Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Waltraud Reisner-Igler aus Deutschkreutz, Burgeland

 

 

Sonntag, 25. April 2004

In 6 Tagen ist es soweit die Europäische Union wird um 10 Staaten größer. Dazu gehören wie wir alle wissen Ungarn, Slowakei und Slowenien, die direkt an unser schönes Burgenland angrenzen.

 

Besonders Ungarn spielte für uns eine wichtige Rolle. Burgenland war vor dem ersten Weltkrieg Deutsch-Westungarn. Als 1921 Burgenland zu Österreich gekommen ist, gab es große Änderungen. Doch für unsere Großeltern war Ödenburg ungarisch Sopron der Mittelpunkt der Region. Zur Behandlung einer Blindarmentzündung fuhr meine Großmutter ins Ödenburger Spital, viele Geschäfte wurden in Sopron abgewickelt.

 

Nach dem 2. Weltkrieg veränderte sich vieles, alle deutsch sprechenden Ungarn aus unserer Nachbarortschaft Harkau wurden vertrieben. Viele haben sich in der hessischen Stadt Wetter angesiedelt. Es besteht seit vielen Jahren eine Partnerschaft zwischen Deutschkreutz und den ehemaligen  Harkauern in Wetter /Dtld. Wir waren für sie der einzige Zugang zur alten Heimat.

 

 Trotzdem führten die Deutschkreutzer Bauern ihre Zuckerrüben in die Zuckerfabrik  nach Petöhaza. Nach dem Ungarnaufstand 1956 brach der Kontakt zwischen der Bevölkerung von Deutschkreutz und Ödenburg und den anderen Nachbarorten ziemlich ab. Der eiserne Vorhang wurde errichtet.

 

Der eiserne Vorhang ist jetzt nur mehr Erinnerung, Gott sei Dank, jetzt liegt es an uns, daraus etwas zu machen.  Nach jahrzehntelanger getrennter Entwicklung  folgt hoffentlich eine gemeinsame Zukunft. Mit Gottes Hilfe wird es uns gelingen.

 

 

Montag, 26. April 2004

Als Deutschkreutzerin bin mit dem eisernen Vorhang aufgewachsen. Es kam mir als Kind so vor, als ob an der Grenze, am Stacheldraht  die Welt zu Ende wäre. Weiter kamen wir nur mit dem Korridorzug der Raaber Bahn zwischen Deutschkreutz über Sopron nach Loipersbach-Schattendorf über Wiener Neustadt nach Wien.

 

Nach dem Passieren der Grenze stieg auf jedem Ende des Zuges ein ungarischer Soldat schwer bewaffnet mit Maschinengewehr in den Zug ein und die Soldaten verließen ihn erst knapp vor der Grenze. Ich habe Anfang der siebziger Jahre vier Jahre das Gymnasium in Mattersburg besucht und bin regelmäßig mit dem Zug gefahren.

 

Es war sehr Furcht einflössend und ich habe mir oft gedacht, die Menschen, die den Zug benützen sind sicher nicht gefährlich, warum machen die Ungarn das.  Die Wachtürme mit den Soldaten waren vom Zug aus natürlich weithin sichtbar, sie hatten sehr unnahbar und bedrohlich gewirkt. Ein erschreckender Anblick für ein elfjähriges Mädchen.

 

Die Soldaten am Zug und die Wachtürme gibt es nicht mehr, die Bahnlinie ist ausgebaut worden und viele Deutschkreutzer und Ungarn pendeln täglich über die Grenze, sei es um einzukaufen oder um zu arbeiten. Der zwischenmenschliche Kontakt kann durch das Aufeinander zu gehen viele vorhandene Barrieren überwinden.

 

 

Dienstag, 27. April 2004

In meiner Kindheit und Jugend war der eiserne Vorhang – der Stacheldraht – allgegenwärtig. Einige unserer Weingärten in der Ried Kart liegen direkt an der Grenze, nur ein Weg und Sträucher / Gebüsch sind dazwischen. Eine Geschichte, die meinem verstorbenen Großvater dort passiert ist, wurde in unserer Familie oft erzählt.

 

Mitte der siebziger Jahre hat mein Großvater nach Abschlusses des Winterrebschnittes am unteren Ende des Weingartens nahe der ungarischen Grenze einen großen Haufen mit den alten Reben gemacht. Dann hat er die Reben angezündet, Wind kam auf und hat  die Flammen ganz schnell zum Gebüsch und über die Grenze verbreitet, Opa hat sie nicht mehr löschen können, so sehr er sich bemühte. Er versuchte schnell Hilfe zu holen, die Deutschkreutzer und die ungarische Feuerwehr  (sie wurde von der Zollwache verständigt) mussten ausrücken um die Flammen zu löschen.

 

Es gab eine Gerichtsverhandlung,  eine Geldstrafe musste bezahlt werden, die größte Angst meines Großvaters war, dass er sich vor einem ungarischen Gericht verantworten musste, aber es war dann,  Gott sei Dank, nicht notwendig.

 

Wenn mein Großvater noch leben würde, er würde sich sehr über die Annäherung der beiden Staaten freuen, freuen darauf es könnte mit Gottes Hilfe so werden wie es früher war, die historische Verbindung aus Zeiten der Monarchie im  modernen Verständnis der heutigen Demokratie und im Wandel der Zeit.

 

 

Mittwoch, 28. April 2004

Vor dem politischen Umbruch im Jahr 1989 vor dem Abbau der Wachtürme und dem Durchschneiden der Maschendrahtzäune sind viele Menschen aus der DDR vor dem kommunistischen Regime in ihrem eigenen Land über Ungarn nach Österreich geflüchtet und sind dann weiter nach Westdeutschland gefahren.

 

Frauen, Männer und Kinder sind mit wenig Habseligkeiten in der Nacht müde, oft durchnässt, hungrig und sehr verängstigt aufgefunden worden.  Sie wurden im Pfarrheim mit Essen und Kleidern versorgt, über Nacht in unseren Familien untergebracht. Ihr Strahlen in den Augen, ihr Glück es endlich geschafft zu haben, in den Westen zu kommen und ihre Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme werde ich nie vergessen.

 

Für uns als Christen war es selbstverständlich zu helfen und ich hoffe, dass es jedem einzelnen dieser Flüchtlinge gut geht, dass sie Arbeit und eine hoffnungsvolle Zukunft vor sich haben.

 

An diesem Platz wo viele Flüchtlinge 1989 die Grenze passiert haben,  an diesem Platz zwischen Deutschkreutz und Zinkendorf/Nagycenk wird am 1. Mai gemeinsam gefeiert. Viele Deutschkreutzerinnen und Deutschkreutzer, viele Zinkendorferinnen und Zinkendorfer kommen auf dem Platz, wo die Bahngleise  die beiden Ortschaften trennen, es wird ein Zelt aufgestellt und gefeiert. Dort wird mit Musik und Getränken aus Deutschkreutz und  Gulasch aus Nagycenk  gefeiert, es  wird sicher  ein historischer und bewegender Tag für Deutschkreutz und für Nagycenk sein.

 

 

Donnerstag, 29. April 2004

Nach dem politischen Umbruch 1989,  vor allem durch den Wegfall des Stacheldrahtes, kam Leben in die Beziehungen  der Ungarn und Österreicher. Die ungarische Bevölkerung nutzte die politische Wende für  Einkäufe in den Orten entlang der Grenzen. Vor allem Elektrogeräte, Schokolade und Kaffee, alles Produkte, die sie vorher nicht so einfach kaufen konnten, waren sehr beliebt. Viele Menschen in den Ortschaften sahen den Profit ihres Lebens. Aber so schnell einige Geschäfte aufgemacht wurden, wurden sie wieder geschlossen. Doch die Kriminalität nahm auch rapide zu, vor allem Fahrräder, manchmal auch Autos und nicht zuletzt Teppiche, die zum Klopfen auf die Torstange gehängt waren, wurden gestohlen. Das beschauliche Leben am Stacheldraht hatte ein Ende und manch einer dachte mit Wehmut zurück, an die Zeit als das Leben mit dem eisernen Vorhang auch viel Sicherheit brachte.

 

Durch die gelockerte Kontrolle an der Grenze nützten viele Männer und Frauen auch ganze Familien aus vielen verschiedenen Staaten der Erde, die Gelegenheit über die grüne Grenze Ungarns nach Österreich zu flüchten und um Asyl anzusuchen. Soldaten des österreichischen Bundesheeres sind seither entlang der Grenzen stationiert um die Flüchtlinge,  insbesondere die Wirtschaftsflüchtlinge, aufzuhalten, zurück zu bringen und die Sicherheit zu garantieren.  Dieses menschliche Problem wird auch nach der EU -Osterweiterung nicht kleiner werden,  bedeutet eine noch größere Herausforderung für Kirche und Staat. Eine zufrieden stellende  Lösung für alle Beteiligten ist nicht in Sicht. Das Gebot der Nächstenliebe hätte für mich oberste Priorität.

 

 

Freitag, 30. April 2004

Ende der achtziger Jahre war es für uns Winzer sehr schwierig im eigenen Ort, in der Umgebung geeignete und interessierte Arbeitskräfte für die Bearbeitung der Weingärten und im Keller zu finden. Da gab es erste Anfragen von arbeitswilligen Ungarn aus Brennberg, die auch deutsch als Muttersprache hatten. Es waren Pensionisten, die sich gern etwas dazuverdienen wollten und wir waren froh über jede Unterstützung in den Weingärten. Mittlerweile arbeiten schon viele Ungarn in den verschiedensten landwirtschaftlichen Betrieben im Burgenland und sie sind ein wichtiger Bestandteil auf unserem Arbeitsmarkt geworden. Der persönliche Kontakt wurde verbessert, wir lernen von ihnen und sie lernen von uns.

 

Viele von ihnen gehen auch wieder in die Kirche und setzten sich mit dem Glauben auseinander, etliche kirchliche Feste wie Weihnachten, Ostern und  Fronleichnam  werden  bewusster und sehr herzlich gefeiert. Viele Feste werden auch gemeinsam in den Partnergemeinden  begangen.

 

Z.B. Fronleichnam. Unsere Blasmusik spielt die Musik bei der Leichnamsprozession in Nagycenk und viele Deutschkreutzer nehmen daran teil.

 

Eine Barriere, die uns oft trennt, sind die sprachlichen Unterschiede. Viele Ungarn sprechen Deutsch, wir aber sehr selten ungarisch. Gerade in diesem Punkt sollte, jetzt da die Osterweiterung kurz vor der Verwirklichung steht,  ein Umdenken unsererseits erfolgen,  die Sprachen unserer Nachbarn zu erlernen, ihre Kultur kennen zu lernen, damit unser Verständnis für einander wächst.

 

 

Samstag, 1. Mai 2004

Heute ist der erste Mai! Der Beitritt der 10 Staaten wird heute vollzogen. Viele freuen sich, andere sind skeptisch, fürchten um ihre Arbeitsplätze. Europa wächst näher zusammen, vielleicht auch in den Herzen der Menschen. Ich hoffe, dass diese Konstellation den Frieden in Europa dauerhaft sichert. Die Beitrittstaaten erwarten sich eine Ankurbelung der Wirtschaft, Schaffung von Arbeitsplätzen, eine bessere Ausbildung und trotzdem möchten sie ihre Eigenständigkeit, ihre Identität nicht verlieren, sondern ihre Kultur und Individualität  in die große Staatengemeinschaft  einbringen.

 

Mir müssen uns besser kennen lernen, im Kleinen wie im großen, da sind besonders die Medien gefordert, denn ohne genaue Informationen, ist es nicht möglich.

 

Um zehn beginnt unser Fest direkt an der Hottergrenze  zwischen Deutschkreutz und Zinkendorf/Nagycenk mit Musik, Gulasch und Getränke, natürlich darf unser guter Wein nicht fehlen. Wir freuen uns, dass wir nach mehr als achtzig Jahren wieder einen gemeinsamen Weg gehen.

 

Als Christin bin ich überzeugt, wenn wir offen aufeinander zugehen,  Barrieren abbauen indem wir die Sprache der Nachbarn lernen, uns für ihre Kultur interessieren, persönliche Kontakte pflegen, dann kann der große Staatenbund funktionieren. Der christliche Grundsatz „ Liebe deinen Nächsten wie dich selbst“ gilt mehr den je. Aus dieser Hoffnung heraus sehe ich die Annäherung der Staaten von West und Ost als große Chance für das Europa des  21. Jahrhundert. NÜTZEN WIR SIE!