News 30. 05. 2008

Innerorthodoxe Differenzen im Dialog mit Rom

Innerhalb der orthodoxen Kirchenfamilie fehlt eine einheitliche Dialoglinie gegenüber der katholischen Kirche in der heiklen Frage des Primats des Bischofs von Rom, des Papstes. Die Primatsfrage wird laut dem russisch-orthodoxen Bischof von Wien, Hilarion (Alfejew), vom Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. von Konstantinopel und dem Moskauer Patriarchen Alexi (Aleksij) II. "gänzlich anders betrachtet".

Das Verständnis der Bedeutung und Funktion des Primats sei nach wie vor völlig unterschiedlich, das sogenannte Ravenna-Dokument habe nur die Vorarbeit zu dieser noch offenen Diskussion geleistet, betonte Bischof Hilarion in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur "Kathpress". Der Text war im vergangenen Oktober in Ravenna von der gemeinsamen Kommission für den theologischen Dialog zwischen Katholiken und Orthodoxen verabschiedet worden.

Wie im ersten Jahrtausend

In dem Ravenna-Dokument erklären die seit 1054 getrennten Kirchen erstmals gemeinsam, dass es nach der Tradition der Kirche auch auf weltkirchlicher Ebene eine Vorrangstellung eines "Ersten" (Protos) gebe, wie sie während des ersten Jahrtausends der Bischof von Rom innehatte. Er rangierte an erster Stelle der fünf historischen Sitze von Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem.

Primat und Kollegialität

Offen bleibe hingegen die konkrete Form der Ausübung dieses Primats. Nach Angaben des Leiters der katholischen Delegation, Kurienkardinal Walter Kasper, hatten die Orthodoxen zugestimmt, "dass auch auf der universalen Ebene der Kirche beides notwendig ist: Primat und Kollegialität." Der Ökumenische Patriarch Bartholomaios hatte hinsichtlich der Stellung des Bischofs von Rom in der Gesamtkirche an eine Aussage des seinerzeitigen Kardinals Joseph Ratzinger - heute Papst Benedikt XVI. - erinnert: Rom dürfe von der Ostkirche nicht mehr fordern, als im ersten Jahrtausend gelebt worden sei. Damals sei der Papst als "Erster an Ehre unter uns und Vorsitzender in der Liebe" gesehen worden, wie Patriarch Athenagoras I. im Jahr 1967 Papst Paul VI. bei dessen Besuch im Phanar genannt habe.

Innerorthodoxer Streit

Von dem Ravenna-Papier hat sich die russisch-orthodoxe Kirche inzwischen mehrfach distanziert. Bischof Hilarion betonte nun, die Primatsfrage sei "noch nicht ausdiskutiert". Eine Klärung dieser Frage etwa im Rahmen eines panorthodoxen Konzils - welches nur der Ökumenische Patriarch einberufen kann - sei in naher Zukunft wohl nicht realisierbar, betonte der Wiener russisch-orthodoxe Bischof. Moskau sah sich schon mehrmals mit dem Vorwurf konfrontiert, die Rolle des Ökumenischen Patriarchen als federführender Koordinator aller orthodoxen Kirchen in Frage zu stellen. Die letzte Vollversammlung der gemeinsamen theologischen Kommission in Ravenna hatten die Vertreter Moskaus nach einem Eklat verlassen, der in erster Linie durch innerorthodoxe Differenzen ausgelöst worden war. Die russische Seite reklamierte den Ausschluss der von Moskau nicht anerkannten Estnischen Apostolischen Kirche, die sich unter die Jurisdiktion des Ökumenischen Patriarchen gestellt hat. Die übrigen orthodoxen Delegierten unterstützten dagegen das Ökumenische Patriarchat.

Patriarch Alexi besucht Österreich

Die bestehenden Meinungsverschiedenheiten sollen, wie Bischof Hilarion gegenüber Kathpress betonte, aber den Pastoralbesuch von Patriarch Alexi in Österreich im Dezember nicht beeinträchtigen. Vor kurzem habe er Patriarch Bartholomaios im Phanar in Istanbul informiert und sei dabei auch mit dem Wiener Metropoliten Erzbischof Michael Staikos zusammengetroffen. Hilarion urgierte ferner die rechtliche Anerkennung der russisch-orthodoxen Diözese Wien und Österreich. Derzeit wird von staatlicher Seite auf Grundlage des Orthodoxengesetzes von 1967 allein die Metropolis von Austria und Exarchie des Ökumenischen Patriarchats offiziell anerkannt. Insgesamt leben in Österreich rund 400.000 orthodoxe Christen. Patriarch Alexi wird vom 20. bis zum 23. Dezember Österreich besuchen.

Weihe der restaurierten Nikolauskathedrale

Den Anlass des Besuches bildet die Weihe der restaurierten Wiener russischen Nikolauskathedrale. Die Kathedrale ist die größte russisch-orthodoxe Kirche in Westeuropa; sie wird im Dezember nach fünfjährigen Restaurierungsarbeiten wieder in neuem Glanz erstrahlen. Geplant sind für den Österreich-Besuches des russischen Patriarchen auch Begegnungen mit Bundespräsident Heinz Fischer und mit Kardinal Christoph Schönborn sowie der Besuch eines Konzertes im Wiener Konzerthaus. Auf dem Programm steht neben Werken von Joseph Haydn das "Christmas Oratorio" von Bischof Hilarion.

 

 

Hintergrund:

- Die "Ostkirchen"

- Der Moskauer Patriarch Alexi II.

- Patriarch Bartholomaios I., ökumenischer Patriarch von Konstantinopel

 

 
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