Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Stefan Ulz, Spiritual am Bischöflichen Seminar und Gymnasium in Graz

 

 

Sonntag, 9. Oktober 2005

Einheit, die hilft

Heute, am neunten Oktober, laufen nicht nur viele Sportlerinnen und Sportler beim Marathon in Graz um einen möglichst guten Platz in der Wertung. Heute laufen auch weltweit zig tausende Jugendliche einen Staffellauf, bei dem sie in 24 Stunden gemeinsam den ganzen Erdball umrunden und damit ein Zeichen setzen, dass sie eine Welt in Frieden und Einheit bauen wollen. Sie spüren, dass Krieg, Gewalt, Ungerechtigkeiten und Hass unsere Welt und die Menschen zu zerstören drohen und haben diese Woche zur „Woche für eine geeinte Welt“ erklärt. In der Steiermark nennt sich dieser gemeinsam mit der Katholischen Jugend organisierte Lauf „run4help/run4unity“. Dabei werden heute rund 500 Jugendliche in einem Staffellauf für ein Caritas-Projekt in Rumänien und für ein Schulprojekt irakischer Kinder laufen. Jeder Kilometer bringt nämlich einen Sponsor-Euro. Die Jugendlichen setzen konkrete positive Zeichen, die ein bewusster Gegenpol zu den vielfältigen negativen Auswirkungen von fehlender Einheit auf allen Ebenen sind. Solche Zeichen geben mir Hoffnung für unsere Welt und für die Zukunft der Menschen. Vielleicht kann auch ich heute ganz bewusst Zeichen setzen, durch die ich an einer geeinteren Welt mitbaue.

 

 

Montag, 10. Oktober 2005

Einheit mit mir selbst

Ich mache oft die Beobachtung, dass es Menschen, bei denen nach außen hin alles super oder zumindest intakt erscheint, innerlich gar nicht so gut geht. Auch wenn die äußeren Bedingungen positiv sind, fühlen sie sich unzufrieden, unrund, niedergeschlagen und innerlich zerrissen. Sie fühlen sich aus dem Lot und uneins mit sich selbst. Oder sie leben in verschiedenen Rollen, die aber nicht zusammenstimmen. Im Beruf sind sie vielleicht gut und immer freundlich zu den anderen und privat unausstehlich. Oder in der Kirche sind sie fromm und außerhalb der Kirchtür würde niemand an ihrem Verhalten auch nur erahnen, dass sie Christen sind. Wie kann ich die Einheit mit mir selbst finden? – Vielleicht im nächsten Selbstfindungskurs oder doch bei dem, der mich noch besser kennt, als ich mich je selber kennen werde, bei dem, der mich aus Liebe erschaffen und erlöst hat, der in jedem Augenblick meines Lebens bei mir ist und der in meinem Innersten wohnt: beim dreifaltigen Gott. In ihm allein kann ich letztlich die Einheit mit mir selbst finden. Ich werde heute versuchen, ganz bewusst aus dieser Mitte zu leben, die Gott ist. In ihm kann alles andere in meinem Leben seinen richtigen Platz und Sinn finden.

 

Dienstag, 11. Oktober 2005

Einheit mit meinen Nächsten

Wir Menschen sind nicht dazu geschaffen, als Einzelgänger zu leben. Wir brauchen die Mitmenschen und verdanken unser Leben abgesehen von Gott immer auch anderen Menschen. Sie und ich, wir erkennen und finden uns selbst erst in der Beziehung zu den anderen. Aber so sehr meine Mitmenschen mir helfen, damit ich ganz Ich selbst werden kann, so schwierig ist es zugleich manchmal mit ihnen, weil sie mich in meiner Persönlichkeit auch einschränken und verletzen können. Und gerade die Menschen, die uns am nächsten und am liebsten sind, sind auch diejenigen, die uns am meisten verletzen können. Der und die andere sind eben anders als ich selber, haben andere Empfindungen, Gedanken, Wünsche, Erwartungen als ich. Das kann sehr bereichernd und einander wunderbar ergänzend sein, ist aber oft auch Grund für Miss- bzw. Unverständnis und für Verletzungen. Wie kann ich also Einheit mit meinem Nächsten finden, eine Einheit, in der die Verschiedenheit zur Bereicherung wird? – Ich denke, die tiefste Wirklichkeit, in der wir eins sind und immer mehr werden können, ist der Mensch gewordene Gott Jesus, der sich mit allen Menschen eins gemacht hat. Wenn ich versuche, in meinen Mitmenschen Jesus zu sehen, kann ich mehr und mehr erfahren, dass jede und jeder Nächste geschaffen ist als Geschenk Gottes für mich und dass ich geschaffen bin als Geschenk der Liebe Gottes für die anderen.

 

 

Mittwoch, 12. Oktober 2005

Einheit in der Gemeinschaft

Ich bin in einer großen Familie aufgewachsen mit Eltern, Großeltern und sieben Geschwistern. Ich habe die Gemeinschaft in unserer Familie immer sehr genossen, auch wenn es natürlich hin und wieder Streit gab. Die gegenseitige Liebe und der Glaube hielten uns fest zusammen. Im Laufe meines Lebens durfte ich dann noch viele Gemeinschaften erleben: in der Schule, in der Jugendgruppe, in der Musikkapelle und so weiter bis hin zu Gemeinschaften, die von Menschen verschiedenster Länder, Sprachen und Kulturen geprägt sind. In jeder Gemeinschaft braucht es eine verbindende Mitte. Wenn diese Mitte fehlt, passiert es wie bei einem Rad, wenn die Speichen nicht mehr im Zentrum zusammengehalten werden: alles bricht auseinander und zerfällt in die einzelnen Teile. Leider machen wir diese Erfahrung auf verschiedenen Ebenen: in Familien, Gruppen, zwischen verschiedenen Ländern und schließlich in der Menschheitsfamilie, die zu zerreißen droht in Nord und Süd, Ost und West, Reich und Arm. Wo oder wer ist da die Mitte, die die Menschen zusammenhalten kann? – Es ist Jesus, der gesagt hat: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.“ In seinem Namen versammelt sein heißt, die aufrichtige Liebe und gegenseitige Achtung ins Zentrum stellen und nicht etwa Eigennutz, Macht oder Geld. Nur dann kann Einheit unter den Menschen Wirklichkeit werden.

 

 

Donnerstag, 13. Oktober 2005

Einheit im Schmerz

Eins sein mit sich selbst, in Harmonie mit meinen Nächsten und in der Gemeinschaft: ein Traum! – Aber bleibt es nicht eine Utopie? Sieht die Wirklichkeit nicht ganz anders aus? Tatsächlich gibt es Brüche in meinem Leben, die ich nicht leugnen und wegdiskutieren kann. Es kann Uneinigkeit und Unversöhntheit mit manchen meiner Nächsten geben, die ich beim besten Willen nicht in Harmonie auflösen kann. Und es wird, so lange wir auf dieser Welt leben, Ungerechtigkeiten, Grenzen, Unfrieden und sogar Hass geben. Und all das verursacht Leid und Schmerz. Geht nun unsere Sehnsucht nach Einheit ins Leere? Ist das Gebet Jesu um die Einheit nur ein Wunschgedanke? – Das Leid, die Trennung und den Schmerz nicht wahr haben zu wollen, wäre naiv. Aber Jesus hat nicht nur um die Einheit gebetet, sondern er hat auch dafür gelebt. Er ist dem Leid nicht aus dem Weg gegangen. Er hat sogar die größtmögliche Trennung die man sich vorstellen kann bewusst gelebt, die Verlassenheit von seinem Vater, als er am Kreuz schrie „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ In diesem Schmerz Jesu sind jede Trennung, jeder Schmerz und jedes Leid enthalten. Aber der Verlassene ist auferstanden und hat so die Einheit der Menschen mit Gott und untereinander erwirkt. Und weil es die Auferstehung gibt, kann auch ich sogar noch im Schmerz Jesus begegnen und in ihm die Einheit mit Gott und den Menschen finden.

 

Freitag, 14. Oktober 2005

Einheit mit der Erde

Als ich im Sommer 2001 einen Monat lang in Brasilien war und auch mit der einheimischen Bevölkerung in Kontakt kam, war ich sehr bewegt von der Beziehung, die die Ureinwohner mit der Natur haben. Sie verstehen sich zugleich als Kinder und Teil der Schöpfung und versuchen in Harmonie mit ihr zu leben. Umso erschreckender ist es für mich zu sehen, wie ausbeuterisch gerade viele Menschen der so genannten „zivilisierten“ Welt mit der Natur umgehen. Die Erde wird nicht selten behandelt wie ein Selbstbedienungsladen, wo die Güter zum eigenen Zweck und über die Maßen genommen werden ohne Rücksicht darauf, ob jene nach uns vielleicht auch noch etwas brauchen. Wir zerstören dabei nicht nur die Erde selbst, sondern auch unsere natürliche Beziehung zur Schöpfung. – Wie kaum ein anderer lebte der heilige Franz von Assisi in Einheit mit der Schöpfung, aber nicht aus einer Schöpfungsromantik heraus, sondern aus einer tiefen Überzeugung: aus dem Glauben, dass der eine und dreifaltige Gott die ganze Schöpfung ins Dasein gerufen hat. Wenn nun der eine Gott alle und alles erschaffen hat, dann sind wir mit allen Menschen und mit der gesamten Schöpfung in geschwisterlicher Beziehung verbunden. Ist es dann nicht logisch, dass wir auch versuchen sollten, uns dementsprechend zueinander und zur Umwelt zu verhalten?

 

 

Samstag, 15. Oktober 2005

Einheit mit dem Himmel

Vor wenigen Tagen war ich in einen Verkehrsunfall verwickelt, bei dem es für die Beteiligten schlimm ausgehen hätte können. Gott sei Dank sind alle mit nur leichten Verletzungen davon gekommen. Aber mit einem Schlag wurde mir deutlich ins Bewusstsein gerufen, wie zerbrechlich mein Leben ist und wie schnell es auch zu Ende sein kann. Selbst wenn es mir im Leben sehr gut geht, wenn ich mit mir selber, meinen Mitmenschen und meiner Umwelt eins bin, darf ich mich nicht der Illusion hingeben, dass sich dies hier auf der Erde ins Unendliche verlängern lässt. Es gibt nichts Sichereres in meinem Leben als den physischen Tod, der all dem ein Ende setzt. Ist aber damit nicht alle Einheit mit mir selber, mit meinen Mitmenschen, und der Welt überhaupt von vornherein zum Tod verurteilt? – Ja, das ist sie; außer sie ist begründet in dem, für den der physische Tod nicht die Grenze des Lebens, sondern erst der Zugang zum ewigen Leben ist. Nur im Glauben an das ewige Leben bei Gott bekommt letztlich mein irdisches Leben seine Ganzheit und seinen Sinn. Jedes Mal, wenn ich mit Menschen spreche, die an die Auferstehung und das ewige Leben glauben und die sich gegen Ende ihres Lebens auf ihren eigenen Tod vorbereiten, bin ich zutiefst dankbar, dass sie mich an diese Wahrheit des Lebens erinnern. Erst in der Einheit mit dem unendlichen und ewigen Gott kann ich wirkliche Einheit in dieser Welt erfahren.