Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrerin Ingrid Tschank
Sonntag,
3.10.2004
Brich
mit dem Hungrigen dein Brot
Ich
freue mich jedes Jahr auf die Zeit der Ernte. Ich habe zwar nur
einen kleinen Blumengarten, aber ich liebe es, den Blumensamen für
das nächste Jahr zu sammeln. Das ist meine ganz persönliche Ernte.
Sich
über die eigene Ernte zu freuen ist schön, aber nur die eine Seite
des Lebens. Die andere ist das Teilen der Ernte. Wer sich aber nur
über seine eigene Ernte und über seine eigenen Erfolge freuen
kann, der verkennt, dass wir alle zusammenhängen, voneinander und füreinander
leben. "Brich dem Hungrigen dein Brot, und die im Elend ohne
Obdach sind, führe ins Haus!“ schreibt der Prophet Jesaja.
Es
gibt noch immer so viel Hunger in dieser Welt, Hunger nach Brot und
Wasser und auch Hunger nach Menschlichkeit und Verständnis. Wenn
wir die Ernte, die wir einbringen dürfen, teilen, wenn wir dem
Hungrigen das Brot brechen, dann wird es durch uns heller und wärmer
auf dieser Welt und wir werden für die Menschen, die es nach
Frieden und Gerechtigkeit dürstet, wie ein bewässerter Garten
sein.
Brot
ist nicht nur Nahrungsmittel. Brot ist Lebensmittel. Es ist Speise
und Leben zugleich. Deshalb hat es Jesus auch ausdrücklich
gesegnet, bevor er es seinen Jüngern ausgeteilt hat.
Brot zu haben ist ein Segen; gesegnet ist, wer Brot hat für
sich und für andere. Geteiltes Brot trägt Gottes Segen hinaus in
die Welt und stillt den Hunger nach Liebe, Frieden und Gerechtigkeit
Montag,
4.10.2004
Der
Traum vom Weinstock
Im
alten Ägypten galt es als ein gutes Omen, vom Weinstock zu träumen.
Es bedeutete: Solange die Weinreben wachsen und ihre Knospen
treiben, solange die Beeren reifen und erlesene Säfte bringen,
herrscht eine segensreiche und gute Zeit. (1. Mose 40, 9 ff):
Ich
kann mir gut vorstellen, dass ein Weinbauer dann und wann vom
Weinstock träumt. Er lässt seinen Blick durch den Weingarten
fallen und wo er hinschaut, da stehen gesunde und strahlend grüne
Weinstöcke. Er nimmt die reifen Beeren in die Hand, er spürt ihre
Fülle und Kraft und lässt den süßen Saft durch seinen Gaumen
laufen. Jede Beere erzählt ihm von Sonne und Leben, von Genuss und
Freude.
Und
wovon träumen die Weinliebhaber? Vielleicht von alten Kellern mit
holzgeschnitzten Fässern, in denen der kostbare Rebsaft in der
abgeschiedenen Dunkelheit reift und zur Vollendung strebt. Oder von
Regalen voll von Weinflaschen, fein sortiert nach Jahrgang und
Sorte.
Wenn
wir in geselliger Runde einen guten Tropfen Wein kosten, dann sollen
wir nicht vergessen, was für ein kostbares Geschenk das Leben und
die Güter der Schöpfung sind. Danken sollen wir dann und uns
gegenseitig bewusst machen, dass wir in einer segensreichen und
guten Zeit leben. Hören wir also nicht auf, vom Weinstock und
seinen Früchten zu träumen. Denn dieser Traum ist ein gutes Omen für
uns Menschen und ein Zeichen von Gott, dass er uns liebt und dass er
will, dass wir das Leben mit allen Sinnen genießen.
Dienstag,
5.10.2004
Brot
des Lebens
Ich
esse es fast täglich. Es ist für mich selbstverständlich, dass
ich genug Brot zu Hause habe oder kaufen kann. Brot macht mich satt,
aber erst geteiltes Brot stillt darüber hinaus den seelischen
Hunger. Den Hunger nach Nähe, nach Gemeinschaft und danach,
verstanden und geliebt zu werden.
Es
gibt den Brauch, Brot und Salz mitzubringen, wenn jemand in sein
neues Haus oder in seine neue Wohnung einzieht. Was den Hunger
stillt und zugleich Leib und Seele zusammenhält, wird für uns
Menschen fast selbstverständlich zum Glücksymbol. Ja, glücklich
ist der Mensch, der genug Brot hat, er braucht nicht zu hungern, ihm
steht die Zukunft offen. Deshalb fordert Jesus die Menschen auf, zu
ihm zu kommen: Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den
wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten."
(Joh 6, 35)
Nach
dem Auszug aus Ägypten lässt Gott den Israeliten Manna vom Himmel
regnen, damit sie in der Wüste nicht verhungern. Manna, das heißt
übersetzt, das Brot des Himmels. Auch den Propheten Elia stärkt
Gott mit Brot als er sich auf seiner Flucht völlig erschöpft auf
dem Berg Horeb unter einen Ginsterbusch legt, und sich in seiner
Verzweiflung nur mehr wünscht zu sterben. "Nimm und iss",
sagt die Stimme Gottes dreimal zu ihm.
Brot
ist vor allem Kraft, Mut und Zuversicht, es ist Leben im Vertrauen
auf die liebevolle Fürsorge Gottes.
Mittwoch,
6.10.2004
Der
Wein erfreue des Menschen Herz und das Brot stärke ihn. (Psalm 104)
Ich
bin Pfarrerin in Gols, einer der größten Weingegenden Österreichs.
Jetzt
in diesen Tagen ist sie wieder da, diese Stimmung da draußen in den
Weingärten und auf den Feldern. Die Sonne lässt ihre weichen
Strahlen immer tiefer auf das Land sinken und bald schon werden die
Blätter in gelb und rot zu leuchten beginnen.
Herbst
ist es, Zeit der Ernte. Vergangen ist jetzt fast schon das Jahr,
gereift sind die Früchte, aber auch ich selbst. Vollendet ist, was
durch Mühe erarbeitet wurde, draußen in der Natur, drinnen aber
auch in mir. Entschieden ist, was geworden und was verfehlt.
Jedes
Jahr im Herbst danken wir Gott für alles, was hervorgeht aus der
Erde. Aus der Erde kommt, was wir zum Leben brauchen und was uns glücklich
macht. In besonderer Weise danken wir für den Wein und das Brot.
Denn "der Wein erfreue des Menschen Herz und das Brot stärke
ihn.", heißt es im Psalm 104.
Das
Brot ist seit alters her ein Symbol für die Kraft, die der Mensch
zum Leben braucht, damit er seine Wege gehen kann und nicht müde
wird, sich selbst, den anderen Menschen und Gott zu suchen. Der Wein
ist seit Alters her ein Symbol für die Freude, das dem Herz des
Menschen Flügel verleiht. Diese Flügel lassen ihn aufsteigen von
der Erde und sie lassen ihn das Gefühl des Glücks und den Zauber
der Unbeschwertheit erfahren. Gott hat dem Menschen die Mühe nicht
erspart, aber dazu die Freude geschenkt.
Donnerstag,
7.10.2004
Geh,
und iss dein Brot mit Freuden
Die
mühevolle Pflege des Weingartens ist für den Jahrgang 2004 zu
Ende. Der Lohn der Anstrengung, die reifen Trauben werden jetzt in
die Fässer gebracht. Ob der Wein, der in diesen Tagen gelesen wird,
ein guter Jahrgang sein wird, wage ich nicht zu beurteilen, das überlasse
ich den Experten. Wovon ich jedoch überzeugt bin, das ist, dass
Gott sich uns Menschen in Brot und Wein zuwendet, dass er darin spürbar
wird und mit uns eine Gemeinschaft stiftet. Was wir von ihm
bekommen, das sollen wir untereinander weitergeben: in der Liebe, in
der Fürsorge und in der Achtung füreinander.
Die
Gemeinschaft unter uns Menschen, das Zusammenhalten in schwierigen
Zeiten, aber auch das miteinander Feiern bei einem guten Glas Wein
an einem gedeckten Tisch, das ist das Leben, das Gott für uns
bestimmt hat. Im Buch des Predigers Salomo heißt es:
Geh,
und iss dein Brot mit Freuden
und
trinke deinen Wein mit fröhlichem Herzen.
Denn
längst hat Gott deinen Weg bestimmt.
Trage
festliche Kleider und mache dich schön.
Genieße
das Leben mit dem Menschen, den du liebst,
alle
deine Tage, die dir unter der Sonne gegeben sind,
denn
das ist dein Teil im Leben,
das
ist der Lohn deiner Mühe unter der Sonne.
(in
Anlehnung an die Übersetzung von Jörg Zink von Prediger Salomos 9,
7-12)
Der
Lohn für unsere Arbeit sind nicht nur die vollen Weinkeller und die
angefüllten Scheunen, der Lohn der Arbeit, das ist das Fest der
Liebe und des Lebens. Wir feiern es in Brot und Wein. Gott gibt dazu
seinen Segen.
Freitag,
8.10.2004
Wasser
und Wein
Im
Alten Testament wird der Wein „Lebenswasser“ genannt. Bei Jesus
Sirach heißt es:
„Wie
Lebenswasser ist der Wein dem Menschen, wenn er ihn mäßig trinkt.
Was hat der für ein Leben, der den Wein entbehrt! Denn er ist von
Anfang an zur Freude bestimmt. Herzensfreude und Wonne und Wohlleben
ist der Wein, getrunken zu seiner Zeit.“
Wasser
und Wein haben unermessliche Kräfte in sich. Diese Kräfte heilen,
sie bewirken Wachstum und Reife, sie stärken den Menschen und an
beiden dürfen wir uns erfreuen. Wasser und Wein sind kostbare Güter,
Geschenke der herrlichen Schöpfung Gottes.
In
unserem Alltag gehen wir mit ihnen oft sehr nachlässig um. Wir
machen uns nicht bewusst, welche Lebenskraft sie in sich tragen und
wie wichtig ihre Erhaltung für uns und für die nächsten
Generationen ist.
Wasser
und Wein gehören zusammen. Beide tragen die Kraft des Lebens in
sich. Der Weinstock holt sich das Wasser aus großer Tiefe und
schickt es bis in die letzten Spitzen seiner Blätter und Reben. Der
Weinstock ist das Symbol für Christus, er trägt die Kraft des
Lebens in sich und gibt sie weiter an uns. So können wir wachsen
und reifen. So können wir mit Herzensfreude leben.
Samstag,
9.10.2004
Der
Wein, die Liebe und die Religion
Der
Wein, die Liebe und die Religion gehören zusammen. machen es möglich,
unsere eigenen engen Grenzen zu überschreiten. Ein Glas Wein macht
uns gelöster und unserer Phantasie wachsen Flügel. Wir trauen uns
dann oft das zu sagen, was wir tatsächlich denken. Ja, der Wein löst
die Zunge, sagt man.
Auch
die Liebe hebt uns aus dem täglichen Allerlei heraus. Wenn ich
verliebt bin, dann würde ich am liebsten die ganze Welt umarmen.
Die Grenzen zu anderen werden durchlässiger und damit leichter überwindbar.
Wir treten sozusagen aus uns heraus, öffnen uns für andere und
finden so zu uns selbst.
Die
Fähigkeit, andere zu lieben gibt uns Gott. Die Liebe. macht es uns
möglich, den nächsten so zu sehen, wie er ist: ein Menschenkind,
das wie ich mit all den guten und schlechten Eigenheiten unter
Gottes Segen steht.
Für
den Wein, für die Liebe und für die Religion gilt aber auch:
Zuviel davon ist auf Dauer nicht bekömmlich. Wer zuviel Wein
trinkt, zerstört seinen Körper und seinen Geist. Wer zuviel liebt,
der verliert sich selbst bis zur Selbstaufgabe. Und wer bei der
Religion ein menschliches Maß überschreitet, landet meist im
Fanatismus, der immer mehr Unheil anrichtet als er Gutes bewirkt.
Der
Wein, die Liebe und die Religion in Maßen genossen, lassen uns ein
Stück vom Himmel auf Erden genießen.
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