Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrer Arno Jungreithmair,
Thalheim
bei Wels, OÖ
Sonntag,
6. Juni 2004
Dieser
Tag stellt die Frage: wer bist du, Gott? Bist du der Uhrmacher, der
alles aufgezogen hat und nun beobachtet, wie es abläuft? – Bist
du gar kein einzelnes Wesen, sondern das Leben selbst, der Inbegriff
alles Lebendigen? Das 1. Gebot fordert, sich von Gott kein fertiges
Bild zu machen, sondern immer auf der Suche zu bleiben nach besserer
Erkenntnis.
Wenn
das Konzil von Konstantinopel im 4. Jh. von 3 göttlichen Personen
spricht, ist zu bedenken, dass der Begriff „persona“ aus der
Theatersprache kommt und eigentlich „Rolle“ meint. Die 3
Personen sind demnach die drei Erscheinungsweisen, die drei
Gesichter Gottes: das weise Gesicht des Vaters und Schöpfers; das
kameradschaftliche Gesicht des Wegbegleiters Jesus; und das
frauliche Gesicht des lebensspendenden Geistes. „Dreifaltigkeit“
ist ein Ausdruck dessen, dass Gott Gemeinschaft ist, die Einheit in
der Vielfalt. Dieses Gottesbild der Dreieinigkeit zeigt daher den
Weg auf, wie wir leben sollen: uns an der Unterschiedlichkeit und
Vielfalt der Menschen zu freuen und immer das zu suchen, was uns
alle eint.
Montag,
7 Juni 2004
Wir
alle haben den Glauben aus zweiter Hand.
Gott ist uns nicht erschienen wie Mose im Dornbusch oder
Saulus vor Damaskus. Wir haben Gottes Wort nicht im Originalton gehört,
hatten kein mystisches Erlebnis wie Theresa von Avila, hörten keine
Stimmen wie Johanna von Orleans und hatten keine Erscheinungen wie
Bernadette Soubirous. Uns gilt das Wort, das damals zu Thomas gesagt
wurde: Selig, die nicht sehen und doch glauben.
Mein
Glaube aber gründet ebenso auf Erfahrungen: vor allem auf die oft
gewonnene Gewissheit, geführt zu werden; auf dem Eindruck, dass das
Leben nach einem Plan verläuft. Ich kann immer mehr die Erkenntnis
des Paulus teilen, dass der Schöpfer uns schon vor der Erschaffung
der Welt geplant und geliebt hat, dass nichts zufällig passiert.
Mein Glaube stützt sich auch auf die Erfahrungen anderer, z.B. des
Johannes d. XXIII., der in seinem Dekalog der Gelassenheit
formuliert hat: nur für heute will ich – auch wenn die Umstände
das Gegenteil andeuten sollten –
daran glauben, dass Gottes Vorsehung sich um mich kümmert,
als gäbe es sonst niemanden auf der Welt!
Dienstag,
8. Juni 2004
Wir
sind erschaffen als Menschen mit Haut und Haaren, mit
Fingerspitzengefühl und Einfühlungsvermögen. Der Mensch kann
jedoch auf der tierischen Stufe stehen bleiben, sich einigeln,
hamstern, über alles meckern, sich in sein Schneckenhaus zurückziehen.
Das typisch Menschliche ist jedoch, über die Wunder des Lebens zu
staunen und Mitgefühl zu entwickeln füreinander. Als Modell für
gelungenes Leben wurde uns Jesus gegeben, damit wir lernen, zu leben
wie er, mit sensiblen Antennen für alles und für alle. Offen und
empfänglich für die Stimmen der Schöpfung, für den stummen
Hilfeschrei des fernen Nächsten.
Im
übrigen hat eine Studie festgestellt, dass Menschen, die sich für
andere engagieren, gesünder sind als gleichaltrige Befragte, die
das nicht tun. Personen, die als freiwillige Helfer in irgendeinem
Bereich tätig sind, leiden weniger an Verspannungen und Stress,
sagt die genannte Untersuchung. – Es geht aber gewiss um mehr, nämlich
um unsere menschliche Entfaltung: Mitleid zu entwickeln mit denen,
die unseren Weg kreuzen. Mitleid, griech. Sympatheia, ist weniger
ein Gefühl, sondern ein Willensakt. Wir haben die einmalige Chance,
Menschen zu sein und Menschlichkeit zu verbreiten.
Mittwoch,
9. Juni 2004
Theodor
Fontane schrieb den Satz: Gott, was ist Glück? Eine Grießsuppe,
eine Schlafstelle und keine Zahnschmerzen. Das ist schon viel! Ja,
wir wären sicher schon glücklicher, würden wir jeden Tag
bedenken, welche Sorgen und Schwierigkeiten wir nicht haben! Heute
kein Kopfweh, keine
Schulden, kein Stau auf der Straße, keinen Arrest, keine Überschwemmung.
Aber es ist vermutlich eine ganze Menge von anderen Belastungen, die
uns jeden Tag davon abhalten, Luftsprünge zu machen.
Ein
Sprichwort aus China gibt den Rat: Du kannst nicht
verhindern, dass die Vögel der Sorge und des Kummers über deinem
Haupt fliegen. Aber du kannst verhindern, dass sie Nester in deinem
Haar bauen! Es liegt an mir selbst, über einen Gedanken nachzugrübeln,
und dadurch gleichsam in eine immer tiefere Grube zu sinken,
oder diese Sorge auf den Herrn zu werfen, im Vertrauen
darauf, dass der, der unsere Haare alle gezählt hat, sich auch
unserer alltäglichen Sorgen annimmt.
Schon
etwa 3 Jahrtausende beten Menschen diesen Vers: „Wirf deine Sorgen
auf den Herrn, er hält dich aufrecht!“ und haben dadurch
Erleichterung und Entlastung erfahren.
Donnerstag,
10. Juni 2004
Heute
ist das Hochfest des Leibes und Blutes Christi. Wäre es nicht schön,
wenn der Leib Christi so etwas wäre wie eine hochwirksame Tablette,
und das Blut Christi wie ein Krafttrunk, ein Energy-drink“ für
Leib und Seele? So ein Aufputschmittel bzw. Zaubertrunk würde wohl
viele Menschen anlocken (und unsere Kirchen füllen...) – Aber es
geht beim Kommunionempfang nicht um ein billiges Medikament für
eine Hochstimmung: die syrische Kirche sagt bei der
Kommunionspendung: Das ist „glühende Kohle“! M.a.W.: Wenn du
daran glaubst, wirst du von der feurigen Liebe Gottes angesteckt
werden! – Kommunion wirkt nicht wie eine Spritze, sie ist mit
einem Willens- und Vertrauensakt verbunden.
Im
Jahr 304, als 49 Christen verbotener Weise Gottesdienst hielten und
dabei von kaiserlichen Beamten festgenommen und daraufhin gefoltert
wurden, bekannten diese Menschen einmütig: wir können ohne diese
Feier nicht leben! – Der heutige Feiertag mag einen Vorgeschmack
geben, wie Gott schmeckt: wie knuspriges Brot, wie edler Wein. Das
bezeugen die Gläubigen auch durch die heutigen Umzüge, dass wir an
diesem Gott nie satt werden, so wie wir täglich neu Verlangen nach
Brot haben.
Freitag,
11. Juni 2004
Die
Entdeckung des Penicillin hatte Folgen. Und die Eroberung Amerikas.
Die 1. Kernspaltung hatte Folgen.
Nichts,
was geschieht oder unterlassen wird, ist folgenlos. Lawinen
entstehen durch kleine Anlässe. Im Kopf wissen wir es längst und
auf jeder Zigarettenschachtel steht es, dass alles seine
Auswirkungen hat. Die Fernbedienung meines Fernsehers, mein
Konsumverhalten – alles birgt Risiken und Nebenwirkungen; ob ich
die Kinder verwöhne, ob ich regelmäßig bete – es hat seine
Konsequenzen. Das alles wissen wir theoretisch. Aber wir fragen
vielfach weder den Arzt noch den Apotheker, weder Jesus noch das
eigene Gewissen.
Jeder
Mensch hat dieses wunderbare Kontrollorgan mitbekommen, Gewissen
genannt, das wie eine Kompassnadel die Richtung anzeigt; sie mag
verbogen sein oder verstaubt und oft zu wenig benutzt. Das Gewissen
ist die oberste Instanz und soll sich daher immer wieder am
biblischen Denken orientieren. Durch die Stimme des Gewissens kann
ich Gottes Stimme hören, der mir – wie ein wohlmeinender Arzt
oder Apotheker – die Gebrauchsanweisung für meine
Lebensgestaltung erläutert. Ich wünsche uns für heute die nötige
Aufmerksamkeit, die innere Stimme zu beachten.
Samstag,
12. Juni 2004
„Vor
Gott sind 1000 Jahre wie ein Tag und 1 Tag wie 1000 Jahre!“ heißt
es im 2. Petrusbrief. In der Schöpfung gibt es Eintagsfliegen. (Und
das schon seit 70 Millionen Jahren.) 1 Jahr etwa dauert die
Entwicklungszeit der Eintagsfliegen bis zum Schlüpfen. Leben können
sie nur wenige Stunden, nehmen keinerlei Nahrung auf, paaren sich im
Flug, legen Eier und sterben dann, wenn nicht jemand mit einem
Fliegenpracker ihr kurzes Leben vorschnell beendet.
Angesichts
des kurzen Lebens mancher Mitgeschöpfe ist es angebracht, über das
Geschenk eines Tages nachzudenken. Im Buch „Wenn ich nur noch
einen Tag zu leben hätte“ beschreibt Anselm Grün, dass wir in
diesem Fall – im Wissen um die Knappheit der Zeit – den Tag wohl
nicht in eisigem Schweigen oder Groll verbringen würden, sondern
alle Gelegenheiten nützten, um Frieden zu schließen und alles
rundherum zu genießen. – Das Wort „Datum“ bedeutet gegeben,
geschenkt. Das heutige Datum war noch nie da und kehrt nie wieder.
Es birgt eine Menge guter Gelegenheiten, das Dasein als Geschenk zu
erleben. 1 Tag wie 1000 Jahre in den Augen Gottes – wenn der Tag
mit Sinn, mit Liebe erfüllt ist, bekommt er den Wert von
Jahren...
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