Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

von Propst Florian Huber, Innsbruck

 

 

Sonntag, 6. November

Die Lage der Alten Spitalskirche am Beginn der Maria-Theresien-Straße ist sehr günstig. Öffentliche Verkehrsmittel halten unmittelbar davor. Touristen strömen Tag für Tag in großer Zahl hinein. Man möchte meinen, dass die quirlige Atmosphäre der belebten Straße leicht in den Kirchenraum hineinschwappt.

 

Ich erlebe es immer wieder anders und habe es auch vielfach bestätigt bekommen. Ich gehe hinein und nehme fast jedes Mal betende Menschen wahr. Sie sind einfach in einer großen Selbstverständlichkeit da. Es ist eine gesammelte Atmosphäre einer erfüllten Stille um sie. Sie lassen sich von Touristenströmen nicht aus der Ruhe bringen. So finden auch andere zur Ruhe.

 

Die Räume, in denen sich unser Leben abspielt, strahlen etwas von den Menschen aus, die sie erbaut haben und beleben. Diese Ausstrahlung ist spürbar. Ich bin dankbar dafür, dass es Räume gibt, die vom Geist des Gebetes geprägt sind, von der Ahnung und von der Wahrheit, dass wir mit Gott von Du zu Du ins Gespräch kommen können. Das tut unserer Seele gut.

 

 

Montag, 7. November

Es wird den wenigsten auffallen: an der Spitze eines Kirchturmes erwartet man sich normalerweise ein Kreuz. Bei der Spitalskirche in Innsbruck ist das anders. Auf der Kirchturmspitze ist eine Heilig-Geist-Taube zu entdecken.

 

Im 12. Jahrhundert wurde in Südfrankreich der Orden der Hospitaliter vom Hl. Geist gegründet. Er hat für Pilger und Kranke Spitäler mit einer Kapelle bzw. einer Kirche eingerichtet und den Hl. Geist, den Tröster, als Patron für die Kranken gewählt. Die Idee hat in Europa Fuß gefasst, auch in Innsbruck.

Das Spital gibt es schon seit fast 120 Jahren nicht mehr an dieser Stelle. Der Friedhof, der damals auch zum Spital und zur Kirche dazugehört hat, ist seit fast 150 Jahren aufgelassen. Geblieben ist der Name „Alte Spitalskirche“ und ihr Patron „Der Heilige Geist, der Tröster“, sichtbar auch nach außen an der Spitze des Turmes.

 

Man kann vieles auf die Spitze treiben. Wenn es „top“ ist, bedeutet es etwas. Da gibt es die Topqualität. Wenn ein Song es unter die top ten geschafft hat, dann ist er gut. Wer unter den Topmanagern aufgelistet ist, der hat ein Spitzengehalt.

Damals hat man auf die Spitze der Spitalskirche den Hl. Geist, den Tröster, gesetzt, mit dem man leben, Krankheit bestehen, ja sogar sterben konnte.

 

 

Dienstag, 8. November

Die Alte Spitalskirche in Innsbruck hat im Laufe der Zeit in ihrer Ausgestaltung große Veränderungen erfahren. Von den ursprünglichen Gemälden gibt es nur noch ein Deckenbild im Orgelchor. Anfang der 60er Jahre wurde die Kirche mit qualitätsvollen neuen Gemälden von Hans Andre ausgemalt. Wer seine Augen zur Decke erhebt, findet eine Darstellung der Bergpredigt Jesu und der acht Seligpreisungen.

 

Sie von der Höhe der Ideale auf den Boden der Realität zu holen, darum geht es. Jesus hat das, was er verkündet hat, tatsächlich gelebt. Das Faszinierende an ihm und an seiner Botschaft hat Martin Gutl so ins Wort gefasst:

Endlich einer, der sagt:

„Selig die Armen!“

und nicht:

Wer Geld hat, ist glücklich!

Endlich einer, der sagt:

„Liebe deine Feinde!“

und nicht:

Nieder mit den Konkurrenten!

Endlich einer, der sagt:

„Selig, wenn man euch verfolgt!“

und nicht:

Passt euch jeder Lage an!

Endlich einer, der sagt:

„Der Erste soll der Diener aller sein!“

und nicht:

Zeige, wer du bist!

Endlich einer, der sagt:

„Was nützt es dem Menschen, wenn             er

die ganze Welt gewinnt!“

und nicht:

Hauptsache vorwärts kommen!

Endlich einer, der sagt:

„Wer an mich glaubt, wird leben in             Ewigkeit!“

und nicht:

Was tot ist, ist tot!

(Josef Dirnbeck, Martin Gutl, Ich begann zu beten, Graz-Wien-Köln 1980, S. 44)

 

 

Mittwoch, 9. November

Am linken Seitenaltar der Alten Spitalskirche in der Innsbrucker Maria-Theresien-Straße befindet sich ein Marienbild, eine „Maria vom guten Rat“.

 

Wir alle wissen: in vielen Situationen brauchen wir nichts notwendiger als einen guten Rat. Das hat nichts damit zu tun, dass uns jemand in einer schwierigen Lage ein Rezept gibt. Solche Rezepte gibt es meist nicht. Es kommt zuerst darauf an, dass jemand im rechten Augenblick da ist, der uns zuhört, dem wir nicht gleichgültig sind; dass es ein Nachfragen gibt, das weniger schon weiß, was genau zu tun ist, sondern uns selber behutsam in die Tiefe des eigenen Herzens führt, wo wir die Wahrheit des nächsten Schrittes entdecken.

 

Vor dem Marienbild der Mutter vom guten Rat in der Spitalskirche wird sicher viel an Ratlosigkeit ausgebreitet. Und Maria hört zu und schaut an, und sie weist von sich weg auf das Jesuskind, indem sie das sagt, was sie immer schon gesagt hat: „Was Er euch sagt, das tut.“

 

Immer wieder erfahre ich von Menschen, dass sie von hier aus das Wunder der Verwandlung erfahren haben: etwa den spürbaren Trost, das nicht Veränderbare anders, in einem anderen Geiste, tragen zu können; oder dass sie aufmerksam geworden sind für das große Geschenk eines zu ihnen geschickten Engels in Menschengestalt, der einen guten Rat für sie gehabt hat.

 

 

Donnerstag, 10. November

Auf dem rechten Seitenaltar der Alten Spitalskirche in Innsbruck befindet sich ein Bild, auf dem die Eltern Marias, Joachim und Anna, mit ihrer Tochter Maria vor einer Architekturszene mit einer Kirche dargestellt sind. Vor diesem großen Bild gibt es auf dem Altartisch ein kleines Bild. Es stellt den Hl. Josef mit dem Jesuskind dar.

 

 Zusammen gesehen also eine Familienidylle: Großeltern, Eltern, Kind. Generationenübergreifend - so wie es für das Gelingen des Zusammenlebens wichtig ist: im Generationenvertrag der Pensionsversicherung, in der Unterstützung bei der Kindererziehung, in der Pflege von kranken Angehörigen.

 

Wir wissen: die Idylle des Generationenübergreifenden gibt es auf weite Strecken hin nicht mehr oder nicht mehr lange.

Noch werden 80 Prozent der pflegebedürftigen Menschen zu Hause gepflegt. Bei vielen Tausenden von Singles und allein stehende Menschen, die keine pflegenden Angehörigen haben, droht in Zukunft ein Pflegenotstand.

 

Ich höre vom Traum des Innsbrucker Caritasdirektors von einem dritten Patenamt. Neben den Paten für Tauf- und Firmkandidaten bräuchte es ein Patenamt für alte Menschen, die niemanden mehr haben. Wenn es nicht nur bei der guten Idee bleibt, dann wird es auch einmal Bilder davon geben.

 

 

Freitag, 11. November

Der linke Seitenaltar der Alten Spitalskirche in Innsbruck trägt ein außerordentlich qualitätsvolles aus der Pfarrkirche St. Jakob stammendes spätgotisches Kruzifix. Dieses wurde von den Landesfürsten stets hoch verehrt. Mit einem soll es sogar „geredet“ haben. Als die Pfarrkirche St. Jakob wegen eines Neubaues, dem jetzigen Dom, abgebrochen wurde, entstand zwischen dem Mesner und dem Hofburgpfleger ein Streit über den Besitz. Nach einem hitzigen Wortwechsel ließ es der Mesner in Absprache mit dem Pfarrer in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in die Spitalskirche bringen. In den sieben Jahren der Dombauzeit wurde es so zum allgemein verehrten Volksgut, dass die Kaiser nicht mehr auf einer Rückgabe bestanden haben.

Ein beeindruckendes Zeugnis zu diesem Kreuz findet sich bei der schon verstorbenen Kunsthistorikerin Dr. Johanna Felmayer.

 

„Eine Intensität des Ausdrucks wie sie die Werke von Veit Stoss auszeichnet, ist auch beim Innsbrucker Kruzifix geglückt. Wer zur Botschaft dieses Christus vordringen will, muss sich Zeit nehmen, muss sich hineinversenken und für die Aussage öffnen. Alles Leid, das ja in aller Regel Menschen einander antun, spiegelt sich im Antlitz des Sterbenden ... Schließlich wird es in der geradezu antik-klassischen Ebenmäßigkeit und Schönheit des Körpers in seiner Christ-Königs-Haltung überwunden. Wenn wir manches Mal von ´begnadeten´ Kunstwerken sprechen, hier ist dieses Attribut angebracht.“ (Spitalskirche Innsbruck, Hg. von Prof. Anton Egger, Innsbruck, S. 46)

 

 

Samstag, 12. November

Die Alte Spitalskirche in Innsbruck ist ein barockes Schmuckstück. Seit dem Jahr 1988 ist Prof. Anton Egger Rektor der Kirche. Man spürt rundherum, dass sie ihm ans Herz gewachsen ist. Mit großem persönlichen Einsatz ist es dem inzwischen 92jährigen gelungen, die Mittel für die Sanierung aufzutreiben. Er ist dabei oft sehr erfinderisch vorgegangen. Aber nicht nur er.

 

Eines Tages ist ein Mann zu ihm in die Sakristei gekommen. Er hat die Restaurierung der Kirchenbänke gelobt. Zugleich hat er beklagt, dass er darauf recht hart sitzt und kniet. Er will für die ersten paar Reihen eine Polsterung spendieren. Der Rektor möge das bei der nächsten Sonntagsmesse ruhig ansagen, allerdings ohne seinen Namen zu nennen und dazu einladen, dass andere seinem Beispiel folgen. Innerhalb von zwei Wochen war das Geld beisammen.

 

In einer Welt, in der der Bazillus des Bösen fast ungehindert seine ansteckende Kraft auslebt, tut es gut, den Blick auf jene zu lenken, die Gutes im Sinn haben. Unser Land ist reich gesegnet an in der Öffentlichkeit namenlosen Frauen und Männern, die sich kreativ dafür einsetzen, dass Gutes geschieht.