Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Jakob Bürgler (Wängle, T)
Sonntag,
27. Februar 2005
Sie waren schon lange unterwegs, diese Männer. Und
das bei brütender Hitze. Ausgesetzt der sengenden Sonne. Es war um
die Mittagszeit. Vor ihnen ein Dorf. Die Männer gehen hinein, um
etwas zum Essen zu kaufen. Nur einer geht nicht mit. Er sieht von
weitem einen Brunnen. Endlich Wasser! Der Brunnen ist tief. Eine
Frau kommt – mit einem Schöpfgefäß. Der Mann hat Durst. Die
Frau hat Durst. Der Mann bittet um Wasser. Er hat kein Schöpfgefäß.
Und langsam, behutsam beginnen die beiden ein Gespräch. Ein Gespräch
über jenen Durst, der viel tiefer ist als der Brunnen. Sie reden über
den Durst in der Seele des Menschen. Da hilft kein Schöpfgefäß.
In den katholischen Gottesdiensten wird heute diese
Erzählung vorgelesen. Die Erzählung vom Jakobsbrunnen. Vom Durst
und von der Quelle. In den Tagen der Fastenzeit eine passende
Geschichte: Denn das Fasten will uns zur inneren Quelle führen!
Lassen Sie sich einladen!
Montag,
28. Februar 2005
Die 40 Tage der Vorbereitung auf das Osterfest
tragen seit alters her den Namen „Fastenzeit“. Die Christen sind
zum Fasten aufgerufen. Nicht zu einem Fasten, das das Leben mies und
madig macht. Nein, zu einem Fasten, das das Leben vertieft.
Fasten kann heißen „beim Essen“ fasten. Wir
leben in einer satten Gesellschaft. Eigentlich sogar in einer übersatten
Gesellschaft. Alles, was uns verlockend erscheint, können wir uns
leisten. Unsere Häuser und Wohnungen sind ein sprechendes Bild dafür.
Und was ein wenig alt oder hart oder unansehnlich geworden ist,
werfen wir weg. Das, was ältere Menschen von den Nachkriegsjahren
erzählen, ist uns vollkommen fremd geworden. Wir kennen die
leibliche Erfahrung von Hunger nicht mehr. Gott sei Dank! Aber das
ständige Satt- und Übersatt-Sein macht uns auch nicht glücklich!
Vielleicht ist es gut, wieder einmal den Magen knurren zu hören.
Sich nicht alles hineinzustopfen. Und dabei zu merken: Das Leben
wird intensiver!
Dienstag,
1. März 2005
In den Tagen der Fastenzeit sind wir zum Fasten
eingeladen. Fasten kann heißen, bewusst auf Konsum zu verzichten.
Was uns in der Werbung nicht alles Glück verspricht! Ein
supermodernes Auto genauso wie das prickelnde Mineralwasser. Das
hautschonende Duschgel ebenso wie die Tasse Kaffee. Der alternative
Telefonanbieter nicht weniger wie der einmalige Urlaub unter Palmen.
Wir Menschen sind leicht zu locken. Wir gehen
schnell auf den Leim. Der Konsum hat unser Leben im Griff. An allen
Ecken und Enden sehen wir Dinge, die uns Glück versprechen. Dinge,
die wir haben müssen, damit wir noch glücklicher werden.
Irgendwann entdecken viele Menschen, dass das alles
ein Schwindel ist. Der Konsum macht unser Leben nicht glücklicher,
sondern abhängiger. Eine kleine Übung dazu: Wenn mich etwas
besonders lockt, versuchen, nicht nachzugeben. Und die innere
Freiheit dabei spüren.
Mittwoch,
2. März 2005
Die Fastenzeit ist eine Übungszeit. 40 Tage zum Üben
sind uns geschenkt.
Fasten kann heißen, den eigenen Süchten auf die
Spur zu kommen. Und zu üben, sich von den Fesseln einer Sucht zu
befreien. Ein guter Weg dazu ist die Aktion „Verzicht“. Sinn
dieser Aktion ist es, auf kleinere oder größere Dinge zu
verzichten, die unmerklich das eigene Leben ungut prägen: die
Flasche Bier, die Tafel Schokolode, das neueste Tratschblatt, die
unverzichtbare Fernsehsendung, der Griff zur Zigarette.
Nachspüren, wo mich mein Antrieb hinzieht.
Anschauen, was mein Leben im Griff hat. Wo ich keine innere Freiheit
mehr habe. Ehrlich zugeben, wo ich innerlich angehängt bin. Und
einen bewussten Schritt dagegen tun. Lernen, wieder nein zu sagen,
damit das Leben leichter wird.
Donnerstag,
3. März 2005
Die Fastenzeit lädt uns ein, das Fasten zu üben.
Fasten kann bedeuten, auf Lärm zu verzichten. Unsere Welt ist eine
laute Welt geworden. Unaufhörlich werden wir eingelullt mit
Stimmen, Tönen, Geräuschen, Lärm. In vielen Geschäften und Büros
läuft den ganzen Tag das Radio. Wie eine Geräuschkulisse wirkt in
nicht wenigen Haushalten das Fernsehen. Hauptsache, es ist nicht
still. Wir sind auf der Flucht vor der Stille.
Und gleichzeitig kommen wir nicht mehr zur Ruhe. Wir
können so schlecht abschalten. Ständig werden wir getrieben von
Reizen und innerer Unruhe. Und sehnen uns doch so sehr nach Ruhe,
nach Stille, nach innerem Frieden.
Die Fastenzeit ist eine Einladung, einmal auf Lärm
zu verzichten. Bewusst die Geräuschkulisse abzuschalten. Sich
daheim oder in einer Kirche eine ruhige Zeit zu gönnen. Die Stille
zu hören. In die Stille zu hören. Und zu erfahren, was eine alte
Weisheit so beschreibt: „Halte die Stille, und die Stille wird
dich halten.“
Freitag,
4. März 2005
Wer das Wort Fastenzeit hört, denkt recht schnell
an Alkohol, Süßigkeiten, Zigaretten, Fernsehkonsum und Ähnliches.
Wer das Wort Fastenzeit hört, denkt selten nur an Streit und
Kritik. Und doch kann eine gute Übung in der Fastenzeit sein, auf
Streitsucht und Rechthaberei und Kritiksucht zu verzichten.
Was wird nicht alles kritisiert in unserer Zeit! Wer
wird nicht beurteilt, analysiert und oft genug auch verurteilt!
Welches Haar in der Suppe wird nicht hervorgeholt, um daraus eine
Schlagzeile zu machen! Die Sucht zu ständiger Kritik und einer
Haltung, die immer alles besser weiß, ist weit verbreitet.
Eine alte geistliche Weisheit beschreibt einen
anderen Weg: Die Aussage eines anderen und damit den anderen selbst
eher zu retten als zu verurteilen. Es ist einen Versuch wert:
Beginne heute damit!
Samstag,
5. März 2005
Es ist eine alte Erfahrung, die hinter den folgenden
Gedanken aus dem Alten Testament steckt. Die Erfahrung, wie schnell
Gott unwichtig wird. „Wenn der Herr, dein Gott, dich in ein prächtiges
Land führt, ein Land, in dem du nicht armselig dein Brot essen
musst, in dem es dir an nichts fehlt, dann nimm dich in acht und
vergiss den Herrn, deinen Gott, nicht. Dann nimm dich in acht, dass
dein Herz nicht hochmütig wird.“ (Dtn 8)
Ein guter Weg für die Fastenzeit kann der Verzicht
auf religiöse Oberflächlichkeit und Gleichgültigkeit sein. Einmal
ganz bewusst mich daran erinnern, dass mein Leben nicht allein von
mir abhängt. Dass so vieles, was mein Leben reich und schön macht,
mir geschenkt ist. Dass es einen gibt, der mein Leben hält. Und mir
Zeit nehmen, die Beziehung zu ihm zu pflegen. Innig zu pflegen. Sie
vom Staub des Alltags zu befreien. Sie mit neuer Kraft zu erfüllen.
Vielleicht auch durch die Mitfeier eines Gottesdienstes.
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