Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Bischof Herwig Sturm

 

 

Sonntag, 2. Oktober 2005

Heute ist Erntedankfest. Der erste Sonntag im Oktober ist in unserer Kirche ein großer Festtag: Der Altar ist geschmückt mit Obst und Gemüse, Früchte aus den Gärten und von den Feldern, ein Laib Brot und ein Korb mit Weintrauben darf nicht fehlen. In einzelnen Gemeinden gibt es sogar noch eine Erntekrone.

 

Diese schönen und nahrhaften Dinge, die die Natur uns schenkt, sollen uns zum Zeichen werden für die Güte und Barmherzigkeit Gottes. Die Lebensmittel, die uns Freude und Kraft geben, werden zum Bild der Lebensmitte, aus der heraus alles erst seinen Sinn erhält. Erntedank meint Dank für die Fülle der Dinge, die unserem Leben dienen und Dank für die gute Hand Gottes, die darin am Werke ist.

 

Im Anschluss an diesen Gottesdienst wird in einigen Gemeinden gewählt.

„Evangelische wählen“ ist das Motto in diesem Monat und gemeint sind damit nicht die Landtagswahlen, die in diesem Herbst stattfinden, sondern die Gemeindevertreterwahlen in unseren Evangelischen Pfarrgemeinden. Ich möchte Ihnen in den folgenden Tagen einige Leute vorstellen, die sich da wählen lassen; auch sie sind eine Gabe für die wir dankbar sind und für die wir Gott  um seinen Segen bitten. In den Augen Gottes ist allerdings jede und jeder von uns eine gute Wahl.

In diesem Sinne: Gesegneten Sonntag!             

 

 

Montag, 3. Oktober 2005

Evangelische wählen jetzt im Oktober ihre Gemeindevertretungen. Ich versetzte mich in die Lage eines Kurators. Was der sich dazu denkt:

Ich bin Kurator, dass heißt einer, der sich um andere sorgt. Meine Sorge gilt der evangelischen Pfarrgemeinde, die mich vor 6 Jahren in dieses Amt gewählt hat. Jetzt habe ich die Aufgabe, die Wahlen für die nächsten 6 Jahre vorzubereiten.

Von den 30 Gemeindevertretern, es sind mehr Frauen als Männer, stellen sich fast die Hälfte nicht mehr der Wahl. „Lass doch die jungen ran“, sagen sie und „Unsere Welt verändert sich so rasch“, da braucht es Menschen, die mit dieser neuen Zeit Schritt halten.

 

Interessant waren die Gespräche zum Thema, was denn die Kirche heute noch soll: Hilfe für die, die jetzt Hilfe brauchen, also Diakonie, das war schon klar.

Ein Lebenssinn und eine Herausforderung für die Jugend, auch das ist unbestritten. Eine Beziehung zu Gott, zu dem so fremden und ganz anderen und der doch ganz auf unserer Seite ist, da fehlen mir selbst manchmal die Worte, aber in der Sehnsucht nach Gewissheit und nach Kraft zum Leben , da haben wir uns verstanden.

 

Unsere Konfirmanden haben übrigens groß geschaut, als ich ihnen erklärt habe, dass sie mit 14 Jahren wahlberechtigt sind, wenn sie konfirmiert sind.

Evangelische wählen. Gebe Gott, dass sie es tun und dass etwas Gutes dabei rauskommt.                 

 

 

Dienstag, 4. Oktober 2005

Evangelische wählen jetzt im Oktober ihre Gemeindevertretungen. Ich versetzte mich in die Lage eines Kandidaten: Ich bin Journalist. Mir war gleich klar, warum mich ein Presbyter meiner Pfarrgemeinde gebeten hat, doch für die Gemeindevertreterwahlen zu kandidieren.

Er möchte den Kontakt unter den Gemeindegliedern verbessern und das Gemeindeleben soll mehr in die Öffentlichkeit kommen.

Sie haben einen Schaukasten vor der Kirche, aber wenn sie nicht die Todesanzeigen da hineinhängen würden, würde wohl kaum jemand hineinschauen.

Sie geben ein Gemeindebrief heraus, 4x im Jahr, aber um in der Glanzpapierwerbung nicht unterzugehen müsste er schon einen sehr guten Inhalt und ein passables Layout haben. Meine Kinder haben diesen Kirchenboten bisher immer ungelesen weggelegt.

Wahrscheinlich erwarten sie von mir gute Ideen, wie man in einer Pfarrgemeinde die modernen Kommunikationsmittel nutzt; Einladung per Email zum Beispiel. Oder:  jeden Sonntag den Wochenspruch auf das Handy, das würde ich tatsächlich probieren und zu den Familiengottesdiensten würde ich auch in den Kindergärten und Schulen einladen.

 

Ich habe von Berufswegen täglich 100e Meldungen zu lesen und zu bewerten; ich weiß, wie viel Schrott täglich durch unsere Köpfe und Herzen geht. Dagegen sind Worte der Wahrheit, der Liebe und des Lebensmutes wirklich kostbar.

Evangelische wählen, ich mache eine Nachricht dazu.

 

 

Mittwoch, 5. Oktober 2005

Evangelische wählen jetzt im Oktober ihre Gemeindevertretungen. Ich versetzte mich in die Lage eines Kandidaten: Ich bin Lehrer, Musik und Religion. Ich habe ein gutes Verhältnis zu meiner Pfarrgemeinde, mit meinen Schülern gestalte ich immer wieder einen Gottesdienst und die Gemeindeglieder freuen sich, wenn es hin und wieder lebhaft zugeht in unserer Kirche.

Im Religionsunterricht studieren wir die Quellen, vor allem die Bibel, aber auch Philosophen und Dichter aus alter und neuer Zeit und diskutieren, was das für unser Leben und für unsere Gesellschaft bedeutet. Ich bin auch Lektor in unserer Gemeinde und wenn meine Schüler wissen, dass ich einen Gottesdienst halte, kommen einige und diskutieren in der nächsten Stunde meine Predigt. Für den Jugendgottesdienst bereiten wir eine Dialogpredigt vor, sie sollen nur mitreden.

 

Einige meiner Schüler sind Muslime. Kürzlich haben wir mit ihnen gemeinsam über den Islam gesprochen und dabei erfahren, dass heute der Ramadan beginnt. Als diese Buben und Mädchen schilderten, was ihnen dieser Fastenmonat bedeutet, nämlich eine Übung in Selbstbeherrschung und Disziplin – sie verzichten ja auf Essen und Trinken von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang –

eine besondere Wachheit für Gott  – das hat auch meinen Schülern imponiert.

 

Evangelische wählen, ich hoffe, dass wir auf diese Weise eine offene und dialogfähige Gemeinde werden.

 

 

Donnerstag, 6. Oktober 2005

Evangelische wählen jetzt im Oktober ihre Gemeindevertretungen. Ich versetzte mich in die Lage eines Kandidaten: Ich bin Banker. Ich habe nicht schlecht gestaunt, als ich gebeten wurde, für die Gemeindevertretungswahlen in meiner Evangelischen Pfarrgemeinde zu kandidieren. Kann denn einer Gott dienen, der als Beruf dem Mammon dient?

Zu dem habe ich wirklich ein schlechtes Gewissen, weil ich ein Vielfaches von dem verdiene, was die zwei alleinerziehenden Frauen verdienen, die sich ebenfalls der Wahl stellen.

Der Pfarrer hat gesagt, er braucht mich trotzdem, oder gerade deswegen, weil sich ja nichts ändert, wenn alle nur in den eigenen Kreisen verkehren.

 

Meine Aufgabe wird sein, das Geld der Gemeinde ethisch verantwortungsvoll anzulegen, also nicht in Fonds oder Aktien, die durch Kinderarbeit, in der Rüstungsindustrie oder durch riskante Spekulationen ihr Geld vermehren.

Ich soll auch einen Arbeitskreis aufbauen zum Thema Wirtschaften im Dienst des Lebens, ein Thema, das die Kirchen in Asien, und vor allem in Afrika auf die Tagesordnung der Christen gebracht haben und mit dem sich weltweit die Christen beschäftigen, um den zerstörerischen Wirkungen der Globalisierung möglichst kompetent und wirksam zu begegnen.

Mit dem fairen Handel – da habe ich mich ebenfalls  informiert.  Ich weiß jetzt, wer Bauern und ArbeiterInnen faire Preise zahlt und wo die schwächeren Partner über den Tisch gezogen werden.

Evangelische wählen – wenn sie mich wählen, dann haben sie Mut.   

 

 

Freitag, 7. Oktober 2005

Evangelische wählen jetzt im Oktober. Ich versetzte mich in die Lage eines Kandidaten: Ich bin Kaufmann. Die Evangelische Kirche ist nicht weit von meinen Laden entfernt und darum haben sie bei mir immer eingekauft für ihre Feste und Feiern. Für die Pfarrgemeinde gebe ich gerne Prozente, nicht nur weil ich auch evangelisch bin, sondern weil die doch alle ehrenamtlich arbeiten und ich meinen Teil für eine gute Sache beitragen möchte.

Nun haben sie mich gebeten, für die Gemeindevertreterwahlen zu kandidieren.

„Evangelische wählen“ - ich habe auch so ein Plakat aufgehängt, damit meine Kundinnen und Kunden wissen, dass sie nächsten Sonntag Ihre Gemeindevertreter wählen. Wahlwerbung? Ich bitte sie, die sind doch froh, wenn sie genug Leute finden, die sich das antun.

Die Leute reden mich an, im Geschäft, warum ich das tue. Also: Ich möchte mit engagierten Menschen über unsere Zukunft reden. Ich will nicht alles verkaufen, nur weil es billig ist, sondern möchte wissen, unter welchen Bedingungen die Menschen gearbeitet haben, die unsere Nahrung, unsere Kleidung ja auch unsere Blumen produzieren. Ich möchte wissen, wer da aller und wie viel verdient, wenn ich ein paar Turnschuhe verkaufe.

 

Vor alle möchte ich meinen Wunsch nach einer gerechteren und heileren Welt mit anderen besprechen, sodass wir uns informieren und vor allem dass wir Konsequenzen ziehen.

Meine Kirche erscheint mir dafür als ein guter Ort.

Evangelische wählen – ich finde, das ist eine große Chance.      

 

 

Samstag, 8. Oktober 2005

Evangelische wählen jetzt im Oktober. Ich versetzte mich in die Lage eines Kandidaten: Ich bin der Pfarrer. Die Predigt morgen hält ja meine Kollegin, doch die Gemeindevertreterwahlen beschäftigen mich noch ganz gewaltig.

Das Wählerverzeichnis war schon vor 6 Wochen fertig und ist in der Pfarrkanzlei   aufgelegen. Endlich weiß ich, wer weggezogen und zugezogen ist, bei der Gelegenheit konnte ich einige neue Gemeindeglieder und Familien begrüßen. Interessant waren die Vorschläge in unserem Presbyterium, welche Damen und Herren wir um ihre Kandidatur bitten sollen:

Die einen wollten, dass alles so bleibt, die anderen, dass alles anders wird. Einen Juristen haben wir ja schon, aber neu ist der Banker, wie wird es nur gehen mit dem Kaufmann von nebenan und welche Flöhe wird uns dieser junge Journalist ins Ohr setzen?

Einige hören jetzt auf. Sie haben für 1-2 ja sogar für 3 Perioden ihr Bestes gegeben, nun sollen andere in die Verantwortung eintreten.  Unsere Jugend ist ganz gut vertreten, die Frauen sind wieder in der Mehrzahl. Ich werde in meiner Predigt Luther zitieren: Der größte Schatz der Kirche das Evangelium ist, aber der zweitgrößte das seid ihr, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und ich werde mich nochmals bei allen bedanken Vor allem aber danke ich Gott.

Evangelische wählen – möge Gott seinen Segen dazu geben.