Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

von Sr. Pallotti Findenig, Provinzoberin der Missionsschwestern vom Kostbaren Blut, Kloster Wernberg, Kärnten

 

 

Sonntag, 28. August 2005:

Guten Morgen am Sonntag, zu dieser so frühen Stunde!

Ich wünsche Ihnen, dass Sie heute den Morgen in Muße verbringen und gut mit sich selber umgehen können, ich wünsche Ihnen Zeit – auch, um mit einem Gebet in den Tag zu gehen. Im Kloster beginnen wir gemeinsam mit dem Morgengebet, der Laudes. Wir wissen uns vereint mit den vielen Priestern, Ordensfrauen und Ordensmännern weltweit. Oft singen wir „Seht, wie die Schatten dunkler Nacht verblassen, rötliches Leuchten strahlt am frühen Himmel. Bitten wir innig mit vereinter Stimme, Gott, den Allmächtigen, dass er sich unser liebevoll erbarme, Heil uns gewähre, unsre Trägheit banne...“. Jede und jeder von uns kennt Nächte, in denen wir schwer auf den Morgen warten und es gibt solche, die viel zu schnell aus sind. Nach jedem Dunkel kommt ein neuer Morgen, sagt der Psalm voll Vertrauen aus gewonnener Erfahrung – im Wissen, dass Gott mit  uns ins Dunkel geht und in der Freude bei uns ist.

 

 

Montag, 29. August 2005:

Als ich unerwartet gefragt wurde, „Was heißt beten für Sie?“ Habe ich zuerst tief Atem holen müssen, bevor ich antworte. Was ist beten für mich? Ich bin mit Beten aufgewachsen und erinnere mich gut an das Schlafengehen. „Schenke der Welt den Frieden und beschütze unsere Familie.“ Das ist tief in meiner Erinnerung. Ich kann keine Definition von Gebet geben, es ist so selbstverständlich, vielleicht wie atmen. Es ist Teil meines Lebens. Beten, das ist für mich das Wissen, dass Gott um mich und in mir ist, dass ich ihn suche und dass er zu mir unterwegs ist. Und immer wieder die Bitte, dass ich ihm nicht davonlaufe oder ihm ausweiche. Beten, das heißt für mich manchmal still sein, und sicher mehr hören als reden. Beten, das heißt, allein, in meinem Rhythmus einige Stunden auf einen Berg hinaufgehen und in mir ein Lied singen, immer wieder die Worte wiederholen, in dankbarem Staunen – so, dass ich ins Gipfelbuch schreibe „Die Welt ist Gottes so voll“. Beten: Im tiefsten Innern wissen, dass Gott da ist.

 

 

Dienstag, 30. August 2005:

Darf ich Sie fragen: Beten Sie oder was heißt beten für Sie? Ich habe bei Christine Busta ein Gedicht gefunden, das mich nachdenklich macht und mir gut tut. Sie schreibt: Immer tiefer ergreifen mich die Gebete, die der Beter selbst nicht erkennt. Die schwieligen Hände des Gärtners, der Samen einlegt und Unkraut jätet, die gewissenhaften Griffe am Steuer, die eintönig genauen am Fließband, die wachsamen an Hebeln und Schaltern, die Fäuste an rüttelnden Pressluftbohrern, die behutsamen Finger mit Messern, Pinzetten und Nadeln, das Ohr für die fernsten Funksignale, die Andacht des Blicks für das Ganze, und die Hingabe ans Detail, die Wissbegier und die Demut, die täglich fürs Überleben auf den eigenen Namen verzichtet. Beten: Mittun an Gottes guter Schöpfung. Freuen wir uns über so viel unbewusstes Beten in uns und in unserer Welt.

 

 

Mittwoch, 31. August 2005:

Eine Dame im Altersheim klagt dem Priester, dass sie wohl bete, aber nie die Gegenwart Gottes erfahre. Er rät ihr: Setzen Sie sich nach dem Frühstück in ihr Zimmer, zünden Sie vor ihrer Ikone eine Kerze an, schauen Sie rundherum und dann nehmen Sie ihre Strickerei und stricken Sie eine Viertelstunde vor dem lieben Gott. Beten Sie dabei nicht, erfreuen Sie sich einfach am Frieden ihres Zimmers, an dem, was sie können. Nach einiger Zeit kam die alte Dame wieder zu ihm und sagte: Es geht wirklich. Ich habe es gemacht, wie Sie es mir geraten haben. Ich setzte mich hin und dachte: Ach wie schön, jetzt habe ich 15 Minuten vor mir, in denen ich nichts zu tun brauche. Und ich blickte mich im Zimmer herum, zum ersten Mal nach vielen Jahren, dachte ich: Wie schön ich es doch habe.... Ich fühlte mich ruhig, weil das Zimmer so voller Frieden war. Es fiel mir ein, dass ich vor Gott stricken sollte und fing damit an. Immer tiefer erfuhr ich die Stille wie eine Gegenwart und im Herzen dieser Stille war Gott.

 

 

Donnerstag, 1. September 2005:

Im Fürbittbuch unserer Klosterkirche lese ich viele Anliegen: „Beschütze meinen Vati, Mama, Oma und Opa!“ „Bitte um Gebete, dass ich nicht am Leben verzweifle!“ Danke für den schönen Sommer und Bitte um Schutz und Führung!“ „Hilf mir ertragen!“ „Herr, Rette unsere Ehe!“ „Herr, hilf uns in unseren Sorgen!“ „Dank und Bitte!“ „Gott, mach du unsere Familie wieder einig!“ „Danke für das Kind, das in mir wächst, bitte beschütze es!“ In Sprachen, die ich nicht kann, sind Eintragungen oder Kinderzeichnungen bringen Dank und Bitte zum Ausdruck. Wir Schwestern nehmen Sorgen und Anliegen in unsere Fürbitte hinein. Aneinander denken vor Gott, miteinander und füreinander Dasein, Mittragen von Sorgen und Einstimmen in Dank gibt Geborgenheit. Tröstlich schreibt Paulus an die Christen in Rom und sicher auch uns: „Wir wissen ja nicht, um was wir bitten sollen. Da tritt der Geist selbst für uns ein.“

 

Freitag, 2. September 2005:

Ein Gebet ist für mich wie ein Seil, an dem ich mich anhalten kann, sagte eine Frau zu mir.  Ein Gebet, wie ein Seil, wie ein Haltegriff...Wenn ich beim Klettern ein Seil habe, bin ich froh, es gibt mir Sicherheit und Vertrauen. Es entbindet mich nicht von persönlicher Anstrengung, von Überlegungen. Es ist nicht so, dass ich gar nichts mehr zu tun brauche und durch das Seil schnell und problemlos am Gipfel bin und die Aussicht genießen kann. Ein Gebet ist wie ein Seil zum Anhalten... da denke ich auch an den Rosenkranz, ans Beten des Rosenkranzes und die an vielen Autos, in denen ich Rosenkränze hängen sehe. Von Perle zu Perle gleiten die Finger und meditieren dabei Jesus und seine Mutter, auch wie ein Seil, zum Festmachen meiner Gedanken und Entscheidungen. Die möchte ich an Jesus festmachen, an

seinem Beispiel und mit seiner Hilfe, möchte ich durch den Tag gehen.

 

 

Samstag, 3. September 2005:

Heute pilgern Christen aus Kärnten, Slowenien und Friaul im Rahmen der Dreiländerwallfahrt nach Sveta Gora bei Nova Gorica in Slowenien. Gemeinsames Beten und Singen führt Menschen verschiedener Sprachen zusammen. Wallfahren ist Beten mit den Füßen. Die Gebetsgemeinschaft, die auch im Gehen entsteht, ist ein weltweites Netz, das mich überall, wohin ich komme, daheim sein lässt. Wir stützen einander, nehmen müde Gewordene, Verzweifelte in unsere Glaubensgemeinschaft hinein. Von mir wird keine Leistung erwartet, ich darf sein und mich mittragen lassen. Unter den Psalmen im ersten Testament finden sich Wallfahrtslieder, darin betet jemand: „Wohl den Menschen, die Kraft finden in dir, wenn sie sich zur Wallfahrt rüsten. Ziehen sie durch das trostlose Tal, wird es für sie zum Quellgrund. Sie schreiten dahin mit wachsender Kraft...“ Mögen Sie einen Ort haben oder finden, der Ihnen Kraft gibt und Menschen, von deren Gemeinschaft Sie sich getragen wissen.