Morgengedanken

Sonntag,  6.05 Uhr - 6.08 Uhr, 
Montag bis Samstag, 5.40 Uhr - 5.43 Uhr, 
ORF Regionalradios

 

 

 

21. – 27. März 2004

 

von Senior Karin Engele (Peggau, Stmk.) von der Evangelischen Kirche

 

Sonntag, 21. März 04:

 

Auf der Suche nach einem Thema für die Morgengedanken bin ich auf mein Stammbuch gestoßen. Es hat seit meiner Übersiedlung nach Peggau seinen Platz in einer Ecke neben meinen Tagebüchern gefunden. Haben Sie auch eines? .Meines ist mit Leinen überzogen, auf dem Einband watschelt eine kleine gelbe Ente mit Sonnenschirm ihres Weges. Es ist ein merkwürdiges Gefühl, darin zu blättern. Längst vergangene Zeiten, beinahe vergessene Gesichter tauchen wieder auf: die Linde, die Margit, die Lieblingslehrerin – 40 Jahre sind inzwischen vergangen. Selige Volksschulzeit – oder war sie gar nicht so selig?

Der Blick zurück verklärt so manches in unserem Leben. So viele Begegnungen, so viele Namen. Wer oder was hat mich beeindruckt, geprägt, was habe ich im Kopf behalten? Ich lese einige Sprüche, ich kann mich beinah an alle erinnern, viele kann ich auswendig. Verstanden hab ich sie damals nicht alle, aber sie waren wichtig, ein Vorgriff auf´s Erwachsenwerden. So haben erstmals Gedanken anderer Menschen mein junges Herz bewegt, darunter auch ein Bibelwort meiner damaligen Religionslehrerin: Wer an Jesus glaubt, der hat das ewige Leben. Er ist unser Friede.

Verstanden hab ich das wohl nicht, aber auf dem Weg bin ich geblieben – bis heute. Und heute bin ich davon überzeugt.

 

Montag, 22. März 04:

 

Ein Wort aus meinem Stammbuch:

 

Stark, wo es gilt, sich selbst bezwingen,

Schnell, wo es gilt, ein Opfer zu bringen,

Treu, wo es gilt, der Lieb und Freundschaft leben,

Mild, wo es gilt, dem Feinde zu vergeben.

 

Wie klingt das in Ihren Ohren? Altmodisch? Hausbacken? Kein Wort für strahlende Sieger? Klingt es nicht eher nach Selbstaufgabe und Selbstverleugnung? Das wollen wir nicht so gern hören, es verlangt uns zu viel ab und das Leben ist anstrengend genug – Familie und Beruf unter einen Hut bringen; sich auskennen; sich ständig informieren; weiterbilden; mitspielen mit der großen Welt…

Aber schön wär´s schon, hin und wieder den inneren Schweinehund zu überwinden, sich nicht immer fragen: Was krieg ich dafür? Wozu tu ich mir das an? Sondern einfach tun: Beziehungen in Krisen durchhalten; dem anderen noch eine Chance geben; nicht gleich alles hinschmeißen und wegrennen. Und dann noch lernen zu sagen: Ja, ich verzeihe dir, obwohl du mir Schmerzen bereitet hast; die Lasten alter Verletzungen nicht ewig aufrechnen, sondern innerlich frei werden für ein versöhnliches Ja zueinander. Wie viel entkrampfter könnte unser Leben sein, wie viel tragfähiger unsere Beziehungen. Und um wie vieles glücklicher, würden auch andere so zu leben versuchen.

 

Dienstag, 23. März 04:

 „Was du tust, tue klug und bedenke das Ende.“

Dieses Wort hat mir Angelika in mein Stammbuch geschrieben, es hat sich mir eingeprägt, obwohl ich bis heute nicht ganz genau weiß, was es bedeutet. Der Anfang ist ja noch klar: Sinnlos ist es, einfach drauf los zu leben, ohne Hirn zu handeln und seine Entscheidungen zu treffen. Jesus hat schon seinen Jüngern geraten: „Seid klug wie die Schlangen!“ als er sie zu den Menschen schickte.

Aber das Ende bedenken? – Könnte man jeweils das Ende absehen, wie viele Entscheidungen hätten wir dann besser nicht oder anders getroffen. Wie vielen Menschen wären wir dann eher aus dem Weg gegangen? Wie viel an Enttäuschung, an Schmerz wäre uns erspart geblieben? Aber das Ende lässt sich eben nicht immer absehen – deshalb vertrauen sich ja heute so viele Menschen Wahrsagerinnen und Astrologen an, von denen sie annehmen, die könnten besser abschätzen, wie etwas ausgeht.

Vielleicht ist es doch besser, das Ende des Lebens zu bedenken – daran gemessen wird vieles weniger dramatisch, viele Dinge werden unwichtig, möglicherweise werden Menschen wichtiger. Da gefällt mir das Bibelwort besser: „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden.“ Damit wir lernen, Wichtiges von Unwichtigem zu unterscheiden und jeden Tag als Geschenk erleben, den wir mit unseren Möglichkeiten füllen können. Das wäre klug – finde ich halt.

 

 

Mittwoch, 24. März 04:

 

Für den heutigen Tag hab ich meine Lieblingsseite im Stammbuch aufgeschlagen. Es ist das einzige, was mir meine Oma schriftlich hinterlassen hat. Freilich, den Spruch hat ihr meine Cousine angesagt, aber bis heute rührt es mich, ihre Handschrift zu erkennen, ihre Zeilen zu lesen. Kurrent sind sie geschrieben, immer wieder haben wir es gemeinsam geübt, ich wollte auch gern so schreiben können. Ein bisschen zittrig war ihre Hand schon, aber sie hat auch Zeit ihres Lebens schwer gearbeitet. Doch für ein gutes Wort war immer Zeit und auch für eine große Schokoschnitte aus der Wunderdose, die immer gefüllt war. So kann ich Ihnen heute, knapp 32 Jahre nach ihrem Tod diese Zeilen vorlesen:

 

Willst du glücklich sein im Leben,

Trage bei zu andrer Glück,

Denn die Freude, die wir geben

Strahlt ins eigne Herz zurück.

 

Sicherlich kennen Sie dieses kleine Sinngedicht – so oft gelesen, gehört, aber wenn sich´s reimt, denkt man weniger an den Inhalt als an den Reim. Dabei ist in diesen Worten eine wesentliche Erfahrung christlicher Nächstenliebe enthalten. Wir werden reicher, wenn wir uns liebevoll, weitherzig und freigiebig anderen zuwenden. Nein, nicht reicher an Geld und Geldeswert, aber reicher an innerer Zufriedenheit, reicher an Liebe, reicher an Glück. Es ist etwas, das jeder kann, ohne großartige Schulung und Ausbildung. Und es ist das, was unsere Welt dringend braucht, um nicht an Gleichgültigkeit und materiellen Gütern zu ersticken. Nur: Erfahrbar wird das erst durchs eigene Tun.

 

 

 

 

Donnerstag, 25. März 04:

 

Besonders gern hatte ich in der Volksschule Handarbeiten. Da war ich gut, von klein auf wurde zu Hause gehäkelt, gestrickt, gestickt, später geknüpft und gegabelt – das sind ja schon bald Fremdwörter für heutige Kinderohren. Und da gab es eine Arbeitsoberlehrerin, deren Sohn wundervolle Tuschzeichnungen ins Stammbuch malte. Nur, man brauchte Geduld. Drei oder vier Monate konnte es dauern, bis man die heiß ersehnte Zeichnung samt Sprüchlein zugedacht bekam. Aber das Warten hat sich gelohnt. Ein Marterl an einer Wegkreuzung hat er gezeichnet. Es illustriert das bis heute so heilsame, weil heilvolle Wort, das sie für mich aufgeschrieben hat:

 

Wechselnde Pfade, Schatten und Licht,

Alles ist Gnade, fürchte dich nicht!

 

Und zum Fürchten gab und gibt es ja genug: Als Kind das Alleinsein, die Dunkelheit, fremde Gestalten. Später waren es andere Dinge, Situationen und Menschen. Da braucht es diesen Zuspruch: Fürchte dich nicht! Auch die Bibel überliefert uns dieses Wort einige Male: Aus dem Mund der Propheten, aus dem Munde Jesu. Für mich am eindrücklichsten im Buch des Propheten Jesaja: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen, du bist mein.“ So habe ich bisher mein Leben gemeistert. Immer wieder gibt es Situationen, in denen alte Ängste und Befürchtungen aufflackern, ja einen geradezu überschwemmen wollen. Wie gut tut es da, an einen Gott zu glauben, der sich an meine Seite stellt und mir zuruft: Hab keine Angst, du gehst nicht allein. Seien es auch wechselnde Pfade, Schatten und Licht: alles ist Gnade, fürchte dich nicht.

 

 

Freitag, 26. März 04: 

 

 „Ich bin ein Kind und bleib ein Kind,

weil ich nur so in den Himmel find.“

 

Dieses Wort von Peter Rosegger hab ich das erste Mal in meinem Stammbuch gelesen, weil es die Gundi dort hinein geschrieben hat. Ich hab mich geärgert, das weiß ich noch. Ein Kind bleiben – das wollte ich nicht! Für jedes Jahr, das ich älter geworden bin, war ich dankbar. Im August geboren, durfte ich nie das tun, was die anderen durften, weil ich immer zu jung war. Mit Gott und dem Himmel hatte ich damals noch keine Probleme, also warum nicht älter werden, und zwar möglichst rasch?

Heute, beinahe 40 Jahre später, lese ich bei jeder Taufe ein ähnliches Wort aus dem Markusevangelium: „Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder, werdet ihr das Reich Gottes nie erfahren.“

Was ist nun an den Kindern so besonderes, dass Jesus sie bewusst in die Mitte stellt, damit wir an ihnen lernen können? Kinder, kleine Kinder nehmen die Welt noch als Ganzheit wahr. Sie äußern ihre Gefühle unverstellt, freuen sich an einer Blume und sind traurig über einen Käfer, der auf dem Rücken liegt. Sie zeigen offen ihre Zuneigung und Ablehnung, bevor sie von uns lernen, wie man sich beherrscht, anpasst, wem man zu dienen und wen man zu erniedrigen hat. So geht es nicht darum, ein kindischer Lolly zu werden oder zu bleiben, sondern sich kindliche Erlebniskraft zu erhalten, mit großen Augen zu staunen, zu lachen, zu weinen, zu schreien, wenn es schmerzt, zu umarmen, wenn es gut tut, öfter mal zu sagen: Ich hab dich lieb. Mit diesen Augen, mit offenen Herzen und Sinnen lässt sich Gottes Liebe spüren – auch für uns gescheite, alte, lebens- und welterfahrene Erwachsene.

 

 

Samstag, 27.3.2004

Begräbnis Kardinal Dr. Franz König