Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Mag. Elisabeth Rathgeb

 

 

Sonntag, 22.5.2005

 

Dreifaltigkeits-Sonntag

oder „Warum der heilige Geist nicht für die Katz’ ist“

Kennen Sie die Anekdote vom Heiligen Geist, den die Katze gefressen hat?

Zu Pfingsten war es früher in manchen Kirchen Brauch, eine Taube als Symbol für den Heiligen Geist fliegen zu lassen. Wieder einmal war Pfingstsonntag und der Pfarrer kündigt den Heiligen Geist an. Alle schauen erwartungsvoll nach oben, aber die erhoffte Taube ist nirgends zu sehen. Stattdessen kommt die Stimme des Mesners von hoch oben unterm Kirchendach mit der Meldung: „Den Heiligen Geist hat gerade die Katze gefressen.“

Aber der Heilige Geist ist nicht für die Katz’. Der Heilige Geist ist unser Begleiter in den Höhen und Tiefen des Alltags: unser „Beistand“. Bilder aus dem späten Mittelalter zeigen den Heiligen Geist noch in Frauen-Gestalt: Denn das hebräische Wort für „Geist“ heißt „ruach“ und ist weiblich.

Wenn also auf einem alten Bild die göttliche „Dreifaltigkeit“ dargestellt ist, sieht man oft eine Frauengestalt, die von zwei Männern – Gott Vater und Sohn flankiert wird. Sie symbolisieren die drei Erscheinungsweisen des einen Gottes. Daher kann ich jene Hörerin beruhigen, die mir neulich gesagt hat, sie könne nicht länger einen Glauben teilen, in dem ein „Männer-Trio“ angebetet wird.

Natürlich gilt weiterhin das Gebot: „Du sollst nur an einen Gott glauben.“ Aber unser Gott hat vielfältige Möglichkeiten, sein Gesicht zu zeigen. Drei wesentliche feiern wir heute, am „Dreifaltigkeits-Sonntag“: Gott Vater, Gott Sohn und die „ruach“, den Heiligen Geist.

 

 

Montag, 23.5.2005

 

 „Wer keine Kraft zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Handeln.“

 „Wer keine Kraft zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Handeln.“ Dieser Satz von Dom Helder Camara, einem lateinamerikanischen Befreiungstheologen, begleitet mich schon seit vielen Jahren. Träume und Visionen zeigen uns die Richtung, in die wir gehen wollen. Träume und Visionen geben uns die Kraft, Dinge anzupacken, die auf den ersten Blick aussichtslos erscheinen. Träume und Visionen helfen über Tiefschläge und Misserfolge hinweg. Daher muss ich immer noch über den Ausspruch eines österreichischen Ex-Bundeskanzlers schmunzeln, der einmal gesagt hat: „Wer Visionen hat, braucht einen Psychiater.“ Ohne Visionen von einer besseren, gerechteren, friedlicheren Welt werden wir keinen Weg in die Zukunft für unseren Planeten finden.

Was Menschen mit Träumen und Visionen aber sicher auch brauchen, ist die nötige Bodenhaftung: Damit Träume und Visionen Wirklichkeit werden, müssen sie „geerdet“ sein. Kurz gesagt: Menschen mit Träumen und Visionen brauchen auch „Demut“. Demut hat heute keinen guten Beigeschmack. Aber „Demut“ kommt vom lateinischen Wort „humilitas“ und darin steckt „Humus“ – Erde, Boden.

Wir brauchen also beides: Träume und Visionen in Verbindung mit einer gesunden Portion Demut, sprich Bodenhaftung. Das ist die ideale Mischung. Und dann gilt sicher, was Dom Helder Camara gesagt hat: Wer keine Kraft zum Träumen hat, hat keine Kraft zum Handeln.

 

 

Dienstag, 24. Mai 2005

 

Der Hoffnung Vorrang geben

Der Regenbogen in seinen schillernden Farben ist für mich immer ein Zeichen der Hoffnung. Er erinnert mich an die antike Vorstellung, dass Gott in jedem Regenbogen eine Brücke zur Welt baut.

Wenn jetzt im Mai nach einem Gewitterregen ein Regenbogen in leuchtenden Farben am Himmel erscheint, nütze ich die Gelegenheit, um im Alltags-Getriebe kurz innezuhalten: Stimmt die Richtung noch? Sehe ich die Zeichen der Hoffnung? Lebe ich aus einer Grundhaltung der Hoffnung oder eher der Resignation? Die Hoffnung ist eine der drei Säulen in der christlichen Lebens-Tradition. Neben "Glaube" und "Liebe" hat die Hoffnung ihren festen Platz. Damit ist kein Zweckoptimismus gemeint. Auch kein Zwang zum positiven Denken. Und keine unkritische Haltung. Aber eine Haltung, die im Zweifel für die Hoffnung plädiert, nicht für die Resignation. Eine Einstellung, die der Hoffnung Vorrang gibt vor Angst und Furcht. Taten, die uns zu Anwälten der Hoffnung machen und nicht zu Agenten der Resignation.

Die Kraft dazu müssen wir nicht aus uns selber schöpfen. Wir müssen sie auch nicht teuer bezahlen, sondern können sie uns einfach schenken lassen. "Gott hat uns nicht den Geist der Verzagtheit gegeben, sondern den Geist der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit."

Der Regenbogen ist ein Zeichen dieser Hoffnung.

 

 

Mittwoch, 25. Mai 2005

 

Zeit für frischen Wind oder:

Sende deinen Geist aus und alles wird neu

Innsbruck ist eine Föhn-Stadt: Es gibt Tage, da hat der Föhn uns voll im Griff. Viele leiden dann unter Kopfschmerzen, und im Straßenverkehr heißt es doppelt aufpassen. Denn manche sind im wahrsten Sinn "vom Winde verweht". Ich liebe den Föhn, solange er nicht Dächer abdeckt und Bäume entwurzelt. Ich liebe den Föhn, solange ich nicht in einem Flugzeug in Innsbruck zur Landung ansetzen muss.

Die Kraft des Windes bringt frische Luft ins Inntal. Sie bringt Leben in Fichten- und Lärchenwipfel, die sonst so starr erscheinen. Der Föhn fegt die Wolken vom Himmel und verschafft klare Sicht. Nie sind die Berge so nah und die Konturen so scharf wie an Föhntagen.

An solchen Föhn-Tagen fällt mir immer wieder die Pfingst-Erzählung ein: Der Heilige Geist kommt im Sturm. Ein Brausen erfüllt die Luft. Und dann kommt Bewegung in die Anwesenden: Sie hören Dinge, die sie noch nie gehört haben. Sie sehen, was sie noch nie gesehen haben. Sie verstehen, was ihnen bisher immer unklar war. Sie sprechen neue Sprachen. Sie spüren neue Kraft. Der Geist macht sie lebendig und alles wird neu. Es ist Zeit für frischen Wind. Die Angst ist wie weggefegt. Der Blick schärft sich, und klar zeichnen sich die Konturen ab für den Weg in die Zukunft. Es ist Zeit für frischen Wind.

"Sende deinen Geist aus, und alles wird neu."

 

Donnerstag, 26. Mai 2005

 

Fronleichnam - In der Gegenwart Gottes leben

Heute ist Fronleichnam. Dieses Fest mit dem seltsamen Namen ist über 700 Jahre alt. Damals hieß "Fron" soviel wie "Herr" und "Leichnam" stand für unser Wort "Leib". Fronleichnam bedeutet also "Leib des Herrn". Das Symbol dafür ist das Brot, die Hostie. Und diese wird heute in feierlichen Prozessionen durch das ganze Land getragen.

Heute würde wohl niemand mehr ein derartiges Fest einführen. Aber die alte Tradition hat uns nicht nur einen freien Donnerstag beschert, sondern bewahrt für uns einen Gedanken: Gott ist gegenwärtig. In einer Zeit, in der es schwer fällt, in der Gegenwart zu leben, ist es doppelt schwer, im Bewusstsein der Gegenwart Gottes zu leben.

Unsere schnelllebige Zeit macht es uns nicht leicht, in der Gegenwart zu leben: Ständig planen wir für morgen. Und sorgen vor für Risiken von übermorgen. Da bleibt wenig Zeit für das Heute.

Aber das ist nicht nur ein Zeichen unserer Zeit. Schon vor 350 Jahren schrieb der Philosoph Blaise Pascal: "Nie halten wir uns an die gegenwärtige Zeit. Wir nehmen das Zukünftige vorweg, als käme es zu langsam. Oder wir rufen das Vergangene zurück, um es festzuhalten, als entschwände es zu rasch. So verpassen wir gedankenlos die einzig wirkliche Zeit."

Fronleichnam ist ein Fest der Gegenwart: Wir feiern die Gegenwart Gottes im Hier und Jetzt, im Heute.

 

 

Freitag, 27. Mai 2005

 

Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben

oder Die Gabe der Unterscheidung

Zwei Frösche fielen in einen alten Milchtopf. Der eine Frosch schrie: "Hilfe, ich ertrinke", streckte alle vier von sich und ertrank. Der andere strampelte, trat die Milch und fand sich erschöpft und ganz lebendig auf einem Haufen Butter wieder."

Offensichtlich haben beide ihre Lage sehr unterschiedlich eingeschätzt: Der eine sieht sie als aussichtslos und hoffnungslos an. Keine Rettung ist in Sicht. Der andere lebt offensichtlich nach einem alten Tiroler Sprichwort, das da heißt: "Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben." Das gibt ihm den Mut, alle Kräfte zu mobilisieren. Und siehe da: Das scheinbar Unmögliche wird möglich.

Sehr oft kommen auch wir und unsere Mitmenschen zu einer sehr unterschiedlichen Einschätzung der Lage: Während die einen nur noch schwarzsehen, finden andere einen Hoffnungsschimmer. Während die einen resignieren, wagen andere mutig einen neuen Aufbruch. Nicht immer ist es leicht, die richtige Entscheidung zu treffen. Vieles können wir beeinflussen, aber nicht alles. Wo liegt die Grenze des Möglichen?

Dazu brauchen wir die Gabe der Unterscheidung - die Gabe der Weisheit und der Erkenntnis. 

In schwierigen Fällen hilft mir oft ein altes Gebet: "Herr, gib mir den Mut, die Dinge zu ändern, die ich ändern kann. Gib mir die Gelassenheit, die Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann. Gib mir die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden."

 

 

Samstag, 28. Mai 2005

 

"Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Licht in die Welt gekommen ist, dann hat es sich zu leben gelohnt." (Alfred Delp)

"Wenn durch einen Menschen ein wenig mehr Licht in die Welt gekommen ist, dann hat es sich zu leben gelohnt."

Dieser Satz stammt von Alfred Delp, einem Jesuiten, der von den Nationalsozialisten zum Tod verurteilt und hingerichtet worden ist. Wie schwer muss es gewesen sein, in der damaligen Zeit "Licht" in die Welt zu bringen!

Bei einem Besuch im ehemaligen Konzentrationslager Buchenwald habe ich das beklemmende Gefühl gehabt, noch einen Hauch des Bösen zu spüren, das sich in diesen Mauern abgespielt hat. Und gleichzeitig hat mich der frische Blumenstrauß überrascht, der lange vor den Gedenkfeierlichkeiten die Erinnerungstafel an Otto Neururer schmückte - einen Tiroler Priester, der dort einen grausamen Tod gefunden hat. Otto Neururer ist inzwischen selig gesprochen. Beide - die Seligsprechung als großes und die frischen Blumen als kleines Zeichen - zeigen, wie dankbar sein Versuch, mehr Licht in diese Welt des Todes zu bringen, aufgenommen worden ist. Nachdenklich stimmt mich immer wieder die Frage, woher Menschen wie Alfred Delp und Otto Neururer die Kraft und den Mut für ihr Leben genommen haben. Sicher waren sie in einem tiefen Glauben verwurzelt. Sicher haben sie darauf vertraut, dass sie nicht auf sich allein gestellt sind.

So, wie es in einem Pfingstlied noch heute heißt: "Komm herab, du heiliger Geist, der die finstre Nacht zerreißt, strahle Licht in diese Welt, das die dunkle Nacht erhellt."