Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Dr. Jakob Mitterhöfer,
NÖ
Sonntag, 26. Juni 2005:
Medienspektakel
Haben Sie sich auch
gefreut wie telegen unsere Kirche ist? Wochenlang war sie in den
Medien - Rom und der Papst. Freilich der erste Anlass war traurig.
Ein kranker und sterbender Papst , dazu alles öffentlich.
Die vielen Millionen, die
nach Rom strömten, um Abschied zu nehmen, mussten nur einige
Tage anhängen, um auch beim zweiten Anlass life dabei zu sein. Sie
konnten den weißen Rauch sehen, dem neuen Papst zujubeln und sogar
die Amtseinführung erleben.
Uns daheim wurden alle
Ereignisse frei Haus geliefert.
Den Medien ist ein großes
Lob auszusprechen, sie haben sich wochenlang bemüht zu
recherchieren und alle Ereignisse genau zu bringen.
Eine Anfrage habe ich
allerdings an die Kirche: Nachdem nun diese Ereignisse vorbei sind,
da frage ich mich wie soll sich die Kirche jetzt nachdem wir einen
neuen Papst haben darstellen?
Wie Sie wissen, die große
Mehrheit der Christinnen und Christen lebt in der Dritten Welt. Ich
denke diesen muss sich jetzt unsere Kirche, nachdem diese großen
Ereignisse bereits der Vergangenheit angehören, zuwenden. Denken
Sie auch so?
Montag, 27. Juni 2005:
Großväter
Pater Matthias bereitet
sich auf seinen Einsatz als Missionar in Ghana vor. Er kommt eben
vom Sprachstudium zurück. Der „Chef“ des Hauses empfängt ihn
an der Klosterpforte: „Der neue Papst hat unsere Mitbrüder in
Euphorie versetzt. Sie sind happy, sie haben festgestellt, ein jeder
von ihnen ist jünger als der Papst.
Nicht alle, die schon längst
im Ruhestand sein könnten, trauen sich noch so schwere Ämter wie
die Leitung in der Kirche zu. Der Linzer Bischof Maximilian Aichern
tritt zurück, weil er der Meinung ist, als 73-jähriger „Opa“
sei sein Platz nicht mehr an der Spitze einer so großen Diözese,
sondern in der Pension.
Den Pensionisten möchte
ich sagen, ich spreche nicht von Ihnen, sondern von der
Leitungsfunktion in einem so riesigen Apparat wie unsere Weltkirche
ist. Stellen Sie sich doch vor die Anforderungen und
Erwartungen an einen Papst. Das Nachdenken über eine Verjüngung
der Strukturen ist nicht zu überhören und keineswegs respektlos.
Jedes Alter hat seine
Plagen, sagt die Weisheit der Bibel. Es kann nur im Sinne der Bibel
sein, wenn gewisse „Plagen“ auf jüngere Schultern gelegt
werden.
Dienstag, 28. Juni 2005:
Ein Rat an den Papst
Würden Sie es wagen,
einen solchen Brief unserem Papst zu schreiben: „Wenn du ganz und
gar für alle da sein willst, nach dem Beispiel des Paulus, der
allen alles geworden ist, lobe ich deine Menschlichkeit – aber
nur, wenn sie voll und echt ist. Wie kannst du aber voll und echt
sein, wenn du dich selbst verloren hast? Auch du bist ein Mensch.
Damit deine Menschlichkeit allumfassend und vollkommen sein kann,
musst du also nicht nur für alle anderen, sondern auch für dich
selbst ein aufmerksames Herz haben“.
So schrieb im Jahre 1153
Bernhard von Clairvaux dem Papst Eugen III.
Wie weise! Wir können
nicht den Nächsten lieben, wenn wir uns selbst nicht mögen.
Doch zurück zum Rat an
den Papst. Stellen Sie sich vor, liebe Hörerinnen und Hörer, Sie
erhielten einen Brief aus Rom und der Papst bittet Sie um Ihren Rat.
Begnügen wir uns damit,
in Fürbitten den Papst und die Bischöfe wie eine Litanei
herunterzubeten? Ich erwarte natürlich nicht, dass Sie dem Papst
einen Brief schreiben, aber eines können wir tun, wir können
nachdenken wie wir uns in die Kirche einbringen, damit die Kirche
anders wird.
Mittwoch, 29. Juni 2005:
Ein Rat an den Papst aus
Brasilien
Ein Priester aus Köln
- inzwischen waschechter Brasilianer - gibt dem neuen Papst
unaufgefordert einen Rat aus der Perspektive der Armen und Indios
von Brasilien. „Paulo Suess“ hat mit unserem österreichischen
Landsmann Bischof Erwin Kräutler für das Überleben der Indianer
gekämpft. Seit einigen Jahren führt er seinen Einsatz für die
Armen von der Lehrkanzel der Universität Sao Paulo fort.
Sein Rat an Benedikt XVI.
ist humorvoll. Er stellt sich vor, wie Papst Benedikt gerade seine
Antrittsrede verfasst. Da schaltet sich Gott selbst ein und er
fordert den Papst auf, seine Rede nicht hochtrabend theologisch zu
beginnen, sondern demütig: „Ich Sünder bekenne“. Dann soll er
von der Hoffnung und Freude der Armen schreiben. Etwa so: Nicht die
römische Kurie wird die Welt verändern, sondern die Armen und die
Jugend. Darum wird er als Papst den Armen seine Aufmerksamkeit
schenken: den Hungernden, den Bewohnern der Elendsviertel, den
Unterdrückten, den Landlosen, den Indianern, den Gefolterten. Und
er soll die Märtyrer erwähnen. Sie, diese Armen, muss er
ansprechen, denn ihnen ist das Reich Gottes zugesagt.
Donnerstag, 30. Juni 2005:
Erfahrung der Freiheit
„Horch! Mein Geliebter!
Siehe, da kommt er, springt daher über die Berge, hüpft über die
Hügel! Mein Geliebter gleicht einer Gazelle...“ so lese ich in
der Bibel - im Hohen Lied der Liebe.
Gazellen flitzen mit 100
Stundenkilometer dahin, so als ob sie Freude an der Freiheit hätten.
Ihre Heimat ist gleichsam die Freiheit.
Der französische Dichter
und Pilot Saint Exupery war ebenfalls von einem unbändigen
Freiheitsdrang erfüllt. Seine Lehrmeister waren die Gazellen, die
er aus der Luft beobachtete. Am heutigen Tag im Jahre
1944 ist er irgendwo in der Wüste verschollen.
Saint Exupery zog in
einer Oase Gazellen auf. Er erzählt: „Wenn es junge Tiere sind,
lassen sie sich zähmen und fressen dir aus der Hand. Doch eines
Tages kommt der Drang, da sind sie nicht mehr zu halten. Sie rennen
gegen das Gitter an. Die Weite der Wüste zieht sie magnetisch an.
Sie wollen Gazellen werden“.
Sind wir nicht auch wie
Gazellen? Gezähmt durch tausend Annehmlichkeiten und tausend Zwänge!
Eines Tages merken wir, dass da eine Sehnsucht ist, die uns ins
Weite treibt. Unser Leben ist etwas Vorletztes, wir werden unruhig,
wir sehnen uns nach letzter, endgültiger Heimat und Freiheit.
Freitag, 1. Juli 2005:
Jugend in der Kirche
In der Zeit der Firmungen
macht ein Witz die Runde: Pfarrer beklagen sich über die Fledermäuse
in ihren Kirchen. Ein Pfarrer liest ihnen aus der Bibel vor. Kein
Erfolg. Ein anderer will sie mit Weihrauch und Exorzismen
vertreiben. Kein Erfolg. Nur einer lächelt. Er hat seine Fledermäuse
gefirmt und fort waren sie.
Die Klagen über die Überalterung
in unseren Gemeinden verstummen nicht. „Sag mir, wo die Jugend
ist?“ singen Pfarrer und Gemeinde.
In der Kirche, in welcher
ich Dienst mache, ergreifen Jugendliche beim Sonntagsgottesdienst
das Wort, sie stellen Szenen des Evangeliums dar oder spielen als
„Band“ auf. Selbst ältere Menschen, deren Ohren moderne
rhythmusbetonte Musik nicht so angenehm finden, erfreuen sich an der
Jugend.
Die Jugendlichen greifen
„ihre“ Themen auf: Armut, ungleiche Verteilung,
Arbeitslosigkeit, Beruf, Beziehung... Sie sind engagiert und zeigen,
wo sie der Schuh drückt. Solche Aktivitäten fördern den
Zusammenhalt und ziehen andere an.
Um kein Missverständnis
zu erwecken: Die Jugend strömt deshalb keineswegs in Scharen in
unsere Kirche. Doch viele Jugendliche spüren, dass sie in der
Kirche einen Platz haben und sich darin artikulieren dürfen. Der
Gemeinde tut es gut, wenn sie jugendlichen Elan verspürt.
Samstag, 2. Juli 2005:
Berufung
Wenn das italienische
Topmodel mit seinen langen Beinen über den Laufsteg wippt,
verrenken die Männer ihre Hälse. Um Hella – so der Künstlername
der hübschen Dame – reißen sich die großen Modeschöpfer.
Doch sieh da, sie geht
ins Kloster! Die Öffentlichkeit ist geschockt und schlachtet diese
Sensation gehörig aus. Reportern gelingt es, Hella aufzuspüren.
Sie ist Novizin in einem Kloster bei Rom, wo sie die Kleidung der
Obdachlosen und Bettler wäscht und die Ärmsten der Armen versorgt.
Klar und bestimmt sagt Hella den ungläubig fragenden Journalisten:
„Ich weiß, dass Gott mich berufen hat“.
Gott schöpft nicht die
Schaumkrone der Christenheit ab, wenn er Menschen an sich zieht. Er
erfasst Menschen in allen Lebenslagen, in den Augen der Welt edle
und wertvolle, aber auch solche, die – wieder in den Augen der
Welt - nicht viel gelten.
Wir beklagen das
Ausbleiben von Berufungen. Klagen erleichtern unseren Schmerz,
bringen uns aber nicht weiter. Eine jede Zeit hat ihre eigenen Bedürfnisse.
Wie Jesus dem Petrus gesagt hat, auf der „anderen Seite“ das
Netz auszuwerfen, so müssen heute auch wir „andere, mutige
Wege“ einschlagen, um die Berufungen zu erhalten, die unsere Zeit
braucht.
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