Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrer Peter Karner
Sonntag, 20. März 2005
Es
war ein besonderer Tag, dieser erste Palmsonntag. Eine kleine Schar
junger Männer ist zu Fuß unterwegs nach Jerusalem. Jesus von
Nazaret, ihr Lehrer, reitet auf einem Esel. Immer mehr Leute schließen
sich ihnen an. Aus dem Grüppchen ist eine Prozession geworden. Und
schon ertönen die ersten Begeisterungsrufe: Hosianna, hosianna!
Ein
zufällig anwesender Pharisäer erkennt mit Erschrecken, dass die
begeisterte Menge laut Sätze aus dem 118. Psalm rezitiert: „Das
ist der Tag, den Gott gemacht hat. Lasst uns freuen und fröhlich
sein. Gepriesen sei, der da kommt im Namen des Herrn“.
So
etwas kann nur gläubige Begeisterung anstellen. Da reitet ein
unscheinbarer Mensch auf einem Esel – umgeben von seinen Anhängern
– in die Stadt ein. Und die Menge begrüßt ihn wie einen
regierenden König, ja wie einen Gott. Und der Rabbi lässt sich das
gefallen.
Jahrhunderte
später, als das Christentum längst die allein herrschende Religion
geworden war, ist es immer wieder vorgekommen, dass Kaiser und Könige
mit denselben Worten begrüßt worden sind: von Karl dem Großen bis
Adolf Hitler. Psalm 118 hat immer gepasst.
Sind
die Leute inzwischen vorsichtiger geworden mit ihrem Jubel? Oder
haben sie immer wieder jemanden, dem sie gern den Psalm 118 singen würden?
Montag, 21. März 2005:
In
der Karwoche gedenken Millionen Christen in aller Welt der Passion
Jesu Christi.
Aber
niemand ist seiner Leidensgeschichte näher gestanden als seine 12
Apostel. Man sollte doch glauben, dass sie als treue Freunde an
seiner Seite gestanden sind. Das Gegenteil ist der Fall. Nach seiner
Gefangennahme sagt das Evangelium hart und illusionslos: „Da
verließen ihn die Jünger alle!“
Kelsos,
ein Philosoph und Gegner des Christentums im 2. Jahrhundert hat
deshalb Jesus nicht angegriffen, sondern bedauert. „Armer Jesus“
– von was für Menschen war er umgeben! Jeden Räuberhauptmann könnte
dieser Jesus beneiden, denn: ein Räuberhauptmann ist ein guter
Menschenkenner; und er sucht sich seine Mitarbeiter sorgfältig aus.
Und daher kann er sich auf seine Räuber auch verlassen, weil sie
geben ihr Leben für ihren Chef.
Jesus
hat Pech gehabt mit seinen Jüngern. Selten verstehen sie, worum es
ihm geht. Erst machen sie große Worte und dann rennen sie voller
Angst davon.
Und
besonders grauslich war der Verrat des Petrus. Der tut so, als würde
er Jesus gar nicht kennen. Und so einen Menschen hat Jesus sogar ein
2. Mal zu seinem Mitarbeiter berufen. „Armer Jesus“, sagt Kelsos.
Wie
würde denn Unsereins als Chef handeln? Ausgerechnet den, der Ihr
Vertrauen am schwersten enttäuscht hat, den machen sie kaum zu
„ihrer rechten Hand“. Das ist nur verständlich, aber nicht
jesuanisch gehandelt.
Dienstag, 22. März 2005:
„Wenn
ich Hunger habe“, hat Jesus seine Apostel gefragt, „gebt ihr mir
dann etwas zu essen?“ Und die: Ja! „Und wenn ich fremd hier wäre,
würdet ihr mich dann in euer Haus aufnehmen?“ Und die: Ja! Aber
Jesus hat weitergefragt: „Seid ihr nur zu mir so gut, oder würdet
ihr auch anderen Menschen helfen?“
Zuerst
große Stille, alle waren baff. Dann: Judas: Ich bin doch net
deppert. Wer soll das bezahlen? Simon Zelotes: Wenn er zu unserer
Gruppe gehören würde, dann ja. Johannes: Ich weiß nicht, ob ich
alle Menschen so lieben könnte wie dich, Jesus. Petrus: Und wenn
das niemand zusammenbringen würde, ich werde es tun. Bartholomäus:
Schön wär’s ja, aber das ist zuviel verlangt. Das schafft
niemand.
Und
Jesus: Ich verrate euch ein Rezept, dann werdet ihr es können: Wenn
euch ein Mensch begegnet, der Hilfe braucht, dann stellt euch
einfach vor, dass ich es bin. Und schon funktionierts.
Und
wenn Sie sich jetzt sagen: Also dann müsste es ja eigentlich
wunderbar sein, unter Christen zu leben, denn bei denen wird jedem
geholfen, wenn er in Not ist. Dann haben Sie vollkommen recht.
Und
ich sage ganz ungeniert: Sie sind ein Christ, mein Herr! Sie sind
eine Christin, meine Dame! Ja, dann werden Sie mir wohl – gesetzt
den Fall – helfen müssen.
Mittwoch, 23. März 2005:
Nach
der Tradition hatte Jesus 12 Apostel und alle waren Männer.
Inzwischen haben die Fachleute längst herausgekriegt, dass er viel
mehr Jünger hatte und dass auch Frauen darunter waren. Zwei der
bekanntesten waren Maria und Martha. Die Geschichten, die über
beide in der Bibel erzählt werden, zeigen, wie sensibel Jesus
Frauen gegenüber war. Er war einer der ersten, die sich Gedanken über
die Rolle der Frau in der Gesellschaft gemacht haben.
Vor
30 Jahren habe ich gepredigt, dass Jesus der Entdecker der Frau ist,
der 1. Feminist. Das hat große Aufregung gegeben.
Jesus
war oft zu Gast bei den Geschwistern Maria, Martha und Lazarus.
Martha spielte die herkömmliche Rolle – sie ist ganz Hausfrau.
Maria ist die „neue Frau“ – sie setzt sich zu den Männern und
hört Jesus zu. Martha ist wütend und verlangt von Jesus, dass er
Martha zur Rede stellt. Und was für eine Überraschung – er tut
es nicht. Maria soll ihre neue Rolle weiterspielen. Er schickt sie
nicht in die Küche zurück.
Mit
so einer Reaktion würde Jesus heute noch viele fleißige Hausfrauen
schockieren – und vor allem natürlich ihre Ehemänner. Denn bei
vielen Ehepaaren ist die Rollenverteilung – wenn Besucht kommt –
genauso wie vor 2000 Jahren. Sie steht in der Küche und er sitzt
bei den Gästen.
Donnerstag, 24. März 2005:
Im
archäologischen Museum von Split gibt es ein antikes Steinrelief,
das den Gott „Kairos“ zeigt: ein dahineilender Jüngling mit Flügeln
an den Füßen, am Vorderteil des Kopfes ein dichter Haarschopf,
sonst ist der Kopf kahlgeschoren. In der griechischen Mythologie ist
Kairos der Gott der günstigen Gelegenheit
und des richtigen Augenblicks. Und wenn man heute noch sagt
„Das Glück beim Schopf packen“, dann ist dieser Gott Kairos
gemeint.
Aber
man erwischt ihn eben nicht leicht. Nicht nur, das er vorbeirennt
– der kahle Schädel ist auch noch mit Öl eingerieben. Und
deshalb finden so wenige ihr Lebensglück.
Als
Jesus seine 1. Predigt hält, spielt er auf diesen Gott an und sagt:
„Jetzt ist der Kairos da. Denkt um und glaubt an das
Evangelium.“ Das war jetzt ein „neuer Kairos“ – der bleibt
stehen und lässt sich in aller Ruhe beim Schopf packen.
„Folge
mir nach!“ sagt Jesus zu Petrus. Und Petrus steht auf, verlässt
seine Fischerei und geht mit. „Folge mir nach!“ sagt Jesus zu
Andreas, Johannes und Jakobus. Und auch sie stehen auf und verladen
ihre Fischernetze und gehen mit ihm.
Dem
Kairos muss man auf gut Glück nachrennen, aber den wahren Gott kann
man sozusagen immer „beim Schopf packen“.
Freitag, 25. März 2005:
Jesus,
du hast in einer Zeit gelebt, wo
das Lachen noch dröhnend war, und der Fluch mit Insbrunst
vermischt. Du hast „ja“ und „nein“ gesagt, weil du die
Entscheidung wolltest zur richtigen Zeit. Du hast sie geliebt die
Leute am See und in den Städten, hast ihnen auch etwas zugemutet,
oft mehr als ein Mensch tun kann: die Feinde zu lieben, selig zu
preisen die Armen im Geist, die göttliche Sorglosigkeit und zu
verzichten auf Herrschaft und Macht, und mit dir zu gehen und dir zu
glauben, dass diese Freundschaft auch nicht der Tod zerstören kann.
Du wolltest sie ganz haben, deine Menschen, und wolltest erst sie
und dann die Welt verändern, du wolltest, dass etwas geschieht. Das
ist dir nicht bekommen, Jesus. Sie konnten nicht dulden, dass du
alles durcheinander bringst. So haben sie dich ans Kreuz geschlagen:
denn Ordnung muss sein. Du aber bist hart geblieben in diesen Zeiten
– auch zu dir selbst. „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen
nicht, was sie tun“, hast du gebetet, denn du hattest schon längst
verziehen. Wo sind die Menschen, in denen du auferstehen wirst?
Samstag, 26. März 2005:
Den
Apostel Thomas kennt fast jeder – der „ungläubige“ Thomas
wird er gern genannt. Was hat er denn eigentlich nicht geglaubt?
Antwort: Dass Jesus auferstanden ist. Da müsste ihm schon der
Auferstandene selber begegnen.
Thomas
ist ein moderner Apostel.
Er
zeigt uns, dass auch der Zweifel die „Mutter“ des Glaubens
sein kann. Thomas legt ganz bewusst den Finger auf den „wunden
Punkt“. Ich spüre natürlich den Vorwurf, der in der Luft liegt:
ich hatte das Wichtigste in dieser Geschichte noch nicht erwähnt, nämlich:
dass Jesus zu Thomas gesagt hat: „Selig sind, die nicht sehen und
doch glauben!“ Aber Achtung: dann war keiner der Apostel selig.
Denn sie haben alle erst geglaubt, nachdem sie gesehen hatten.
Wir
lesen die Thomasgeschichte gerade in einer Zeit, die zuviel sieht,
um noch glauben zu können. Eine
Generation, die durch das Gesehene ungläubig geworden ist.
Thomas
wollte den Auferstandenen angreifen, um ihn begreifen zu können.
Und darum besteht auch Hoffnung für die, die sehen und glauben; und
für die, die sehen, und doch glauben; und für die, die nicht sehen
und nicht glauben; und für die, die sehen und doch nicht glauben.
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