News 15. 05. 2006

"Christlich-muslimische Plattform": "Studie gehört rasch auf den Tisch"

Die "christlich-muslimische Plattform für Österreich" bedauert jüngste Äußerungen von Innenministerin Liese Prokop (VP) über die mangelnde Integrationswilligkeit von angeblich 45 Prozent der in Österreich lebenden Muslime. Kritik an den Aussagen Prokops übten auch Vertreter der Islamischen Glaubensgemeinschaft und Oppositionspolitiker.

Die Studie müsse "so rasch wie möglich auf den Tisch". Dann könne ihre wissenschaftliche Seriosität sowie die Frage beurteilt werden, ob die Studie womöglich Unklarheiten bei den Begriffen "Integration", "Assimiliation" und "Anpassung" beinhaltet, so die Plattform-Vertreter Peter Pawlowsky, Paul Schulmeister und Carla Amina Baghajati am Montag in einer Aussendung. Über das gesamte Spektrum dieser Begriffsfragen sollte rasch ein Dialog mit den Betroffenen geführt werden. "Wir begrüßen die entsprechende Bereitschaft der Innenministerin. Wir nehmen sie auch beim Wort, wenn sie verspricht, dass die Thematik nicht zum Zweck einer neuen Ausländerfeindlichkeit hochgespielt werden sollte. Gerade in Wahlkampfzeiten sollten verantwortliche Politiker bei dieser sensiblen Thematik zurückhaltend agieren", so die Vertreter der Plattform.

"Plakative Erklärungen" sind nicht hilfreich

Bedauert wurde, dass die Diskussion über Prokops Interviewäußerungen die unter ihrem Vorsitz stehende große EU-Konferenz in der Wiener Hofburg über den Dialog der Kulturen und Religionen überschatte. Bei dieser Konferenz am kommenden Freitag gehe es auch darum, das international viel beachtete österreichische Modell der Integration in europaweitem Rahmen vorzustellen. "Plakative Erklärungen, denen derzeit jede erkennbare wissenschaftliche Grundierung zu fehlen scheint, sind für diese große Aufgabe Österreichs nach innen und nach außen nicht hilfreich. Sie stehen auch in einem Spannungsverhältnis zu vielen erfolgreichen Initiativen Österreichs im interkulturellen und interreligiösen Gespräch, die dem Land Achtung und innere Sicherheit gebracht haben", so die Plattform-Vertreter.

Neue Dialog-Plattform

Die im März neu gebildete Plattform "Christen und Muslime in Österreich" hat sich zum Ziel gemacht, das Zusammenleben von Christen und Muslimen in Österreich auf der Basis von Vertrauen, Respekt und besserem gegenseitigem Verständnis krisenfest zu entwickeln. Die Plattform war der Öffentlichkeit im März u.a. von Paul Schulmeister von der Katholischen Aktion Österreich (KAÖ), vom Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ), Anas Schakfeh, von den katholischen Publizisten Heinz Nussbaumer und Barbara Coudenhove-Kalergi, der Islambeauftragten der Diözese Feldkirch, Elisabeth Dörler, von Diakonie-Direktor Michael Chalupka und dem Wiener Pfarrer Erwin Neumann als Vertreter der evangelischen Kirche präsentiert worden.

Schakfeh: Prokop-Äußerungen "nicht ganz geschickt"

"Befremdet" zeigte sich der Präsident der islamischen Glaubensgemeinschaft, Anas Schakfeh über die Aussage von Innenministerin Liese Prokop, dass 45 Prozent der Muslime in Österreich integrationsunwillig seien. Es stelle sich die Frage, welche Kriterien die Macher der Studie angelegt hätten. "Erst wenn wir die Parameter genau kennen, können wir angemessen darauf reagieren", sagte Schakfeh in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Presse" (Montagausgabe). Dass Prokop in diesem Zusammenhang auch von einer "Zeitbombe" sprach, hält Schakfeh zwar für "eine noch drastischere Aussage", doch glaubt er nicht, dass die Ministerin dies gezielt geäußert habe: "Das ist ihr wohl nur passiert."

Politiker sollte sich "vorsichtiger verhalten"

Die Aussage der Innenministerin, wonach Menschen, die sich nicht integrierten, in Österreich nichts zu suchen hätten, kritisierte Schakfeh als "nicht ganz geschickt". Eine Politikerin "in dieser wichtigen Funktion" sollte sich "vorsichtiger verhalten". Es gebe "verschiedene Gruppen in der Bevölkerung", die solche Wortmeldungen ausschlachten würden, warnte Schakfeh.

Baghajati vermutet ungenaue Fragestellungen

Die Pressesprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaf, Carla Amina Baghajati, forderte am Montag eine baldige Veröffentlichung der umstrittenen Studie. Erst danach wäre eine objektive Bewertung möglicht, betonte Baghajati gegenüber der APA. Sie vermutet, dass es bei den Fragestellungen der Umfrage keine klare Trennung zwischen Integration und Assimilation gegeben hat. Viele Muslime in Österreich hätten Angst davor, sich völlig anpassen zu müssen und ihre Identität aufgeben zu müssen. Entscheidend sei die Ermöglichung einer Identifikation als Muslim, als Österreicher und als Europäer. Das sei auch das Ziel der Glaubensgemeinschaft, so Baghajati.

Al-Rawi: Aussagen sind kontraproduktiv

"Sauer" stößt dem Integrationsbeauftragten der Islamischen Glaubensgemeinschaft, Omar Al-Rawi, Prokops "Metapher mit der Zeitbombe" auf. Man solle "von solchen Aussagen, die in Richtung verstärkt auftretende Islamfeindlichkeit gehen, Abstand nehmen. Solche Schlagwörter sind kontraproduktiv", sagte Al-Rawi gegenüber der APA. Gerade bei der Integration sei "der sensible Bereich der Sprache von immenser Bedeutung", betonte Al-Rawi.

Zahlen sind nicht nachvollziehbar

"Überhaupt nicht nachvollziehen" kann der Integrationsbeauftragte der Islamischen Glaubensgemeinschaft und Wiener SPÖ-Gemeinederat, dass laut Prokop 45 Prozent der Muslime nicht integrationsbereit seien. "Unsere Arbeit mit Moscheen und Vereinen spricht eine ganz andere Sprache". Man müsse sich allerdings fragen, ob es um Integration oder Assimilation gegangen sei. Al-Rawi verwies auf die Erklärung der Imame-Konefrenz, in der eine Stellungnahme zur Integration enthalten sei. Und hier gebe es die Aufforderung zum Erlernen der Sprache der Länder, in denen die Muslime leben.

Prokop: "Zeitbombe" Integrationsunwilligkeit

Innenministerin Prokop hatte gegenüber der "Tiroler Tageszeitung" (Samstagausgabe) Auszüge aus einer noch nicht fertigen Studie bekannt gegeben, die sich mit der Integrationsbereitschaft der Muslime in Österreich beschäftigt. Der Studie zufolge wollen sich 45 Prozent der Muslime nicht integrieren. Als Gegenmaßnahme werde man den Dialog suchen und den Integrationsfonds massiv aufstocken, betonte Prokop. Allerdings müsse klar sein, "wer sich nicht integrieren will, hat bei uns nichts zu suchen". Die fehlende Integration bezeichnete die Ministerin als das noch brennendere Problem als die Asylfrage. Dies gelte auch für die anderen EU-Länder. Man müsse auch vorsichtig sein, dass in Österreich "nicht irgendwann Ähnliches passiert wie zuletzt bei den Unruhen in Frankreich oder Berlin". Dies sei eine "Zeitbombe".

"Wir wollen sehen, wie die Situation in Österreich ist"

Am Montag erklärte Prokop gegenüber der APA, die Studie werde "in den nächsten Tagen" präsentiert. Die Studie sei "im Fertigwerden". Sie müsse noch von den wissenschaftlichen Experten der Universität Erlangen "abgesegnet" werden, die gemeinsam mit der Sicherheitsakademie und dem Integrationsfonds die Studie erstellt haben. Anlass für die Studie seien die Anschläge in London gewesen, die von integrierten Einwanderern der zweiten und dritten Generation verübt wurden. "Wir wollten sehen, wie die Situation in Österreich ist", so die Ministerin. "Wir werden aus der Studie dann Schlüsse ziehen und den Dialog mit jenen suchen, die bereits sind, mit uns zusammenzuarbeiten." In ihrem Einleitungsstatement für die "Rede zur Lage der Nation" von Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (VP) erklärte Prokop am Montag, Integration heiße "nicht Anpassung oder Assimilation", es heiße aber, "die Werte der neuen Heimat zu akzeptieren".

Studie noch nicht abgeschlossen

Die noch unter Verschluss gehaltene Studie wurde von November bis Februar von der Sicherheitsakademie für das Innenministerium durchgeführt. Obwohl die Studie erst Ende Mai fertig gestellt wird, lässt sich laut Prokop-Sprecher Johannes Rauch bereits jetzt sagen, dass 20 Prozent der befragten Muslime aufgrund ihres religiösen Hintergrundes Schwierigkeiten mit der Integration hätten. Weitere 25 Prozent hätten Problem aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes, so Rauch. Insgesamt seien 500 Muslime telephonisch befragt worden, 100 weitere "qualitativ", also mit eigenen Interviews. Die Zielgruppe seien "Muslime mit Migrationshintergrund" gewesen. Dies könne der Gastarbeiter aus dem Kosovo oder aus der Türkei, ein Asylwerber aus Tschetschenien oder auch der österreichische Staatsbürger mit türkischer Herkunft in dritter Generation sein.

Wissenschaftler sind skeptisch

Mit Skepsis begegnen renommierte österreichische Migrations- und Integrationsforscher der Studie des Innenministeriums. Barbara Herzog-Punzenberger von der Akademie der Wissenschaften etwa kritisiert, dass hier vorläufige Ergebnisse einer Studie vorgestellt wurden, ohne dass die Studie selbst zugänglich wäre.  

- mehr dazu auf oe1.ORF.at...

Wehsely: "Versagen" und "Versäumnis"

Überwiegend negativ waren die politischen Reaktionen auf Prokops Aussagen in der "Tiroler Tageszeitung". Die Wiener Integrationsstadträtin Sonja Wehsely (SP) warf Prokop "Versagen" und "Versäumnis" in der Integrationspolitik vor. Es stelle sich die Frage, warum die zuständige Innenministerin bisher nichts getan habe. Positiv bewertete sie die Ansage von Prokop, den Integrationsfonds massiv aufstocken zu wollen. Das sei "eine langjährige Forderung des Landes Wien". Aber auch hier müsse man fragen, warum Prokop das nicht schon gemacht habe.

Außerdem dürfe man nicht alle Muslime in einen Topf werfen, betonte Wehsely. "Für Wien stimmt das keinesfalls". Und man könne auch nicht sagen, dass Muslime eine eigenartige Gruppe sei. Auch bei den Katholiken gebe es unterschiedliche Ansichten, "da gibt es sehr reaktionäre und andere, die nur getauft sind". Deshalb sei es mehr als entbehrlich, "einfach Stimmung gegen eine Gruppe von Menschen" zu machen, kritisierte Wehsely.

Stoisits: "Völlig unverantwortliche Wortwahl"

Nach Ansicht der Menschenrechtssprecherin der Grünen, Terezija Stoisits, eröffnete Prokop mit ihrem "pauschalen Verdacht gegenüber Muslimen in Österreich den Anti-Ausländerwahlkampf". Die Innenministerin stütze sich in ihrer Argumentation "auf eine pseudowissenschaftliche Abhandlung" der Sicherheitsakademie, verfasst von Mitarbeitern des Innenministeriums und nicht von seriösen und unabhängigen Wissenschaftern. Prokop schüre "Ängste, statt seriös zu informieren", so Stoisits. Besonders kritisierte die Grünen-Politikerin die "völlig unverantwortliche Wortwahl" der Innenministerin. 

Strache: Warnungen bestätigt

FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache sieht "alle Warnungen der FPÖ bestätigt". Unter Bundeskanzler Wolfgang Schüssel und Kärntens Landeshauptmann Jörg Haider habe sich die Zuwanderung verdoppelt. Die FPÖ trete für eine Minuszuwanderung für Österreich ein, bekräftigte Strache.

Haider: "Doppelbödiges Spiel"

Auch seitens des BZÖ reagierte man verärgert auf Prokops Aussagen. Der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider warf der Innenministerin ein doppelbödiges Spiel vor. Die "sündteure Studie" komme zu spät. Prokop sei verantwortlich für die Absage des von der BZÖ verlangten Auslädnerreformdialogs und habe bisher keine Vorschläge zur Lösung des Integrationsproblems vorgelegt.

 

 

Links:

- "Initiative für eine gemeinsame Zukunft in Österreich"

- Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich

- Innenministerium

- SPÖ

- Grüne

- FPÖ

- BZÖ

 

 

Hintergrund:

- Bis zu 400.000 Muslime in Österreich 

- 52 Millionen Muslime leben in Gesamteuropa

- ORF.at: Streit über unveröffentlichte Studie

- oe1.ORF.at: Aufregung um Prokop-Studie

 

Grafik:

- Muslime in Österreich

 

 

 

 

 

 

 

 
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