Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Pater Clemens Kriz

 

 

Sonntag, 16.10.2005

In seiner Brotmeditation erzählt Elmar Gruber vom Weg des Brotes: vom Korn das aufgeht und zur Ähre wird, das geerntet und gemahlen wird – vom Mehl, in dem die vielen Körner eins geworden sind – vom Teig, in dem sich Wasser und Mehl verbinden, der Wärme braucht zum Reifen und der durch Menschenhände zum Laib geformt wird. Es ist eine Kette von Verwandlungen, und am Ende steht das Brot, das die Menschen nährt und erfreut.

Das Brot tut aber noch mehr: Es macht aus uns eine Gemeinschaft. So ist aus dem einen Korn, dem einen Brot, der einen Liebe und auch Mühe, mit der das Brot gemacht, gebrochen und ausgeteilt wird, schließlich etwas viel Größeres geworden.

 

Eigentlich ist gar kein besonderes Wunder nötig, wie etwa das der Brotvermehrung, denn das Brot ist selbst das Wunder. Im Teilen des Brotes liegt das Geheimnis. Antoine de Saint-Exupery hat es einmal so ausgedrückt: „Der Geschmack des geteilten Brotes hat nicht seinesgleichen.“

Heute ist Sonntag. Seit Jesus feiern die Christen am ersten Tag der Woche Brotbrechen – Eucharistie. Im Wort und im  geteilten Brot kommt Gott in uns. So aber werden auch wir aus einer namenlosen Masse eine Gemeinschaft. Gemeinschaft aber bedeutet ein mit- und füreinander. Auch dies hat nicht seinesgleichen.

 

 

Montag, 17.10.2005

Eine Geschichte erzählt von einem jungen Burschen der zwar viel von der Welt gehört aber noch nicht viel davon gesehen hatte. Immer mehr wuchs in ihm, die Sehnsucht selber die Welt kennen zu lernen. Immer brennender wurde sein Verlangen, mit eigenen Augen die Städte zu sehen, die er nur aus Erzählungen kannte, mit eigenen Füßen die Gegenden zu erkunden von denen ihm berichtet wurde. So machte er sich eines Tages auf die Wanderschaft.

Er war noch nicht lange unterwegs, da kam er an eine Kreuzung, die ihn zwang zwischen drei Möglichkeiten zu wählen, denn es war unmöglich in drei verschiedene Richtungen zu gehen. So ging er halt geradeaus weiter und musste natürlich links und rechts ein Tal ungesehen hinter sich lassen. Schon war seine Welt zusammengeschrumpft. Immer wieder musste er sich für einen Weg entscheiden und dabei natürlich viele Möglichkeiten ausschlagen. Langsam wurde er unzufrieden über diese Situationen, denn er wollte doch eigentlich alles kennen lernen.

Allmählich bereute er seinen Entschluss wegzugehen, um die Welt zu erkunden.

Zuletzt fand er sich auf dem Gipfel eines Berges wieder und sah plötzlich die ganze Welt, auch die verpassten Täler, unter sich.

Da wurde ihm bewusst: im Entscheiden und in dem dabei notwendigem Verzicht, war er ein Leben lang aufwärts gegangen, um sein Leben zu finden.

 

 

Dienstag, 18.10 2005

Das Wort Barmherzigkeit kommt im täglichen Sprachgebrauch nicht oft vor. Trotzdem ist Barmherzigkeit eine Eigenschaft, die uns selbst und damit auch die Welt verändern kann.

Im Kalender steht heute der heilige Lukas. Dieser Lukas war der Verfasser des dritten Evangeliums und stammte vermutlich aus Antiochia in Syrien, wo er als Arzt tätig war. Wann er Jesus begegnet ist wissen wir nicht. Seit dem Jahr 50 begleitete er Paulus auf seinen Missionsreisen und auch während seiner römischen Gefangenschaft. In seinem Evangelium stellt Lukas seinen Leserinnen und Lesern besonders die „barmherzige Liebe“ Gottes vor Augen - zu allen Menschen, besonders denen in Notsituationen und zu den so genannten Randexistenzen der Gesellschaft. Barmherzigkeit ist deshalb sein großes Thema.

Ihm verdanken wir die wunderbaren Gleichnisse vom barmherzigen Samariter und vom barmherzigen Vater – vielen eher als Gleichnis vom verlorenen Sohn bekannt. Nach dem Tod des Paulus in Rom soll Lukas in Achaia gewirkt haben, wo er sein Evangelium und auch die Apostelgeschichte verfasst hat, in der er die Entstehung und Entfaltung der jungen Kirche schildert.  Der Überlieferung zufolge starb er im Alter von 84 Jahren.

Ich wünsche uns allen, dass wir uns immer wieder der Barmherzigkeit Gottes im eigenen Leben bewusst werden, um so ebenfalls zu barmherzigen Vätern und Müttern, aber auch Samariterinnen und Samaritern zu werden.

Mittwoch, 19.10.2005

Vor kurzem sagte mir jemand, es sei in der heutigen Zeit unverantwortlich, Kinder in die Welt zu setzen. Diesen Satz habe ich immer wieder, von verschiedenen Menschen gehört. Ob hier wohl ein Grund liegt, warum heute viel weniger Kinder geboren werden als in früheren Jahrzehnten und Jahrhunderten?

Nun ich glaube, dass man hier einen Grund vorgibt, der wohl nicht von der Hand zu weisen ist, aber trotzdem nicht unbedingt als Grund ausreicht um die Menschheit in unseren Breiten aussterben zu lassen. Außerdem wüsste ich auf Anhieb keine Zeit, in der alles so glatt und positiv war. Jede Zeit hat und hatte ihre Probleme.

Neulich stieß ich auf eine Passage aus einem Religionsbuch: Eine anekdotische Situationsbeschreibung, die das Thema „Zeit für das Leben“ plastisch und aktuell illustriert.

„Du gehst aber tüchtig ran, Vater.“ Alexander trifft seinen Vater bei einer ausgedehnten Autowäsche. „Weißt du“, erklärt der Vater „die anderen machen mir das nicht sorgfältig genug. Der Wagen ist schließlich eine wertvolle Kapitalanlage. Da muss man selbst schon etwas Zeit und Mühe darauf verwenden.“

„Bin ich eigentlich keine wertvolle Kapitalanlage?“ fragte Alexander. „Wieso?“

„Weil du nie Zeit für mich hast!“

Kommen Ihnen solche Vorwürfe nicht auch bekannt vor. Oder, könnte es nicht sein, dass wir Menschen in Europa vor Allem mit so vielen nebensächlichen Dingen der Gegenwart beschäftigt sind, dass uns Zukunft und oft auch Vergangenheit gar nicht interessieren.

Jede Zeit ist wohl so gut, wie die Menschen, die in ihr leben, arbeiten und diese Zeit gestalten.

 

 

Donnerstag, 20.10.2005

Ein Gedicht mit dem Titel „Lob des Ungehorsams“ handelt von sieben Geißlein, die nach Anweisung der Mutter überall hineinschauen dürfen, nur nicht in den Uhrkasten – denn das könnte die Uhr verderben. Sechs Geißlein hielten sich daran, nur das Siebte nicht  - da hat es die Uhr verdorben.

Als dann der böse Wolf kam, versteckten sich die sechs braven Geißlein unter dem Tisch, Bett und Sessel, und wurden gefressen. Nur das unfolgsame Geißlein sprang in den Uhrkasten und wurde vom Wolf nicht entdeckt. Mit dem Satz „da war Mutter Geiß aber froh“ endet das Gedicht.

Der Eigensinn, durch das unbeirrte Forschen auch über die gesetzten Grenzen hinweg hat dem ungehorsamen Geißlein das Leben gerettet. Das Paradoxe des Vorgangs verdichtet sich in der abschließenden Feststellung: Da war Muter Geiß aber froh.

Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass auf dem Weg zum Erwachsenwerden und zum Selbst-Sein, zum Leben; Dinge, Vorstellungen, Vorstellungen auch Bemühungen zerbrechen. Dass diese Verluste notwendig waren, kann man meist erst im Rückblick sagen – allerdings auch nur, wenn man ehrlich genug zu sich selbst ist.

Und dennoch führt der Weg zum Leben nicht an solchen Grenzüberschreitungen vorbei, sondern durch sie hindurch – mit allen Risiken des Scheiterns.

 

 

Freitag, 21.10.2005

Eine Welt ohne Konflikte gibt es leider nicht. Es reichen bereits zwei Menschen, und das Konfliktpotential kann steigen. Die Frage ist nur, wie gehen wir mit Konflikten um. Versuchen wir, mit dem Betreffenden zu sprechen, um vielleicht eine Klärung zu finden oder blüht eben der Tratsch „über“ anstatt „mit“.

Manch einer freut sich sogar über Verfehlungen des Anderen, denn dies bringt schließlich neuen Gesprächstoff. Aber auch ein hinunterschlucken und Gras darüber wachsen lassen ist keine Lösung, sondern nur Quelle für ein Gewitter oder auch Magengeschwüre. Jesus gibt uns den Rat, im Falle eines Fehlverhaltens das Gespräch mit dem betreffenden Menschen zu suchen und erst dann, wenn dies nichts fruchtet, Hilfe durch andere in Anspruch zu nehmen.

In einem Buch über die Mönchsväter als Therapeuten, wird uns eine Geschichte über einen Mönch erzählt, der laut Aussage der Leute mit einer Frau zusammenlebte.

So bestürmten sie den Bischof, er müsse der Sache ein Ende bereiten. Als nun der Mönch den Bischof und die Leute kommen sieht, steckt er die Frau kurzerhand in ein Fass. Der Bischof in der Hütte angekommen durchschaut die Situation und setzt sich auf das Fass. Die Frau kann so nicht in der Hütte gefunden werden. Als die Leute weg sind, sagt der Bischof zu dem Mönch: „Bruder, gib auf dich acht.“

Zurechtweisen ist nicht gleich bloßstellen. Konfliktbewältigung kann in Ruhe und Offenheit zwischen zwei Menschen geschehen.

 

 

Samstag, 22.10.2005

Bei einem großen Konzert sei dem Solisten eine Violinsaite gerissen, das habe ich irgendwo gelesen. Trotz des Missgeschicks versuchte er weiter zu spielen. Und obwohl Jede und Jeder Verständnis gehabt hätte für eine Unterbrechung, spielte er auf der Violine mit drei Saiten weiter. Das Konzert wurde zur Schwerstarbeit für den Musiker, doch er führte es fehlerlos aus, bis zur letzten Note. Das Publikum tobte und konnte der Begeisterung gar nicht genug Ausdruck verleihen.

Manchmal, wenn ich mit verschiedenen Problemen von Menschen konfrontiert werde, fällt mir diese Geschichte ein. In jedem Menschenleben, auch in meinem passiert immer wieder so ein Missgeschick. Fehler werden begangen, Beziehungen zerbrechen und manch falscher Weg scheint im Moment so verlockend und richtig. Wenn wir an den Solisten denken; auch uns zerreißen oft Saiten und wahrscheinlich nicht nur eine. Die Kunst und Stärke trotzdem weiterzuspielen, weiterzugehen, weiterzuleben – kann aus uns Lebenskünstlerinnen und Lebenskünstler machen.

Und Gott – hat er etwas gegen zerrissene Saiten?

Ich glaube, Gott weiß um all das besser als uns manchmal lieb ist. Aber er gibt uns die Kraft weiterzuspielen. Die Tatsache, dass auch mit einer gerissenen Saite die Melodie harmonisch weitergespielt werden kann – ist Grund genug.

Ob diese Geschichte wahr ist? Ich weiß es nicht, aber das ist ja auch nicht wichtig.