Morgengedanken
Sonntag, 6.05 Uhr -
6.08 Uhr,
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr,
ORF Regionalradios
von
Pfarrer Dr. Christoph Weist,
evangelische Kirche A. B.
Sonntag, 30. Oktober:
(Besserungsfähig
EG 280,3)
Die Krux mit dem Kirchenbesuch: Man ist sich einig, er könnte besser
sein. Ein abwechselnd in den USA und Europa lebender
Sozialwissenschaftler hat einmal erklärt, dies sei hauptsächlich
ein europäisches Problem. In Amerika seien am Sonntagvormittag die
Straßen leer gefegt, nicht weil die Leute ausschlafen, Zeitung
lesen oder ihr Auto waschen, sondern weil sie im Gottesdienst sind.
Und ich kann das aus eigener Erfahrung bestätigen.
Die Gründe dafür sind vielschichtig. Ich denke aber nicht, dass europäische
Christinnen und Christen resignieren müssen. Man muss nur näher
hinsehen: Auch in der scheinbar so gottlosen Gesellschaft Europas
hat die christliche Botschaft tiefe Spuren gezogen. Von der fast
allgemein ablehnenden Einstellung zum Krieg bis zum andauernden
Ringen um die rechte Verantwortung für Menschen auf der Flucht. Das
sind nur zwei Beispiele, und sie sind keineswegs selbstverständlich.
Ich denke, die Worte Martin Luthers aus einem seiner Lieder vor fast 500
Jahren können noch heute zu Recht gesungen werden – vielleicht im
Gottesdienst: „Es danke Gott, und lobe dich das Volk in guten
Taten; das Land bringt Frucht und bessert sich, dein Wort ist
wohlgeraten.“ Das ist kein Grund zum Stolz, sondern zur Hoffnung,
dass die Besserung noch weiter geht.
Montag 31.Oktober:
Reformation (Der Bruder EG 341,6)
Was hat sie gebracht, die Kirchenspaltung vor fast 500 Jahren?
Das werden sich manche fragen, wenn sie hören, dass
evangelische Christinnen und Christen heute wieder einmal den
Gedenktag der Reformation begehen. Er wird kaum wahrgenommen, dieser
Feiertag, der Weltspartag ist da lauter. Und über die
Verschiedenheit der Kirchen ist schon viel Kluges und weniger Kluges
gesagt worden.
Daher sage ich jetzt einfach, was Reformation für mich bedeutet: Eine Neuentdeckung. Die Neuentdeckung, dass der Gott,
an den Christinnen und Christen glauben, ein guter Gott ist. Und
dass er das gezeigt hat an dem Mann Jesus von Nazareth, wenn auch
schon vor langer Zeit.
Martin Luther, der den großen Anstoß zur Reformation gegeben hat, hat
es in einem Lied so beschrieben: „Der Sohn dem Vater
g´horsam ward, er kam zu mir auf Erden von einer Jungfrau
rein und zart; er sollt mein Bruder werden.“
Ich brauche einen Bruder, jede und jeder braucht eine solche Schwester
oder einen solchen Bruder. Das wird immer wieder vergessen. Die
Reformation hat daran erinnert. Und ob man´s glauben will oder
nicht: Vielen hat es geholfen, von diesem Bruder zu wissen. Das hat´s
gebracht.
Dienstag, 1. November:
Allerheiligen (Die
Perspektive EG 518,1)
So schnell kann´s gehen. Wie oft ist mir dieser Satz schon entwischt,
wenn ich von dem plötzlichen Tod eines mir bekannten Menschen gehört
habe. Und ich habe mir insgeheim meinen Tod vorzustellen versucht. Wünsche
gingen mir durch den Kopf, wie und wo ich gerne sterben würde.
Natürlich wird alles ganz anders sein. Kaum jemand hat eine Ahnung
davon, wann, wie und wo er seinem Tod begegnet. Und bekanntlich ist
das auch gut so. Dennoch bleibt Angst. Die Ungewissheit, die ein
Menschenleben stets begleitet, ist hier am deutlichsten zu spüren.
Martin Luther, der Reformator der Kirche, kannte diese Angst. Er soll
sehr unter ihr gelitten haben. Aber er kannte auch eine alte
Liedstrophe, die möglicherweise aus Salzburg stammt. An ihr hat er
sich festgehalten: „Mitten wir im Leben sind mit dem Tod umfangen.
Wer ist, der uns Hilfe bringt, dass wir Gnad erlangen? Das bist du
Herr alleine.“
Allein der freundliche Gott, das war für Luther der Angelpunkt. Und auch
ich habe keine andere Antwort, wenn ich am Allerheiligentag an Gräbern
stehe. Allein der freundliche Gott. Wer hätte eine bessere
Perspektive?
Mittwoch,
2. November:
(Böser
Morgen EG 299,4)
Ein Morgen muss nicht immer gut sein. Der Morgen nach einer Nacht, die
von Tod oder Krankheit bestimmt war, der Morgen vor einem
entscheidenden Ereignis wie einem Vorstellungsgespräch oder einer
Gerichtsverhandlung, ein solcher Morgen lastet schwer auf einem.
In den Tagen um Allerheiligen spielen die Themen Tod, Leid und Sorge eine
besondere Rolle, einmal im Jahr. Aber diese Themen begleiten jede
und jeden von uns zwölf Monate hindurch.
Es gibt viele Arten, wie man versuchen kann, mit den Dingen, bei denen
sich der Magen zusammenkrampft,
umzugehen: „So ist es halt im Leben. Mal geht es rauf, mal
runter. Es wäre sonst ja zu schön gewesen“, und was es
dergleichen hohle Redensarten sonst noch gibt.
Gar nicht hohl, sondern tief empfunden finde ich den Satz aus einem Lied
Martin Luthers: „Und ob es währt bis in die Nacht und wieder an
den Morgen, doch soll mein Herz an Gottes Macht verzweifeln nicht
noch sorgen.“
Sicher, das sind schlichte Worte. Sie rechnen mit einem Gott, der seine
Macht für mich persönlich einsetzt. Und sie rechnen mit einem
guten Ende dessen, was am Morgen noch aussichtslos erscheint. Und
sie beruhen auf der Erfahrung, dass dies auch immer wieder
geschieht.
Donnerstag, 3.November:
(Auf
den Punkt gebracht, EG 23,4)
Unter den erstaunlich vielen Begabungen des Reformators Martin Luther ist
eine für mich geradezu beneidenswert: Er konnte schwierige Fragen
mit wenigen Worten auf den Punkt bringen. Wie ein moderner
Journalist beobachtete er das damalige Zeitgeschehen aufmerksam und
kommentierte es auch immer wieder. Und wie ein Journalist hatte er
manchmal Recht und manchmal irrte er sich. Eines aber erkannte er
messerscharf ohne Pessimist zu sein: Es liegt im Argen mit der Welt.
Gleichzeitig wusste er, dass das nicht das letzte Wort ist. Und was
er damit meinte, fasste er in dem kurzen Satz eines Liedes zusammen:
„Das ewig Licht geht da herein, gibt der Welt ein´ neuen
Schein.“
Das ist es, worauf es Luther und der Reformation ankam:
Gott ist in die Welt gekommen, um sie anders aussehen zu
lassen. Das ist kein frommer Spruch, sondern erfahrbar. Die Welt erscheint
nicht nur anders, sondern sie wird
tatsächlich anders für den, der die Botschaft Jesu von Nazareth
ernst nimmt. Und die redet nicht nur von Liebe, sondern auch von
Verantwortung. Von Verantwortung, die kein Müssen und kein Sollen
bedeutet. Ein neuer Schein vom ewigen Licht für die dunkle Welt, -
ich denke, dann kann alles nur besser werden.
Freitag, 4. November:
(Die
Nachtigall, EG 319,4)
Es gibt verschiedene Weisen, die Natur zu betrachten. Für die Einen ist
sie ein perfektes Idyll, in dem alles stimmt, für die Anderen ein
bedrohliches Etwas, vor dem man auf der Hut sein muss. Die
Reformatoren hatten auf die Natur einen Blick, der sachlich und
emotional zugleich war. Auch sie bewunderten die Schönheit der
Natur, aber sie war für sie nichts Heiliges. Sie war für sie der
große Hinweis auf den, der sie nach christlicher Überzeugung
gemacht hat: auf Gott, den Schöpfer.
In einem kleinen Gedicht hat Martin Luther einmal die Nachtigall
besungen. Zuerst bedankt er sich bei dem Vogel für seinen
„lieblichen Gesang“, der überall alles fröhlich mache. Dann
aber verbessert er sich gleichsam und bedankt sich bei seinem
„lieben Herre Gott“. Der habe die Nachtigall so geschaffen, dass
sie eine solch hochmusikalische Sängerin sei. Und das wisse die
Nachtigall auch, denn: „Dem singt und springt sie Tag und Nacht,
seins Lobes sie nichts müde macht: den ehrt und lobt auch mein
Gesang und sagt ihm einen ewgen Dank.“
Es gibt verschiedene Weisen, die Natur zu betrachten. Diese scheint mir
die beste zu sein.
Samstag, 5. November:
(Die
Beziehungskiste, EG 25,5)
Nicht der moderne Mensch und die Kirche, sondern der moderne Mensch und
Gott, das war das große Thema dessen, was man die „Reformation“
nennt. Wie sieht´s aus zwischen mir und dem, was in der Bibel und
überhaupt im christlichen Abendland Gott genannt wird? Gibt es ihn?
Und wenn ja, brauche ich ihn? Ist Vermittlung nötig zwischen ihm
und mir?
Die Antwort der Reformation war: Es gibt ihn nicht einfach so. Es gibt
ihn für mich. Und das
auch nur dann, wenn ich mich offen halte. Das Ganze ist eine
„Beziehungskiste“. Dann ist zwar eine Kirche, die
„Gemeinschaft der Gläubigen“, sehr hilfreich, aber sie steht
nicht in Gottes Stelle. Vor Gott stehe ich allein mit dem, was ich
aus der Bibel von ihm weiß, und mit meinem Gewissen.
Das ist übrigens nicht so schwer, wie es klingt, es schenkt vielmehr große
Freiheit. In einem Lied hat Martin Luther dieses besondere Verhältnis
Gottes zu seinen Menschen – vielleicht etwas ungelenk - so
beschrieben: „Er will und kann euch lassen nicht, setzt ihr auf
ihn eu´r Zuversicht.“ Ich glaube, dass sich diese Zuversicht noch
immer lohnt.
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