Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Mag. Elisabeth Rathgeb
Leiterin
des Bildungshauses St. Michael in Matrei am Brenner
Sonntag, 28. März 04
Sommerzeit
- Winterzeit: Dem Leben einen Rhythmus geben
Hat
Sie der Wecker heute auch aus dem Tiefschlaf gerissen?
Mir
geht es auf jeden Fall immer so am ersten Tag der Sommerzeit.
Meine
innere Uhr ist gut eingestellt. Und wenn sie plötzlich um eine
Stunde betrogen wird, dann lässt sie sich nicht so ohne weiteres
von heute auf morgen umprogrammieren. Und das ist gut so.
Es
erinnert mich daran, dass mein Leben einen Rhythmus hat:
Es
gibt Zeiten der Ruhe und Zeiten der Hektik.
Es
gibt Zeiten, in denen alles geht und Zeiten, in denen gar nichts
mehr geht.
Es
gibt Zeiten des Erfolgs und Zeiten des Misserfolgs.
Es
gibt Winterzeit und Sommerzeit, Tag und Nacht, Hell und Dunkel.
Das
eine wäre ohne das andere undenkbar.
Alles
hat seine Zeit.
Deshalb
stimmen sie nicht hundertprozentig, die vielzitierten Sprichwörter:
"Zeit
ist Geld" oder "Wer rastet, der rostet".
Zeit
ist nicht Geld, sondern Leben.
Und:
Wer nicht rastet, wird auch nicht rosten. Denn ohne
"Rasten" wird er oder sie gar nicht so alt, dass der Rost
eine Chance hätte.
In
allen großen Kulturen gibt es so etwas wie einen
"Rast-Tag":
Einen
Sonntag, der der Arbeitswoche einen Rhythmus gibt.
Einen
Sonntag, der Luft verschafft zum Atmen.
Einen
Sonntag, der Zeit gibt, sich neu zu orientieren und sein Leben
wieder auszurichten: nach dem großen Kompaß, der dem Leben seinen
Rhythmus gibt.
Montag, 29.3.04
„Fastenzeit
ist eine Zeit um Zuzunehmen"
In
einer Tiroler Volksschulklasse stellt der Religionslehrer die
typische Fasten-Frage: "Kinder, was habt ihr euch
vorgenommen?"
Es
kommen die üblichen Vorsätze wie weniger naschen, weniger
fernsehen und weniger Computer-spielen. Nur ein kleiner Bub fällt
aus der Reihe und sagt:
"Ich
gebe meinem Hund kein Fleisch zu fressen."
Der
kreative Volksschüler hat ein Problem gelöst, das viele haben:
Fastenzeit wird mit "Verzicht" gleichgesetzt. Und Verzicht
schmeckt gar nicht gut:
Da
steigen manche täglich auf die Waage und kontrollieren, ob sich der
angepeilte Gewichtsverlust auch pünktlich bis Ostern einstellt.
Fasten
heißt also verzichten, um abzunehmen? Oder salopp ausgedrückt: Wer
fastet, ist ein armer Hund?
Besser
gefällt mir der Satz: "Fastenzeit ist eine Zeit um
Zuzunehmen."
Auch
wenn es paradox klingt: Der Sinn der Fastenzeit liegt im Zunehmen.
Zunehmen
an Lebenskraft und Lebensfreude.
Zunehmen
an Klarheit und Orientierung.
Fastenzeit
ist eine Zeit um Zuzunehmen.
Dazu
gehört auch:
Wesentliches
von Unwesentlichem unterscheiden, mehr Platz für Gott in meinem
Leben schaffen.
Für
manche ist Loslassen und Verzichten eine Hilfe dabei. Aber es können
auch ganz andere Mittel diesen Zweck erfüllen: Bewußt mehr Zeit
mit der Familie verbringen, eine Frühlings-Schitour machen - und am
Gipfel in der Sonne einfach dankbar für das Leben sein.
(Das
Leben wieder ins Lot zu bringen - das ist das Ziel der Fastenzeit. )
Denn:
'Fastenzeit ist eine Zeit um Zuzunehmen'.
Dienstag,
30.3.04:
„Pflege
dein Leben, wo du es triffst“
"Pflege
dein Leben, wo du es triffst" , sagt die heilige Hildegard von
Bingen im 14.
Jahrhundert.
Weniger poetisch und mehr ironisch sagte einmal Karl Valentin
sinngemäß: Heute besuche ich mich, schauen, ob ich daheim bin.
Wo trifft man sein Leben? Wie findet man heraus, ob man gerade
daheim ist?
Oft
ist es umgekehrt: Das Leben trifft einen mehr oder weniger hart.
Oder:
Man trifft Freunde, Bekannte, Geschäftspartner.
Niemand
würde sagen: Heute habe ich mich und mein Leben getroffen.
Und
trotzdem kennen wir vermutlich alle dieses Gefühl: Das Leben
vergeht. Es geht an uns vorbei. Wir sitzen wie auf einer
Zuschauertribüne und haben den Eindruck, gar nicht richtig dabei zu
sein.
„Pflege
dein Leben, wo du es triffst.“
Wo
trifft man sein Leben? Wie findet man heraus, ob man gerade daheim
ist?
Mir
hilft dabei mein täglicher Spaziergang: Zu meinem Arbeitsplatz gehört
ein kleiner See. Er liegt auf 1200 m Seehöhe. Noch bedeckt ihn eine
dünne Eisschicht. Es riecht rundherum nach Frühling: Frische,
nasse Erde, das erste Grün. Ein paar Veilchen und Himmelschlüssel
stecken ihre Blüten aus dem trockenen Gras an der sonnigen Böschung.
In den Bäumen am Ufer zwitschern Vögel, und der Specht gibt auch
schon wieder laute Klopfzeichen.
Das
ist für mich die ideale Umgebung für ein Rendevouz mit mir selbst.
(Hier
kann ich in Ruhe nachschauen, ob und wo ich gerade daheim bin.)
Wo
treffen Sie ihr Leben?
Mittwoch,
31.März 04:
"Es
gibt Rosenzüchter, die beschäftigen sich mehr mit den Blattläusen,
als mit der Rose." (Oscar Wilde)
"Es
gibt Rosenzüchter, die beschäftigen sich mehr mit den Blattläusen,
als mit der Rose."
Keine
Angst, in den heutigen Morgengedanken geht es nicht um die neuesten
Methoden der Blattlaus-Bekämpfung. Es geht um die Frage des
Blickwinkels: Worauf richten wir unsere Aufmerksamkeit? Auf die
Blattlaus oder die Rosenblüte?
Manche
Menschen sind spezialisiert darauf, das Haar in der Suppe zu finden.
Sie
jammern, dass ihr Glas halbleer ist, während andere sich freuen,
dass es noch halbvoll ist.
Was
ist der Unterschied?
Kraft
für Veränderungen kommt aus einer positiven Grundhaltung - einer
Haltung der Hoffnung und Zuversicht.
Sonst
entsteht leicht ein "Abwärts-Trend", ein Sog in den Sumpf
der Aussichtslosigkeit. "Es ist sowieso egal, wir können's eh
nicht ändern."
Natürlich
können wir nicht alles ändern.
Aber
in unserer kleinen Welt, in unserer Umgebung können wir unseren
Blick verändern. Wir können entscheiden, worauf wir unsere
Aufmerksamkeit konzentrieren: Die Rose oder die Blattlaus.
Das
heißt nicht, dass alle Brillen ab jetzt rosarot sind.
Das
heißt nicht, dass alle in den Club der Positiv-Denker eintreten müssen.
Das
heißt nur, dass wir unterscheiden und entscheiden können:
Blattlaus oder Rose.
Nach
dem Motto:
"Gib
mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann.
Gib
mir die Gelassenheit, die Dinge hinzunehmen, die ich nicht ändern
kann.
Gib
mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."
Donnerstag,
1. April 04:
"Absurd",
sagte die Eintagsfliege, als sie das erste Mal das Wort
"Woche"
hörte...
Guten
Morgen am 1. April!
"Absurd",
sagte die Eintagsfliege, als sie das erste Mal das Wort
"Woche" hörte.
Vermutlich
dachte sie an einen April-Scherz.
Der
Horizont der Eintagsfliege ist begrenzt: Ihre Lebensdauer erstreckt
sich eben nur über maximal 24 Stunden. Alles, was darüber hinaus
geht, liegt jenseits ihrer Erfahrungswelt. Das Wort
"Woche" ist für sie unvorstellbar.
Oft
geht es uns wie der Eintagsfliege: Unser Horizont ist begrenzt durch
Dinge, die wir sehen, prüfen und begreifen können. Für eine Welt
jenseits dieser Erkenntnisse bleibt kein Platz. Wer zugibt, an ein
"Jenseits" und ein "Leben nach dem Tod" zu
glauben, wird schnell belächelt.
Aber
vielleicht boomen gerade deshalb Dinge wie schwarze und weiße
Magie, Hexenkulte und Okkultismus.
Denn
vermutlich unterscheidet uns Menschen neben einer Reihe anderer
Eigenschaften genau das von der Eintagsfliege: Unsere Sehnsucht nach
mehr lässt uns Ausschau halten nach neuen Horizonten.
Ostern
ist nicht mehr weit. Die Berichte über die Auferstehung Jesu waren
damals für viele irritierend und unglaubwürdig.
Heute
mögen sie manche noch immer für einen Aprilscherz halten.
Aber
wir sollten nicht denselben Fehler machen wie die Eintagsfliege, die
sagte:
"Absurd",
als sie das erste Mal das Wort "Woche" hörte.
Freitag,
2. April 04:
„Den
Tag schon vor dem Abend loben“
5,4,3,2,1
und los!
Der
Start entscheidet in vielen Sportarten über Sieg oder Niederlage,
Erfolg oder Mißerfolg: So ist es oft auch mit unserem Start in den
Tag: Ein geglückter Tages-anfang gibt Schwung und lässt vieles
leichter gelingen. Daher sagt Karl Rahner, einer der großen
Theologen: Man soll "den Tag schon vor dem Abend loben".
Normalerweise
kennen wir ja die umgekehrte Form: Man soll den Tag nicht vor dem
Abend loben. Darin spiegelt sich viel Lebenserfahrung - eine Warnung
vor einer Überdosis Euphorie, eine gesunde Portion Misstrauen.
Aber
manchmal entsteht daraus auch ein "Misstrauens-Vorschuss"
für alles und jeden: Alle Menschen sind schlecht, das Wetter ist
eine einzige Katastrophe, und außerdem geht die Welt sowieso bald
unter.
Man
soll den Tag schon vor dem Abend loben.
Damit
geht der heutige Tag ganz anders an den Start:
Er
bekommt einen Vertrauensvorschuss, sozusagen einen Vorschuss an
Hoffnung:
Ich
gebe diesem Tag und mir selber eine Chance. Ich hoffe, dass sich
alles zum Guten wenden wird. Ich vertraue darauf, dass letztendlich
alles, was ich heute erleben werde, einen Sinn hat. Ich gebe dem Tag
einen "Überschuss an Hoffnung" mit auf den Weg.
„Dann
geschieht es mit dem Tag, wie es bei den Menschen, oder wenigstens
bei Kindern geht: Sie werden das, wofür man sie hält.“
Samstag,
3. April 04:
199
Pferde und ein Esel
„Hier
fahren 199 Pferde und ein Esel.“ Dieser Aufkleber auf einem LKW
geht mir seit Jahren nicht mehr aus dem Sinn.
Immer
wieder gibt es Situationen, in denen ich mich wie der sprichwörtliche
„Esel vom Dienst“ fühle. Dann fällt mir dieser Spruch ein, und
ich muss doch ein bisschen schmunzeln: Hier fahren 199 Pferde und
ein Esel. Ohne den Esel wären die 199 Pferdestärken für die Katz.
Ohne den Esel am Steuer würden die 199 PS bald im Straßengraben
landen. Die 199 Pferde brauchen diesen Esel. Also muss einer der
„Esel vom Dienst“ sein?
Der
Esel spielt ja auch morgen am Palmsonntag eine tragende Rolle:
Jesus
reitet auf einem Esel nach Jerusalem. Passender und standesgemäßer
für den Einzug eines Königs wäre doch ein Pferd gewesen. Aber er
nimmt einen Esel.
Der
Esel ist im Gegensatz zum Pferd ein Symbol des Friedens.
Der
Esel ist ein Trag- und Lasttier. Pferde hingegen waren Macht- und
Status-Symbole.
Jesus
entscheidet sich für einen Esel und setzt damit ein Zeichen: Es
geht nicht um Macht, Herrschaft und Status-Symbole - es geht um
Liebe und Leidenschaft für das Leben. Es geht nicht um’s Abheben,
auf andere herabschauen, drüberreiten – es geht um
leidenschaftlichen Einsatz für die Menschen. Jesus entscheidet sich
für einen Esel.
Der
„Esel vom Dienst“ hat eine tragende Rolle.
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