Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Bernd Hof (Innsbruck)
Sonntag,
10. Juli 2005
In
der Kirche lacht man nicht
In der Kirche lacht man nicht, meinen
manche Leute. Die finden es ganz fehl am Platz, wenn im
Gottesdienst ein Witz erzählt wird. Und das kommt schon manchmal
vor - in Familiengottesdiensten zum Beispiel, die Erwachsene und
Kinder gemeinsam feiern.
In einem solchen Gottesdienst zu
Beziehungsproblemen in der Familie hab ich einmal zum Einstieg
einen alten, ziemlich blöden Witz erzählt: Als die Europabrücke
fertig gestellt war, musste man ihre Tragkraft prüfen. So wurden
alle Schwiegermütter Tirols darauf versammelt: Wenn die Brücke hält,
ist das Werk gut. Und wenn sie nicht hält, ist’s ein gutes
Werk. - Beim Blick in die Gesichter der Gottesdienstbesucher hab
ich gleich ein schlechtes Gewissen bekommen. Denn zwischen den
lachenden Gesichtern hab ich einen alten Herrn gesehen, der immer
in die Kirche gekommen war, seit er seine Frau verloren hatte -
und sein Gesicht blieb steinern bei dem Witz. O weh, hab ich mir
gedacht, der Mann ist hier, um Kraft und Trost zu suchen, in
dieser Lage tut der dumme Scherz in der Kirche ihm sicher weh.
Tatsächlich war er nicht im nächsten
Gottesdienst. Auf der Straße ist er dann auf mich zugegangen, ich
hab mir schon eine Entschuldigung zurechtgelegt, aber er war ganz
aufgekratzt: „Ich finde das großartig“, hat er gesagt,
„wissen Sie, was ich meinem Freund gesagt habe? In meine Kirche
musst du kommen, hab ich gesagt, da werden im Gottesdienst sogar
Witze erzählt!“
Montag,
11. Juli 2005
Durst
im Krankenhaus
Im Krankenhaus kann man viel lernen –
auch über sich selbst.
Vor einiger Zeit war es so weit: Ich hab
mich operieren lassen müssen. In den ersten Tagen hat mir beinahe
jede Bewegung wehgetan, und das Aufstehen war jedes Mal eine Qual.
Trotzdem: Als einmal mein Trinkglas leer war und ich Durst hatte,
hab ich mich mühsam aufgerichtet, die Zähne zusammengebissen,
und bin ganz langsam, Schritt für Schritt, Wasser trinken
gegangen.
Als ich dann endlich wieder im Bett gelegen
bin, hab ich erst einmal aufgeatmet, weil die Schmerzen
nachgelassen haben. Dann hab ich zu mir selbst gesagt: Warum hast
du dir das angetan? Du hättest nur läuten müssen, und kurz
darauf hättest du etwas zu trinken bekommen. Es ist schon wahr,
die Krankenschwestern haben genug zu tun, aber auf die ein, zwei
Minuten wäre es der Schwester sicher nicht angekommen. Sei
ehrlich, hab ich mir gesagt: Du wolltest nicht zugeben, dass du
Hilfe brauchst. Du wolltest dir und dem Rest der Welt beweisen:
Ich schaff das schon allein. Und mit meinen Schmerzen werd ich
auch fertig.
Wir Männer sind oft schwierige Patienten,
hab ich gehört, weil wir mit unserer Hilfsbedürftigkeit
Schwierigkeiten haben. Dabei gehört es doch zum Menschsein dazu,
dass ich immer wieder Hilfe brauche.
Kräfte
lassen nach
Man kann doch ruhig darüber reden, dass
mit den Jahren die Kräfte allmählich nachlassen. Beim einen
schwindet die Leistungsfähigkeit schneller, beim anderen
langsamer, aber von einem Sechzigjährigen wird man keine Rekorde
erwarten können, das ist ja kein Geheimnis.
Freilich, was ich regelmäßig trainiere,
das werde ich nicht so leicht verlernen: Wer immer wieder turnt,
wird beweglicher bleiben als jemand, der sich kaum rührt; die
Gartenarbeit hält viele Leute in Schwung, und eine alte Bekannte
von mir liest ein Buch nach dem anderen: Unglaublich, was sie
alles weiß und wie sie geistig auf dem laufenden ist – dabei
wird sie heuer neunzig!
Ich bemühe mich auch, geistig und körperlich
in Schwung zu bleiben – und doch merke ich: Jetzt, wo ich die
Sechzig hinter mir habe, fällt mir manches nicht mehr so leicht
wie früher. Erfahrung und Routine gleichen viel aus, aber ich
kann’s nicht leugnen, ich werde allmählich langsamer, und das
nicht nur beim Sport: Auch fürs Planen und Denken brauch ich mehr
Zeit als noch vor zehn Jahren.
Das hab ich einem Bekannten erzählt, der
so alt ist wie ich – und er ist mir fast um den Hals gefallen:
„Wie gut ich dich verstehe“, hat er gesagt, „mir geht’s
auch so – aber man kann ja mit keinem darüber sprechen!“ Als
ob es eine Schande wäre, älter zu werden.
Mittwoch,
13. Juli 2005
Marco
hat gemeint, er sei ein kleiner Hund
Wir hatten einen Schäferhund, Marco hieß er. Er war außergewöhnlich
groß und ein friedliches Tier, aber bei kleineren Hunden musste
man aufpassen: Wenn die ihn ankläfften, ging er auf sie los, als
ob er sich ernsthaft bedroht fühlte und sich wehren müsste.
Woher das kam, das ist mir bei einer
Wanderung auf der Alm aufgegangen. Der Weg hat da durch eines
dieser Gatter geführt, die statt eines Tores aus ein paar Stangen
übereinander bestehen, im Abstand von vielleicht 30 Zentimetern
voneinander. Bei diesem Gatter war nur die unterste Stange
eingesteckt, und ich hab zu meiner Frau gesagt: Jetzt werden wir
sehen, für wie groß sich unser Hund hält. Und tatsächlich: Das
große Tier hat sich unter dem Holz durchgezwängt, über das er mühelos
hätte hinwegsteigen können. Er wusste offenbar nicht, wie groß
er war, und meinte: ich bin ein kleiner Hund. Ab da hab ich
verstanden, warum er sich vor Hunden gefürchtet hat, die viel
kleiner waren als er, und auf sie losgegangen ist.
Geht
es uns nicht manchmal auch so, dass wir uns bedroht fühlen, wo
eigentlich gar kein Grund dazu da ist, und auf jemand losgehen,
der uns angreift, obwohl der nicht annähernd unser Format hat?
Donnerstag, 14. Juli
2005
Single
Richtig wütend war die junge Frau, und für ihr gepflegtes Äußeres
sprach sie zu laut: „Ich hab es satt. Immer wieder falle ich
auf, weil ich allein lebe. Bestelle ich mir neue Möbel, will der
Verkäufer die Unterschrift meines Mannes haben. Im Urlaub muss
ich Strafe zahlen, weil ich kein Doppelzimmer brauche. Wenn Frauen
in meinem Alter zusammenkommen, reden sie über Kinder, Schule und
günstiges Einkaufen, und ich steh daneben. Die einen schauen mich
mitleidig an, weil mich offenbar keiner genommen hat, die anderen
bewundern meine angebliche Freiheit: Darf ich denn nicht einfach
sein, wie ich bin: Allein stehend, und durchaus zufrieden mit
meinem Schicksal?“
Die junge Frau spricht weiter, und Bitterkeit schwingt in
ihren Worten mit: „Politiker fragen, wer in Zukunft die Renten
bezahlen soll, wenn es immer mehr Singles gibt, in der Kirche höre
ich, es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, und angebliche
Humanisten rügen den Egoismus derer, die sich der Familie
verweigern - als ob es in den Familien keinen Egoisten gäbe!
Verstehen Sie, ich hab es satt“, sagt sie. „Hätte ich eine
Freundin, hieße es gleich, ich bin eine Lesbe; wenn ich mich an
ein Ehepaar anschließe, will ich nur der Frau den Mann
ausspannen, und Männer in meinem Alter sind entweder in festen Händen
oder wollen mit mir möglichst schnell ins Bett: Warum können die
Leute mich nicht die sein lassen, die ich bin: Eine allein
stehende Frau?“
Freitag,
15. Juli 2005
Dir
gönn ich die Radarfalle
Hundert
Stundenkilometer darf man auf diesem Stück Autobahn höchstens
fahren, habe ich dem Verkehrsschild entnommen. Ich fahre – wie
die meisten Pkws - 110, so genau wird’s die Polizei schon nicht
nehmen, und Hindernis ist weit und breit keines zu sehen. Da
braust einer zügig an uns vorbei, der fährt sicher 150. Und ich
sage laut hinter ihm her: „Na, dir gönn ich die nächste
Radarfalle.“
Meine
Frau lacht: „Du bist mir ein schöner Pharisäer! Du würdest
selber gern schnell fahren, aber du erlaubst es dir nicht, und
darum möchtest du’s auch den anderen verbieten, ja?“
Wie
Recht sie wieder hat! Irgendwann hab ich ja beschlossen, mich an
die Verkehrsregeln zu halten, wenn’s möglich ist. Denn es ist
doch sicherer für mich und auch für die anderen. Und Ärger und
Geld spart man auch ohne Strafmandat. Aber gern lass ich meine
Freiheit doch nicht beschränken, und wenn ein anderer sich die
Freiheit nimmt, auf die ich aus Vernunft und Verantwortung
verzichte, dann frisst mich der Neid, und das nicht nur im Straßenverkehr.
Den
Nächsten lieben wie mich selbst – das ist gar nicht so einfach.
Und setzt ein gesundes Selbstbewusstsein voraus.
Samstag,
16. Juli 2005
Sie
schaut wenigstens nicht weg
„Schau,
Mama“, sagt das kleine Mädchen ganz laut, „schau, Mama, der
geht so komisch.“ Ich schau auch in die Richtung, in die sie
zeigt, und sehe: Tatsächlich, der Mann ein paar Meter weiter bewegt
sich mühsam ruckartig dahin. „Psst“, sagt die Mutter, „sei
still, der geht dich nichts an.“ Der Gehbehinderte bleibt stehen.
Er wendet sich zu der Frau. „Doch“, sagt er, „ich gehe sie
etwas an. Sie schaut wenigstens nicht weg.“
Ich
fühle mich betroffen. Schließlich hab ich ja auch den Blick rasch
abgewandt, wie ich es als Kind gelernt habe: Einen Behinderten
starrt man nicht an, das wäre ihm peinlich. Am besten schaut man an
ihm vorbei, hab ich gelernt. Dass das dem Betroffenen erst recht weh
tut hat mir niemand gesagt.
Darüber
klagen Behinderte: Dass man mit ihnen anders umgeht als mit anderen
Menschen. Die einen nehmen sie aus lauter Höflichkeit gar nicht zur
Kenntnis, die anderen wollen immer nur helfen. So leidet mancher
unter der Reaktion der Umwelt noch mehr als unter der Behinderung
selbst und scheut sich, unter Menschen zu gehen.
Einen
Behinderten weder anstarren noch wegschauen, sondern ihn einfach
ansehen - das wär’s! Denn er geht mich ja etwas an - wie jeder
Mensch.
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