Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

von Pfr. Gilbert Schandera

(Schwanenstadt, OÖ)

 

Sonntag, 29. August 2004

Hans im Glück

 

Hans hat seinem Meister treu gedient. Der belohnt ihn mit einem großen Klumpen Gold. Zuerst ist Hans glücklich darüber. Dann aber ist ihm das Gold zu schwer und er tauscht es gegen ein Pferd.

Das ist nicht der letzte Tausch. Immer wieder sieht er in etwas anderem das Bessere. Zuletzt hat er zwei Schleifsteine.

Müde von der Wanderung kommt er zu einem Brunnen. Während er trinkt stößt er mit einer ungeschickten Bewegung die Steine in die Tiefe.

Und nun das Eigenartige: Statt über den Verlust zu klagen, kniet er nieder und dankt seinem Schöpfer.

 

Ich erinnere mich, dass mir als Kind dieses Märchen als Warnung erzählt worden ist: Mach’s ja nicht so, so leichtsinnig darf man nicht sein!

 

Damit ist der „Hans im Glück“ missverstanden. Glücklich wird Hans, als er nichts mehr hat, aber aus der Tiefe des Brunnens schöpft. Er erfährt, dass bestimmte Verluste eher Glück als Unglück bedeuten.

 

Hier trifft sich das Märchen mit der Botschaft der Bibel. Da sind Jesu Worte über die Gefahren des Reichtums und über das Glück zu den Armen zu gehören.

„Ihr könnt nicht Gott dienen und zugleich dem Geld.“

Nicht Goldklumpen, Pferde, Kühe, Gänse oder Schleifsteine befriedigen Hans, erst ganz unbelastet fühlt er sich angekommen.

 

 

Montag, 30. August 2004

Selig die Hand, die ausstreicht

 

Wir setzen uns selber oft ganz schön unter Druck:

Wann treffe ich mich endlich mit meinem Freund, - es ist doch schon so lange ausgemacht. Hier liegt noch ein Zettel, auf dem etliches notiert ist, das ich schon seit Wochen angehen möchte. Wann wird das Wetter endlich besser, dass ich im Garten arbeiten kann!

 

Ich war jetzt einige Zeit im Krankenstand, 14 Tage im Spital, 3 Wochen auf Erholung. Eine erzwungene Unterbrechung.

Auf einmal ist vieles nicht so wichtig. Die Konzentration aufs Gesundwerden zeigt mir einiges in einem anderen Licht. Auf einmal spüre ich: Manches ist doch nicht so wichtig.

 

Ich erinnere mich an eine Tagebucheintrag des früheren UNO-Generalsekretärs Dag Hamarskjöld: Selig die Hand, die ausstreicht.

Selig die Hand, die ausstreicht.

 

Werde ich weniger beachtet, wenn ich nicht überall mitmische? Ist mein Leben weniger intensiv, wenn ich weniger besitze? Verliere ich etwas, wenn ich weg-streiche, aus-streiche? Fehlt den Kindern etwas, wenn ich mich nicht im Elternverein engagiere? Muss ich ein Vorhaben, das nicht zustande kommt, gleich durch ein anderes ersetzen?

Man müsste es einmal versuchen: ob nicht durch Aus-streichen mancher Termine, mancher sogenannter Ver-pflichtungen sich eine neue Lebensqualität ergäbe...

 

 

Dienstag, 31. August 2004

Blick zurück

 

Unsere Vorfahren haben sich in vielen Lebensbereichen schwerer getan als wir. Sie hatten weniger technische Hilfsmittel, weniger medizinische Möglichkeiten. Sie wurden weniger alt. Im Durchschnitt 30 bis 35 Jahre.

 

Sie haben sich aber in wesentlichen Breichen wahrscheinlich leichter getan:

Sie hatten über Generationen hinweg stabile Überzeugungen, besonders bei Sterben und Tod. Ideen und Werte standen im Mittelpunkt.

 

Dass das Leben heute sicherer und länger geworden ist, hat zu einem ausgeprägten Individualismus geführt, den  man früher nicht gekannt hat.

Die irdische Lebensspanne hat sich verlängert, aber wir haben die Ewigkeit eingebüßt.

Früher dauerte das Leben vielleicht 35 Jahre und die Ewigkeit, dauert es heute 80 Jahre – und dann nichts...

Früher fühlte sich der Mensch schon in diesem Leben eingebunden in eine größere Welt, in einen größeren Zusammenhang.

 

Haben wir es heute so viel besser? Wir haben jedenfalls keinen Grund, auf die Vorfahren überheblich herabzuschauen.

Die Welt unserer Vorfahren war äußerlich kleiner, aber die Weltanschauung reichte viel weiter.

Das müsste uns wohl zu denken geben.

 

 

Mittwoch, 1. September 20004

Die Wüste weint

 

Aus Afrika wird eine Geschichte überliefert:

Ein Missionar beobachtet das seltsame Verhalten eines Beduinen. Immer wieder legt sich dieser der Länge nach auf den Boden und presst sein Ohr in den Wüstensand. Verwundert fragt der Pater: „Was machst du da?“ Der Beduine sagt: „Freund, ich höre, wie die Wüste weint. Sie möchte gern ein Garten sein.“

 

Bei dieser Wüstengeschichte kommt mir die Situation unserer Kirche in den Sinn. So vieles ist eingetrocknet und Ödland geworden. Vieles ist abgestorben. Der Glaube hat die Lebenskraft verloren. Die Mitglieder verstehen einander wenig und unterscheiden sich kaum von den anderen.

 

Aber, wenn wir das Ohr hinhalten: Ob nicht auch die Wüste weint?

Ob aus der Wüste der Kirche ein Garten werden kann?

 

Und, ich denke bei dieser Wüstengeschichte an mich selber.

Was ist von den Idealen vertrocknet, ausgedörrt durch die so genannte „Realität“ und die Mühen des Alltags? Was ist abgestorben, weil ich es zu wenig gepflegt und begossen habe? Wo habe ich unbedacht einen Schattenbaum gefällt und stehe jetzt in der Hitze ungeschützt da?

 

Ich spüre, dass ich manchmal das Ohr an meinen eigenen Wüstensand legen muss.

Hoffentlich weint meine Wüste.

Hoffentlich hat sie sich noch nicht mit ihrer Öde abgefunden.

 

Sie kann jetzt bestimmt ein Garten werden!

 

 

Donnerstag, 2. September 2004

Das Innere tun

 

Der alte römische Philosoph Seneca schreibt in seinen „Untersuchungen über die Natur der Dinge“ etwa so:

Es gibt viele, die Völker und Städte in ihre Gewalt gebracht haben, aber nur wenige, die sich selber in ihrer Gewalt haben.

Wichtig ist ein Ich, das gegen Unglücksfälle tapfer ist, das die Gefahr nicht verlangt, aber auch nicht flieht.

 

Wesentlich ist es, keine schlechten Gedanken zuzulassen, die reinen Hände zum Himmel zu erheben, kein Gut anzustreben, das jemand zuerst verlieren muss, dass ich es habe.

Eine gute innere Verfassung.

Was ist wesentlich? Sich nicht an das Leben zu klammern, - das macht dich frei. Frei ist, wer seiner inneren Knechtschaft entflieht.

Soweit Seneca.

 

Die Einsichten den Denkers vor 2000 Jahren sind noch immer aktuell.

Der Weg zum Glück geht nach innen, zu sich selbst und zum tragenden Grund des Lebens.

 

Eugen Roth schildert das falsche Mühen prägnant und gereimt:

„Ein Mensch nimmt guten Glaubens an,

er hab’ das Äußerste getan.

Doch, leider Gott’s vergisst er nun,

auch noch das Innerste zu tun.“

 

 

Freitag, 3. September 2004

Überfordert

 

Die Schule beginnt wieder. Und damit die Angst der Schüler vor Überforderung. Die Eltern zittern mit und fühlen sich belastet. Nicht nur Schüler und Eltern, viele klagen rundherum: „es sei ihnen zu viel“.

 

Ist es nur der Beruf oder die Schule? Überfordern wir unser Leben nicht auch darüber hinaus zu sehr?

Wird das Leben intensiver und schöner, wenn wir viel erleben und möglichste alle Gelegenheiten der Welt gesehen haben?

Es fehlt uns manchmal der Mut, an manchem vorüberzugehen. Die Fülle des Angebotenen bedroht uns. Die Angst wächst, etwas zu verpassen.

Es ist ein Zugewinnen an Freiheit, diese Angst zu verlieren. Frei von diesem Druck erlebe ich, dass mir so manches „zu-kommt“:

Das Erlebnis der Einheit mit der Natur, die Begegnung mit Menschen, Begegnung mit mir selber oder eine religiöse Erfahrung.

 

Oft kommt Überforderung aber auch daher, dass wir zuviel wollen. Insofern ist Überforderung oft hausgemacht. Die paar wichtigen Dinge im Leben suchen, das entlastet. Im Evangelium ruft Jesus die Überforderten zu sich. Er will Ihre Lasten abnehmen. Das heißt, ihnen das wenig wichtige klar machen.

 

 

Samstag, 4. September 2004

Eine Geschichte aus China

 

Es hatte lange Zeit nicht geregnet. Die Menschen waren verzweifelt. Da dachte man an die Möglichkeit, einen „Regenmacher“ zu bitten, für Regen zu sorgen. Der Regenmacher kam und man trug ihm das Anliegen vor. Er sagte zu. Dazu brauchte er aber eine Hütte, in die er sich 3 Tage zurückziehen wollte. Nach 3 Tagen begann sich der Himmel zu bewölken und bald darauf regnete es.

 

Alle waren glücklich; die Ernte war gerettet. Da fragte man den Regenmacher, wie er das zuwege gebracht habe. Er sagte: „Ich habe mich einfach in die Hütte zurückgezogen und habe versucht, mich selber in Ordnung zu bringen. Denn wenn in meinem Herzen Ordnung herrscht, kommt auch die Welt in Ordnung.“

 

Das Böse beginnt in mir selber. Wir leiden oft am Bösen, weil wir es in uns selber nicht aufarbeiten. Wir verdrängen es und suchen die Schuld irgendwo und bei irgendwem. Das, was uns an uns selber stört (was wir uns aber nicht eingestehen), das kritisieren wir heftig bei anderen.

 

Täte uns nicht manchmal so eine Hütte gut, in die wir uns zurückziehen und unser eigenes Herz in Ordnung bringen?