Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Michael Weiss
Sonntag, 24.7.2005
sich etwas schenken/ zu
sich gut sein
mit einer freundin war ich einmal in der stadt
spazieren. es war frühling und vor einem geschäft waren blumen
ausgestellt.
die freundin ging hinein
und hat sich einen leuchtend gelben strauss narzissen gekauft.
am weg zu ihrer wohnung,
wo wir einen tee trinken wollten, gingen wir vorher noch in ihre
stammbäckerei. die verkäuferin hat uns mit einem strahlenden lächeln
begrüßt.
als ich gerade einen
liter milch aus dem kühlschrank holte und die freundin eine torte
aussuchte, hörte ich die verkäuferin sagen, die die blumen sah: sind
die aber schön! und dann lächelte die verkäuferin verschmitzt, bei
der die freundin ja eine stammkundin ist und meinte: sagen sie, von
wem bekommt man denn so schöne blumen?
und die freundin hat
geantwortet: von mir. ich hab sie für mich selber gekauft. die
verkäuferin hat sie mit einem sehr verwunderten blick angeschaut und
dann ohne ihr lächeln gefragt: für sie selbst? ja, hat die freundin
geantwortet, schenken sie sich denn nie etwas?
Montag, 25.7.2005
vertrauen in der
begegnung / sich anderen öffnen
mein großvater war auch
in seinen 90-igern ein charmanter alter herr. im bergbau hat er
gearbeitet. hat gern gewitzelt, komplimente gemacht. immer im anzug
mit krawatte - bis zuletzt. als er dann durch seinen alzheimer
schon verwirrt war, hat er immer sein öamtc-abzeichen angesteckt
gehabt - 50 jahre mitglied beim öamtc stand da oben - und das wurde
dann für ihn zu einem abzeichen für alle möglichen
fantasie-verdienste oder ehrungen.
in seiner letzten zeit
nach dem tod seiner frau hat er bei meinen eltern gelebt. die eltern
hatten öfters besuch und wenn sich jemand verabschiedete, hat er
immer folgendes getan - auch bei den besucherInnen, die er vorher
noch nie gesehen hat:
mit seiner rechten hand
hat er zuerst auf das herz des anderen gedeutet, dann auf sein
eigenes herz und gesagt: von herz zu herz. das ist das wichtigste.
als ich das einige male miterlebt habe, habe ich mich zu fragen
begonnen: muss man oder frau so alt werden, um den mut zu einer
solchen begegnung zu haben? kann sich das nur ein 90-jähriger
verwirrter alter mann erlauben, oder dürfen das auch jüngere?
Dienstag, 26.7.2005
eigene träume ernst
nehmen
sie kennen das
vielleicht: sie wachen in der früh auf, wälzen sich noch mal im bett
auf die andere seite, weil sie etwas geträumt haben oder ihnen ein
gedanke gekommen ist. und nehmen wir einmal an: es war etwas
schönes,
ein wunsch, der aus ihrem
herzen kommt, ein traum, der schon lange in ihnen ist. sie stehen
dann auf, gehen ins bad, frühstück, der weg in die arbeit und nach
einem langen tag kommen sie nach hause.
stellen sie sich nun
einmal folgendes vor: sie kommen nach hause und da sehen sie vor
ihrer türe eine kleine person stehen, die ihnen völlig fremd ist.
und diese person schaut sie wütend an, stampft mit dem fuss auf den
boden und sagt:
„jetzt nimm mich
und dich doch endlich einmal ernst!‘ ihnen sausen gedanken durch den
kopf -
vielleicht jemand der geisteskrank ist?!
und fragen dann
abweisend: wer sind sie denn überhaupt? und dann wird diese kleine
person plötzlich ganz still, schaut ihnen in die augen und sagt: ich
bin das kind, dass du einmal gewesen bist. und wenn du mich
wahrnimmst,
dann spürst du vielleicht
die sehnsucht, deine träume zu verwirklichen,
dein leben ganz lebendig
zu leben.
Mittwoch, 27.7.2005
die angst vor den eigenen
träumen
albert schweitzer, der
theologe, arzt und friedensnobelpreisträger hat einmal gesagt: „wenn
die menschen das würden, was sie mit 14 jahren sind, wie ganz
anders wäre die welt.“
was geschieht mit den
träumen und herzenswünschen vieler von uns im lauf der jahre? wohin
kommen sie? werden sie in den keller oder am dachboden gestellt, in
kartons verpackt und fest zugeschnürt?
warum geschieht das? -
könnten wir jetzt fragen. und zur antwort bekommen:
aber das ist doch völlig
klar: es ist das leben mit all seinen anforderungen, anstrengungen
und verantwortungen! da hat das keinen platz oder - es wird eben
kaputt gemacht.
vielleicht ist es aber
auch so: dass in träumen
etwas sehr beängstigendes
steckt?
also: was soll des jetzt? träume haben doch bitte
wirklich nix mit angst zu tun.
ja, vielleicht aber doch!
vielleicht steckt in
träumen eine gefahr, vielleicht verbirgt sich hinter ihnen oft sogar
etwas sehr unbequemes: sich selbst zu begegnen, sich und seine
eigene lebensgeschichte zu entdecken.
einen traum oder wunsch,
der vom herzen her kommt, zu leben, bedeutet möglicherweise seinen
eigenen weg zu gehen, zu dem zu stehen, was man oder frau spürt,
auch wenn es abseits bekannter, sicherer wege ist.
Donnerstag, 28.7.2005
reise zum eigenen herzen
diese geschichten gibt’s
ja immer wieder, selten, aber immer wieder. manchmal kennen wir sie
nur so vom hören und sagen, manchmal auch sogar aus dem näheren
freundeskreis:
die geschichte von einer
oder einem, die sich eine auszeit nimmt, den mut hat, sich einmal
zeit nur für sich zu nehmen, um zu reisen, nachzudenken vielleicht,
für sich zu sein.
und dabei geht es gar
nicht um eine reise, die teuer ist oder luxus braucht. vielleicht
geht es um eine reise zum eigenen herzen, ein wochenende lang oder
irgendwann für ein paar stunden.
stellen sie sich einmal
vor, ein reisebüro würde eine solche besondere reise anbieten. da
müsste dann unbedingt auf seite 1 des katalogs eine warnung
draufstehen: achtung! mit einem rufzeichen: sie könnten beginnen,
sich selber zu spüren, ihre gefühle ganz deutlich wahrzunehmen, es
könnte geschehen, dass sie sich und ihre wünsche ernst nehmen!
und auf der letzten seite
des reisekatalogs würde stehen: achtung! mit drei rufzeichen: bei
erreichen des reiseziels besteht akute gefahr, dass sie das gute,
dass sie oft für andere tun, anderen wünschen, dann auch für sich
selbst tun!
Freitag, 29.7.2005
traum
ich bin einmal in einem
cafe gesessen und da war folgender spruch an der wand: „unsere
wünsche sind wie kleine kinder: je mehr man ihnen nachgibt, umso
anspruchsvoller werden sie.“
und ich dachte mir, wie
ist das mit unseren inneren wünschen? „unsere wünsche sind wie
kleine kinder“, hieß es in dem spruch - was wollen kleine kinder?
geliebt werden, geborgen sein, verstanden werden – und aus dieser
sicherheit heraus die welt erkunden und entdecken.
und wenn diese kinder
einmal gross und erwachsen sind – was ist aus ihren wünschen, ihren
träumen geworden?
was mit ihrer neugier auf das leben?
je mehr man den wünschen
nachgibt, hieß es in dem spruch, umso anspruchsvoller werden sie.
das klingt gefährlich. da sollte man oder frau besser die finger
davon lassen! oder ? könnte es sein, dass wenn ich das zulasse, was
ich mir wünsche, es mir erlaube anspruchsvoll zu sein und
mich und meine wünsche ernst zu nehmen, dass ich erfahrungen machen
kann, die mich bereichern, den mut habe, neues zu erleben, in dem
ich mich lebendig fühle, offen für veränderung bin?
Samstag, 30.7.2005
traum
ich war einmal als jugendlicher mit meinen eltern bei
einer abendlichen feier. eine langweilige sache war das für mich.
als die ansprachen endlich vorüber waren, stand ich entweder allein
herum oder versuchte mich in lächeln und small talk.
und irgendwann wurde ich beim buffet einem alten
herrn vorgestellt. wir begannen ein gespräch miteinander und ich
dachte mir schon: „oh, oh, wieder eine dieser small talk plauderein.“
als er plötzlich eine pause machte, mir in die augen blickte und
mich fragte: „so, junger mann, jetzt erzählen sie mir einmal, was
ist ihre lebensvision, was ist ihr traum?“
ich war sehr überrascht, hab zuerst etwas verlegen
herumgestottert, aber dann doch zu erzählen begonnen und es wurde
ein spannendes, wichtiges gespräch daraus. bevor wir uns
verabschiedeten, hat er mich zur seite genommen. und dann sagte er
ohne die üblichen abschiedsworte – indem er gleich darauf fortging
- nur noch diesen satz: „wenn sie einen traum haben, dann geben
sie ihn nicht auf!“
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