News 16. 07. 2007 |
Wissenschaftler: Buddhismus ist ein langfristiger Trend in DeutschlandDas Interesse am Buddhismus ist im Westen in den vergangenen 30 Jahren stark gewachsen. Auch in Deutschland finden buddhistisch orientierte Angebote und Literatur, darunter die Bücher des Dalai Lama, eine immer größere Leserschaft. Über die Faszination dieser östlichen Religion und ihre Zukunftsaussichten sprach Prof. Manfred Hutter vom Institut für Orient- und Asienwissenschaften der Universität Bonn mit Ursula Mommsen-Henneberger von der Deutschen Presse-Agentur dpa.
dpa: Was macht diese östliche Weltanschauung für den modernen Menschen im christlich geprägten Abendland mit seiner Wissbegierde in den Naturwissenschaften so attraktiv?Hutter: "Viele Menschen im Westen betonen, was den Buddhismus attraktiv macht, das sei seine Freiheit von Dogmen, das heißt man könnte sich unverbindlich etwas nehmen. Dass dem nicht ganz so ist, das zeigt sich sehr bald, wenn man genauer hinblickt, so dass sich dann auch mancher wieder enttäuscht vom Buddhismus entfernt. Ein Vorteil für Fragen in moderner Naturwissenschaft mag darin liegen, dass der Buddhismus im Unterschied zu den monotheistischen Religionen - Judentum, Christentum, Islam - keinen Schöpfergott kennt. Das eröffnet Diskussionsmöglichkeiten zum Beispiel im Bereich von Evolution oder gentechnologischen Fragen. Da der Buddhismus die Kausalzusammenhänge vieler Erscheinungen lehrt, bietet auch die wissenschaftliche Argumentation der Naturgesetzmäßigkeit einen weiteren Andockpunkt." dpa: Warum wendet sich ein Mensch im Westen dem Buddhismus zu?Hutter: "Ich wende mich einer Religion nicht zu, weil ich sie ideologisch so toll finde. Denn ich wende mich einer Religion immer auch zu, weil ich im günstigen Augenblick durch einen bestimmten Kontext mit dieser Religion in Kontakt komme. Das mag eine individuelle Krise sein wie die Konfrontation mit dem Tod oder eine gesamtgesellschaftliche Situation. So hat der Buddhismus seit den 1970er Jahren mit der Globalisierung und Migration bei uns größere Resonanz gefunden. Auch Menschen aus der so genannten 1968er Bewegung, die die traditionellen bürgerlichen Werte kritisierten und Impulse von außen suchten, haben zur Verbreitung des asiatischen Gedankenguts in Mitteleuropa beigetragen." dpa: Gibt der Buddhismus in Fragen von Sterben und Tod - zum Beispiel mit dem tibetischen Totenbuch - einleuchtendere Antworten als das Christentum mit der Auferstehung des Fleisches nach dem Tod?Hutter: "Es ist eine Glaubensfrage, ob ich an die Auferstehung glaube oder ob ich an die Wiederverkörperung glaube. Aber im buddhistischen Modell werden durch den Kreislauf der Wiedergeburten Leben und Tod enger zusammengebogen. Der Mensch soll sein Leben mit dem Heilziel gestalten, "Nirvana" zu erlangen, das aber nicht durch den Augenblick des Todes bestimmt wird. Damit könnte der Buddhismus, im Kontext der Lehrinhalte, für den Umgang mit der Krisensituation Tod ein attraktiveres Modell darstellen." dpa: Das Oberhaut der tibetischen Buddhisten, der Dalai Lama, ist im Westen heute wahrscheinlich der bekannteste Buddhist überhaupt und verkörpert praktisch diese Weltsicht. Was sind die Gründe dafür?Hutter: "Die Gründe dafür halte ich ganz stark im politischen Diskurs verankert, in der Umbruchsituation der späten 60er Jahre, frühen 70er Jahre. 1973 kam der Dalai Lama erstmals nach Deutschland, genau zu einem Zeitpunkt, als alternative Denkmodelle gesucht wurden. Wobei sich damals der Blick auch stark auf Menschenrechtsverletzungen und die Unterstützung benachteiligter Völker, wie die der Tibeter, richtete. Hier muss man die Doppelfunktion des Dalai Lama betonen: als politisches Oberhaupt Tibets und religiöses Oberhaupt einer tibetisch-buddhistischen Richtung. Dadurch wurde der Dalai Lama zu einer Ansprechperson und Identitätsfigur, was aber einseitig ist. In Deutschland gibt es etwa eine Viertel Million Buddhisten. Davon stammt etwa die Hälfte aus asiatischen Ländern, wobei die Tibeter in der Minderheit sind. Die andere Hälfte sind Deutsche." dpa: Neben dem Besuch des Dalai Lama wird es auch einen internationalen Kongress buddhistischer Nonnen in Hamburg geben. Wie ist die Stellung der Frau im Buddhismus heute?Hutter: "Es gibt seit einiger Zeit Bestrebungen, den Hierarchieunterschied zwischen männlichen und weiblichen Ordensangehörigen sowie zwischen männlichen und weiblichen Laien zu relativieren. Hier sieht man eine interessante Wechselwirkung zwischen dem Westen und Asien. Europäerinnen, die sich als Nonne ordinieren ließen, tragen dazu bei, Frauen in buddhistischen Ländern wieder mehr Selbstwertgefühl zu vermitteln. Aber auch im Westen ist die buddhistische Struktur noch patriarcharisch: An der Spitze steht in vielen Klöstern ein männlicher Träger und in den Laien-Zentren de facto oft ein männlicher Geschäftsführer." dpa: Sehen Sie das Interesse für den Buddhismus bei uns als vorübergehende Modeerscheinung oder als Beginn eines langfristigen Trends?Hutter: "Zunächst: Die asiatischen Buddhisten in Deutschland sind ein Anlass, diese Religion viel engmaschiger zu betrachten. So wie Unterschiede zwischen den Muslimen bestehen, zum Beispiel sunnitisch und schiitisch, so gibt es auch verschiedene buddhistische Richtungen. In mancher Hinsicht ist der Buddhismus Modeerscheinung: Ich picke mir etwas raus, meditiere oder finde Wiedergeburt oder Karma-Lehre toll. Da schwirren viele Gedanken in einem freien spirituellen esoterischen Markt herum. Darüber hinaus bleibt der Buddhismus ganz klar ein langfristiger Trend: Es gibt in Deutschland asiatisch buddhistische Gemeinschaften - durch Migranten oder Mischehen - in einer wunderschönen religiösen Vielfalt. Sie zählen zur sich entfaltenden Religionsvielfalt in Deutschland, die zur Kultur und Gesellschaft auch in Zukunft wesentlich gehören wird."
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