Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pfarrer Dr. Christoph Weist

 

 

Pfingstsonntag, 15. Mai 2005:

Petrus kommt groß raus

Die Geschichtsforscher bedauern. Verstreut und widersprüchlich sind in der Bibel die Informationen über den Mann Simon, genannt Petrus, der „Fels“, ein Name, den er vielleicht von Jesus selbst erhalten hat. Sein Leben war bewegt und liegt zu weiten Teilen im Dunkeln. Aber einmal, da ist der Fischer aus Galiläa – wie man heute sagen würde – ganz groß herausgekommen. Damals, als in Jerusalem das „Pfingstwunder“ geschehen war, jene mitreißende Erfahrung, die erstmals zeigte: Christen und Christinnen  sind in ihrem Glauben nicht vereinzelt, sie gehören zusammen, bilden eine weltweite Gemeinschaft. Sie sind geleitet von einem Geist.

 

Da hat Petrus öffentlich das Wort ergriffen. Er hat eine Rede über den Tod Jesu gehalten und dem erstaunten Publikum erklärt: „Diesen Jesus hat Gott auferweckt; dessen sind wir alle Zeugen. Da er nun durch die rechte Hand Gottes erhöht ist und empfangen hat den verheißenen heiligen Geist vom Vater, hat er diesen ausgegossen, wie ihr hier seht und hört.“ (Apg 2,32f)

 

So etwas so unverblümt zu sagen, war damals nicht leicht und ist es bis heute nicht. Petrus hat es vor knapp zweitausend Jahren getan, und auch am heutigen Pfingsttag ist es von den Kanzeln zu hören. Man sollte darüber nachdenken. Es kann Folgen haben.

 

 

Pfingstmontag, 16. Mai 2005:

Der erste Jünger

Was war das Besondere an dem Fischer Simon Petrus, dem „Fels“, dass er in der Bibel und in der christlichen Überlieferung so eine spezielle Rolle spielt?

 

Nach den biblischen Berichten stammen er und sein Bruder Andreas aus den Städtchen Kapernaum oder Bethsaida, beide am See Genezareth gelegen. Ihr  Vater hieß Jonas oder Johannes. Zumindest Petrus war verheiratet, Und, so erzählt Markus, der älteste Evangelist, Petrus und Andreas waren es, die Jesus als erste zu seinen Jüngern berufen hat, zu seinen Schülern und Freunden. „Folgt mir nach; ich will euch zu Menschenfischern machen!“ hatte der Fremde zu ihnen gesagt. (Mk1,17)

 

Ich weiß, „Menschenfischer“ ist heute ein schwieriges Wort. Aber wenn man nicht „einfangen“ darunter versteht sondern „annehmen“ und „helfen“, macht es Sinn. Vielleicht war es das Besondere an dem Fischer, dass er dies sein Leben lang versucht hat. Im Geiste seines Herrn hat er Menschen angenommen und ihnen geholfen. Bis zum bitteren Ende, von dem wir wissen, dass es gewaltsam war. Das hat dem einfachen Mann Simon schon früh Ansehen verschafft. Ein Ansehen, das sich viele namenlose Frauen und Männer nach ihm ebenso verdient haben. Feiertage bieten die Chance, in Ruhe sich ihrer zu besinnen.

 

 

Dienstag, 17. Mai 2005:

Der Verleugner

Sie hängt ihm nach, die Geschichte  von der wiederholten Verleugnung seines Freundes und Lehrers Jesus, - damals nach dessen Verhaftung, am frühen Morgen, bevor der Hahn noch zwei Mal gekräht hatte. Simon Petrus, der „Fels“, ist sie nie mehr losgeworden. Und das ist gut so.

 

Was sich da die Frauen und Männer in der ersten Christengemeinde von ihrem so glaubensfesten Gemeindeleiter erzählten und was dann in der Bibel seinen Niederschlag gefunden hat, ist nicht schadenfroh. Es macht betroffen. Weil es  jede und jeden betrifft.

 

Niemand, gar niemand, der sich als Christ versteht, ist davor gefeit, aus der Rolle zu fallen, seinen Glauben zu vergessen, anders zu handeln, als sein Gewissen es ihm sagt. Das muss nicht, wie bei Petrus, angesichts tödlicher Gefahr sein, das kann tausend andere Gründe haben. Die scharfe Linie zwischen Glauben  und Abfall geht durch jeden Menschen hindurch. Und sie belastet. „Und er fing an zu weinen“, (Mk 14,62) stellt die Bibel am Ende der Geschichte von der Verleugnung des Petrus trocken fest. Aber ebenso lässt die Bibel keinen Zweifel: Es gibt Vergebung. Petrus blieb der „Fels“ seiner Gemeinde. Von einer solchen Vergebung leben alle. Darum ist es gut, dass diese Geschichte bis heute erzählt wird.

 

 

Mittwoch, 18. Mai 2005:

Der erste Zeuge

Wer war er, Simon Petrus, der Fischer vom See Genezareth? In der Bibel wird von ihm fallweise berichtet. Sich ein richtiges Bild von ihm zu machen ist aber schwer. Eines steht fest: Er galt als der erste Zeuge der Auferstehung Jesu.

 

„Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen!“ (Lk 24,34) Wie ein Lauffeuer hatte sich diese Information im Freundeskreis Jesu verbreitet, und der Mann aus Bethsaida am Seeufer wurde unter den ersten Christinnen und Christen zum  Markenzeichen. Das begründete seine besondere Stellung in der allerersten Gemeinde, - auch wenn es nach anderen Berichten Frauen waren, die den Auferstandenen zuerst gesehen haben.

 

Aber wie auch immer: Von da an war Simon der führende Mann, er war Petrus, der „Fels“. Obwohl in der folgenden Zeit – wie übrigens auch schon früher – seine Haltung in wichtigen Fragen Schwankungen unterworfen war. Doch wer kommt schon nicht ins Schwanken, wenn er mit einem Erlebnis konfrontiert wird wie die Auferstehung? Das verändert das ganze Leben, das verwirrt. Aber es gibt auch Mut.

Denn nicht nur den Petrus, sondern auch seine anderen Jüngerinnen und Jünger hat der Auferstandene begrüßt mit den Worten: „Friede sei mit euch.“ Da sieht vieles anders aus.

 

 

Donnerstag, 19. Mai 2005:

Der Furchtsame

 „Als aber Petrus nach Antiochien kam, widerstand ich ihm ins Angesicht, denn es war Grund zur Klage gegen ihn.“ Das berichtet einmal der Apostel Paulus in einem Brief. Was war passiert?

 

Es ging um die Christen, die aus dem Judentum kamen, und um solche, die nichtjüdischer Herkunft waren, die so genanten „Heiden“. Beide lebten in der syrischen Gemeinde gut zusammen. Ein Problem waren nur die unterschiedlichen Essensgewohnheiten. Petrus war für gemeinsame Mahlzeiten, die strengen „Judenchristen“, allen voran Jakobus, der Bruder Jesu, waren dagegen. Paulus schreibt über Petrus: „Bevor einige von Jakobus kamen, aß er mit den Heiden; als sie aber kamen, zog er sich zurück und sonderte sich ab, weil er die aus dem Judentum fürchtete.“ (Gal 2,11f)

 

Paulus, der Petrus und Jakobus eigentlich schätzte, hat sich über diese Inkonsequenz geärgert. Heißt nicht Petrus der „Fels“?

 

Es tut gut zu beobachten: Heldenverehrung hatte von Anfang an bei Christinnen und Christen keinen Platz. Man kritisierte offen und man stritt über gegensätzliche Meinungen ohne sich zu verletzen. Schön wäre es, wenn das noch immer so klappen würde

 

 

Freitag, 20. Mai 2005:

Der Bekenner

Sie haben viel Staub  aufgewirbelt, die Sätze, die in der Bibel Jesus zu seinem Freund Simon spricht: „Du bist Petrus, und auf diesen Felsen will ich meine Gemeinde bauen, und die Pforten der Hölle sollen sie nicht überwältigen. Ich will dir die Schlüssel des Himmelreiches geben.“ (Mt 16,18f)

 

Das sind umstrittene Worte. Evangelische sind der Überzeugung, sie gelten für den Fischer aus Galiläa und für die ersten Frauen und Männer, die an Jesus, den Christus, geglaubt haben. Nichts deutet in der Bibel darauf hin, dass diese Zusage an eine Kette von amtlichen Nachfolgern des Petrus weitergegeben werden könnte.

 

Wichtiger aber ist, warum diese Worte gesprochen werden. Simon hört sie, nachdem er getan hat, was zahllose Frauen und Männer nach ihm ebenfalls getan haben. Er hat sich voll und ganz zu Jesus bekannt: „Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn.“ Das macht Simon zu einem „Fels“, zu einem Vorbild für alle christlichen Gemeinden. Ich denke, alle, die ihm in diesem Bekenntnis, sei es gelegen oder ungelegen, nachgefolgt sind, haben für sich und für andere „die Schlüssel des Himmelreichs“. Auf sie baut sich eine christliche Kirche auf, und auch dort, wo sich eine Hölle auftut, haben sie das Versprechen, geborgen zu sein.

 

 

Samstag, 21. Mai 2005:

Der Umfaller

Ganz am Anfang des christlichen Glaubens, unter den allerersten Christinnen und Christen, scheint man sich viel von ihm erzählt zu haben, von Simon, den man Petrus, den „Fels“, nannte. Aber nicht nur von Standhaftigkeit und Glaubenstreue wusste man zu berichten. Der „Fels“ galt auch als Umfaller.

 

Die Geschichte steht nicht in der Bibel, aber als Legende zeichnet sie ein charakteristisches Bild: Während eines blutigen Christenpogroms begibt sich Simon Petrus, der Leiter der Gemeinde von Rom, inkognito durch ein Stadttor, um sich in Sicherheit zu bringen. Da begegnet ihm Jesus. Erstaunt fragt ihn Petrus: „Wohin gehst du, Herr?“  („Quo vadis, domine?“). Jesus antwortet: „Ich komme, um mich zum zweiten Mal kreuzigen zu lassen.“ Beschämt kehrt Petrus in die Stadt zurück. Dort wird er mit dem Kopf nach unten gekreuzigt.

 

Nicht weit vor der Porta San Sebastiano in Rom steht eine Kapelle, die an diese Geschichte erinnert. Sie erinnert an das Erhabene, dem das Menschliche nur zu nahe ist. Sie erinnert an Bedrohungen, denen auch ein starker Glaube erliegen kann. Sie erinnert daran, dass alle menschliche Standhaftigkeit ihren Grund haben muss in einer Sicherheit, die nicht von Menschen stammt.