Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Dr. Florian Huber

 

 

Sonntag, 12. September 04:

Jetzt ist sie wieder da, die Zeit der Sonnenblumen. Sonnenblumen schenken Freude.

Ich liebe Sonnenblumen! Nicht nur in meinen privaten Wänden. Sonnenblumenfelder sind ein faszinierender Anblick. Goldgelb umstrahlte runde Scheiben strecken sich zu tausenden und abertausenden der aufgehenden Sonne entgegen. Sie tanken Kraft und Wärme. Sie nehmen die Sonne in sich auf.

 

Die Sonne ist ein uraltes religiöses Symbol. In ägyptischen Pharaonengräbern finden wir sie genauso wie bei den noch nicht christlichen Römern. Diese haben die unbesiegbare Sonne als ihren Gott verehrt. Christen haben diese Idee aufgegriffen. Sie haben Christus selber als die unbesiegbare Sonne vorgestellt. Die Nacht des Todes konnte ihr nichts anhaben. Strahlend geht sie am Auferstehungsmorgen auf.

Mit dem Sonntag beginnt nach jüdisch-christlicher Zählung nach dem siebten Tag, dem Sabbat, eine neue Woche. Dieser Tag ist für Christen Gründungstag, Tag des Sieges Christi über die Nacht des Todes.

 

Wenn ich mir eine Sonnenblume ansehe, die voll getankt ist mit der Glut und Kraft, mit der Wärme der Sonne, dann stelle ich mir so am Sonntag auch Christen vor: ausgerichtet auf Christus, der Sonne ihres Lebens, beginnen sie die Woche, überwinden sie die Ängste der Nacht, tanken sie Kraft und finden sie zur Freude am Leben.

 

 

Montag, 13. September 04:

Ich habe das Wort eines Bekannten noch gut im Ohr, der gesagt hat: "Ich brauche, damit der Tag gut beginnen kann, unbedingt Musik. Dann bin ich gut eingestimmt."

Vielleicht hätte dieser Bekannte zum Adressatenkreis eines Briefes gepasst, der im Jahre 107 geschrieben worden ist. Bischof Ignatius von Antiochien war auf dem Weg zu seiner Hinrichtung nach Rom. Mit gefesselten Händen hat er, keineswegs verzagt, der Gemeinde von Ephesus einen Brief geschrieben, in dem es heißt: "Nehmt Gottes Melodie in euch auf." Und weiter: "So werdet ihr alle zu einem Chor, und in eurer Eintracht und zusammenklingender Liebe ertönt durch euch das Lied Jesu Christi."

 

Ignatius hat offenbar die Vorstellung: Gott hat für jeden Menschen eine Melodie. Und wenn jeder diese Melodie hört und in sich aufnimmt, dann wird aus dem Zusammenklang der vielen eine wohlklingende Symphonie.

 

Ich stelle mir Christen als Menschen vor, die sich intensiv darum bemühen, ihre ganz persönliche, von Gott zugedachte Lebensmelodie zu finden. Und ich stelle mir auch vor, dass diese Suche nicht so rasch abgeschlossen ist.  Gottes Melodie ist sicher nicht ein für allemal zu finden und auswendig zu lernen. Sein Lied ist  immer wieder neu, steckt voller Überraschungen. Denn es ist ein Liebeslied, und die Liebe erfindet immer wieder neue Melodien.

 

 

Dienstag, 14. September 04:

Die katholische Kirche begeht heute das Fest "Kreuzerhöhung". Am 13. September 335 wurde die von Kaiser Konstantin errichtete Grabeskirche in Jerusalem eingeweiht. Am Tag darauf wurde das Kreuz Christi den Gläubigen zur Verehrung vorgestellt, wurde es "erhöht".

 

Mit diesem Fest ist untrennbar die Legende von der Auffindung des Kreuzes durch die Mutter Konstantins, Kaiserin Helena, verbunden. Demnach wurde nicht nur das Kreuz Jesu aus dem Schutt gegraben. Es wurden auch die Kreuze der beiden mit Jesus Gekreuzigten entdeckt. Welches war nun das wahre Kreuz Jesu? Die Lösung war rasch gefunden. Einfach, indem man Verstorbene auf die Kreuze legte. Der auf das Kreuz Christi zu liegen kam, der kehrte wieder ins Leben zurück.

 

Ich stelle mir Christen als Menschen vor, die ihren Blick nicht nur oberflächlich auf den Gekreuzigten richten. Sie nehmen das, was Jesus für uns getan hat, immer wieder bewusst in den Blick. Sie schlagen das Zeichen des Kreuzes aufmerksam mit ihrer Hand von der Stirne zur Brust und von der linken zur rechten Schulter. Dann spüren sie, dass sie ihr ganzes Leben mit allen Höhen und Tiefen, mit Freud und Leid mit dem Gekreuzigten und Auferstandenen in Verbindung bringen dürfen. Das schenkt Kraft fürs Leben. Damit sind sie am wahren Kern der Legende von der Auffindung des Kreuzes durch Kaiserin Helena angelangt.

 

 

Mittwoch, 15. September 04:

Wir wissen alle: die Nacht ist mehr als die genau messbaren Stunden vom Sonnenuntergang bis zum Sonnenaufgang. Die Nacht kann auch am helllichten Tag über unser Leben kommen: wenn wir uns aus unserer Niedergeschlagenheit nicht lösen können; wenn wir uns allein und verlassen vorkommen; wenn Krankheit und Leid unsere Tage verdunkeln.

 

In der Sammlung von Erzählungen der Chassidim von Martin Buber findet sich auch eine über die Unterscheidung zwischen Tag und Nacht.

 

Rabbi Pinchas fragte einst seine Schüler, wie man die Stunde bestimmt, in der die Nacht endet und der Tag beginnt.

"Ist es, wenn man von weitem einen Hund von einem Schaf unterscheiden kann?" fragte einer der Schüler.

"Nein", sagte der Rabbi.

"Ist es, wenn man von weitem einen Dattelbaum von einem Feigenbaum unterscheiden kann?" fragte ein anderer.

"Nein", sagte der Rabbi.

"Aber wann ist es dann?" fragten die Schüler.

"Es ist dann, wenn du in das Gesicht irgendeines Menschen blicken kannst und deine Schwester oder deinen Bruder siehst. Bis dahin ist die Nacht noch unter uns."

 

Ich stelle mir Christen als Menschen vor, die in ihrem Leben einen solchen Blick haben: die in das Gesicht irgendeines Menschen blicken und darin Bruder und Schwester entdecken. Das ist die Blickrichtung Jesu. Wer sich von Jesus so anschauen lässt und selber so schaut, bestimmt die Stunde, in der die Nacht endet und der Tag beginnt.

 

 

Donnerstag, 16. September 04:

"Was wir vor Augen haben, das prägt uns." So habe ich es bei einem geistlichen Schriftsteller gelesen. Heute ist Donnerstag. Ich kann mir vorstellen, dass ein prägendes Bild für diesen Tag, wenn es mit dem Christsein zu tun haben soll, eines vom letzten Abendmahl Jesu ist. Das war an einem Donnerstag. Vielleicht die weltberühmte Darstellung von Leonardo da Vinci.

 

Jesus hat sich gerne mit den Seinen zum Mahl versammelt. Er war überhaupt mit der Auswahl mancher seiner Tischgenossen für viele ein Provokateur. Mit Zöllnern und Sündern hat er sich abgegeben, und für seine Kritiker war er überhaupt ein Fresser und Säufer.

Wer das Mahlhalten Jesu und die vielen Gleichnisse, in denen er von einem Mahl erzählt, aus den Evangelien streichen wollte, trifft die Botschaft Jesu ins Herz. Jesus ist kein Eigenbrötler, der nur an sich denkt und nur für sich lebt.

 

Ich stelle mir Christen als Menschen vor, die ihr Leben nach dem Vorbild Jesu ausbilden. Dann dürfen auch sie keine Eigenbrötler sein. Sie wissen, dass sie einander brauchen und keine abgeschlossenen Zirkel bilden dürfen. Sie essen zusammen mit anderen ihr Brot. "Mit" heißt lateinisch "cum". "Brot" heißt "panis". Sie werden so zu Kumpanen am Tisch Jesu. Solche Kumpanei stünde Christen gut an.

 

 

Freitag, 17. September 04:

"Es muss feste Bräuche geben." So heißt es im Kleinen Prinzen von Antoine de Saint Exupery. Die katholische Kirche kennt viele feste Bräuche. Am Freitagnachmittag etwa läuten um 15.00 Uhr landauf, landab die Glocken zum Gedenken an die Todesstunde Jesu.

 

Ich muss gestehen, ich höre sie nicht jedes Mal. Früher, aufgewachsen in ländlicher Umgebung und oft in der freien Natur, ist der Klang der Glocke bei der Arbeit oder beim freizeitlichen Vergnügen oft an mein Ohr gedrungen und hat sich Aufmerksamkeit verschafft. Heute, in der Stadt, bin ich oft unterwegs im Lärm der Straßen oder bin in Räumen mit schalldichten Fenstern. Da braucht es schon ein aktives Innehalten und ein Öffnen des Fensters zur rechten Zeit oder ein ganz aufmerksames Ohr, um aus der diffusen Lärmkulisse einer Stadt von einem Kirchturm her dieses Läuten wahrzunehmen.

"Es muss feste Bräuche geben", sagt der Dichter, weil sie die Chance in sich bergen, dass wir Wichtiges für unser Leben und unsere Beziehungen nicht vergessen.

 

Ich stelle mir Christen als Menschen vor, die die Todesstunde Jesu immer wieder ganz bewusst wahrnehmen. Das führt sie zu einer aktiven Aufmerksamkeit und Hilfsbereitschaft für die vielen Unschuldigen, die gleich wie Jesus bis heute Opfer von Gewalt und Ungerechtigkeit werden.

 

 

Samstag, 18. September 04:

Sprichwörter begleiten unser Leben. In ihnen spricht sich die Weisheit von Generationen aus. Aber nicht immer müssen sie der Weisheit letzten Schluss enthalten.

 

Der Jesuitenpater Karl Rahner, vor 100 Jahren geboren und vor 20 Jahren verstorben, hat das einmal für das Sprichwort "Man soll den Tag nicht vor dem Abend loben" durchbuchstabiert.

Er meint, man könne durchaus auch einmal sagen: "Lob den Tag schon vor dem Abend."

"Dann empfängst du ihn nicht mit Misstrauen und Vorsicht, sondern mit dem Lob des Vertrauens und der Zuversicht ..."

 

Und so hört es sich an, wenn Pater Rahner den Tag schon vor dem Abend lobt:

"Sei gegrüßt, Bote Gottes. Sei gelobt, Stückchen Zeit, das kommt, um nicht anders unterzugehen, wenn es Abend ist, als in der Ewigkeit Gottes. Sei gelobt, Tag, an dem ich ein wenig abzahlen kann an den Schulden des Herzens und der Liebe; sei gerühmt, kleiner Garten der Zeit, auf dem wir - mag kommen was mag - Glaube und Liebe, die Frucht der Ewigkeit ernten können; sei herzlich willkommen, du kleiner armer Tag, ich werde dich zu einem kleinen Kunstwerk machen, zu einem seligen ernsten Spiel des Lebens, worin alles mitspielt: Gott, die Welt und mein Herz."

 

Pater Rahner schließt: "Meint ihr nicht, dass man den Tag am Abend sicher wird loben dürfen, wenn man ihn so betend am Morgen vor Gott gelobt hat?"