Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Abt Otto Strohmaier

 

Sonntag, 16. Mai 2004

Aufbrechen

 

Zehntausende werden in diesen Tagen aufbrechen. Aus Nord und Süd und aus dem. Osten werden sie kommen, mit Bussen und mit Zügen und nicht wenige zu Fuß, alle in Richtung Mariazell. Sie alle brechen auf.

 

Wallfahren: D.h. aufbrechen, sich einlassen auf Unbekanntes, ausbrechen aus der Enge, aus dem Geruch des Alltags. Zutiefst menschlich ist dies. Immer brechen Menschen auf und folgen einer innersten Sehnsucht. Und es ist nicht die schlechteste und gestrigste Art des Aufbruchs, wenn das Ziel das Heilige, ein Ort der Nähe des Göttlichen ist.

 

So Vieles bricht auf in dieser Jahreszeit in der Natur: Bäume brechen auf und kommen vielfärbig zum Blühen, Knospen öffnen sich und zeigen Schönheit, unsere Felder explodieren geradezu in Richtung Wachsen, Entfalten. Grünen. Wie sollte nicht auch der Mensch Aufbruch wagen, einem Ruf folgen: Das Ziel könnte Mariazell sein.

 

 

Montag, 17. Mai 2004

Einen Weg suchen

 

Wer sich auf eine Wallfahrt einlässt, der wird sich überlegen, welchen Weg er wählen soll. Er wir unter mehren Möglichkeiten jenen Weg aussuchen, der ihm am günstigsten erscheint. Er muss also manche Wege ausscheiden, die ihn auch locken würden und muss sich begnügen mit einem Weg. Er kann nicht auf allen Wegen zugleich gehen.

 

Er wird bedenken, dass sein Ziel nur zu erreichen ist, wenn er auch den Weg in Kauf nimmt und er wird diesen Weg nicht nur als notwendiges Übel akzeptieren sondern als eine Chance wahrnehmen, um auf dem Weg in sich eine Wandlung zu erfahren, ein allmähliches Reifen in Richtung auf die Zeit hin. Wenn das Ziel etwas sehr Großes ist, dann braucht es die Einstimmung, die Zubereitung der Herzen, um dann empfänglich zu sein für das, was ihn erwartet.

 

Er wird sich die Zeit nehmen, die der Weg braucht und er weiß. dass er sich nichts Gutes tut, wenn er den Weg immer mehr abkürzt. Er weiß ja, dass das innere Reifen für Großes Zeit braucht.

 

 

Dienstag, 18. Mai 2004

Mit anderen gemeinsam unterwegs sein-

 

Manchmal geht einer ganz allein seinen Weg als Wallfahrer. Anlässlich der Wallfahrt der Völker werden meist mehrere oder auch viele miteinander unterwegs sein. Eine spezielle Wallfahrtserfahrung. Unterwegs sein mit anderen.

 

Wenn ich also aufbreche zur Wallfahrt dann bin ich nicht allein. Ich mache eine Erfahrung, die mich ermutigt und mir das Risiko des Aufbruchs sehr erleichtert: Ich bin nicht allein. Mit mir brechen auch andere auf. Freunde sind an meiner Seite, die denselben Weg gehen wie ich. Die Sache, die mich bewegt, bewegt auch andere. Ich bin kein realitätsfremder Träumer. Mit Staunen stelle ich fest, dass die Sehnsucht, die mich treibt, auch andere treibt. Ich darf sogar annehmen, dass viele von denen, die nicht aufbrechen und daheim bleiben auch gerne mitgingen, wenn sie nur die Gelegenheit hätten. Vielleicht fehlt ihnen auch noch der Mut.

Die anderen, die an meiner Seite gehen, nehmen mir auch die Angst, ich könnte vielleicht unterwegs zusammenbrechen und allein liegen bleiben. Wir werden uns gegenseitig stützen und einer wird für den anderen da sein.

 

 

Mittwoch, 19. Mai 2004

Ein Ziel vor Augen

 

Oft hört man heute das Wort: Der Weg ist das Ziel. Wer wallfahrtet, kann dem nur zum Teil zustimmen. Die Wichtigkeit des Weges ist unbestritten. Weg verstanden als Lernprozess als Wandlung und allmähliche Annäherung.

Der Wallfahrer geht aber nicht um des Weges willen. Er weiß um das Ziel, das am Ende des Weges wartet. Er wird nicht immer unterwegs bleiben, irgendwann wird er ankommen, irgendwann wird alle Mühe und Not des Weges überstanden sein. Das Wissen um dieses ersehnte Ziel gibt ihm die Kraft zum Durchhalten. Eine Gewissheit ist in ihm lebendig wie eine Vision die ihn immer von neuem aufstehen lässt, trotz Ermüdung und schmerzenden Füssen. In den Stunden der Ruhe und der Nacht ersteht das Bild vor ihm, vor dem er bald stehen wird und das Haus Gottes, das ihn umfangen wird, ladet schon jetzt ein zur Einkehr und zieht ihn vorwärts auf staubigen Straßen, ausgesetzt der Sonne oder dem Regen.

 

 

Donnerstag, 20. Mai 2004

Mariazell als Ziel

 

Tschechen, Polen Slowaken, Ungarn, Slowenen, Kroaten und Bosnier. Menschen dieser Völker werden in diesen Tagen aufbrechen nach Österreich, in einen Ort ungefähr in der Mitte unseres Landes. Zusammen mit Christen unserer Heimat werden sie nach Mariazell pilgern. Der Weg wird sie durch einsame Gräben und Täler, umgeben von dichten Wäldern abseits führen von den Ballungszentren der Menschen hin zu einer kleinen Stadt auf der Höhe, die überragt wird von einem mächtigen Gotteshaus. Sie werden Wege gehen, die Christen aus diesen Völkern seid mehr als 800 Jahren gingen. Sie werden sich einreihen in die Schar der Suchenden, Notleidenden und von Sehnsucht Erfüllten, die keine Aufklärung und keine Fortschrittsgläubigkeit aufhalten konnte, die alten Wege der Väter und Mütter neu zu gehen.

 

Auf diesen gemeinsamen Wegen und vor allem am Ziel werden sie auch einander begegnen und freudig feststellen, wie vieles uns doch miteinander verbindet, wenn im Herzen der Glaube wohnt.

 

 

Freitag, 21. Mai 2004

Ankommen

 

Wenn man sich vom Süden her Mariazell nähert, von Gusswerk kommend, steht rechts neben der Straße ein Bildstock, das sog. Urlauberkreuz. An dieser Stelle können die Pilger, vor allem wenn sie zu Fuß unterwegs sind, zum ersten mal die Wallfahrtskirche sehn oder wenn sie fortgehen, zum letzten mal und so "Urlaub nehmen" vom heiligen Ort. Viele von denen,  die in diesen Tagen, unterwegs sind zur Wallfahrt der Völker, werden hier stehen bleiben und werden hinaufschauen zu den drei Türmen, die so typisch sind für Mariazell und sie werden nicht ohne Bewegung spüren, dass sie ganz nah dem Ziele sind.

 

Hunderte, vielleicht tausend Kilometer waren sie unterwegs, vieles haben sie erlebt unterwegs, nirgends sind sie hängen geblieben immer wieder sind sie vorwärtsgefahren oder gegangen. Jetzt sind sie da, - angekommen. Sie werden damit eine Erfahrung gemacht haben, die Leben überhaupt bedeutet: Es bedeutet, unterwegs bleiben und so lange der Weg auch sein mag, irgendwann wirst du ankommen irgendwann bist du am Ziel deiner tiefsten Sehnsucht.

 

 

Samstag, 22. Mai 2004

Eine kleine Statue

 

Was war es im Grunde, dass sie alle angezogen hat? Was ist das Ziel ihres Aufbruches? Ist es die Romantik einer wunderschönen Gegend, die Abgeschiedenheit voll Wald, wilden Wässern und unverdorbener Natur? Ist es ein Gotteshaus hochaufragend und prachtvoll ausgestattet? Oder doch nur die Tradition, der Brauch, dem man kaum entkommt? Oder der Ruf des Bischofs und der eigenen Kirche?

 

Mitten im weiten Gotteshaus steht eine kleine Kapelle und in dieser Kapelle wieder in der Mitte, eingekleidet in prächtige Gewänder eine sehr bescheidene Holzstatue. Diese mittelalterliche Statue der Gottesmutter Maria, auf dem Schoß das Kind auf das sie mit großem Finger zeigt, genau diese Statue ist es, warum sie alle kommen. Oder besser: Es ist sie, die hier dargestellt ist und ihr Kind.

Durch dieses Bild hindurch vermittelt offensichtlich diese Frau und ihr Kind durch die Jahrhunderte ihre und ihres Kindes Nähe. Menschen erspüren hier Heimat, letztes Geborgensein, heilende Nähe und Frieden. Diese Frau zeigt, wohin der Weg des Lebens geht, sie weist hin auf das letzte Ziel.