Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
Pfarrer Gilbert
Schandera, Schwanenstadt, OÖ
Sonntag,
13. Februar 2005:
„Ich gehe nicht in
die Kirche, bin aber trotzdem Christ.“
„Ich praktiziere
nicht, bin aber gläubig.“
Solche Bemerkungen höre
ich oft. Kann man aber sagen: „Ich bin Fußballfan, spiele jedoch
selber nicht und schaue auch nicht im Fernsehen oder im Stadion
zu“?
Wenn Grundüberzeugungen
nicht immer wieder „gespeist“ werden, verflachen sie oder
sterben ab.
Auch Religion braucht
Stärkung im Zusammensein mit Gleichgesinnten und in der Beschäftigung
mit den Ursprüngen.
Der Gottesdienst am
Sonntag ist nicht als Verpflichtung gedacht, sondern als eine gute
Gewohnheit. Eine Gewohnheit, die fern vom Getriebe des Alltags die
großen Zusammenhänge des Lebens nicht vergessen lässt. Der
Gottesdienst soll vom Nur-Machen, Nur-Leisten und von falschen
Verpflichtungen befreien.
Regelmäßig einen
Brief zu schreiben, jemanden zu besuchen, mit einem Freund zu
telefonieren, regelmäßig zu meditieren, das sind gute
Gewohnheiten. Es ist eine gute Gewohnheit, sich in einem
Gottesdienst durch die Atmosphäre, durch Texte aus der Bibel, durch
eine Predigt anregen zu lassen – auch wenn man nicht immer dazu
„aufgelegt“ ist oder der Prediger in allem Bemühen nicht der
große Meister ist.
Schade, dass viele
sich diese Stunde am Sonntag sparen wollen. Wofür denn?
Montag,
14. Februar 2005:
Fahre ich um ½ 12 an
den Schulen vorbei, stehe ich im Stau. Rundherum Eltern, die ihre
Kinder abholen. – Autos über Autos...
Am Nachmittag werden
die Kinder zum Sport gefahren. Dieselben Eltern, die eine natürliche
Bewegung der Kinder verhindern, unterschreiben dann vielleicht eine
Resolution an den Gemeinderat für den Bau einer neuen Turnhalle.
Und: Ich erinnere mich an die Eröffnung einer neuen Turnhalle, bei
der sich ein Sportfunktionär massiv beklagt hat, dass es direkt vor
der Halle keine Parkplätze gebe.
Was wäre, wenn wir
öfter zu Fuß gingen oder manchmal das Fahrrad verwenden? Manche
Mediziner sagen, dass diese ruhigen Bewegungsabläufe gesünder sind
als Tennis oder Schifahren.
Was wäre, wenn wir
„sportlicher“ lebten und eben deswegen weniger Sport bräuchten?
Es ist eigenartig:
Wir verhindern ständig Bewegung, indem wir mit oft aufwendigen
Apparaturen unsere Bequemlichkeit fördern. Anschließend suchen wir
„künstlich“ die Bewegung, um uns gesund zu erhalten.
Ein einfacherer
Lebensstil wäre natürlicher und umweltfreundlicher und ließe
vielleicht auch etwas Zeit und Kraft, zu sich selber zu kommen.
Dienstag,
15. Februar 2005:
Jetzt ist die Zeit,
in der nicht rechtzeitig verkaufte Kalender billig abgegeben werden.
Vor ein paar Tagen
brachte mir ein Freund einen „Jakobsweg-Pilgerkalender“. Auf der
ersten Seite ist von der Stille die Rede, die der Mensch heute auf
Fußwallfahrten suche.
Auch hier die
Sehnsucht, sich selber zu finden und sich selbst zu begegnen. STILLE
entsteht nicht von selbst.
Das einsame Zimmer am
Sonntag ist nicht von selbst ein Ort der Stille. Eine Fußwallfahrt
ist nicht unbedingt eine wandernde Einkehr.
Es gibt eine
Lautlosigkeit, die eher trostlos ist.
Zur inneren Stille
gehört die Bereitschaft, einfach „da zu sein“.
Dazu gehört die
Freude, so zu sein, wie man ist, mit den guten und den
problematischen Seiten.
Stille entsteht, wenn
man sich selbst genügt.
Stille schließt
immer etwas ein, das größer ist als ich.
Stille macht empfänglich
für eine andere Welt.
In der Stille stellt
sich manche quälende Frage ein, manche Angst kommt hoch, manche
Erinnerung, manche Schuld drängt sich vor ...
Für den einen wirkt
das gefährlich und er wird wieder laut.
Für den anderen hat
diese Erfahrung etwas Befreiendes, Erlösendes, Lebendiges. Er sucht
die Stille immer wieder - als Lebensquelle.
Mittwoch,
16. Februar 2005:
Träume sind eine Möglichkeit,
das Leben aus dem Unterbewussten zu deuten. Wir träumen aber nicht
nur während des Schlafes, sondern manchmal auch am Tag. Solche
Tagträume können unsere Bedürfnisse und Fähigkeiten zeigen.
„Träume nicht dein Leben, sondern lebe deine Träume!“ wäre
die rechte Devise.
Auch religiöser
Glaube lebt von Träumen.
Ich kann mein Leben
von der Zukunft her gestalten. Wenn ich im Evangelium das Gleichnis
vom kleinen Senfkorn höre, das dann ein großer Baum wird, kann ich
von der Erfüllung träumen, auch wenn in meinem Leben jetzt nur
Unscheinbares, Halbes und Unvollkommenes zu sehen ist.
Hat die Christenheit
die Welt zu wenig verändert?
Vielleicht deswegen,
weil auch die Christen zu wenig geträumt haben.
Die so genannten
„Realisten“ haben einen zu hohen Stellenwert. Gerade sie machen
die Welt oft kaputt. Viele Heilige waren Träumer, die man belächelt
hat. Sie haben sich schließlich als Erneuerer und Segensbringer
entpuppt.
Ich sehe es fast als
sündhaft, dass wir auf unsere Träume so wenig achten, sie nicht
als ein Geschenk des Himmels sehen und sie so wenig lebendig werden
lassen.
Donnerstag,
17. Februar 2005:
Ich wäre froh, wenn
man in unserem Land generell mit dem Auto langsamer fahren würde.
Eigenartig ist aber
folgende Beobachtung: Fährt man oft eine lange Strecke hinter einem
Langsamfahrer her, ohne überholen zu können und setzt dann zum Überholen
an, wird der Langsame plötzlich zum Schnellen. Will er das Überholen
verhindern?
Manchmal mache ich
einen „Test“: Ich blinke einfach links, auch wenn Überholen gar
nicht möglich ist – und schon wird das Auto vor mir schneller...
Wir wollen nicht überholt
werden. Warum nicht? Wertet es mich ab, wenn ein anderer schneller
ist? Kann ich nicht mein „Tempo fahren“ und die anderen ihr
„Tempo fahren“ lassen?
Jeder hat sein Tempo,
nicht nur beim Autofahren. Fährt er schneller, fühlt er sich nicht
mehr sicher. Ich darf mein Tempo haben, meine Eigenzeit. Ich muss
nicht aufs Gas steigen, weil ein anderer schneller ist. Mein
Lebens-Tempo ist ein Teil von mir.
Mein Wert liegt
sicher nicht in der Geschwindigkeit.
Freitag,
18. Februar 2005:
Ich wohne in de Nähe
einer stark befahrenen Hauptstraße. Und ärgere mich, dass viele
Autofahrer am Zebrastreifen nicht anhalten. Besonders ärgert es
mich, wenn ein Fahrer es nicht bemerkt, dass ich über die Straße
will, weil er – verbotenerweise – mit einem Handy telefoniert.
Aber ist es nur Ärger?
Es ist eher Betroffenheit, wie selbstverständlich man andere gefährdet
durch Gedankenlosigkeit und wohl auch im Bemühen, Zeit zu sparen,
indem man mehreres gleichzeitig tut.
Spart man dadurch
Zeit?
Mehreres gleichzeitig
tun ist anstrengend. Manches von dem Stress, der beklagt wird, ist
hausgemacht. Der Erholungsaufenthalt und die Plagerei im
Gesundheitsstudio sind vielleicht deshalb notwendig, weil man vorher
zu viel Zeit sparen wollte, indem man vieles gleichzeitig getan hat.
Außerdem: Mache ich
mehreres gleichzeitig und muss dabei naturgemäß hochkonzentriert
sein, nehme ich kaum etwas um mich wahr.
Das Leben wird „dünn“.
Mach ich eins nach dem andern, nehme ich meine Tätigkeit wahr und
auch meine Umgebung. Das Leben wird „dicht“.
Ich erinnere mich an
meinen Musiklehrer. Seine wiederholte Mahnung: Wenn ihr Musik hört
im Radio oder von der Schallplatte, tut nichts anderes, dreht das
Licht ab und hört. Hören ist höchste Aktivität. Ansonsten lasst
es sein. Es ist schade um das Trommelfell.
Heute weiß ich, dass
das nicht nur für die Musik gilt.
Samstag,
19. Februar 2005:
Lange Zeit war die
Arbeit der Schüler auf sechs Tage verteilt.
Die Nachmittage haben
Zeit geboten, sofort zu wiederholen, was lernpsychologisch gesehen
Lernarbeit erspart hat – und auch regelmäßige Freizeit.
Inzwischen hat kaum
noch eine Schule samstags Unterricht. Die letzten 6-Tage-Schulen
stehen unter Druck, die Schüler zu verlieren, wenn sie nicht auch
umstellen. Das Wochenende muss länger werden!
Interessanterweise
haben junge Leute ein gutes Gespür. Man hat mir kürzlich von einer
Mittelschule erzählt, in der eine Umfrage unter Schülern gemacht
worden ist. Ein großer Teil der Schüler war für den
Samstagunterricht. Wegen des Drucks der Eltern hat man ihn aber
schließlich aufgegeben.
Was bringt es?
Einerseits
„dichte“ Arbeit bis Freitag, andererseits das längere
Wochenende mit „dichterer“
Erholung oder erst recht mit Lernen, weil während der Woche zuwenig
Zeit dafür ist.
Unser Leben fällt
heute auseinander – nicht nur in der Schule – in Arbeitstage und
Freizeittage. Intensiv arbeiten, um viel Freizeit zu haben. Zwei völlig
getrennte Bereiche. Wir sind zerteilt in zwei Lebenswelten, obwohl
„Ganzheit“ ein Modewort geworden ist.
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