Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Rudolf Luftensteiner, Manager von Ordensschulen in Österreich
Sonntag, 14. November 2004
Den Sonntagmorgen beginne ich meist mit einem Gedanken des Dankes. Dank
an Gott, dass es den Sonntag noch gibt. Dank, dass es mehr gibt als
eingespannt zu sein in Arbeit. Wie gefährdet dieser Tag ist, kann
man ja aus den immer wiederkehrenden Diskussionsanstößen zur
Aufhebung des Sonntags feststellen. Wer diesen Tag nur als einen
Unterbrecher von Arbeit sieht, kann natürlich keinen Sinn darin
finden, dass es gerade der Sonntag ist, der als arbeitsfrei gilt und
nicht irgendein anderer Tag. Abgesehen von der kulturprägenden
Kraft eines gemeinsamen freien Sonntags liegt die Bedeutung des
freien Sonntags für mich in einer völlig anderen Dimension.
Die Wirtschaft plädiert ja immer für die Aufhebung des freien Sonntags,
da nach ihrem Verständnis alles getan werden muss, was die
Finanzkraft der Wirtschaft hebt. Aber glücklicherweise gibt es den
Sonntag nicht wegen der Wirtschaft. Er wurde nicht erfunden, um
Menschen fähiger zu machen zu mehr Leistung, zu mehr
Ertragssteigerung. Der Sonntag steht dafür, dass dem Menschen
einerseits bewusst gemacht wird, dass er sich nicht sich selber
verdankt, sondern Gott. Schon in frühen biblischen Texten wird der
Sonntag als Kontrapunkt zu Ausbeutung und Unterdrückung gesetzt.
Ist das nicht ein Grund, den Sonntagmorgen mit Freude und Dankbarkeit zu
beginnen, weil wir einen Gott haben, der mit uns ist und dem unsere
Freiheit sehr wichtig ist?
Montag,
15. November 2004
Ich gehöre zu den vielen unzähligen Menschen, die sich morgens in die
Arbeit stauen. Dabei hörte ich früher immer irgendeinen aktuellen
Radiosender. Davon bin ich eigentlich ganz abgekommen, da ich immer
den Eindruck hatte, ich werde da in eine allgemeine
Arbeitsdepression geredet, die man versucht mit fröhlicher,
beschwingter Musik erträglich zu machen. Die Arbeit, die ich habe
ist keinesfalls stressfrei und nicht immer nur eine Freude, aber ich
darf mitarbeiten an der Gestaltung unserer Welt. Arbeit ist für
mich nicht der Feind des Lebens, das man angeblich am Wochenende
erst stattfinden lässt. Arbeit ist für mich ebenso Leben wie
Ereignisse eines Wochenendes. Arbeit ist doch wesentlich mehr als
nur Lohnbeschaffung oder notwendiges Übel! Sind nicht einige
Grundkoordinaten in unserer Gesellschaft verrutscht, wenn wir
verlernen wahrzunehmen, dass Arbeit haben, arbeiten können, ein
Geschenk ist? Dass ich durch Arbeit Lebensqualität, Lebenssinn und
Lebensfreude erfahren kann? Wie düster ist nicht ein Montagmorgen für
Menschen, die eben keine Arbeit haben… Von daher fällt es mir
schwer, das Schlechtreden von Arbeit zu ertragen, so zu tun als wäre
Arbeit eine Strafe und lebensfeindlich.
Sicherlich hat sich Arbeit im letzten Jahrhundert unbeschreiblich verändert
und der Sinnzusammenhang ist in vielen Arbeitsprozessen nicht mehr
sofort zu erkennen, aber dennoch sind wir immer noch als Menschen
Mitgestalterinnen und Mitgestalter dieser unserer Erde.
Dienstag, 16. November 2004
Leider gibt es auch in unserem Lande eine ziemlich hohe Arbeitslosenrate
und irgendwie haben wir uns schon daran gewöhnt. So genannte
hochqualifizierte Arbeit gibt es nicht in beliebig vermehrbarer
Menge und niedrigqualifizierte Arbeit wird weltweit hin und her
verschoben. Je nachdem, wo gerade die billigsten
Produktionsbedingungen herrschen. An diesem ganzen Szenario bedrückt
mich unter anderem die allgemeine Reaktion. Leider scheint es immer
nur die wirklich Betroffenen zu bekümmern. Irgendwo bin ich, sind
wir alle, an dieser Entwicklung fest am Mitarbeiten. Gekauft wird
immer mehr nur das Billigste. Der billigste Preis ist der Inbegriff
für einen vernünftigen Einkauf geworden. Das Vokabel eines
gerechten oder fairen Preises scheinen wir gesellschaftlich aus dem
kollektiven Gedächtnis gestrichen zu haben. Den Bezug zu einem
gerechten Preis scheinen wir völlig verloren zu haben. Damit
schaffen wir aber Verlierer. Es gibt immer jemanden, der den Preis
bezahlen muss. Sei es die Umwelt, sei es die Gesundheit der Tiere,
sei es unsere Gesundheit oder seien es die Arbeitsplätze die
ausgelagert werden müssen, weil sie bei uns zu teuer sind. Jede
Rechnung wird von jemandem bezahlt!
Mittwoch, 17. November 2004
In der Bibel werden die beiden großen Gebote der Gottes- und der Nächstenliebe
zu einem einzigen Gebot verschmolzen.
In seinen besten Zeiten hat der Katholizismus das sehr ernst genommen.
Auch heute erleben wir wieder ein Christentum, das sich einmischt
ins öffentliche Leben. Aus diesem Grund verwickeln Christen sich
immer wieder in politische Streitigkeiten und Auseinandersetzungen
um soziale Gerechtigkeit. Im Grunde gibt es nämlich nur eine
einzige Geschichte: diejenige Gottes mit uns Menschen.
Heilsgeschichte und Profangeschichte lassen sich nicht als zwei völlig
verschiedene Spuren voneinander trennen. Es handelt sich um ein und
dieselbe Wirklichkeit.
Wenn Christen in der Caritas sich dann zu Wort melden, sagen die Menschen
immer wieder: „O je, jetzt mischt sich die Kirche plötzlich in
die Politik ein!“ Unglücklicherweise waren Christen bisher allzu
oft auf der Seite der Reichen und Mächtigen – und sind es auch
heute immer wieder, statt auf der Seite der Armen und der Opfer, mit
denen sich Jesus solidarisiert hat.
Politiker können zwar korrupt sein oder werden, aber der ursprüngliche
Sinn von Politik besteht darin, sich bei der Gestaltung der
menschlichen Verhältnisse zu engagieren. Da treffen Politiker sich
mit uns Christen. Als Christ nehme ich aktiv Anteil an der
Geschichte der Menschheit, weil Gott an der Geschichte der
Menschheit Anteil nimmt. So einfach ist das.
Donnerstag, 18. November 2004
Bei Markus steht, dass Jesus von Seiner eigenen Familie nicht verstanden
worden ist und man Ihn für verrückt hielt. Jesus hatte offenbar
nicht das Verhalten und Aussehen eines adretten, anständigen,
„normalen“ Menschen. Auch heute noch tun wir uns mit Ihm schwer.
Dies geschieht vor allem dadurch, dass wir meist sehr mit unseren
Vorstellungen von Religion und Kirche beschäftigt sind und überhaupt
nicht richtig wahrnehmen können oder wollen, was uns Jesus
beibringen will.
Die Religion besteht nicht in einer anständigen, richtigen, liebenswürdigen,
harmlosen Verhaltensweise, wie sie die Leute allgemein erwarten. Die
Güte Gottes ist viel radikaler und verlangt viel mehr. Wer von uns
gibt sich zum Beispiel gerne mit Sandlern, Huren und anderen
Randgruppen der Gesellschaft ab? Jesus tat es und seine Zeitgenossen
verstanden Ihn nicht. Er lag so weit abseits vom Strom dessen, was
man allgemein erwartet hat; von dem, was sich gehört, was sich
schickt oder dem, was man so tut, - dass die Leute glaubten, Er sei
übergeschnappt.
Jesus war nicht so, wie man Ihn allzu oft abgebildet hat: der Inbegriff
der männlichen Gestalt, mit lieblichem Gesicht und sauber gekämmten
Haar. Er war ein Mensch, der, koste es was es wolle, Gott gerecht
werden und Gottes Wahrheit kompromisslos der Welt verkünden wollte.
Daher sehen auch heute noch alle gebrochenen, bedrückten, zu kurz
gekommenen Menschen in Ihm ein Hoffnungszeichen.
Freitag, 19. November 2004
Jeden Tag sollten wir irgendwann und irgendwo in die Liebe hineinfallen,
sollten uns in jemanden, in etwas, in einen Augenblick, in eine
Begebenheit, in eine Blume, in einen Satz verlieben. Jeden Tag neu
sollten wir es zulassen, dass unser Herz weich wird. Tun wir das
nicht, so verhärtet unser Herz zusehends immer mehr. Wir neigen
dann immer stärker zu beißender Kritik, Bitterkeit, Angst und
Verzweiflung.
Die Welt ist schon so lange in den Tod verliebt, dass sie den Tod
„Leben“ nennt. Sie versucht das Leben herbeizuschwören, indem
sie sich in künstliche Aufregung versetzt und pausenlos Feste
veranstaltet, auf denen es nichts zu feiern gibt.
Unsere Aufgabe besteht darin, Feste des Herzens zu gestalten und zu
entdecken; Gelegenheiten, von denen wir wissen, dass wir dabei Grund
zur Freude haben; Anlässe, bei denen wir selbst uns voll einbringen
können. Wer sich nicht so einsetzt, dass er dabei eigene Gedanken
oder Gefühle hergibt oder etwas vergibt, der läuft Gefahr, sich
nur immer etwas zu nehmen. Aber zur Erfahrung wirklicher Freude kann
man nur vorstoßen, wenn man sich selbst an die Wirklichkeit
hingibt. Die Freude stellt sich erst ein, wenn man die eine
Wegstrecke mehr mitgegangen ist und jeden Tag bereit war, immer als
erster sich selbst ins Spiel zu bringen.
Bitten wir täglich Gott um die Gnade, uns zu verlieben und in die Liebe
hineinzufallen. Erst dann sehen wir alles richtig, denn nur als
Verliebte verstehen wir irgendetwas wirklich. Nur wenn wir uns an
die Wirklichkeit hingegeben haben, können wir die Wirklichkeit auch
in uns aufnehmen. Vollkommenes Hergeben ist gleich vollkommenstes
Empfangen.
Samstag, 20. November 2004
Wie immer Ihre Lebenssituation aussehen mag – suchen Sie auf jeden Fall
nach einer Möglichkeit, unmittelbaren Kontakt mit den Menschen zu
haben, die nichts zählen, die nicht im Strom der Gutsituierten
mitschwimmen. Vielleicht sagen diese Menschen nicht „das
Richtige“ und haben nicht den „richtigen“ Geruch. Sie scheinen
vielleicht nicht zur Gruppe derer zu gehören, die „in“ sind,
die cool sind.
Wenn uns ein schwer behinderter Mensch begegnet, nehmen wir Anstoß und
bekommen Angst. Vor denen, die schwach zu sein scheinen, fürchten
wir uns, denn sie kommen mit dem Gesicht des gekreuzigten Jesus auf
uns zu. Wir schieben sie an den Rand der Gesellschaft. Die Älteren
stoßen wir beiseite, weil sie uns daran erinnern, dass auch wir
eines Tages alt sein werden. Die kleinen Kinder übergehen wir, weil
wir denken, die wüssten doch überhaupt nichts und hätten uns
nichts zu sagen. Wir meiden Behinderte, weil sie uns vor Augen führen,
dass auch unser Körper nur einen Schritt davon entfernt ist,
jederzeit zum Krüppel werden zu können. Menschen mit geistigen
Behinderungen erinnern uns schmerzlich daran, dass auch wir selbst
nicht die Hellsten sind.
Es gibt also scheinbar gute Gründe dafür, weshalb wir alle diese
Menschen weit von uns wegschieben und uns von ihnen distanzieren:
sie verkörpern alles, wovor wir Angst haben, und alles, was wir an
uns selbst geflissentlich übersehen wollen. Wenn man jedoch von
solchen Menschen berührt wird, entdeckt man die tiefsten Winkel
seines eigenen Lebens. Deshalb sind solche Menschen das eigentliche
Geschenk im Leben eines Menschen, weil „kleine“ Menschen, -
Alte, Kranke, Behinderte, Sterbende – uns zum Strom des Lebens führen
und uns mit dem Leben in Berührung bringen.
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