Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

Msgr. Dr. Ernst Pöschl, Eisenstadt

 

Sonntag, 19. September 2004

Mitten in der Nacht bin ich sehr unsanft geweckt worden. Unter dem offenen Fenster meiner Wohnung gibt es eine Straße, in der viele Lokale der Jugend sind.

Ich habe plötzlich das laute, bitterliche Weinen eines Mädchens gehört, das sich nicht beruhigen konnte. Anfangs war auch noch die Stimme eines Burschen zu vernehmen. Sicher wäre es eine Lösung gewesen, das Fenster zu schließen, um endlich Ruhe zu haben. Damals ist mir ein Satz aus dem Buch Jesus Sirach (7, 34) eingefallen: Entzieh dich nicht den Weinenden, vielmehr trauere mit den Trauernden.

Gewiss wird es etwas Schlimmes gewesen sein, was dieses Mädchen erlebt hat, da es länger als eine Viertelstunde lang geweint hat. Ich habe in meinem Leben so oft die Macht des Gebetes erfahren. So hab ich auch damals für dieses Mädchen zu beten begonnen. Hilf diesem jungen Menschen und vielen anderen, die heute in dieser Straße gehen, dass sie die Freude, die von Dir kommt, erfahren können.

 

 

Montag, 20. September 2004

Ein Sportler, der ganz überraschend, gegen alle Erwartungen und Prognosen, einen Wettkampf gewonnen hat, erklärte in einem Interview: „Ich fühle mich wie im Himmel.“

Wenn wir eine ganz große Freude erleben, denken wir oft an den Himmel. Das ist verständlich, denn der Himmel gehört zu den emotionellsten Vorstellungen von uns. Natürlich ist das vollkommene Glück auf Erden nicht möglich. Wir können aber schon jetzt etwas von diesem Glück, das uns einmal geschenkt wird, erahnen und erleben. So wie es dieser Sportler ganz spontan ausgedrückt habt. Ich bin überzeugt, dass die selige Mutter Teresa von Kalkutta aus ihrer ganz persönlichen Erfahrung spricht, wenn sie sagt: Wir alle sehnen uns nach Gottes Himmel. Doch wir können schon jetzt und hier bei ihm im Himmel sein. In jedem Augenblick sein Glück teilen.

Aber das bedeutet:  lieben, wie er liebt, helfen, wie er hilft, geben, wie er gibt, dienen, wie er dient, retten, wie er rettet, den ganzen Tag bei ihm sein und ihm begegnen in seiner elendsten Verkleidung.

Ich weiß, dass dieser Weg nicht leicht zu gehen ist. Dazu möchte ich erinnern: Wir wissen, dass wir unglücklich sind. Wir vergessen so oft, dass wir auch etwas tun können, um glücklich zu werden.

 

 

Dienstag, 21. September 2004

Mein Vater – er ist schon vor vielen Jahren gestorben – hat immer wieder von seiner Entlassung aus der Kriegsgefangenschaft erzählt. Mit etwa 50.000 anderen war er in einem riesigen Kriegsgefangenenlager in Deutschland. Ganz überraschend wurden eines Tages die Tore geöffnet und alle erhielten die lang ersehnte Freiheit. Der erste Gedanke meines Vaters war: Wie komme ich auf schnellstem Weg nach Hause zu meiner Familie?

Nach tagelangen Fußmärschen hat sich mein Vater immer wieder durch die Arbeit bei Bauern sein Essen verdient und Proviant für den weiteren Weg zu Fuß erhalten.

Es gab großartige Leute, die alles für die Heimkehrer getan haben und die meinen Vater für die ganze Erntezeit für guten Lohn bei sich behalten hätten. Auf dieses Angebot ist er aber nicht eingegangen. Sein größter Wunsch war es ja, nach Hause zu kommen. Ich sehe in diesen Erlebnissen meines Vaters ein Bild für unser Leben.

„Hier auf Erden sind wir Pilger und Wanderer.“ Unsere Heimat ist im Himmel. Ich denke immer wieder daran, wenn es um Entscheidungen in meinem Leben geht. Ich erinnere mich daran, dass alles vergeht, nicht aber Gott.

 

 

Mittwoch, 22. September 2004

Ich kenne viele Menschen, die mit den Beschwerden des Alters nicht fertig werden können. Sie vergleichen sich immer wieder mit der Zeit damals, als sie in jungen Jahren so viel leisten konnten.

Die Arbeit ist ihnen damals, sozusagen ganz leicht von der Hand gegangen. Dazu kommt noch, dass in allen Darstellungen, in allen Filmen das Ideal eines jugendlichen unbeschwerten Lebens gezeigt wird. Das allein stellt für viele den Wert dar.

Ich habe oft miterlebt, wie Menschen die im Fernsehen Papst Johannes Paul II. sehen, ganz erstaunt sind über die geistig – geistliche Energie des Heiligen Vaters. Obwohl seine Krankheit und seine Gebrechlichkeit ganz deutlich sind.

Da meinen manche, er sollte sich doch nicht so quälen. Was sagt er selbst darüber?

In einer Ansprache, in der er ganz persönlich wird, sagte Johannes Paul II.: „Ich wünsche euch allen mit ruhiger Gelassenheit die Jahre zu leben, die Gott für einen jeden bereitet hat. Ich spüre das Verlangen, euch an meinen Gefühlen teilhaben zu lassen, die mich am Ende meines Lebens bewegen. Trotz der Einschränkungen, die mit dem Alter verbunden sind, bewahre ich mir die Lebensfreude. Es ist schön, sich bis zum Ende für die Sache des Reiches Gottes zu verzehren.

 

 

Donnerstag, 23. September 2004

Anna ist erst 3 Jahre alt. Beim Abendessen hat sie mich gefragt: „Onkel Ernst, hast Du das gern?“

Als ich mit Ja geantwortet habe, hat sie mir die Lieblingsspeise zugeschoben und gesagt: „Da hast!“

Die kleine Anna hat verstanden. Wenn ich etwas herschenke, das ich selber gern esse, dann werde ich glücklicher. Das habe ich auch an ihrem strahlenden Gesicht gesehen, als sie mir etwas von ihrer Lieblingsspeise geschenkt hat.

Ich habe selbst immer wieder die Wahrheit des Wortes erlebt:

„Alles, was ihr besitzt, übergebt Gott, nur so werdet ihr Freude in eurem Herzen haben.“ Hier stellt sich die Frage: Wozu braucht Gott etwas, was ich ihm schenke? Er ist doch der Schöpfer der ganzen Welt, des ganzen Universums. Ich denke, dass es hier um die Liebe geht, die ein Mensch in Freiheit schenkt. Zum Kostbarsten unseres Lebens gehören überhaupt die Gedanken um die Zukunft.

Wenn ich das alles Gott anvertraue, dann kann ich tiefe Freude und Frieden erleben. Es geht auch hier darum dies auch zu tun. Nur so kann es möglich sein, die Wahrheit dieses Wortes zu erleben.

 

 

Freitag, 24. September 2004

Unter den mehr als 300 Bewerben, die bei der Olympiade ausgetragen wurden, gab es auch den Hürdenlauf. Es hat mich fasziniert, wie leichtfüßig die Sportler die Hindernisse bewältigt haben. Natürlich war mir klar, dass da ein jahrelanges Training dahinter steckt. In Hürden, die von den Sportlern so erstaunlich geschafft werden, sehe ich ein Bild für unser Leben. Auch hier erlebe ich immer wieder Hindernisse, die ich bewältigen muss.

Dabei tritt immer wieder ein Wort des bekannten Erzbischofs Dom Helder Camara, der in Recive, in Südamerika gelebt hat, vor Augen:

„Sag ja zu den Überraschungen – zu den Hindernissen – die Deine Pläne durchkreuzen, die Deinen Tag, ja Deinem ganzen Leben, eine andere Richtung geben. Sie sind kein Zufall. Gott gibt Dir damit die Möglichkeit, zu seinen Plänen Ja oder Nein zu sagen.“

Ich habe es oft erst viel später erlebt, dass ein solches Hindernis für mein Leben einen tiefen Sinn gehabt hat. Ich bin immer noch dabei zu lernen, mit diesen Hindernissen umzugehen. Auch die Sportler haben viel Training gebraucht, um die Hürden zu überspringen.

 

Samstag, 25. September 2004

Ein junger Mann, intelligent, gut aussehend, befindet sich in einem Zentrum für psychisch Kranke. Aber er macht keinerlei Fortschritte. Bei allen Versuchen, mit ihm zu arbeiten, sei es mit einer Arbeitstherapie oder einer Musiktherapie, hat er immer wieder zwei Sätze parat: „Das kann ich nicht. Das bringt mir nichts.“

Der Arzt sagt ihm dann schließlich: „Deine Worte sind Dein Leben. Deine Worte sind Deine Krankheit.“ Die negativen Einreden haben den jungen Mann erst richtig krank gemacht. Sie haben sich so in sein Innerstes gebohrt, dass sie ihn daran hinderten, sich helfen und heilen zu lassen.

Die Geschichte des jungen Patienten wirft ein neues Licht auf Erfahrungen, die schon Mönche in der Urkirche gemacht haben. Den negativen Einreden setzten sie Worte aus der Bibel entgegen. So haben sie versucht Gedanken, die krank machen zu vertreiben.

Es ist in der Tat nicht unwichtig, welche Worte wir uns sagen. Die einen lähmen uns oder halten uns in schlechter Laune, in Selbstmitleid oder Ärger gefangen. Andere geben uns Kraft und inneren Schwung, auch schwierige Dinge anzupacken. Alle Anstrengungen nützen nichts, wenn wir den negativen, den entmutigenden Gedanken in uns zu viel Raum geben.