Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Dr. Angelika Pressler (Salzburg)
Sonntag, 18. Juli
2004
Garten Eden
Gehören Sie auch zu jenen Menschen, die ein Stück Garten ihr Eigen
nennen? Die es genießen, mit bloßen Händen in der fetten,
schwarzen Erde zu graben, die auf schönes Wetter hoffen, um mit der
Familie und Freunden dem Grillen zu frönen, die voll Stolz auf die
Blumenpracht schauen oder zufrieden an selbstgezogenen Karotten
knabbern?
Der Garten – ein Bild für unsere Sehnsucht nach Harmonie, Rückzug,
Naturverbundenheit. Und selbst wenn eine Schrebergartenidylle hart
am Rande des Kitsches vorbeischrammen kann, ein bisschen weht uns in
allem ein Hauch von Paradies und scheinbar heiler Welt an.
Der Paradiesgarten fällt mir ein, in dem die Menschen nackt waren und
sich nicht voreinander schämten. Ihr Geschick wird im Garten
beginnen, aber leben und sich bewähren müssen sie draußen. Dort
schmerzen nach dem Umgraben der Erde Rücken und Arme. Aber
paradiesisch mutet uns seitdem etwas an, das wie aus einer anderen
Welt kommt, etwas himmlisches, überirdisches, eine tiefe Sehnsucht,
von der wir uns wünschen, sie ein Stück weit im eigenen Garten
erhaschen zu können.
Montag, 19. Juli 2004
Der Baum der Erkenntnis
In dieser Gartengeschichte, besser bekannt als Erzählung vom Sündenfall,
geht es um einen Baum und seine verbotenen Früchte. Auf den ersten
Seiten der Bibel lese ich: „Dann gebot Gott, der Herr, dem
Menschen: Von allen Bäumen des Gartens darfst du essen, doch vom Baum
der Erkenntnis von Gut und Böse darfst du nicht essen; denn
sobald du davon isst, wirst du sterben.“ Wie es weiterging, kennen
Sie. Die Schlange tritt auf den Plan und meint raffiniert:
Mitnichten werdet ihr sterben. Aber ihr werdet sein wie Gott. Ein
uralter Traum des Menschen und zugleich eine ebenso alte Illusion.
Denn was Adam und Eva erkennen ist lediglich ihre eigene Nacktheit.
Nackt und bloß sind sie vor Gott, kein Orden, kein Titel, keine
Leistung kann das verdecken. Über noch etwas gehen ihnen die Augen
auf: Sie erkennen einander als Mann und Frau, d.h. sie erfahren
erotisches Erwachen, sexuelles Begehren. Diese Pflanze gilt es
seitdem zu hegen und zu pflegen, denn sie trägt immer noch den
Geschmack und den Duft des verloren gegangenen Paradieses in sich.
Dienstag, 20. Juli
2004
Der Garten von Mann und Frau (Hohelied)
„Das Hohelied der Liebe“, ein kleines Büchlein im Ersten Testament,
ist tatsächlich so etwas wie ein Gartenbuch. Und dabei ist es
nichts anderes als eine Sammlung von Liebesgedichten, voll
orientalischer Sinnlichkeit und Üppigkeit. In aller Frühe mute ich
ihnen diesen Überschwang an Liebeslust und sehnsuchtsvollem
Verlangen zu.
Gerade in Zeiten von Sexskandalen auf der einen Seite und prüder
Scheinheiligkeit auf der anderen berührt es mich schon, wie
unverstellt und frei hier in der Bibel die Schönheit der sinnlichen
Liebe gepriesen wird. Da ist die Geliebte wie ein Garten voll von
Trauben und Granatäpfeln, ihr Leib wie ein Weizenhügel von Lilien
umstellt; und die Wangen ihres Geliebten sind wie Balsambeete, von
seinen Lippen tropft Myrrhe. Und unter beider Zungen schmeckt es
nach Milch und Honig. Sie essen und trinken sich satt aneinander,
berauschen sich an ihrer Liebe. Der Garten der Lust und der Liebe
braucht ihre ganze Achtsamkeit, braucht Pflege, damit er nicht
verdorrt oder verwildert.
Behüten sie ihren eigenen Lustgarten der Liebe, denn er hat einen guten
Platz bei Gott.
Mittwoch, 21. Juli
2004
Garten und Wüste
Ich hatte heuer das Glück, nach Ägypten fahren zu können. Die
Pyramiden, die Sphinx, die Königsgräber, vor allem aber das
Dahingleiten des Dampfers auf dem Nil. Links und rechts zieht die
Landschaft vorbei. Blühende Gärten, üppige Palmenhaine,
Reisfelder, Wasserbüffel. Doch gleich dahinter erheben sich die
Berge der Wüste. Manchmal reicht der gelbe Wüstensand sogar bis
knapp an das Nilufer heran. Mit einem Mal weicht dann die grüne,
satte Fruchtbarkeit einer fahlen, fiebrigen Dürre, und ich bekomme
eine Ahnung vom Überlebenskampf der Israeliten, als sie die
Fleischtöpfe und die wuchernden Gärten Ägyptens verließen und
hinein in die ausgesetzte Kargheit der Wüste zogen.
Die Israeliten haben ihren Schrebergarten verlassen, Vertrautes
aufgegeben, sich der Wüstenerfahrung gestellt. Kennen sie das nicht
auch? Eben noch im blühenden Garten des Lebens, dann irgendein
Schicksalsschlag – und der Garten ist verdorrt. Sich in dieser Wüste
an das Bild von Wachsen, Werden und Gedeihen erinnern zu können,
ist sicher auch ein Geschenk jenes Gärtners, der beides kennt,
Lebenswüsten und Lebensgärten.
Donnerstag, 22. Juli
2004
Der Garten Gethsemani
Sagt ihnen der Garten Gethsemani etwas? Dort wo die Leidensgeschichte Jesu ihren Ausgang nahm? In der
christlichen Kunst begegnet uns Gethsemani immer wieder als Gartenlandschaft. Mitten unter Ölbäumen – das
verzweifelte Gebet Jesu, Angstschweiß wird zu Blut. Die schlafenden
Jünger, der Trost des Engels, die vergebliche Bitte Jesu, der Kelch
des Leidens möge an ihm vorübergehen, der Verrat, das Eindringen
der Schergen in den nächtlichen Garten. Gethsemani
– kein Bild für Wachsen, Üppigkeit und Sinneslust. Nur eines für
Ausweglosigkeit, Verzweiflung, bis zum Tode traurig sein.
Der Garten Gethsemani. Wie
oft schon haben sie an seine Tür geklopft und seine Pflanzen
gekostet? Wie oft schon wurden sie in seine Mitte geholt? Hat es
auch für sie dort einen Engel gegeben, der sie getröstet hat in
ihren finstersten Tagen?
Der Garten Gethsemani –
das ist, wenn das Leben so bitter wird, dass der Tod süß
erscheint.
Mich tröstet es, dass der menschgewordene Gott auch diesen Garten
betreten hat. Damit macht er auch die dunkelsten Ecken unseres
Lebens ein bisschen heller, dort wo scheinbar nur noch Brennnesseln
und ungenießbar Pilze wachsen.
Freitag, 23. Juli
2004
Im Garten der eigenen Seele
Zuweilen sitze ich da und stelle mir mein Leben, meine Seele als Garten
vor. Da ist vieles gewachsen; manches unter den Blicken der Eltern
und Lehrer, die Samenkörner legten und zuweilen wohl auch
vermeintliches Unkraut ausrissen oder da und dort allzu üppig
wuchernde Hecken beschneiden wollten. Manches ist einfach so
gewachsen, ist stark geworden, hat gute Wurzeln gefunden. Manche
Orte im Garten meiner Seele musste ich zuweilen auch tief umgraben,
dort wo Verdorrtes war, musste wohl auch einmal einen Baum
umschneiden, da er allzu viel Schatten warf, so dass nichts mehr
gedeihen konnte. Irgendwo in einer Ecke meiner Gartenseele gibt es
auch einen Komposthaufen. Dort kommt das hin, was ich ausgegraben
habe, Verkrüppeltes, Abgestorbenes, Verwelktes, dort kann es
bleiben und sich vielleicht zu einer guten fetten Erde verwandeln,
in der neues wachsen kann.
Der Garten meiner Seele braucht Pflege, obwohl viel durcheinander wachsen
darf, obwohl ich es nicht so genau nehme mit dem Unkraut, den Blattläusen
und Schnecken. Ich mag seine Buntheit. Und wie ist das mit ihrem
Seelengarten?
Samstag, 24. Juli
2004
Der Garten der Auferstehung
Im Johannesevangelium betreten wir noch einmal einen Garten. Gethsemani
ist vorüber, auch die Kreuzigung. Und bei Johannes wird Jesus in
einem Garten begraben. Eben dorthin kommt früh am Tag eine Frau
namens Maria Magdalena, um zu trauern. Da sieht sie eine weißgekleidete
Gestalt, von der sie glaubt, es sei der Gärtner. Sie spricht mit
ihm, noch ganz in Trauer verhangen, merkt sie nicht, dass es der
Auferstandene ist. Aber nach und nach gehen ihr die Augen auf, ein zärtliches
Rabbuni, mein Herr, kommt über ihre Lippen.
So wird auch dieser Garten zu einem Ort des Erkennens – ein neuer
Garten Eden, in dem die blinden Augen der Seele sehend werden. Auch
in diesem Garten findet Verwandlung statt. Nicht von der Freude und
Wonne zur Ernüchterung und Schulderkenntnis wie in der Sündenfallgeschichte,
sondern von der Trauer zur Freude, vom Tod zum Leben. Der Garten
wird Ausgangspunkt für die Rückkehr zu Gott.
Und so kann Blaise Pascal, ein Philosoph des 17. Jahrhunderts, auch
schreiben: In einem Garten ging die Welt verloren, in einem Garten
ist sie neu geboren.
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