News 07. 04. 2006 |
"Judas Evangelium" erstmals präsentiertAm Donnerstag wurde in Washington erstmals das so genannte "Judas Evangelium" der Öffentlichkeit vorgestellt. Das aus dem 3./4. Jahrhundert stammende Manuskript lässt die Rolle des Judas nach Ansicht mancher Forscher in einem ganz neuen Licht erscheinen. Andere Experten bezweifeln allerdings die Bedeutung des Textes.Das Judas-Evangelium ist Teil einer Manuskript-Sammlung aus dem 3./4. Jahrhundert, die in mehreren Jahren aufwendiger Arbeit restauriert und aus dem Koptischen übersetzt wurde, berichtete Programmdirektor Terry Garcia von der "National Geographic Society" am Donnerstag. Wissenschaftler hätten das Schriftstück unter anderem mit der Radiokarbonmethode und durch eine Untersuchung der Tinte geprüft und für echt befunden. Das Manuskript hat 26 Seiten. Es war in den 70er Jahren in der ägyptischen Wüste gefunden und in den vergangenen Jahren sorgfältig restauriert worden. Ein Verrat, um Gottes Willen zu erfüllen?Eine Kernaussage des Manuskripts ist der Gedanke, dass Judas kein Verräter, sondern der treueste Jünger Jesu gewesen wäre. Der Theologieprofessor Gregor Wurst von der Universität Augsburg betonte bei der Präsentation in Washington, der Text zeige Judas als den "einzig Wissenden", der mit dem Verrat lediglich Christi Wunsch erfüllt habe. Dem Manuskript zufolge bat Jesus seinen Jünger Judas, ihn an die Römer auszuliefern, um Gottes Willen zu erfüllen. Den Texten des Neuen Testaments zufolge starb Jesus am Kreuz, nachdem der Apostel Judas ihn im Garten Gethsemane für 30 Silberlinge an die römische Besatzungsmacht verraten hatte. "Judas befreite Jesus"Obwohl es nach Aussagen namhafter Wissenschaftler an der Echtheit der rund 1700 Jahre alten Schrift keinen Zweifel gibt, scheiden sich unter Theologen, Historikern und Geistlichen die Geister über ihre Bedeutung. Nach Ansicht des niederländischen Kirchengeschichtlers Hans van Oort, der das Manuskript bereits gelesen hat, belege das "Judas-Evangelium", dass Jesus Judas aufgefordert habe: "Du musst den Menschen opfern, der mich umhüllt." Der wahre Jesus sei die Seele. "Judas befreite Jesus, indem er ihn auslieferte", sagte Oort. Im "Judas-Evangelium" wendet sich Jesus mit den Worten "Du wirst sie alle übertreffen. Denn du wirst den Menschen opfern, der mich kleidet", an Judas. "Rehabilitation von Judas"Der Bibelforscher Marvin Meyer vertritt die Auffassung, dass die neu entdeckte Schrift "die Möglichkeit eröffnet, die historische Rolle von Judas neu zu bewerten". Es gehe um die "Rehabilitation von Judas", betonte auch der Orientalist Francois Gaudard (Universität Chicago). "Interessant, nicht sensationell"Der renommierte deutsche Bibelwissenschaftler Thomas Söding hält das "Judas- Evangelium" hingegen religionsgeschichtlich für interessant, aber nicht sensationell. Der Text zeige vor allem "eine Facette der Frömmigkeit im 3./4. Jahrhundert innerhalb der religiösen Bewegung der Gnosis", so Söding, der Mitglied der Päpstlichen Bibelkommission ist. Nach christlichem Verständnis war Jesus "wahrer Mensch und wahrer Gott" zugleich. Die Gnostiker hätten diese Vorstellung nicht akzeptieren können, betont der Bibelwissenschafter. Für sie sei Jesus auch auf Erden Gott gewesen, nur in eine menschliche Hülle gekleidet. Die Gnostiker sprachen daher von einer Schein-Kreuzigung Jesu, bei der der göttliche Jesus sich seiner menschlichen Hülle entledigt habe. "Gnostische Sichtweise"In dem "Judas-Evangelium" werde daher der biblisch überlieferte Verrat des Judas positiv umgedeutet. Jesus habe Judas in seine göttliche Mission eingeweiht und dieser ihm mit dem Verrat einen letzten Gefallen getan. "Diese gnostische Sichtweise ist nicht neu, sie ist aber bislang nirgends so zugespitzt gefunden worden wie in dem "Judas-Evangelium"", sagte Söding. Er betonte, dass das Dokument keine Worte Jesu enthalte, die als authentisch betrachtet werden könnten.
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