eine Hölle gäbe - das klingt fast unmenschlich, aber ich denke, das geht. Sonst wäre sehr vieles, was an Gutem geschieht, gar nicht möglich. Ob die Helferin in der äthiopischen Sozialstation tut, was sie tut, um in den Himmel zu kommen, oder der Streetworker am Karlsplatz in Wien? Und was dann, wenn Himmel und Hölle - was gut möglich ist - schon hier auf Erden sind?