News 11. 07. 2006

UNHCR: Situation für Christen im Irak dramatisch verschlechtert

Die Christenverfolgung im Irak hat sich dramatisch verschärft. Das ist das Ergebnis einer neuen Analyse zur Situation der christlichen Bevölkerung im Irak des Flüchtlingshochkommissariats der Vereinten Nationen (UNHCR).

Christen im Irak werden häufig pauschal als Unterstützer der multinationalen Koalitionstruppen und der irakischen Übergangsregierung und somit als "Verräter" des irakischen Volkes gesehen. Seit Jahresanfang kam es infolge der Krise um die Mohammed-Karikaturen verstärkt zu Anschlägen auf Kirchen und Übergriffe auf Christen vor allem im Nordirak, geht aus dem UNHCR-Bericht hervor.

Zahl der Christen sinkt

Schätzungen zufolge gehören derzeit nur drei Prozent der etwa 26 Millionen Einwohner des Irak einer nicht-muslimischer Religionsgemeinschaft an, darunter chaldäische, assyrische, syrisch-orthodoxe, armenische und protestantische Christen. Die Zahl der im Staat lebenden Christen soll nach offiziellen Angaben von etwa 1,4 Millionen im Jahr 1987 auf deutlich weniger als eine Million gesunken sein, heißt es im UNHCR-Report.

Zahlreiche Christen auf der Flucht

17,8 Prozent der Iraker, die sich derzeit in Syrien aufhalten, sind Angehörige einer christlichen Religionsgemeinschaft und somit - gemessen an ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung - unter den irakischen Flüchtlingen deutlich überrepräsentiert. In Damaskus stellen katholische und orthodoxe Christen (44 Prozent) die größte Gruppe der vom UNHCR registrierten irakischen Flüchtlinge dar. Auch in Jordanien habe viele irakische Christen Zuflucht gesucht. "Der UNHCR-Bericht zeigt, dass Christen stärker aus dem Irak fliehen als andere Personengruppen. Außerdem verzeichnet man einen Anstieg an Irakis, die aus religiösen Motiven das Land verlassen.

Diskriminierungen und Hetze

Neben vermehrten Übergriffen und Anschlägen auf Christen, Kirchen und christliche Einrichtungen verspüren Christen im Irak verschiedene Druckmittel - Drohbriefe, Flugblattkampagnen, Hetze über Internet und Plakate, Verfolgungen", erklärt Roland Schönbauer, Sprecher von UNHCR Österreich im Gespräch mit der APA. Der Analyse zufolge sind sie mit Diskriminierungen auf dem Arbeitsmarkt, eingeschränktem Zugang zu sozialer Grundversorgung und Behinderungen bei der Ausübung des Wahlrechts konfrontiert. In den irakischen Gesetzgebungs- und Regierungsinstitutionen haben die Christen kaum politisches Gewicht - im Parlament sind sie mit nur sechs von 275 Sitzen vertreten. In Videobotschaften der islamistischen Terrororganisation Al Kaida werden die Christen für die gegenwärtige Situation im Irak verantwortlich gemacht und der Beleidigung des Islam bezichtigt. Häufig sollen Christen durch Gewaltakte für nichtislamisches Verhalten, etwa einer zu freizügigen Kleiderordnung sowie dem Genuss und Ausschank von Alkohol, "abgestraft" oder "ermahnt" werden.

Bombenanschläge auf Kirchen

Seit Anfang des Jahres, infolge der Veröffentlichung der Karikaturen über den islamischen Propheten Mohammed in europäischen und US-amerikanischen Tageszeitungen, haben sich die Sicherheitslage und die politischen Rahmenbedingungen für Christen im Irak weiter verschärft. So werden die im Jänner 2006 verübten Bombenanschläge auf Kirchen und christliche Einrichtungen in Bagdad, Kirkuk und Mosul mit dem Streit um die Karikaturen in Verbindung gebracht. "Die Mohammed-Karikaturen und die Diskussionen um das Thema haben sicher dazu beigetragen, die bestehenden Vorurteile gegen Christen zu verschärfen", sagt Schönbauer.

Situation hat sich verschlechtert

Mit dem Einmarsch der Koalitionstruppen und dem Sturz des Saddam-Regimes im März 2003 hat sich "die Situation für Angehörige nicht-muslimischer Religionsgemeinschaften insgesamt spürbar verschlechtert". Die derzeitige Regierung in Bagdad sei zwar bemüht, die Rechte aller religiösen Gruppierungen in Bezug auf die Ausübung ihres Glaubens zu beschützen. Angesichts der landesweit anhaltenden Gewalt und der begrenzten Einflussmöglichkeiten der irakischen Sicherheitskräfte ist ein effektiver Schutz der Religionsfreiheit jedoch derzeit nicht gewährleistet, heißt es im Bericht des UNO-Flüchtlingshilfswerks.

Islam ist offizielle Staatsreligion

Überdies hat der Irak zwar zahlreiche internationale Menschenrechtsverträge unterzeichnet, die ausdrücklich die Glaubensfreiheit und Freiheit der Religionsbetätigung garantieren, im gegenwärtigen innerstaatlichen Recht des Irak fehlt jedoch jeglicher Hinweis auf die darauf resultierenden Rechte und Verpflichtungen. Vor allem mit dem In-Kraft-Treten der endgültigen irakischen Verfassung wird eine Verschlechterung der formalrechtlichen Stellung religiöser Minderheiten befürchtet - diese enthält keine absoluten Garantien zum Schutz der Glaubens- und Religionsfreiheit. Gemäß des Verfassungsentwurfes gilt der Islam als offizielle Staatsreligion des Irak und bildet die Grundlage der irakischen Gesetzgebung. Die staatliche Gewalt im Irak ist verpflichtet, "die islamische Identität der Mehrheit der irakischen Bevölkerung zu gewährleisten".

 

 

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