Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von Pfarrer Gilbert Schandera (Schwanenstadt, OÖ)
Sonntag, 23.10.2005
Der Bildhauer Giacomo Manzù sollte ein Porträt von Papst Johannes
XXIII.
schaffen. Er hatte dabei Schwierigkeiten. Was war sein Wesen? Wo war der
Kern seines Charakters? Der Papst will ihm helfen und zeigt ihm
seine Wohnung. Unter anderem erklärt er dem Bildhauer Fotographien
seiner Familie, die an der Wand hängen. Er spricht von der Armut
und der Nächstenliebe seiner Mutter. Fast alles bespricht der Papst
mit Manzù. An der Wand gegenüber dem Bett entdeckt der Bildhauer
ein Kruzifix. Darunter steht ein Betpult. Dieses Kruzifix ist die
einzige Gestalt in der Wohnung, auf die der Papst weder durch eine
Geste noch durch ein Wort hinweist. Warum wohl?
Manzù gibt in seinen persönlichen Erinnerungen folgende Antwort: Warum
hätte er das Kreuz deuten sollen? So wenig ein Bauer, der seine Äcker,
seine Ernte, seine Familie gezeigt hat, dann auch noch auf die Sonne
am Himmel deuten würde! Sie ist da, jedem sichtbar, und alles Leben
kommt von ihr. So war es auch mit dem Kreuz. Vom Blick auf Christus
ging alles Handeln des Papstes aus. Jetzt hatte der Bildhauer das
gesehen, was er brauchte, um das Bild von Papst Johannes XXIII. zu
schaffen.
Montag, 24.10.2005
In dieser Woche feiern wir den Nationalfeiertag. Er ist der Feiertag des
größeren Gemeinwesens. Aber: wird überhupt gefeiert? Sehr viel
scheinen die Menschen in unserem Land mit diesem Tag nicht anfangen
zu können.
Wir werden doch immer mehr Individualisten, je besser es uns geht. Das
wird uns aber auch zum Problem, denn es widerstrebt der Natur des
Menschen. Wir sind nicht für die Einsamkeit geschaffen, sondern für
Beziehungen. In der Bibel spricht Gott selten einen Einzelnen an,
sondern meistens das Volk.
Der Segen des Aaron etwa beginnt so:
„Der Herr segne dich und behüte dich.“ Gemeint ist das Volk. Das
Volk steht vor Gott, nicht der Einzelne, ganz privat – fromm. Es
tut gut, immer wieder das Ganze zu sehen, sonst geht es auch dem
Einzelnen nicht gut. Oft kultivieren ja auch Familien eine Art
Gruppenegoismus. Innerhalb der Familie tut man alles füreinander,
außerhalb der Familie nichts. Dem könnte ein bewusst gefeierter
Nationalfeiertag entgegenwirken. Er könnte Heimat im großen
Gemeinwesen des Staates spüren lassen - und auch Verantwortung. Die
Heimat des Menschen entsteht ja nicht sosehr durch ein Haus oder die
Zuweisung von Land, sondern durch ein Beziehungsnetz. Wir sind nicht
in Häusern zu Hause, sondern bei Menschen. Und wer bei Menschen zu
Hause ist, erlebt vielleicht manchmal auch, dass man bei Gott zu
Hause sein kann.
Dienstag, 25.10.2005
Es ist eine sinnvolle Aufforderung, die ich einmal in einem Pfarrbrief
gelesen habe: „Wenn du einsam bist, besuch einen, der noch
einsamer ist als du!“
Was von uns bleiben wird, ist das, was wir für andere getan haben. Die
Beziehungen, die wir gepflegt haben, auch die minimalen, bleiben überunseren
Tod hinaus. Beziehungen können durch noch so große und auffallende
Grabsteine nicht ersetzt werden. Jede Beziehung zu einem
menschlichen Partner kann religiöse Erfahrung schenken. Das Heilige
zeigt sich im tiefen Verständnis und im Glück gemeinsamen Lebens.
Da leuchtet mitten im Alltag der Himmel auf. Wir wissen auch, dass
alles Mühen um Gemeinschaft und Beziehung stümperhaft bleibt.
Trotzdem sagt die Bibel, dass nur wir Menschen die „Wohnungen des
Evangeliums“ sein können. Nicht an bestimmten Orten oder in
Kirchen „wohnt“ Gott, sondern im Menschen will er wohnen, der
liebt. Die Liebe zueinander macht schon ein Stück Himmel aus.
Ein großes Wort auch in Hinblick auf die große Gemeinschaft von Volk
und
Nation. Die Nation besteht - vom Begriff her – aus den Menschen, die
von Geburt her aufeinander verwiesen sind. Wenn sie sozialen Frieden
und Gerechtigkeit schaffen, können sie da und dort „Himmel“
bereiten. Das muss uns am bevorstehenden Nationalfeiertag vor Augen
stehen.
Mittwoch, 26.10.2005
Wenn jemand für ein Amt bestimmt wird, legt er oder sie den Amtseid ab.
Dahinter steht der Gedanke, dass über dem Staat und über allen
Gesetzen etwas absolut Vorgegebenes steht: Gott. Die öffentliche
Verpflichtung des Amtsträgers wird bestärkt durch eine innere
Orientierung. Die Amtsträger können nur dann zum Wohl der Menschen
arbeiten, wenn ihnen moralische Werte wichtig sind, etwa der
Ausgleich zwischen Starken und Schwachen, zwischen Armen und Reichen
oder die Freiheit der Bürger.
Uns Bürger erinnert der Nationalfeiertag an manches geschichtliche
Ereignis. Er mahnt unsere Verantwortung ein – dem größeren
Gemeinwesen gegenüber. Er kann aber auch an die Größe einer überweltlichen
Instanz erinnern, die wir Gott nennen und in der alles menschliche
und gesellschaftliche Handeln verankert ist.
Die Feier dieses Tages erinnert uns daran, dass wir uns nicht nur vom
Staat versorgen lassen dürfen. Wir haben auch etwas einzusetzen.
Gut und Böse zu unterscheiden und nötigenfalls Kritik zu üben,
kann ein Dienst an der Gesellschaft sein.
Der Blick auf die eigene Nation an diesem Tag verlangt auch den Blick über
die Grenzen des Landes hinaus. So wie Menschen voneinander leben,
leben auch Nationen voneinander. Die Religion drängt immer dazu,
diesen Blick aufs Größere nicht zu verlieren. Die Gesellschaft
braucht die Religion, auch wenn einzelne sie ablehnen. Die Religion
ist ja der Blick auf das Ganze, über alle Einzelinteressen hinaus.
Donnerstag, 27.10.2005
Im Evangelium gibt es die berühmte Frage nach der Steuer. Dürfen religiöse
Menschen Steuer zahlen? Dürfen sie sich überhaupt um das
Politische kümmern? „Ja, natürlich!“ sagt Jesus. Aber auch:
„vergesst darüber euren Gott nicht!“
Die Christen haben sich immer als einen Teil der Gesellschaft gesehen, in
der sie leben, - nicht abgehoben und abgesondert. In vielem
unterscheiden sie sich nicht von den anderen. Eine alte Tradition lässt
sie regelmäßig in den Fürbitten der Eucharistie für die
Regierenden beten, egal, ob sie gläubig sind oder nicht.
Die Christen haben es aber immer auch als ihre Aufgabe gesehen, die
Menschen, unter denen sie leben, aufmerksam zu machen, dass es
hinter den Dingen dieser Welt einen Größeren gibt. Sie waren
bereit, gegen den Strom der Mehrheit zu schwimmen. Gläubige
Menschen scheuen Konflikte nicht. Konflikte befreien manchmal zu
einem weiten Blick und zu einer wachen Existenz. Der bequemere Weg
ist ja nicht immer der Bessere.
Auch mahnen die Christen, sich von der Gesellschaft nicht versklaven zu
lassen, sondern „auszusteigen“, etwa von Konsumzwang und
Freizeit-Stress. Christen sagen mit ihrem Herrn: Gebt dem Staat, was
er braucht, zahlt ehrlich eure Steuern und engagiert euch! Das ist
aber nicht alles! Verliert den Blick „nach oben“ nicht! Dann
seid ihr orientiert, dann gelingt auch das Miteinander!
Freitag, 28.10.2005
Gar so verstaubt ist die Bibel nicht. Auch nicht das so genannte Alte
Testament, dessen Texte im Durchschnitt 2500 Jahre alt sind.
Ich denke etwa an das, was bei uns als tüchtig bezeichnet wird: Können
im Beruf, Durchsetzungsvermögen, kräftige Darstellung der eigenen
Leistung, Erwerb vieler materieller Güter. „Präsentation“
Dagegen die Bibel im „Buch der Sprichwörter“: (Spr 31, 10 - 31) Da
heißt es: „Tüchtig ist der Beständige.“
Auf den oder die Tüchtige(n) kann man sich verlassen. Vertrauen ist möglich.
Der Tüchtige im Sinn der Bibel bleibt seinen Aufgaben und
Verpflichtungen treu. Zudem hat der Tüchtige eine soziale
Gesinnung. Nicht sosehr Geschäftigkeit bestimmt ihn, sondern eine
gute Abwägung zwischen dem eigenen Wohl und dem Wohl des anderen.
Er teilt großzügig mit den Armen und lacht in wissender Heiterkeit
der Zukunft entgegen. Und drittens ist der Tüchtige im Sinn der
Bibel ein religiöser Mensch. Einer der die Kraft und Fähigkeit
hat, weiter zu blicken und sich dadurch besser in der Welt
zurechtzufinden. Zeigen sich die dieser uralten Beschreibung der Tüchtigkeit
nicht auch Sehnsüchte und Ahnungen von heute?
Spüren wir nicht alte Menschheitserfahrungen darin? Die Bibel ist oft
aktueller als unsere „Aktualität“.
Samstag, 29.10.2005
Sehen Sie sich in Ihrer Wohnung um. Es gibt da den einen oder anderen
Gegenstand, der Sie an die Situation erinnert, in der Sie ihn
erhalten haben, und an den Menschen, der Ihnen diesen Gegenstand
geschenkt hat. Sie spüren wieder, wie Sie sich damals angenommen
gewusst haben – und sind dankbar dafür.
Im Evangelium gibt es die berühmte Geschichte von den 10 Aussätzigen,
die von Jesus geheilt werden. Nur einer kommt zu Jesus zurück und
dankt ihm, einer von zehn! So sind wir.
Der Dankbare dagegen erlebt das Leben tiefer. Religiöse Menschen sind
dankbar dafür, dass sie die Welt deuten können und dass sie die
Welt in einem anderen Licht sehen können. Der Gottesdienst am
Sonntag, die Eucharistie, heißt übersetzt „Dankfeier“ - nicht
Verpflichtung, sondern selbstverständlicher Dank für die
Erfahrung, geliebt zu sein, begleitet zu sein und um den Sinn zu
wissen. Menschlich gesagt: Gott braucht unsere Dankbarkeit nicht.
Als dankbare Menschen leben wir aber besser. Dankbar sind wir in
diesen Tagen wohl auch für unser gesamtes Gemeinwesen in dem wir
trotz aller Schwächen eine Heimat haben.
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