Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Betriebsseelsorger Josef Gaupmann, Herzogenburg

 

 

Sonntag, 17. Oktober 2004

Viele Menschen sind gestern aus einer anstrengenden Arbeitswoche heimgekehrt. Heimkehren aus Arbeit, Lärm und Stress ist wichtig, um Mensch sein zu können. Menschsein ist Leben in Beziehungen. Das Sozialwort des Ökumenischen Rates der Kirchen definiert: "Menschliche Beziehungen werden in Frage gestellt und oft schwer belastet durch Misstrauen, durch Rivalität in Arbeit und Wirtschaft, in einer Konsum- und Freizeitwelt, die mehr vom Haben als vom Sein bestimmt ist." Soweit unser Alltag.

 

Doch heute ist Sonntag. Und der lädt ein zur Heimkehr. Albert Schweitzer sagt: "Beten verändert nicht die Welt. Aber beten verändert die Menschen, und Menschen verändern die Welt". Egal ob Sie heute frei haben oder in Schichtarbeit stehen. Ein Vater unser beim Erwachen, ein Segenskreuz über sich oder Ihre Liebsten, Momente der Stille, des Hörens, des Staunen in Gottes Nähe - sind Gebet. Ich wünsche Ihnen am heutigen Sonntag eine gute Heimkehr. Finden Sie Momente der Stille an Gottes Seite.

 

 

Montag, 18. Oktober 2004

Viele Österreicherinnen und Österreicher sind heute schon mit den Hühnern auf. Ich erzähle Ihnen deshalb am Montagmorgen die Fabel vom kranken Hahn.

Auf einem Hühnerhof erkrankte einmal der Hahn sehr schwer. Man musste damit rechnen, dass er am nächsten Morgen nicht mehr krähen werde. Da machten sich die Hennen große Sorgen. Sie fürchteten, die Sonne werde nicht mehr scheinen, wenn das Krähen ihres Herrn ausbliebe. Sie meinten nämlich, dass die Sonne nur deshalb aufgehe, weil ihr Hahn kräht. Der nächste Morgen heilte sie von ihrem Aberglauben. Zwar blieb der Hahn krank, er war zu heiser um zu krähen. Doch die Sonne erhob sich prächtig am Horizont. Nichts hatte ihren Lauf beendet.

Diese Erzählung aus Persien am Beginn einer neuen Arbeitswoche mag uns drei Erkenntnisse nahe bringen.

Zum ersten: Auch an einem Montagmorgen geht für Sie, für uns, die Sonne auf. Vielleicht behindert sie Nebel, vielleicht steckt sie hinter Wolken. Aber die Kraft ihrer Strahlen erwärmt.

Zum zweiten: Wir Menschen sind Geschöpfe mit aufrechtem Gang. Auch die stolzesten Hähne sind zerbrechliche Wesen.

Und zuletzt: Die wichtigsten Dinge unseres Lebens wie die Sonne, Gesundheit, Liebe, sind kein Verdienst. Die werden geschenkt.

 

Dienstag, 19. Oktober 2004

Waren Sie schon mal auf Wolke sieben? Wer im siebten Himmel schwebt, zerplatzt vor Liebe. Doch wer den Himmel auf Erden sucht, hat in Erdkunde gefehlt. Die Realität spielt so nicht mit.

 

Das Kind der Liebe ist behindert. Die Kleine mit besonderen Bedürfnissen hat ihr Umfeld verändert. Der Vater hat sich vertschüßt, die Mutter wurde Alleinerzieherin, die Geschwister haben gelernt, Rücksicht zu nehmen. Heute ist sie dreißig und fröhlich wie mit zwölf. Mit viel Liebe und Geduld wurde sie weitgehend selbständig. Das spontane, liebevolle Kuscheln mit der Mutter ist beiden ein Genuss. Wer sich Zeit nimmt und sich ihr zuwendet, wird mit Zuneigung beglückt.

Warum finden diese Menschen keinen Platz in der Berufs- und Arbeitswelt finden? Ihre Liebeskraft ist echt und umwerfend, ihre Fröhlichkeit ein Gottesgeschenk. Uns Normale führen sie vor Augen, dass jeder Mensch besondere Bedürfnisse hat. Dass jeder, jede, früher oder später behindert ist. Dass wir unsere Liebesfähigkeit bewahren müssen.

In einer kalten Welt bringen uns Menschen wie das Kind mit seinen besonderen Bedürfnissen und seine Mutter dem Himmel nahe. Es liegt an mir und dir, dies zu erkennen.      

 

 

Mittwoch, 20. Oktober 2004

"Es ist nicht auszudenken, was Gott aus den Bruchstücken unseres Lebens machen kann, wenn wir sie ihm ganz überlassen" sagt Blaise Pascal. Er forderte zur Logik der Vernunft die Logik des Herzens. Wir Heutigen erleben es, wo die Logik des Herzens fehlt, geht viel in Brüche. In der Natur, in der Gesundheit, in unseren Beziehungen.

Jede dritte, in Großstädten jede zweite Ehe geht in Brüche. Ich kenne die Verwundungen: Enttäuschung, Wut, Trauer, Demütigung, Einsamkeit, die Versuche eines Neubeginns. Jeder, jede von uns ist betroffen. Entweder selber oder im Mitleiden mit anderen der Familie, im Freundeskreis.

 

Einmal warfen die Pharisäer Jesus einen delikaten Köder zu Füßen. Eine Frau mit zerbrochener Liebe, zitternd in Todesangst. Er bückt sich, stellt sie auf die Beine und sagte: "Gehe, lebe,  sündige nicht mehr".

Wenn Gott die Bruchstücke unseres Lebens heilt, muss auch die Kirche der Logik des Herzens folgen. Kardinal König betete: "Die Kirche Christi sei eine Kirche der Kleinen, der Armen und Erfolglosen, der Mühseligen und Gescheiterten - im Leben, im Beruf, in der Ehe."

Jeder Mensch ist gescheitert, jeder hat Platz in der Kirche. Jeder Mensch bleibt Gottes Kind, trotz aller Brüche.                                 

 

Donnerstag, 21. Oktober 2004

Freuen Sie sich auf den neuen Tag? Ich auch. Aber ich kenne auch anderes. Depressive Zeiten, besonders im Herbst.

Sollten Sie derzeit darunter leiden, so rate ich: Gehen Sie heute bewusst gut mit sich um. Tun Sie sich was Gutes. Sprechen Sie über Ihren Zustand mit einer Person ihres Vertrauens. Ihr Zustand ist unange­nehm, aber weder gefährlich noch schäd­lich.

Nur bei ganz schweren, lang anhaltenden Depressionen, ist ärztliche Hilfe unbedingt notwendig. Hier führt ein Fachgespräch mit medikamentöser Begleitung zu Linderung und Heilung.

Im Normalbereich der leichten Depressionen lässt sich vielfach selber helfen. Hier stimmt das Sprichwort: "Hilf dir selbst, dann hilft dir Gott".

Schenken Sie sich heute, soweit wie möglich, eine angemessene Zeit mit viel Licht, Bewegung in frischer Luft. Auch Stunden in einer warmen Therme oder bei harmonischer Musik machen Sie frei. Heilsam und helfend ist auch das Geschenk des Glaubens. Sich in die bergende Liebe Gottes zu versetzen, sich von ihr getragen wissen wie ein Kind in den Armen der Mutter, wird Sie erheben.

Ich wünsche Ihnen einen guten Morgen. Schenken Sie sich heute ganz bewusst eine gute Zeit.                           

 

 

Freitag, 22. Oktober 2004

Ich kenne einen Menschen, dem geht es scheinbar immer gut. Viele bewundern seine Fröhlichkeit. Aber ich kenne ihn besser. Wenn Erich sich ein Liedchen pfeift mags ihm gut gehen. Er tut es aber auch bei Überforderung, Zorn und Stress. Pfeifen ist seine Art, sich abzureagieren.

 

Wie Erich, verbirgt manch einer seine innere Not. Arbeitsleid, die angeschlagene Gesundheit, Verlust eines lieben Menschen stellen die Frage nach dem "Warum? Warum gerade ich?" Sie treffen jeden Menschen. Auch im Leben eines Kardinals verläuft nicht alles glatt. Dr. Franz König fand seine, ganz eigene Hilfe in schwierigen Zeiten. Vom Schenkelhalsbruch genesen, sagte der 98jährige: "Ich weiß nicht, wie lange mein Weg noch dauert. Er kann morgen zu Ende sein. Aber ich nehme das mit Gelassenheit. Das liegt da einerseits in meinem Vertrauen, dass da jemand ist, in dessen Hände ich zurückfalle. Aber auch in der Art, wie ich an die Dinge herangehe und an meinem Wesen".

Kein Mensch bleibt verschont von Elend und Not. Aus der Wahl seiner Worte, aus dem Klang seiner Stimme, aus seinem ganzen Wesen war dies zu erkennen: Für Dr. Franz König war sein Glaube heilend und rettend.                       

 

 

Samstag, 23. Oktober 2004

Ich lebe gern in Österreich. Österreich ist zwar nicht der Himmel auf Erden. Aber trotz aller Spannungen - hier bin ich zu Hause. Hier kenne ich viele liebe Menschen. Die Kirche ist nicht der Himmel auf Erden. Aber ich liebe meine Kirche. Trotz aller Spannungen - hier kenne ich Menschen, denen ich viel verdanke. Das Geschenk beten zu können, das mütterliche Gottesbild, die vertraute Nähe zu Jesus.

 

Im vergangenen Sommer lieferte meine Heimatdiözese St. Pölten beschämende Schlagzeilen. Viele überlegten, aus der Kirche auszutreten, manche haben es getan. Aber wohin sollte ich gehen wenn ich meine Heimat liebe? Sind doch die Menschen meiner Kirche meine Heimat.

 

Als einmal die Leute in Scharen Jesus den Rücken kehrten, hat er auch an seine engsten Freunde die Frage gestellt: "Wollt auch ihr gehen?" Darauf Petrus: "Herr, wohin sollten wir gehen, Du allein hast Worte des Lebens". 

Meine Kirche ist zwar nicht der Himmel auf Erden, aber ich liebe die Menschen, sie sind mir Heimat. Ich bin nicht heimatlos, ich wünsche es auch ihnen.