Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

OKR Dr. Michael Bünker (Wien) v. d. Evang. Kirche

 

"Wo ist der gute Stern?  -

Weihnachten mit Pieter Breughel"

 

 

Sonntag, 26.12.2004

Im Kunsthistorischen Museum in Wien hängt ein besonders bekanntes Weihnachtsbild. „Der Bethlehemitische Kindermord“ von Pieter Breughel dem Älteren, einem berühmten flämischen Maler des 16. Jahrhunderts. Es ist kein idyllisches, romantisches Bild, das Breughel im Jahr 1566 gemalt hat. Keine alpenländische Hirtenidylle wie bei Karl Heinrich Waggerl, keine schummrige Kerzenlichtatmosphäre. Es ist eine Umgebung voller Konflikte, voll Unterdrückung und Gewalt. Schonungslos wird gezeigt: Weihnachten spielt in einem besetzten Land. Die Spanier hatten damals Breughels Heimat besetzt. So nimmt er die Umstände der biblischen Geschichte auf. Sie trug sich ja auch in einer Besatzungszeit zu, die Römer hatten Palästina besetzt. Und heute? Ich denke an Bethlehem, eingeschnürt von der Sicherheitsmauer, die die Besatzungsmacht Israel rund um die Geburtsstadt Jesu errichtet hat. Ich denke an den Irak und andere Länder, die besetzt sind.

Weihnachten mitten in den Konflikten der Zeit. Gerade heute denke ich dran, wenn ich Breughels Bild sehe. Heute ist der Tag des ersten Märtyrers Stephanus. Ausgerechnet zu Weihnachten an den ersten Märtyrer denken, zeigt das nicht, dass Christen keiner weltfremden Idylle nachhängen, sondern eine Botschaft haben für eine zerrissene, gewaltsame Welt. Beides gehört zusammen. Die Weihnachtsgeschichte erzählt: Über allem steht doch ein guter Stern, der Weihnachtsstern. Aber wo ist dieser Stern auf dem Bild von Breughel? Ich suche den Himmel des Gemäldes ab, aber am Himmel ist er nicht, der Himmel ist grau und verhangen. Aber ich bin gewiss: der Stern wird sich finden lassen.

 

 

Montag, 27.12.2004

Das Weihnachtsbild von Pieter Breughel, das im Kunsthistorischen Museum in Wien zu sehen ist, zeigt den „bethlehemitischen Kindermord“.

Er hat noch zwei andere Bilder zu weihnachtlichen Themen gemalt. Eines zeigt die Volkszählung und die Ankunft von Maria und Josef in Bethlehem. Auf dem anderen ist die Anbetung der drei Könige aus dem Morgenland dargestellt.

Alle drei weihnachtlichen Ereignisse sind nicht im biblischen Land dargestellt, sondern mitten in Flandern, mitten in den Dörfern, in denen Breughel lebte. Man hat ihn ja auch den Bauern-Breughel genannt, weil er gerne solche Themen gewählt hat, der Bauerntanz oder die Bauernhochzeit. Diese Bilder zeigen die große Sympathie, die Breughel für das alltägliche Leben der kleinen Leute hatte.

Das ist neu. Vor ihm haben Künstler große Helden, Könige, Götter gemalt. Es waren ja auch die großen Herren, die mit ihrem großen Geld die Kunst erhalten haben. Breughel hat damit Schluss gemacht. Ich denke, das ist für seine Zeit, das Jahrhundert der Reformation, typisch. So wie Martin Luther dem Volk aufs Maul geschaut hat, als er die Bibel übersetzte, so hat der Maler Pieter Breughel dem Volk aufs Alltagsleben geschaut, als er die biblischen Geschichten malte.

Aber wo ist auf seinem Bild der Stern? Besonders über dem Leben der einfachen Leute steht doch ein guter Stern, oder? Aber wo ist er auf dem Bild? Geduld – er wird sich schon noch finden lassen.

 

 

Dienstag, 28.12.2004

Ich stehe vor dem Bild „Der Bethlehemitische Kindermord“ von Pieter Breughel. Es hängt im Kunsthistorischen Museum in Wien. Das Museum ist gut geheizt. Aber die Atmosphäre des Bildes ist kalt. Nicht nur, weil es ein grauer Wintertag ist. Keine Sonne. Kein Schneefall, der alles leise rieselnd gnädig einhüllt. Grau und kalt. Aber es ist nicht bloß das Wetter, es ist das Ereignis, das es kalt macht ums Herz. Der Evangelist Matthäus berichtet: „Als Herodes nun sah, dass er von den Weisen betrogen war, wurde er sehr zornig und schickte aus und ließ alle Kinder in Bethlehem töten und in der ganzen Gegend, die zweijährig und darunter waren…“ (Mt 2,16)

Bis heute erschrecken die Männer, die da in Uniform „nur ihre Pflicht tun“, wie bis in unsere Tage verteidigend gesagt wurde, abgerichtet, gedrillt zur Unmenschlichkeit, auch das bis in unsere Tage und unter uns bekannt. Das Flehen der Mütter und Väter rührt sie nicht. Der Tod der Kinder wiegt leicht für einen solchen König. Nicht so für den Glauben. Heute, am Tag der unschuldigen Kinder, lesen Christen den 116. Psalm. Da heißt es: „Der Tod seiner Heiligen wiegt schwer vor dem Herrn“ (Psalm 116, 15).

Hätte nicht wenigstens über diesen armen Kindern der Stern der Weihnacht leuchten können? Wenn schon die Menschen kein Erbarmen kennen, sollte das Universum, das Weltall ein Zeichen des Mitgefühls mit diesem unsagbaren Leiden und Unrecht geben. Aber die Sterne des Weltalls sind weit weg. Ich sehe auf Breughels Bild den guten Stern der Weihnacht nicht. Noch nicht.

 

 

Mittwoch, 29.12.2004

Morgengedanken von Mag. Michael Chalupka, Direktor der Evangelischen Diakonie Österreichs, über die verheerende Erdbeben- und Flutkatastrophe im Indischen Ozean.

 

Die Opferzahlen der Flutkatastrophe werden stündlich nach oben korrigiert. Das Grauen der Flut konterkariert die Weihnachtsbotschaft des liebenden Gottes. Die Katastrophe passiert vor unseren Augen, in unseren Vorgärten mit denen wir Erinnerungen an Urlaube und die Sehnsucht nach den tropischen Paradiesen verbinden.

Aus der besinnlichen Weihnachtsstimmung wird der Schrei nach Errettung oder das stille, bange Warten auf eine Nachricht von Angehörigen und die unfassliche Trauer der Angehörigen, die ihre Liebsten verloren haben.

Die große Welle der Flut hat auch erschreckend deutlich gemacht, dass neben und hinter den Oasen des Luxus und der Erholung, immer schon Wellblechhütten und Slums gestanden sind. Und beide, Paläste und Hütten, sind nun Opfer der Wassermassen geworden.

Die, die uns in unserer Erinnerung noch den Drink an den Pool in Phuket brachten, oder die Schönheit der Pagoden Sri Lankas zeigten, sind heute vielleicht obdachlos und kämpfen ums Überleben.

Erinnerung schafft Verbundenheit. Wir können den Menschen etwas zurückgeben von dem was sie vielen von uns geschenkt haben. So fern, sind sie doch so nah. Nachbarn in Not, die unserer Hilfe bedürfen.

 

Nachbar in Not

Kontonummer PSK 90 750 700

Österreich hilft den Opfern der Flutkatastrophe

 

 

Donnerstag, 30.12.2004

Wer trägt eigentlich die Verantwortung für das Verbrechen? Auf Pieter Breughels Bild vom Kindermord in Bethlehem ist König Herodes nicht zu sehen. Aber auf der rechten Seite des Bildes sieht man einen Reiter, der von einer Schar von Hilfe suchenden Menschen umringt wird. Auf seinem Wams ist das Wappen der Habsburger zu erkennen. Die Habsburger waren die blutige Besatzungsmacht in Breughels Heimat. Also ein habsburgischer Beamter. Er steht für die politische Verantwortung. Während rund um ihn Unfassbares geschieht, steht er hilflos da und hebt bloß achselzuckend die Schultern. Beamte können nie etwas dafür. Beamte tun immer nur, was angeschafft wird. Vorschrift ist Vorschrift. Beamte tragen keine Verantwortung.

Paul Grüninger, ein braver Schweizer Polizeibeamter, hat vielen Jüdinnen und Juden das Leben gerettet, weil er sich nicht an die Vorschriften gehalten hat. Er wurde aus dem Staatsdienst entlassen und hat erst lange nach dem Krieg eine Rehabilitierung erfahren. In Floridsdorf wurde eine Schule nach ihm benannt. Hätte ein Beamter wie er den Kindermord von Bethlehem ausgeführt? Ich weiß, dass es auf diese Frage keine Antwort gibt. Aber ich kann mich ja selbst fragen, jetzt, wo alle Welt nach den guten Vorsätzen fürs Neue Jahr zu fragen beginnt. Ich weiß, dass jeder in eine solche Lage kommen kann. Möge Gott dann den nötigen Mut geben, dass ich mich nicht orientiere nach den Sternen der Generäle, sondern nach dem einen Stern, der in Jesus aufgegangen ist. Wo er auf dem Bild von Pieter Breughel mit dem pflichtbewussten Beamten ist? Er ist da, auch wenn ich ihn nicht gleich sehe.

 

 

Freitag, 31.12.2004

Auf allen drei Weihnachtsbildern von Pieter Breughel ist der berühmte Weihnachtsstern nicht zu sehen. Da steckt doch bestimmt Absicht dahinter. Denn von alters her haben Künstler, die das Weihnachtsgeschehen darstellten, auf diesen besonderen Zug nicht verzichten wollen: Sogar am Himmel gab es etwas Besonderes zu sehen, als Jesus geboren wurde in Bethlehem! Als dann Giotto im Mittelalter den Stern von Bethlehem als erster wie einen Kometen darstellte, da war das bis heute gültige Bild vom Weihnachtsstern geboren. Heute weiß man, es war kein Komet, es war eine seltene und sehr auffällige Stellung der Planeten Jupiter und Saturn.

Noch einmal betrachte ich genau das Bild vom „bethlehemitischen Kindermord“, das in Wien hängt, im Kunsthistorischen Museum. Wo ist der Stern? Er würde mitten im Gräuel eine Hoffnung eröffnen. Wo ist er? Er würde das Erbarmen Gottes über einer grausamen Welt sichtbar machen. Wo ist er? Da! Über der Türe, die ein Soldat eben auftritt, hängt eine Fahne, ein Tuch. Und auf dem Tuch ist ein Stern. Ein Wirtshausschild! Das Wirtshaus zum Stern. Waren da Maria, Josef und das Kind untergebracht? Ist da die Krippe? Zum Glück weiß ich, die heilige Familie ist geflohen. Der Soldat wird zumindest Jesus nicht finden. Sein kleines Leben stand unter einem guten Stern. Oft ist es schwer, den guten Stern des eigenen Lebens zu finden. Gerade heute, zu Silvester, suchen viele nach der Orientierung für das neue Jahr, für die Zukunft. Breughel sagt: Orientiere dich an Jesus, dann stehst du unter einem guten Stern.

 

 

Samstag, 01.01.2005

„Du Morgenstern, du Licht vom Licht, das durch die Finsternisse bricht, du gingst vor aller Zeiten Lauf in unerschaffner Klarheit auf“ – so singt die christliche Gemeinde (EG 74,1) und meint mit dem Morgenstern niemand anderen als Jesus. Geleitet von diesem Morgenstern führen die Wege der Menschen zu Frieden und Gerechtigkeit.

Pieter Breughel hat ein Weihnachtsbild gemalt, das keine spektakulären religiösen Dinge darstellt. Im Gegenteil: Er hat Weihnachten mitten im Alltag dieser Welt gemalt. Mitten in den Grausamkeiten, von denen bis heute Tag für Tag gehört und gesehen wird, dass einem Hören und Sehen vergehen kann. Nur am Rand sind die Spuren des göttlichen Geschehens zu finden, die Anbetung im Schnee, die Volkszählung und – besonders unscheinbar – der Stern der Weihnacht.

So viele Menschen sind zu sehen, ein Gewimmel, fast nicht zu Überblicken. Opfer – hauptsächlich die Kinder, die Frauen – Täter, Schuldige und Unschuldige, Reiche und Arme, unbarmherzige und gnädige. Wie halt die Menschen sind. Von niemandem wird der Name überliefert. Er ist ja – wie Goethe gesagt hat – Schall und Rauch.

Nur einer nicht: Der Name des Kindes, Jesus. Heute, am Neujahrstag, feiert die Christenheit die Namensgebung Jesu, seine Beschneidung, wie es für jüdische Buben bis heute üblich ist.

In seinem Namen, unter seinem Stern, ist all das vielfältige menschliche Leben umfangen. In seinem Namen das Neue Jahr beginnen, heißt darauf vertrauen, dass nichts kommen kann, was nicht vom Licht dieses Morgensterns Jesus erleuchtet wird und damit seinen Schrecken verloren hat. Ein annus domini, ein Jahr des Herrn, ein sterngeleitetes Jahr.