Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Pfarrer Michael Kopp, Feistritz/Drau, Kärnten

 

 

Sonntag, 26.9. 2004

Jedes Jahr im Herbst feiern wir Erntedank. Besonders die Kinder lieben dieses Fest! Von ihnen kann ich immer neu lernen, einfach dankbar zu sein und dadurch fröhlich, zufrieden und glücklich.

 

Wenn eines der Kindergartenkinder mir manchmal einen Wiesenblumenstrauß schenkt, dann bin ich dankbar und glücklich zugleich:

Einmal für die unglaubliche Schönheit und Vielfalt der Schöpfung – auch in einfachsten Wiesenblumen ausgedrückt;

Und zum anderen für diesen kleinen Menschen, der mir jenes Schöpfungswunder zeigt und mir damit sehr viel Freude bereitet.

Die Dankbarkeit und Zufriedenheit sind sicherlich die größten Geschenke für unser Leben. Aber nicht immer können wir sie so leicht entdecken! Oft brauchen wir fast die Erfahrung, dass uns etwas fehlt, um es überhaupt richtig schätzen zu können:

 

Sei es das klare Trinkwasser, das im Urlaubsdomizil nicht aus dem Wasserhahn rinnt.

Sei es ein wertvoller Mensch, der uns erst nach seinem Tod so richtig fehlt.

Oder seien es Sonnenstrahlen, die im Winter wochenlang nicht durch die Nebeldecke dringen.

 

Die Liste wäre unendlich fortzusetzen!

Ich lade Sie ein, heute auf alles Alltägliche dankbar zu schauen, damit Sie am Abend den Tag zurücklegen können – in Zufriedenheit und in Gottes liebende Hand!

 

 

Montag, 27.9. 2004

Wir sehen meist nicht die unzähligen Geschenke, die jeder Tag uns bringt. Oft sehen wir nur das, was nicht gelingt, was uns Sorgen bereitet und was wir nicht haben und doch gerne hätten.

 

Dankbarkeit fällt uns nicht in den Schoß, lässt sich aber einüben. Ich muss mir nur einmal die Mühe machen, wirklich nachzudenken oder sogar aufzuschreiben, wodurch heute mein Leben bereichert wird. Im Vordergrund steht immer mit unheimlicher Größe das Negative! Das Positive zu sehen, braucht unsere Entscheidung – es ist wie ein Blick der Liebe auf unser Leben. Dieser Blick der Liebe kann mein Leben verwandeln, kann Sinn und Frieden stiften. Für mich ist es Gottes liebender Blick, der mir am Abend eines Tages Freude schenkt.

Gönnen wir uns diesen Balsam für unsere Seele!

 

 

Dienstag, 28.9. 2004

Sehr oft hören wir von alten Menschen: „Ich bin mit meiner Krankheit, die mich ans Bett fesselt, doch nur mehr eine Belastung für meine Kinder! Was hat es für einen Sinn, einfach herumzuliegen, angewiesen darauf, dass jemand mich wickelt und versorgt?“

Von Kindern und Jugendlichen dagegen hören wir oft: „Ach, wäre ich doch schon ein paar Jahre älter – dann könnte ich Motorrad und Auto fahren und mein eigenes Geld verdienen!“

Ob wir alt oder jung sein mögen, ich glaube, es liegt an uns, ob wir glücklich werden. Jede Zeit im Leben hat ihre Bedeutung, keine Stunde ist austauschbar. Keine Minute darf fehlen in meinem Leben! Sonst würde das Leben einfach aufhören!

 

Ich kann nicht heute ein Fest feiern, das erst morgen stattfindet! Ich kann als Kind keine Firma führen, und ich muss nicht als Greis wie „Zwanzig“ aussehen! Wenn wir heute leben, so wie wir sind, können wir ganz werden und heil werden. In der Wirklichkeit zu leben heißt auch: Leben in Fülle. Gott ist dort zu finden und gegenwärtig, wo wir in der Gegenwart leben, wo wir den Augenblick in vollen Zügen einatmen.

 

Nehmen wir uns die Freiheit, heute zu leben, so wie wir sind!

 

 

Mittwoch, 29.9. 2004

Es gibt eine Legende, in der ein Mensch träumt von einem großen Schatz. Er ist verborgen hinter einer Tür, die er sicher finden wird! Voraussetzung dafür ist nur, dass er sich auf die Suche macht.

 

So bricht der Schatzsucher auf, in der Hoffnung, den Schatz zu finden und glücklich zu werden. Die Suche führt ihn in entfernte Gegenden und unbekannte Städte. Aber die Tür, die er im Traum gesehen hatte, konnte er nicht finden. So beschließt er, wieder nach Hause zurückzukehren. Als er schließlich ankommt, trifft ihn die Erkenntnis wie ein Blitz vom Himmel: Die gesuchte Tür war die Tür zur eigenen Wohnung.

 

Jetzt könnten wir sagen, die Mühe der langen Reise war völlig umsonst! Ich glaube nicht! – Im Gegenteil: Oft müssen wir weit weg gehen und Abstand gewinnen, damit wir plötzlich erkennen: Der Ort, wo ich lebe, ist der größte Schatz, ein Ort, wo sich Himmel und Erde berühren, ein Ort zum Glücklichsein!

 

Wer dies immer wieder erkennt, kann glücklich werden und zufrieden sein mit dem, was er hat. Die Dankbarkeit ist jene Kraft, die uns den Ort des alltäglichen Lebens zu einem Stück des Himmels auf Erden macht.

 

 

Donnerstag, 30.9. 2004

Ein zynischer Spruch lautet: „Was soll man von einem Tag erwarten, der mit Aufstehen beginnt?“

 

Meistens beginnt ja der neue Tag schon am Abend davor mit dem Schlafengehen. Wer sich genügend Zeit zum Schlafen nimmt, der wird auch gern und leichter aufstehen. Er wird sich freuen, gut ausgeruht und gesund zu erwachen.

 

Ich würde den Spruch lieber umschreiben und sagen: „Was soll ich von einem Tag erwarten, den ich schon müde beginne?“

 

Die Zeit des Schlafes ist anscheinend eine sinnlose und ungenützte Zeit. Vielleicht könnte ich doch noch mehr aus dem Leben machen, wenn ich weniger Zeit verschlafe?

Ich glaube nicht! Die Zeit des Schlafes ist Erholung und neue Kraft zugleich. Wir sind angewiesen darauf, unser Leben jeden Tag für einige Stunden ruhen zu lassen, unserer Seele Zeit zu geben zum Atemholen. Wer den Bogen überspannt, der zerbricht und braucht sehr lange, um sich wieder zu erholen.

 

Schließlich ist es auch eine Entlastung, wenn ich am Abend zufrieden und dankbar den Tag zurückgeben kann in Gottes Hand. Er sorgt für mich und behütet mich, gibt mir neue Kraft und Ruhe. Lassen wir uns beschenken durch guten Schlaf!

 

 

Freitag, 1.10. 2004

Sehr oft habe ich die Gelegenheit, bei den Menschen zu sein und ihre Lebensgeschichten zu hören. Das ist für mich auch eine Form von Dankbarkeit, dass Menschen mich teilhaben lassen an ihrem Leben. Sie teilen es mit und geben mir Anteil daran, somit ist es auch etwas Heiliges: ich gehe damit sehr behutsam um, weil oft das Innerste des Herzens zum Vorschein kommt. Und obwohl ich nur zuhöre, sind die Menschen nach diesem Teilen ihres Lebens sehr dankbar, als ob ich sehr viel geleistet hätte oder ihnen Gutes gesagt hätte.

 

Durch diese Erfahrung habe ich gelernt, noch intensiver hinzuhören auf das, was das Leben zwischen den Zeilen durchblicken lässt. Die Aufmerksamkeit wirkt wahre Wunder. Ich glaube, dass wir heute besonders von alten und jungen Menschen unheimlich viel Dankbarkeit erfahren könnten, wenn wir uns einfach Zeit für sie nehmen. Sie brauchen nichts anderes! Dabei ist es nicht so, dass wir dann die großen Wohltäter sind – im Gegenteil: Von Kindern und alten Menschen kann ich sehr viel über mein eigenes Leben erfahren durch die Teilhabe an deren Leben bereichert werden.

 

Die Zeit des Lebens ist uns geschenkt, damit wir sie weitergeben! Wahres Leben ist nur dort möglich, wo es geteilt bzw. mitgeteilt wird. Meine Lebenszeit ist ein Geschenk Gottes an mich. Grund genug, selbst Zeit zu schenken den Menschen, die sie brauchen.

 

 

Samstag, 2.10. 2004

In der Bibel gibt es eine wunderbare Geschichte über den Propheten Jona! Im Auftrag Gottes soll er sich auf den Weg nach Ninive machen, um die Menschen zur Umkehr zu Gott zu bewegen. Jona wehrt sich dagegen, geht schließlich aber doch. Nach seiner Predigt bekehren sich die Einwohner von Ninive und entgehen somit dem drohenden Unheil. Daraufhin wird der Prophet von sinnlosem Zorn gegen Gott erfasst. Er hasst ihn förmlich und wünscht sich den Tod. Doch Gott lässt über ihm einen Rizinusstrauch emporwachsen, der ihm Schatten spenden und seinen Ärger vertreiben sollte. Als am nächsten Morgen der Rizinusstrauch verdorrt war, flammte Jonas Zorn neuerlich auf. Gott aber öffnet ihm die Augen für den Sinn dieses Zeichens, indem er zu ihm spricht: „Dir ist es leid um den Rizinusstrauch, für den du nicht gearbeitet und den du nicht großgezogen hast. Mir aber sollte es nicht leid sein um Ninive, die große Stadt, in der mehr als 120.000 Menschen leben?“

 

Wie oft erfasst uns sinnloser Zorn, weil etwas nicht nach unserem Kopf geht? Mit Jona könnten wir von Gott lernen, Geschenke anzunehmen und zu genießen, aber zur rechten Zeit wieder los zu lassen: seien es materielle Güter, lieb gewordene Menschen oder selbst unsere eigenen Vorstellungen vom Leben!