Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Mag. Angelika Pressler, Salzburg

 

 

Sonntag, 27. März 2005:

Wie fühlt sich dieser Ostermorgen an für Sie? Wonach schmeckt es, wie klingt es? Mir erzählen die Osterglocken von der Sehnsucht nach Ganzheit und Lebendigkeit; ein Ruck geht durch mich, wenn ich das Osterlob in der Auferstehungsfeier höre und einstimme in das Lied: Der Heiland ist erstanden, befreit von Todesbanden, der Tod hat keinen Stachel mehr, der Stein ist weg, das Grab ist leer!

Zeilen aus Goethes Faust fallen mir ein. Faust, der alles ergründende Gelehrte erkennt schmerzlich seine Grenzen und möchte seinem Leben ein Ende setzen, aber österlicher Jubelgesang hält ihn zurück. Christ ist erstanden. Er stellt den Giftbecher ab und spricht:

O tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!

Die Träne quillt, die Erde hat mich wieder!

Ostern, mit der Feier der Auferstehung Jesu selber wieder aufstehen, sich aufrichten, einen neuen Anfang setzen in das Abenteuer Leben. Ein aufrechter Mensch sein. Ostern, Heraustreten, nicht nur aus der Dunkelheit der winterlichen Tage in das Frühlingslicht, sondern auch über den eigenen Schatten springen.

Dann zeigt sich ein Zipfel vom offenen Himmel.

 

 

Montag, 28. März 2005:

Wachsende Arbeitslosigkeit und Armut, einige wenige, die reicher werden, Betriebe, die Gewinne machen und trotzdem Leute entlassen. Wie kann ich in solchen Zeiten von Auferstehung und dem endgültigen Ja Gottes zu den Menschen sprechen? Es ist, als ob mir ein Gerstenkorn im Auge wächst, tränend sehe ich das Treiben rund um mich.

Aber mit dem Reich Gottes soll es sein wie mit einem Senfkorn; kleiner als die anderen Samen schießt es nach der Aussaat empor, wird größer als alle Gartengewächse und die Vögel des Himmels tummeln sich in seinen Zweigen.

 

Ich werde wütend. Kein Wunder, dass die Spurenssuche nach Ostern schwer fällt angesichts der Winzigkeit eines Senfkornes. Ist es nicht längst schon zermalmt von den Stiefeln der Mächtigen?

Und doch, am Anfang steht die Praxis Jesu. Ein Senfkorn, ausgesät als überdimensionale Hoffnung einer ganz anderen Herrschaft Gottes. Sie wohnt nicht in der Wallstreet und trägt keine Militärstiefel. Die Macht Gottes ist zum Teilen da, wendet sich an die Benachteiligten, Unterdrückten und Randständigen.

Ostern 2005: kleines Senfkorn Hoffnung, wachse weiter in uns.

 

 

Dienstag, 29. März 2005:

Noch immer beschäftigt mich das österliche Hoffnungsbild vom Senfkorn!

Verrücktes Senfkorn Hoffnung!

Dieses Bild für das Reich Gottes konnte zurzeit Jesu noch ganz andere Assoziationen hervorrufen. Mit dem Begriff "Senfkorn" verknüpften die Leute auch Gefahr, Tabu! Denn die Größe eines Senfkornes spielte als Maßeinheit bei den Reinheitsvorschriften eine Rolle. Also: Kommst du mit einer Spur von Blut oder Samen auch nur im winzigsten Ausmaß eines Senfkornes in Berührung, dann bist du für eine gewisse Zeit lang von kultischen Handlungen in der Synagoge ausgeschlossen.

Absurd! Ein negativ belastetes Wort als Bild für das Reich Gottes. Wie anstößig es klingt, würde in der heutigen Zeit mit all ihrer Infektionsangst verkündet: Mit dem Reich Gottes ist es wie mit einer Bakterie, oder einem Virus!

Die Macht Gottes ist anstößig. Das Schmutzbild der Bakterie ist wie eine Satire auf die schmutzigen Machenschaften menschlicher Mächte und Gewalten.

Doch was wäre, wenn wir uns infizieren mit dieser Bakterie – ein Ostertraum!

 

 

Mittwoch, 30 März 2005:

Ostern 2005, immer noch bin ich auf österlichen Erinnerungsspuren.

Doch erinnern woran, an die Leidensgeschichte eines jüdischen Rabbi, sein Sterben, seine Auferstehung?

Es kann keine Erinnerung sein, die versöhnt mit der Gewaltgeschichte der Menschheit. Keine, die getarnt ist als Aussöhnung mit uns und den eigenen Mittäterschaften.

Angesagt ist jene „gefährliche Erinnerung“, in der die Autorität der Leidenden im Mittelpunkt steht. Es ist eine Erinnerung an die eigene Empfindsamkeit gegenüber fremdem Leid. Über ihr steht nur noch das Gedenken an die richtende Autorität Gottes.

Der österliche Glaube ist eine Widerstandskraft, die uns nicht nur leben lässt, umgeben von Todesstrukturen, sondern antreibt, sich diesen Gewalten der Welt nicht zu beugen.

Mut ist angesagt, nicht Wut. Mut ansteckend. Überall dort, wo Menschen sich anstecken mit der befreienden Bakterie des Reiches Gottes, überall dort wird Zukunft erinnert, werden die Friedhöfe begrabener Hoffnungen und Sehnsüchte mit unverseuchtem Leben erfüllt.

Mitten in der Verseuchung beginnt Hoffnung zu keimen.

 

 

Donnerstag, 31. März 2005:

In Dostojewskis Roman „Die Brüder Karamasow“ gibt es die Erzählung vom Großinquisitor. Darin kommt Jesus noch einmal auf die Erde und wird von der kirchlichen Gerichtsbarkeit ins Gefängnis gesteckt. Mitten in der Nacht geht der Großinquisitor zu Jesus ins Verlies, um ihm zu erklären, was er damals falsch gemacht habe.

Warum bist du gekommen, uns zu stören? – so beginnt der Großinquisitor sein Verhör. Küssen möchte ich ihn für diese Frage. Wie Recht er hat! Das Leben Jesu, Leiden, Tod, Auferstehung – sie stören wirklich! Eine unglaubliche Störung unserer Vorstellungen von Herrschen und Machtausübung. Die Geschichte Jesu ist eine Stören-Fried-Geschichte! Sie stört die Zufriedenheit der Satten und Gierigen, sie stört die Logik funktionierender Machtapparate, sie ver-stört den Friedhof der begrabenen Hoffnungen und Träume.

„Ich schwöre dir, der Mensch ist schwächer und niedriger, als du von ihm dachtest!“, hält der Großinquisitor Jesus vor.

Die nächtliche Begegnung endet rätselhaft. Jesus gibt keine Antwort, er küsst die blutleeren Lippen des 90-jährigen Greises und geht hinaus in die Nacht.

 

 

Freitag, 1. April 2005:

Das Leben und Sterben Jesu ist eine Stören-Fried-Geschichte, und Ostern ist ein Stören-Fried-Fest! Weil es Einbrüche sind in unsere Vorstellungen von groß und mächtig, richtig und falsch, weil es uns ver-stört.

Es gibt und gab sie, die Stören-Friede unserer Tage: Menschen wie Martin Luther

King oder Bischof Romero, Männer und Frauen in der Friedensbewegung, sie alle –  irritierende Störfaktoren für herrschende Mächte.

Und sie lebten und leben von dem, was bei Paulus so absurd umschrieben wird: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Er rühmt sich seines Elends, denn darin erlebt er die Macht des Auferstandenen; umgeben von Tod und Verderben, erfährt er Leben und Lebendigkeit. „Dynamis“ lautet das griechische Wort für diese göttliche Macht. Mit ihr wandelt sich Ohnmacht in Stärke, in eine alles bewegende, dynamisierende Lebenskraft.

Ostern 2005: Wenn ich schwach bin, bin ich stark. Das ist kein Aufruf zur Leidensverliebtheit; hüte dich zu meinen, deine Schwäche sei eine Tugend, sei dazu da, sich anzupassen und zu fügen. Es ist eine Aufforderung, Dynamit zu sein, sich in das Leben einzumischen, weil es meines ist und deshalb einzigartig.

 

 

Samstag, 2. April 2005:

In meinen österlichen Betrachtungen möchte ich noch einmal einen Blick auf Dostojewskis Erzählung vom Großinquisitor werfen.

Der Großinquisitor möchte Jesu Anliegen gewissermaßen korrigieren, weil dessen Botschaft einfach überfordert. Er meint, Jesus habe den Menschen viel zu sehr geachtet und deshalb zu viel von ihm verlangt. Klug wäre es, den Menschen von der Freiheit zu befreien, zwischen Gut und Böse unterscheiden zu können. Das sollen andere, klügere für ihn tun. Das entlastet sein Gewissen, dann wird er glücklich sein. Und weil der einfache Mensch nun einmal dumm, verkommen und machtgierig ist, gehört er zu seinem eigenen Schutz entmündigt und unterworfen. Wahrhaft starker Tobak, den der Großinquisitor da in seinen Denkwolken raucht.

Der Mensch als Marionette von einigen wenigen Auserwählten, weil er zu ungebildet, zu feig und zu verkommen ist?

 

Ostern 2005: Ich möchte ein anderes Wort entgegensetzen, frei nach Goethe:

„Nimm den Menschen nicht so wie er ist, sondern wie er sein könnte!“

Auch das eine Osterbotschaft – mal schauen, dass ich so werde, wie ich sein könnte!