Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Dr.
Adolf Karlinger, Pfarrer in Innsbruck, Saggen
Sonntag,
5. Dezember 2004
Die
Wende der Zeit
Das
Fest der Geburt Jesu Christi wurde schon von den ersten Christen in
der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember gefeiert. Das sind ein paar
Tage nach der Wintersonnenwende. Die Römer feierten zu diesem
Termin das Fest der „Unbesiegten Sonne“ und für die Christen
war Jesus Christus diese unbesiegte Sonne. Die Geburt Johannes des Täufers
war sechs Monate früher zur Zeit der Sommersonnenwende angesetzt.
So markieren die Geburtsfeste von Jesus und Johannes bereits eine
radikale Wende auch in der Geschichte der Menschen.
Johannes
der Täufer war ein Aussteiger eigener Art.
Er
ging in die Wüste, hinunter zum Jordan. Er trug ein Gewand aus
Kamelhaaren, einen ledernen Gürtel. Heuschrecken und wilder Honig
waren seine Nahrung.
Viele
Leute kamen zu Johannes.
Er
redete ihnen ins Gewissen!
Kehrt
um!
Bereitet
dem Herrn den Weg!
Ebnet
ihm die Straßen!
Es
nützt euch überhaupt nichts zum auserwählten Volk zu gehören,
wenn ihr nicht eure Einstellung und eure Praxis ändert!
Und
Johannes weist auf Jesus hin, dieser ist der größere, sagt er,
denn mit ihm ist ein Stück Himmelreich angekommen in dieser Welt.
Die Zeit hat sich gewendet. Gott selbst spielt mit in der Geschichte
der Welt und verwandelt diese auch in eine Geschichte des Heils.
Dies
gilt auch heute noch im Jahre 2004 nach Christi Geburt.
Montag,
6. Dezember 2004
Schwanger
geworden!
"Ich
bin schwanger geworden!" sagt eine Frau zu ihrem Mann und sie
meint:
Du
hast in mir die Sehnsucht nach dem Leben geweckt. Du hast mich zum
Brunnen der Liebe geführt. Du hast mich persönlich getroffen und
bist in mein Innerstes eingedrungen, so, ja wirklich so, dass ich
jetzt „in der Hoffnung“ bin.
In
der großen Basilika in Nazareth kann man die Wohnhöhle des Mädchens
Maria sehen. Dort soll sie gelebt haben, bevor Josef, ihr Verlobter,
sie heimgeholt hat, so berichtet es die fromme Überlieferung. Ganz
genau weiß man das alles nicht, und es ist auch nicht so wichtig.
Aber eines ist wichtig und eines weiß man genau: Maria, das Mädchen
aus Nazareth ist schwanger geworden. Jemand hat sie schwanger
gemacht. Jemand hat ihr lebendiges Wasser gereicht aus dem tiefen
Brunnen der Liebe. Jemand hat ihr Innerstes berührt, behutsam, zart
und unwiderstehlich. Jemand ist in ihr Innerstes eingedrungen und
hat sie, Maria, „in die Hoffnung“ gebracht.
Und
wie das vor sich geht. Wie rücksichtsvoll und einfühlsam der Engel
mit Maria redet, die Botschaft bringt, erläutert, was unklar ist.
Maria fragt nach, wie soll dies geschehen? Der Engel antwortet und
schließlich ein starkes, ein herzhaftes, ein weltbewegendes JA des
Mädchens Maria zu diesem Kind.
Dienstag,
7. Dezember 2004
Das
Kind eines anderen
„Es
ist das Kind eines anderen!“, sagt ein Mann, „aber ich habe ihm
meinen Namen gegeben“. „Es ist das Kind eines anderen!“ - Es
war nicht gewollt, es ist passiert, oder vielleicht doch gewollt.
Josef
von Nazareth merkt, dass Maria, seine Verlobte, schwanger ist und er
denkt: „Es ist das Kind eines anderen!“ Dabei hat er so auf sie
gebaut, er hat sie so gern gehabt, er wollte sie schon heimführen
und jetzt diese Enttäuschung. Sie muss gesteinigt werden, so will
es das Gesetz, aber Josef will das trotz allem nicht, er will sie
nicht bloßstellen und auch sich selbst nicht blamieren und so denkt
er, er wird Maria heimlich entlassen.
Dann
aber schläft Josef und im Traum versteht er und spürt, dass es um
ein Kind geht, um sein Kind oder um das Kind eines anderen,
jedenfalls ist Maria schwanger und erwartet ein Kind. Und so fasst
Josef den Entschluss: Ich stehe zu dem Kind, ich nehme es an, ich
gebe diesem Kind meinen Namen!
Gott
sei Dank - es gibt auch heute Väter, die Kinder annehmen, auch
Kinder eines anderen. Väter, die diese Kinder eines anderen tatsächlich
so annehmen, dass die leibliche Vaterschaft zweitrangig wird. Ein
herzliches „Danke“ einmal diesen Männern, die es wissen und so
handeln: „Es ist das Kind eines anderen, aber ich habe ihm meinen
Namen gegeben!“
Mittwoch,
8. Dezember 2004
Unbefleckt
empfangen
In
der Altstadt von Jerusalem gerate ich in den Laden eines Ikonenhändlers.
Der Ladeninhaber spürt, dass ich Interesse an alten Ikonen habe und
bringt von ganz hinten eine verstaubte Ikone hervor. Vorsichtig
wischt er sie mit einem öligen Lappen ab und siehe, die Ikone
beginnt zu leuchten in dezenten, aber satten Farben. Es ist das Bild
der jungfräulichen und mütterlichen Maria aus Nazareth.
Maria
von Nazareth ist vom ersten Augenblick ihres Daseins an wie eine
strahlende, leuchtende Ikone. Das sagt das heutige Fest der
„Unbefleckten Empfängnis“.
Im
Evangelium, das heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen
wird grüßt der Engel Maria mit den Worten: DU BIST VOLL DER GNADE!
Du bist auserwählt, Du bist hervorgehoben, Du bist DIE begnadete
Frau, denn du bist berufen mitzuspielen im großen Drama, das Gott
mit der Welt vorhat. Eine Welt, die mehr einer beschmutzen und
befleckten Ikone gleicht, denn Gier und Gewalttätigkeit beherrschen
diese Welt von Anfang an.
Siehe
ich bin die Magd des Herrn. Mir geschehe wie du gesagt hast, sagt
Maria.
Erspart
bleibt ihr allerdings nichts: Nicht Armut, nicht Elend, nicht
Flucht, nicht das Leben einer Witwe und auch nicht die Sorgen mit
dem Sohn.
Doch
Gott ist treu. Das glaubt Maria. Er steht zu seinen Verheißungen.
Darauf setzt sie von Anfang an ihre ganze Hoffnung.
Donnerstag,
9. Dezember 2004
Heim
– gesucht
Maria
aus Nazareth, die unverhofft schwanger wurde, geht übers Gebirge,
um ihre Verwandte Elisabeth zu besuchen. Sie hat gehört, dass auch
Elisabeth trotz ihres hohen Alters noch ein Kind erwartet.
Kinderlosigkeit galt als Strafe Gottes. Elisabeth musste die Schande
der Kinderlosigkeit ein Leben lang ertragen. Und Maria, die junge,
wurde überraschend schwanger und brachte eine solche Schande über
ihre Familie, dass sie nach dem geltenden Recht gesteinigt werden müsste.
Maria
geht zu Elisabeth, um ihr zur Zeit der Niederkunft beizustehen, so
sagt es die fromme Tradition. Vielleicht geht Maria zu Elisabeth um
selbst einen Beistand zu finden. Vielleicht braucht Maria, die jüngere,
einen Menschen, mit dem sie gerade in dieser ihrer Situation reden
kann. Beide sind heimgesucht von einer Schwangerschaft, die sie
nicht mehr oder noch nicht erwartet hatten. Beide suchen ein Heim für
sich und für ihre werdenden Kinder, damit sie bestehen können in
einer Welt, die dafür wenig Verständnis hat.
Die
Heimsuchung der beiden Frauen wird zu einer tiefen menschlichen
Begegnung und der Gedanke an ihre Kinder erfüllt sie mit großer
Freude - trotz allem.
Da
gibt es viel zu tun und noch mehr zu reden.
Damals
wie heute!
Freitag,
10. Dezember 2004
Abgenabelt
Es
war am Heiligen Abend, ich war dabei, als in einem Krankenhaus im
afrikanischen Busch ein KIND geboren wurde. Mich hat der Vorgang der
Geburt tief beeindruckt.
Eine
Frucht ist reif geworden im Leib der Mutter. Und ein Kind drängt
jetzt heraus, es bahnt sich rücksichtslos den Weg, weil es heraus
muss, und gar nicht drinnen bleiben kann. Es ist dort schon viel zu
eng. Und das Bangen der Mutter, sie muss es geschehen lassen,
ertragen und austragen bis hin zur erlösenden Entbindung.
Aber
steht nicht der ganze Lebensprozess unter dem Gesetz des
schmerzvollen Vorgangs von Geborenwerden und Vergehen. Die Geburt
ist die erste große Trennung. Jede Geburt kennt den Atem des
Abschieds. Geburt ist Standortwechsel. Das schützende Dunkel wird
mit gleißender Helle vertauscht. Die bergende Kammer wird aufgestoßen,
um der Weite ausgeliefert zu sein. Das dauernde Kuscheln in der
Geborgenheit hört auf.
Es
liegt aber nicht nur Schmerzhaftes in der Geburt: Der erste Schrei
sagt: Ich bin da, es gibt mich! Und ich möchte immer mehr jemand
werden!
Die
Hebamme kommt mir immer wieder in den Sinn. Es braucht sie, es
braucht gute Hebammen, und sie sind überall dort, wo der
Lebensprozess des Gebärens und des Geborenwerdens vor sich geht.
Sie sind die Helfer, die abnabeln und beistehen.
Samstag,
11. Dezember 2004
Warum
hast du uns das angetan?
Manche
Kinder sind gut zu haben, sie machen keine Probleme, und manche
Kinder sind SORGENKINDER von Anfang an.
Dann
kommen die so genannten „dummen“ Jahre, die in Wirklichkeit gar
nicht so dumm, sondern notwendig sind. Der Bub wird ein Mann, das Mädchen
eine Frau und sie fangen an, ihre eigenen Wege zu gehen. Sie fragen
dann nicht mehr die Eltern, sondern irgendwen. Sie reden nicht mehr
zu Hause, sondern bei Freunden und dort nächtelang. Alles andere
wird wichtiger als die eigene Familie.
Jesus
von Nazareth war ein Sorgenkind.
Es
gab mit ihm von Anfang an Probleme. Probleme mit der Vaterschaft,
die Geburt in einem Stall war auch für die damalige Zeit nicht üblich,
die Flucht nach Ägypten und dann das ärmliche Leben in Nazareth.
Ganz schlimm wird es, wie sich der 12 jährige Bub bei seiner ersten
großen Pilgerreise von der Reisegesellschaft absetzt, und die
Eltern in Panik versetzt. „Kind, warum hast du uns das
angetan?", sagt die Mutter besorgt und aufgebracht. Darauf
kommt keine Entschuldigung, eher ein Vorwurf. „Wusstet ihr nicht,
dass es für mich wichtigeres gibt!"
Nach
diesem Zwischenfall ging er mit ihnen zurück nach Nazareth und war
ihnen untertan. Dann hören wir nichts mehr von ihm, weder von
seiner Jugend noch von seinem frühen Mannesalter.
Ich
denke, er war ganz anders! Ob ihn überhaupt je jemand verstanden
hat?
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