Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Roland Trentinaglia (Hörbranz,
Vorarlberg)
Sonntag, 24.10.2004
Heute ist der so genannte Sonntag der
Weltkirche, der Weltmissionssonntag. Er soll uns helfen, unseren
Blick immer neu ein wenig zu weiten, hinaus in die Welt, in der
heute noch viele auf unsere Hilfe angewiesen sind. Hilfe zum Leben
und Hilfe zum Überleben. Wir helfen den Menschen in der dritten
Welt nicht deshalb, weil wir vielleicht dadurch unser Gewissen
beruhigen, sondern vielmehr aus dem Wissen um eine Solidarität
gerade mit denen, die am Rand des Lebens stehen. Zudem ist unsere
Hilfe ein Zeichen dafür, dass wir uns selber, die wir im Überfluss
leben, als Werkzeug der Liebe Gottes verstehen. Wir schenken fraglos
weiter, was wir selber im Überfluss empfangen haben. Wir leben von
den Rohstoffen der dritten Welt und unser persönlicher Reichtum
soll ja kein absoluter Besitz sein, über den wir schrankenlos verfügen
wollen.
Wir sind uns als Christen immer mehr
bewusst, dass alle Menschen, egal welcher Rasse, Nation, Hautfarbe
und Religion sie angehören, Kinder des einen liebenden Gottes sind.
Und gerade in dieser Sichtweise liegt die große Chance der
Menschheit überhaupt: Miteinander teilen bedeutet miteinander leben
und auch miteinander überleben.
So möchte ich heute, an diesem
Sonntagmorgen, von ganzem Herzen allen danken, die immer wieder neu,
offen oder still, sich dem Anliegen der Weltmission stellen. Uns
klingt das Wort Jesu in den Ohren, wenn er sagt: „Ich war hungrig,
und ihr habt mir zu essen gegeben; ich war nackt und ihr habt mich
bekleidet; ich hielt meine leere Hand auf und ihr habt sie mir gefüllt,
frei und ohne Zwang.
Montag, 25.10.2004
Oft bin ich schockiert und manchmal
angewidert von den negativen Schlagzeilen, die mir schon am Morgen
– fett gedruckt in der Zeitung - ins Gesicht springen. Oft scheint
es, wenn man dies alles so liest, dass Krieg, Terror, Hass und
Streit, Diebstahl, Raub und Vergewaltigung unser Leben weitestgehend
mitbestimmen.
Zum Glück gibt es aber auch andere
Dinge: Ich kenne da einen jungen Menschen, dessen Freund mit dem
Motorrad schwer verunglückt ist. Tagtäglich ist der junge Mann am
Krankenbett seines Freundes, und das stundenlang. Für ihn macht er
die nötigen Besorgungen und er kümmert sich in einer Art und Weise
um seinen Freund, dass dies, in unserer oft so geschwätzigen und
oberflächlichen Welt tief betroffen machen kann.
Oder da ist eine Großmutter. Sie
leidet darunter, dass ihr Enkelkind auf die so genannte „schiefe
Bahn“ geraten ist. Tagtäglich ist sie in der Kirche. „Ich kann
nur beten“, sagt sie, unter Tränen. „Aber ich liebe meinen
Enkel so sehr und es ist mir nicht egal, wie es ihm geht.“
An beiden Beispielen, die ich jetzt
schnell erzählt habe, wird vielleicht etwas klar: Das Negative
macht immer Schlagzeilen, fördert die Auflage und erhöht die
Einschaltquote. Das Gute ist still, verschämt und absichtslos. Noch
etwas mag vielleicht in diesem Zusammenhang auffallend sein: wir
Menschen sprechen sehr sehr gerne über Negatives und übersehen
dabei oft das Gute, das es in unserer kleinen Umwelt gibt.
Tag für Tag, Stunde um Stunde dürfen
Menschen erleben, dass sie geliebt und getragen sind. Tag für Tag,
Stunde für Stunde dürfen Menschen erleben, wie Gottes guter Geist
in anderen und durch andere wirkt. Das ist zwar keine Schlagzeile
wert. Trotzdem: Herzlichen Dank!!!
Dienstag, 26.10.2004
In der Schule habe ich Jugendlichen
ein Arbeitsblatt gegeben, auf dem die verschiedensten Begriffe zum
Thema: „Was mir wichtig ist“, angeführt sind, wie zum Beispiel
Reichtum, Erfolg, Freiheit, Friede usw., usw. Ich bat die
Heranwachsenden, die drei für sie wichtigsten Begriffe auf dem
Blatt anzukreuzen. Und siehe da, die meisten entschieden sich für
Familie, Heimat und Freiheit.
Wenn wir heute in Österreich
Nationalfeiertag haben, an dem wir daran denken, dass wir wirklich
„frei“ wurden, bekommen diese Sehnsüchte der jungen Menschen
von heute eine ganz aktuelle und neue Qualität. Aktuell und neu
deshalb, weil jeder Mensch Heimat, Beheimatung, Freiheit braucht, um
selber eine gesunde geistige und seelische Entwicklung mitzumachen.
Gerade in einer Zeit, in der wir uns immer mehr von Konzernen, Weltmächten,
Wirtschaftshaien abhängig fühlen, braucht es mehr denn je
Freiheit, Heimat und Familie, braucht es das Wissen, irgendwo daheim
zu sein, leben zu können und dazu zu gehören. Viele Frauen und Männer
haben gerade in unserem schönen Heimatland Österreich nach dem 2.
Weltkrieg dafür gesorgt, auf politischer, wirtschaftlicher und
gesellschaftlicher Ebene, dass wir leben und überleben können.
Sollten Sie am heutigen Tag zufällig
an einer Kirche vorbei kommen, dann nehmen Sie sich bitte drei
Minuten Zeit. Gehen Sie hinein und danken Sie Gott für all die
Menschen, damals und heute, dass wir Österreicher Heimat haben, in
Freiheit leben können und eine große Familie bilden. Oder haben
Sie etwa geglaubt, unsere politisch Verantwortlichen und die von uns
gewählten Mandatare in unserem Land brauchen unser Gebet nicht?
Mittwoch, 27.10.2004
In dem Theaterstück „Jedermann“
von Hugo von Hofmannsthal spricht der Teufel unter anderem folgenden
Vierzeiler: „Die Welt ist ungerecht und schlecht, und geht Gewalt
allzeit vor Recht. Ist einer redlich, treu und klug, ihn meistern
Arglist und Betrug!“
Diese Zeilen passen bisweilen
haarscharf in unser Denken und in unser Verhalten. Denn darin
offenbart sich auch ein Teil unserer menschlichen Schwäche. Diese
kann man umschreiben mit den Worten: „Nur ja nichts hören, nur ja
nichts sagen, nur ja nichts sehen!“ Denn Unannehmlichkeiten sind
sicher, wenn wir anders handeln. Dies gilt besonders bei einem öffentlichen
Unrecht. Lieber lassen es manche zu und haben ihre scheinbare Ruhe
dabei. Sich dagegen wehren? Ich bitte Sie! Jeder soll doch selber
sehen, wie er mit sich und seinem Leben zurecht kommt. Mein Bier ist
das nicht! Und außerdem: ich könnte mir dabei meine Hände auch
noch schmutzig machen.
Aber dann, beim ungezwungenen
Beisammensein, beim Biertisch oder beim Kaffeekränzchen, da nimmt
man gern Stellung. Da werden Leute, die es bisweilen eh schon schwer
genug im Leben haben, durch den Kakao gezogen, verhandelt,
eingeteilt, schubladisiert, belächelt. Da kann auch nichts
passieren, weil eh alle gleich denken – oder sie tun jedenfalls
so. Und wenn man dann auseinander geht, ist alles beim Alten
geblieben.
Eigentlich ist das das Teuflische:
Die sagenhafte Gleichgültigkeit mancher Zeitgenossen. Und diese
Gleichgültigkeit dem Unrecht gegenüber wird bisweilen sogar noch
als Ausdruck der Nächstenliebe oder der Humanität verstanden. Übrigens:
Haben Sie sich selber vielleicht schon einmal gefragt, ob es ein
Unrecht gegenüber Gott gibt? Und außerdem: Welches Recht hat denn
Gott ihnen persönlich gegenüber, Ihnen und Ihrem Leben? Hat er überhaupt
eines? Und wenn „Ja“, wie werden Sie persönlich diesem
Rechtsanspruch Gottes gerecht?
Donnerstag, 28.10.2004
Gerade wir, die wir uns bisweilen
gerne auf unsere Kultur, auf unsere Prägungen durch das so genannte
„christliche Abendland“ berufen, haben die Pflicht, dort, wo
Menschen unterdrückt und ihrer ureigensten Lebensrechte beraubt
werden, nicht nur mahnend die Stimme zu erheben, sondern vielmehr
Hilfestellung zu bieten, mit allem, was wir haben und womit wir das
können. Wir erleben es in unserer Welt – im großen und im
kleinen – immer wieder schmerzlich,
wie wenig Menschenrechte Gültigkeit haben.
Jesus Christus, der Sohn Gottes hat
durch sein unerschrockenes Eintreten für die Menschen Leid und Tod
und Verachtung auf sich genommen und hat dafür mit seinem Leben
bezahlt. Es ist, so denke ich, eine Tragik unserer
Menschheitsgeschichte, dass noch jeder so genannte Friedensbringer
über kurz oder lang umgebracht wurde. Denken wir dabei an Mahatma
Gandhi, an Martin Luther King, an den ägyptischen Präsidenten
Sadat oder an Yizzak Rabin. Auch der Erzbischof Romero in San
Salvador musste seinen Einsatz um mehr Gerechtigkeit für die Armen
mit seinem Leben bezahlen. Er wurde ermordet. Oder denken wir an den
Vorarlberger Bischof Kräutler Erwin, der in Brasilien sich um die
Ärmsten der Armen kümmert – auch er kam vor ein paar Jahren nur
knapp nach einem Anschlag auf ihn, mit dem Leben davon.
Was könnten wir jetzt davon an
diesem Morgen ableiten? Menschenrechte anderen gegenüber Ja! Aber
nur dann, wenn es uns selber nichts kostet, keine Beschwernisse und
Unannehmlichkeiten bringen? Ja, es ist ein Abenteuer, sich für
Menschen zu solidarisieren, sich für Menschen einzusetzen. Ein
Abenteuer deshalb, weil man eigentlich nie genau weiß, wie es
ausgeht. Ich wünsche Dir heute große Lust auf ein solches
Abenteuer!
Freitag, 29.10.2004
Vor kurzen bekam ich mit der Post
eine Spruchkarte, auf der zu lesen war: „Kritiker haben wir genug.
Unsere Zeit braucht Menschen, die ermutigen!“ Jemandem Mut machen
ist, so denke ich, eine wunderschöne christliche Aufgabe. Und
zudem: Wir Menschen brauchen oft, ja sehr oft ein aufbauendes und
ermutigendes Wort! Solche Worte sind Sonnenstrahlen im Grau des
Alltags. Gute Eltern und Erzieher zum Beispiel wissen, welche Wunder
oft eine Ermutigung bei Kindern und Heranwachsenden hervorbringen
kann. Ich frag des Öfteren meine Schüler, ob sie schon einmal von
Mama und Papa gehört haben: „Ich find es sehr gut, dass es dich
gibt“ oder „du, ich freu mich, dass du meine Tochter/mein Sohn
bist!“
Welche Übeltaten ruft oft ein
gegenteiliges Verhalten hervor, bei dem Beschimpfungen oder Kritik
an der Tagesordnung sind. Es gehört schon zur Gnade dazu, bisweilen
„fünf eine gerade Zahl sein zu lassen.“ Wir müssen tief davon
durchdrungen sein, dass die Menschen, mit denen wir zu tun haben,
keine Möbelstücke sind, die uns einfach umgeben und deshalb ist
das Ermutigen eines von tausend Gesichtern gelebter Nächstenliebe.
Und zudem glaube ich, dass es bei vielen Menschen und deren
Zusammenleben um vieles besser stünde, wenn sie den Mut hätten,
nicht bloß zu kritisieren, sondern auch gelegentlich ein Wort zu
sagen, das aufbaut, besser macht und dem Menschen seine Würde lässt,
kurz: ermutigt.
Wie gesagt: Das Ermutigen ist eine
Form christlicher Nächstenliebe. Was das kostet, fragen Sie? Es genügt,
Augen und Ohren offen zu halten und ein wenig Herz zu haben, in dem
Wissen, dass bei mir ja selber auch nicht alles perfekt ist. Denn
Kritiker haben wir genug. Unsere Zeit braucht Menschen, die
ermutigen!
Samstag, 30.10.2004
Da stieß ich vor kurzem auf ein
kleines Märchenbüchlein eines Schweizer Schriftstellers und darin
fand ich folgende Kurzgeschichte, die ich Ihnen heute Morgen gern
schnell erzählen möchte.
Es war einmal ein Christ. Ganz
unerwartet kam ihm eines Tages die Erleuchtung: er wolle es mit
seinem Christsein radikal ernst nehmen. Diese Erleuchtung war aber
sehr unerleuchtet. Er bemühte sich, radikal „Licht der Welt“ zu
sein. Aber dabei blendete er und brannte er die anderen. So bemühte
er sich dann, radikal „Salz der Erde“ zu sein (so, wie es ja
Jesus gesagt hat: „Ihr seid das Licht der Welt, ihr seid das Salz
der Erde“). Aber dabei versalzte er den Mitmenschen gründlich das
Leben.
Zum Glück hörte der unerleuchtete
Christ von einem erleuchteten Prediger eines Sonntags in der Kirche
einen geisterfüllten Gedanken. Dieser lautete so: „Wir können
mitunter im Alltag so radikal christlich vorgehen, dass wir dabei
selber radikal unchristlich wirken!“ Ausnahmsweise fühlte der
verblendete Christ sich selbst einmal gemeint und so wandte er auch
heilsam diese Wahrheit auf sich selber an. Und siehe da: Unser
Christ wurde auf solche Weise ein „Licht der Welt“, dass andere
sich in seinem milden Schein erwärmten und erfreuten. Und er wurde
auf ganz liebe Art zum „Salz der Erde“, dass er seinen
Mitmenschen das Leben richtig würzte. Das war allerdings nur
deshalb möglich, weil unser Christ in völliger Bereitschaft immer
wieder einen anderen die Wandlungsworte über sich sprechen ließ
und so Orientierung für sich und für sein Leben fand.
Ich wünsche Ihnen, liebe Zuhörerin,
lieber Zuhörer, dass auch Sie heute ganz persönlich wirklich ein
stückweit „Salz der Erde“ und „Licht der Welt“ sein können.
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