Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Abt Martin Felhofer
Sonntag,
21.
November 2004
Vor 10 Jahren – am 20. August 1994 – starb im Alter von 54 Jahren der
begnadete Priester und Schriftsteller Martin Gutl. Viele von Ihnen
kennen wohl einige seiner Texte und Gebete. Ich durfte ihm über
zehn Jahre öfter persönlich begegnen als meinem geistlichen
Begleiter. So möchte ich Sie in Dankbarkeit in dieser Woche mit
einigen seiner Gedanken, die mich schon länger berühren,
begleiten.
Martin Gutl bezeichnete sich selber als Suchender. „Ich schreibe“, sagte
er, „weil ich wie du ein Mensch bin, ein Mensch, der seit
Jahrzehnten leidenschaftlich sucht. Ein Mensch, der betet; für den
es trotzdem Fragen gibt wie für dich.“
Am Christkönigs-Sonntag schauen wir auf den Gekreuzigten. Dieser Blick
auf den Leidenden und auf das Leid vieler lässt uns immer wieder
die Frage stellen: Warum?
Auch Martin Gutl schaut auf den Gekreuzigten
und ruft aus:
Steig herab vom Kreuz!
Ein Gott am Kreuz!
Musst du uns die Ohnmacht auch noch zeigen?
Steig herab vom Kreuz!
Hörst du täglich die Millionen Schreie
der Menschen,
das Wimmern der Kinder, die noch nichts
wissen, die nur leiden?
Hörst du das alles,
siehst du das alles,
fühlst du das alles?
Wie sollst du die Arme um uns legen können
Deine Hände sind angenagelt!
Deine Füße sind von Nägeln durchbohrt!
Warum hängst du da oben
Und rührst dich nicht?
Montag,
22.11. 2004
Es war spannend, mit Martin Gutl spazieren zu gehen und zu wandern. Er
nahm immer wieder Menschen – auch mich – an der Hand, um mit ihm
auf die Botschaften der Natur und des Lebens zu schauen und zu hören.
Und so wurde alles, was er entdeckte – Menschen, Bilder, Natur und
Ereignisse - zu einem Gleichnis, einer Botschaft.
„Jeder
Tag“, sagte
er oft“,
ist eine Einübung in das Leben. Du kannst zu einem Ereignis sagen
‚Zufall, Pech oder Glück’, du kannst aber auch sagen:
‚Botschaft’! Durch ein Ereignis kann mir etwas angedeutet
werden, was für mich von Bedeutung ist.“
Es mag sein, dass wir nicht alle Ereignisse als
Botschaft annehmen können, weil wir sie nicht fassen können. Aber
wir können lernen, nicht zu schnell oder gedankenlos darüber
hinwegzugehen, weil vielleicht doch ein Hinweis für mein Reifen
angedeutet ist. So schreibt Martin Gutl:
Dein Körper gibt Signale.
Krankheit kann als Weg
gedeutet werden.
Kein Stolpern ist zufällig.
Kein Wort wird zufällig
vergessen,
verdrängt oder
ausgesprochen.
Kein Traum kommt zufällig.
Versuch die Botschaft zu hören
Und wachsam weiterzuwandern.
Dann gehst du den Weg,
der dich vom Teilchen
zum Ganzen führt.
(„In vielen Herzen
verankert“, Styria-Verlag)
Dienstag, 23.11.2004
Die Lüge beginnt mit dem Wort: „Ich habe
keine Zeit“.
Haben wir wirklich keine Zeit mehr für die Stille, in uns
hineinzuhorchen, für die Begegnung, auf den Partner zu hören, oder
Gott zu spüren?
Martin Gutl nahm sich viel Zeit für das Gebet und für die Menschen. So wurde er in Graz zur Notrufsäule in den
Stürmen des Lebens, zum letzten Halt für viele Stürzende. Das hat
ihn oft ziemlich aufgewühlt und fertig gemacht. Wie ein Magnet hat
er Menschen mit Problemen angezogen. Er hat sich einfach verschenkt.
Hinter diesem großzügigen Schenken stand sein Vertrauen, dass Gott ein
Liebender ist, der in Geduld auf uns wartet, auf unser freies Ja:
So spricht Gott:
Ich wollte schon immer mit dir reden,
aber du hast mir keine Zeit gelassen.
Ich wollte dir schon immer sagen:
„Ich bin für dich da.“
Aber du hast mir nicht geglaubt,
sondern mich für fern, für abwesend,
für tot gehalten.
Ich wollte schon immer mit dir reden,
aber du hast mich nicht ausreden lassen,
denn es steht dir frei,
dich zu entscheiden,
ob du mir zuhörst
oder ob du abschalten willst.
Ich möchte dir nur sagen:
‚Mit ewiger Liebe habe ich dich geliebt’.
Ich habe Zeit für dich.
Was immer du tust, ich gehe dir nach.
Lass dich lieben!
(„In vielen Herzen verankert“,
Styria-Verlag)
Mittwoch,
24.11.2004
Vor meiner Abtweihe im Jahr 1989 begleitete mich Martin Gutl bei meinen
Weiheexerzitien. Schon vorher formulierten wir gemeinsam meinen
Wahlspruch: „Qui credit vivit“ ,etwas frei übersetzt heißt
das: „mit Gott dem Leben trauen“. Inspiriert wurde ich vom
Jesuitenpater Alfred Delp, der im Gefängnis vor seiner Hinrichtung
1943 in sein Tagebuch schrieb: „Lasst uns dem Leben trauen, weil
wir es nicht allein zu leben haben, weil Gott es mit uns lebt.“
Für Martin Gutl war die Zuversicht, dass meine Wege Gott vertraut sind
– wie auch eines seiner Bücher heißt – und dass Gott uns führt,
das zentrale Glaubensgeheimnis.
Dieser Glaube hat Auswirkungen auf mein konkretes Leben: auf meine
Beziehung zu mir, zum Mitmenschen und zur Welt. Denn wenn Gott der
Grund meines Lebens ist, kann ich mich annehmen wie ich bin; der
Mitmensch wird zum Bruder und zur Schwester, die Natur wird zum
Geschenk des Schöpfers.
Dass mein Glaube Antwort ist auf die Vorausliebe Gottes, habe ich als
Schlüsseltext für mich in der folgenden Meditation von Martin Gutl
gefunden:
Weil ich an Gott glaube,
kann ich mich annehmen,
wie ich bin.
Ich glaube an Gott und weiß,
dass mein Leben Auftrag ist.
Ich glaube an Gott,
denn er glaubt an mich,
längst bevor ich an Ihn
glauben konnte.
(„In vielen Herzen verankert“, Styria-Verlag)
Donnerstag, 25.11.2004
Der Beginn eines Tages kann entscheiden über seine Qualität. Martin
Gutl sagte uns bei Exerzitien in Schlägl:
Stolpern wir nicht irgendwie in den Tag
hinein! Es ist
schade um jeden Tag, an dem alles an uns vorbeizischt. Nichts dringt
in die Tiefe, nichts ergreift mich, alles bleibt oberflächlich.
So empfahl er - gerade wenn du meinst, nicht viel Zeit zu haben -,
beginne einfach mit dem Kreuzzeichen, lass dich körperlich und
geistig einspannen in die Liebe Gottes.
Es ist ein Unterschied, wie ich den Tag beginne: mit einem Schimpfwort,
in Grant und Ärger, in Misstrauen oder „in Gottes Namen“, der
mir im Psalm sagt: Ich bin dein Hirt. Ich bin dein Halt. Und musst
du durch dunkle Schluchten gehen, ich bin bei dir!
So beginne ich heute mit Ihnen im „Namen
des Vaters“ und berühre meine Stirn: Gott, du denkst gut
von mir und mit mir! Lass mich heute mit guten Gedanken beginnen!
Ich beginne im „Namen des
Sohnes“ und berühre mein Herz: Jesus, du hattest ein gutes
Herz für die Menschen. Lass mich heute herzlich und barmherzig
sein!
Ich beginne im „Namen des
Heiligen Geistes“ und berühre meine Schultern: Du Heiliger
Geist, lass mich heute Kraft haben, aufrecht zu gehen. Lass mich
nicht müde werden, damit ich auch andere mitragen kann.
Mit diesem Innehalten gewinnt
mein Inneres Halt und ich werde konzentriert sein, d.h. aus der
Mitte leben.
Freitag,
26.11.2004
Oft schon sagte jemand zu mir: „Bete für mich!“ Hinter diesem Wort
steckt menschliches Vertrauen. Aber in dieser Bitte drückt sich
auch die Zuversicht aus, dass die Liebe Gottes Kraftquelle und Sinn
des Lebens ist.
Martin Gutl hat über dieses fürbittende Gebet gesagt:
„Es ist schön, o Gott,
wenn ein Mensch mir
beim Abschied sagt:
„Ich bete für dich“,
weil ich weiß,
er wird mit Dir
und nicht mit anderen
über mich reden.
Es wird ein Gespräch sein,
das in der Liebe wurzelt.
Denn „ich bete für dich“
ist Verheißung und heißt:
„Ich liebe dich
in Gott.“
(„Du Quelle in der Wüste“, Styria-Verlag)
So kann das Gebet für jemanden auch eine fruchtbare Wurzel der Nächstenliebe
werden. Solange uns ein Hilfesuchender sympathisch ist, ist Nächstenliebe
kein Problem. Aber auch den noch zu lieben, der mir weh getan hat,
dazu braucht es Tiefgang: „Ich liebe dich in Gott!“
Martin Gutl hat mit dem Psalm
18 diese Kraft aus dem Glauben so ausgedrückt:
„Mit meinem Gott durchstoß
ich die Wände zwischen den Menschen und baue ich Brücken
zwischen den Feinden.
Mit meinem Gott schau ich dem Tod ohne Hass
ins Gesicht und lache und tanze.
Denn der Tod hat seine Tragik verloren.
Er ist nicht mehr das Letzte.
Das Letzte ist ER,
mein Gott, mit seinen unendlichen Räumen.“
(„In vielen Herzen verankert“, Styria-Verlag)
Samstag, 27.11. 2004
Ich durfte Sie in dieser Woche mit Texten von Martin Gutl begleiten.
Heute ist der letzte Tag des Kirchenjahres. Dieser Tag mahnt uns,
wachsam zu sein für die letzte Stunde unseres Lebens.
Für sein Begräbnis wünschte er sich eines seiner Lieblingsgedichte,
das den Titel trägt „Er führt uns heim“.
Ich möchte mit einigen Zeilen daraus meine Morgengedanken beschließen
und Ihnen Gottes Segen wünschen für einen guten und wachsamen
Advent:
Wenn Gott uns heimführt
aus den Tagen der Wanderschaft,
uns heimbringt
aus der Dämmerung
in Sein beglückendes Licht,
das wird ein Fest sein!
Da wird unser Staunen
von neuem beginnen.
Wir werden Lieder singen,
Lieder, die Welt und Geschichte umfassen.
Wir werden singen, tanzen
und
fröhlich sein:
denn Er führt uns heim:
aus dem Hasten in den Frieden
aus der Armut in die Fülle.
Wenn Gott uns heimbringt
aus den engen Räumen,
das wird ein Fest sein!
Wenn Gott uns heimbringt
aus den schlaflosen Nächten,
aus dem fruchtlosen Reden,
aus den verlorenen Stunden,
aus der Jagd nach dem Geld,
aus der Angst vor dem Tod,
aus Kampf und aus Gier,
wenn Gott uns heimbringt,
das wird ein Fest sein!
Ein Fest ohne Ende!
(„In vielen Herzen verankert“,
Styria-Verlag)
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